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Mehr nur ein Anhängsel an die Adulagruppe ist das Medelser Gebirge, das man nach Lage und Beschaffenheit ebenso gut, nach dem geologischen Bau besser der Gotthardgruppe zuteilen kann. Es erfüllt den Raum zwischen den Thälern Medels und Somvix und zwischen den Pässen des Lukmanier und der Greina. Der wasserscheidende Kamm zieht sich mit einigen Unregelmässigkeiten SW.-NO. Zunächst dem Lukmanier erhebt sich die trotzige, eisgepanzerte Pyramide des Scopi (3200 m) als Herrscher eines kleinen Gebietes, das durch den Passo Cristallina (2404 m) vom Hauptteil der Medelsergruppe getrennt wird.
Dieser Pass, einer der landschaftlich schönsten des Bündner Oberlandes, zweigt beim Weiler Perdatsch von der Lukmanierstrasse ab und führt von da auf kürzestem Weg hinüber nach Campo hinten im Val Blenio. Er ist von Touristen, die tief ins Innere des Gebirges eindringen wollen, dem Lukmanier weit vorzuziehen. Ihn schmückt südl. hart unter der Passhöhe der prächtige Laco Retico (2378 m). Der Hauptteil der Medelsergruppe ist stark vergletschert, besonders auf der N.-Seite. Da senkt sich der über eine weite Terrasse ausgebreitete Medelsergletscher nordwestwärts in mehreren, durch scharfe Felsrippen getrennten Zungen ins Gebiet von Medels, der Lavazgletscher und einige kleinere ins Gebiet von Somvix.
Unbedeutender sind Firn und Eis auf der S.-Seite. Die Hauptgipfel sind, von W. nach O. gezählt: Piz Cristallina (3129 m), Piz Ufiern (3153 m), Cima Camadra (3175 m), Piz Medel (3203 m);
Piz Gaglianera (3122 m), Piz Vial (3166 m) und Pleunca da Sterls (2989 m).
Diesem Hauptkamm sind nach N. vorgelagert die kleine Gruppe des Piz Senteri (2952 m), der Piz Muraun (2899 m) und die Garvera (2371 m), von welchen namentlich die letztere einen herrlichen Blick auf das obere Rheinthal gewährt und sowohl aus dem Val Medel als aus dem Val Somvix leicht über schöne Alpweiden zu erreichen ist. Einen guten Einblick in den Hauptteil der Medelsergruppe, insbes. in deren weite Eisreviere, gewährt der Marsch über die Fuorcla de Lavaz (2509 m) vom hintern Val Somvix oder vom Tenigerbad nach Curaglia im Medelserthal.
Ein kleineres, aber dennoch beträchtliches Gegenstück zum Oberländergebirge bildet das Misoxergebirge, jenes im N., dieses im S. an den Kern der Adulagruppe sich anschliessend. Die Misoxer Berge bilden drei südwärts verlaufende Ketten, die das Misox- und das Calancathal einschliessen. Wir können sie als westliche, mittlere und östliche Misoxerkette unterscheiden. Obwohl die absolute Höhe nur in wenigen Gipfeln 3000 m erreicht oder um etwas übersteigt und die Firn- und Eisbedeckung gering ist, machen sie doch bei der tiefen Lage der Thäler (Tessin, Moesa und Mera) den Eindruck hoher, meist rauher und wilder Gebirge.
Die untern, vielfach durchschluchteten Abhänge sind bis zur Waldgrenze bei etwa 1900-1950 m durchweg sehr steil und unwegsam und öfