mehr
zweitgeborene Sohn eines Herzogs wird Marquis, die fernern Söhne rangieren in der sog. Gentry neben Baronets und Knights, Gelehrten, Künstlern, Advokaten, Bankiers, großen Kaufleuten u. s. w., und wenn sie auch gesellschaftlich einen etwas höhern Rang einnehmen, so bildet dieses doch keinen eigentlichen Standesunterschied. Die jüngern Söhne der drei ersten Adelsklassen führen den einfachen Familiennamen mit dem Lordstitel unter Beifügung des Taufnamens. -
Vgl. Gneist, und Ritterschaft in England (Berl. 1853);
ders., Das heutige engl. Verfassungs- und Verwaltungsrecht (2 Tle., ebd. 1857-60; Tl. 1 [in 2 Bdn.], 3. Aufl. 1883, 1884).
Ganz anders war die Entwicklung der Adelsverhältnisse auf dem Festlande, mit Ausnahme etwa der Niederlande [* 2] und Italiens, [* 3] wo der Adel auch zum Teil infolge der allgemeinen nationalen Schicksale dieser Länder den andern Klassen des Volks immerfort näher blieb. Am schroffsten dagegen sonderte er sich vom Bürgertum ab in Frankreich, etwas weniger anfangs in Deutschland, [* 4] bis das franz. Beispiel auch hier Eingang fand. In Frankreich hatte es eine Zeit lang den Anschein, als ob und Bürgertum gemeinschaftlich in einer allgemeinen Vertretung (den états généraux) die Rechte des Landes gegen das Übergewicht der königl. Prärogative verteidigen sollten.
Allein das Königtum wußte den Adel an sich zu ziehen, ihn aus einem selbständigen, mitten im Volke stehenden Grundbesitzadel zu einem gefügigen, vom Volke losgetrennten Hofadel zu machen. Dabei hielt er alle die drückenden Privatvorrechte fest, welche ihn, zumal der kleinen ländlichen Bevölkerung [* 5] gegenüber, als ein dem Volke fremdartiges, feindliches Element erscheinen ließen. Der Grundsatz des Rassenunterschiedes, wonach der von anderm, edlerm Blute ist als das Volk, ward in seiner ganzen Schroffheit ausgebildet, proklamiert und bethätigt. Heiraten zwischen Adligen und Bürgerlichen, wenn schon durchs Gesetz nicht verboten, galten doch für Mißheiraten (mésalliances).
In Deutschland erhob sich auf den Trümmern der Gemeinfreiheit und einer starken Reichseinheit, die beide ungefähr gleichzeitig und aus den gleichen Ursachen zu Grunde gingen, die Übermacht und der Übermut des Adel. Im Reformationszeitalter sehen wir so ziemlich die letzten Spuren einer edlern, gemeinnützig-polit. Tendenz des in Bezug auf das Ganze in den Bestrebungen eines Teils der Reichsritterschaft für Herstellung einer zeitgemäßen, insbesondere die verschiedenen Stände und ihre Sonderinteressen einander mehr annähernden Reichsverfassung, in den Einzelstaaten in dem von dem Adel, gemeinsam mit dem Bürgertum, durch das Organ der Landtage teilweise mit großer Hingebung und Opferfreudigkeit unternommenen Kampfe für polit. und Glaubensfreiheit.
Später hört dies mehr und mehr auf. Der in den prot. Ländern durch die Aufhebung der geistlichen Pfründen um die Mittel der Versorgung seiner jüngern Söhne gebracht, fast allerwärts infolge der Herabdrückung der Stände in Ohnmacht und in Abhängigkeit von der fürstl. Gewalt, in seiner bisherigen, wenigstens zum Teil volkstümlichen Wirksamkeit beschränkt, suchte Ersatz und Entschädigung im Hofdienste und nahm allmählich alle Hofämter in Besitz. Der Grundsatz der Ebenbürtigkeit tritt in seiner vollen Strenge (selbst beim hohen Adel) erst im 17. Jahrh. auf.
Das Streben des deutschen wie des französischen Adel ging insonderheit seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges unablässig dahin, einerseits für seine Personen und Güter eine Ausnahmestellung und Befreiungen von dem für die andern Klassen gültigen Gemeinen Recht, andererseits über die Hintersassen auf seinen Gütern eine möglichst ausgedehnte Gewalt zu erlangen. Für seine Person und Familie Steuerfreiheit, Freiheit von der Konskription, besonderer Gerichtsstand, Bevorzugungen im Hof-, Civil- und Militärdienste, sodann allerhand gesellschaftliche Auszeichnungen (Recht der Haustrauung, der unbeschränkten Zahl von Paten bei Taufen u. s. w.), für seine Güter Patrimonialgerichtsbarkeit, Patronatsrecht, Jagdrecht auf fremder Flur, Gutspolizei, endlich Schutzherrlichkeit über seine Gutsunterthanen mit allen den dazu gehörigen Rechten auf seiten des Herrn, dagegen mit Diensten und Lasten auf seiten der Unterthanen u. s. w.: dies war die bisweilen ins Ungemessene ausgedehnte Summe von Ausnahme- und Herrenrechten, welche der Adel auch in Deutschland, der große wie der kleine, nach und nach an sich riß.
In den meisten Ländern bildete der Adel eine geschlossene, entweder durch ausdrückliche, von den Landesherren anerkannte Ordnungen oder doch durch sein gemeinschaftliches Auftreten auf den Landtagen als besonderer Stand, eng verbundene Korporation, welche den Zutritt fremder Elemente streng von sich abhielt. In Mecklenburg [* 6] ist bis auf die neueste Zeit die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in den sog. «recipierten , den bestehenden Adelskörper, von der Zustimmung dieses letztern abhängig geblieben.
Lange Zeit sträubte sich der Adel heftig gegen den Übergang adliger, ritterschaftlicher Güter in bürgerlichen Besitz, und viele Landesfürsten glaubten, zur Erhaltung des Adel als Stand ein freilich nicht durchführbares Verbot dagegen erlassen zu müssen. Ebenso gab es viel Streit um die Zulassung nichtadliger oder neu geadelter Rittergutsbesitzer zu den Landtagen, und in manchen Ländern, z. B. Sachsen, [* 7] fand diese Zulassung nur unter Beschränkungen statt. Die noch ausgedehntern Vorrechte des hohen Adel, welche demselben nach Wegfall der eigentlichen Landeshoheit noch übrigblieben, waren im Art. XIV der Deutschen Bundesakte, der diese Rechte garantierte, folgendermaßen specialisiert: Ebenbürtigkeit mit den regierenden Häusern in Bezug auf Ehen;
Autonomie in Anordnung ihrer Familienverhältnisse und Disposition über ihre Güter,jedoch unter Oberaufsicht des Staats;
das Recht der Landstandschaft als sog. Standesherren;
privilegierter Gerichtsstand und Befreiung von aller Militärpflichtigkeit für sich und ihre Familien;
die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerichtspflege in erster, beziehentlich auch zweiter Instanz;
Forstgerichtsbarkeit;
Ortspolizei;
Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen, alles unter Oberaufsicht der Landesregierung.
Auch dem ehemaligen bloßen Reichsadel (Reichsfreiherren, Reichsrittern) ward Autonomie, Landstandschaft, Patrimonial- und Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat, privilegierter Gerichtsstand zugesichert, jedoch nur nach Vorschrift der Landesgesetze.
In Frankreich hob die Revolution von 1789 nicht nur alle Vorrechte des Adel (die Deputierten des Adel selbst verzichteten darauf in der berühmten Nacht des 4. Aug.), sondern auch den Adel selbst als besondern Stand auf. Der Gebrauch adliger Titel, Wappen [* 8] u. s. w. ward verpönt. Napoleon I. schuf durch die Dekrete von 1806 und 1808 einen neuen Adel, zum Teil mit Majoraten. In dem ¶
mehr
Strafcodex von 1810 ward die unbefugte Führung von Adelstiteln mit Strafe bedroht. Die Charte von 1814 sprach zwar den Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetze aus, gestattete jedoch dem alten Adel, seine Titel wieder zu erneuern, dem neuen, die seinigen zu behalten. Dem Könige sollte das Recht zustehen, den Adel zu verleihen, jedoch ohne Befreiungen und Vorrechte. Die revidierte Charte von 1830 änderte hieran nichts, wohl aber ward bei der Revision des Strafcodex 1832 das Verbot des unbefugten Gebrauchs von Adelstiteln in Wegfall gebracht, so daß es seitdem jedem Franzosen frei stand, jeden ihm beliebigen Titel zu führen. Ein Gesetz von 1835 verbot die Errichtung von Majoraten. Ein Versuch des Kaisers Napoleon III., die Titelfrage wieder im Sinne des Strafcodex von 1810 zu regeln, ist ohne nachhaltige Folgen geblieben.
In Deutschland haben zuerst die nach franz. Muster eingerichteten Gesetzgebungen (z. B. in Westfalen [* 10] und am linken Rheinufer), dann in Preußen [* 11] die großen Stein-Hardenbergschen Reformen, endlich seit 1815 die neuen konstitutionellen Verfassungen (in Baden, [* 12] Bayern, [* 13] Nassau, später in Hessen, [* 14] Sachsen) einen Teil der Adelsprivilegien beseitigt. Ein Versuch, die Rechte des Adel zu codifizieren, ist das der Verfassung angefügte Bayrische Adelsedikt vom Die Deutsche [* 15] Nationalversammlung von 1848 ging noch weiter, indem sie in Art. II, §. 137 der Grundrechte nächst der Abschaffung der Standesvorrechte und der Bestimmung, daß vor dem Gesetze kein Unterschied der Stände gelte, vielmehr alle Deutsche vor dem Gesetze gleich seien, ausdrücklich den Adel selbst als Stand für aufgehoben erklärte.
Die sog. Unionsverfassung ließ diesen letzten Satz weg, während sie im übrigen die Fassung der Frankfurter Grundrechte beibehielt. Durch den Bundesbeschluß vom wurden die Grundrechte wieder aufgehoben, also auch jener Beschluß in betreff des Adel; doch waren inzwischen (und zum Teil schon vorher) die Bestimmungen wegen Abschaffung der persönlichen Standesvorrechte des und der an dem ritterschaftlichen Grundbesitze haftenden Privilegien ziemlich gleichlautend in die meisten Verfassungen und Gesetzgebungen der Einzelstaaten übergegangen.
Auch in betreff der Rechte der Mediatisierten hatte die Deutsche Nationalversammlung keinen Unterschied gemacht, und die Landesgesetzgebungen waren ihr hierin meist ebenfalls gefolgt. Später wurden, teils durch die freie Initiative der Regierungen, mit oder ohne Zustimmung der Volksvertretungen, teils auf Betrieb des Bundestags, nach Anrufung desselben durch die Mediatisierten, die meisten Rechte derselben wiederhergestellt, so namentlich das Recht der besondern Vertretung auf den Landtagen.
Nach §. 1 des (Bundes-, jetzt Reichs-)Gesetzes betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom sind die Mitglieder der mediatisierten, vormals reichsständischen Häuser von der Wehrpflicht ausgenommen, sowie nach §. 4 des Gesetzes, betreffend die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedenszustandes, vom die Gebäude, welche zu den Standesherrschaften der vormals reichsständischen Häuser gehören, von der Einquartierung befreit.
Auch gilt die Ehe eines dem hohen Adel angehörigen Mannes mit einer Bürgerlichen als Mißheirat; daher tritt die Frau in diesem Falle nicht in den Stand des Gatten ein. Dagegen ist der Rest der Privatgerichtsbarkeit des Adel durch §. 15 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom aufgehoben. (S. Standesherren.) -
Vgl. von Strantz, Geschichte des deutschen Adel (2. Aufl., 3 Bde., Waldenb. 1851);
Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und mediatisierten Häuser in Deutschland (Berl. 1871);
Rose, Der Adel Deutschlands [* 16] (ebd. 1883);
G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (4. Aufl., Lpz. 1805).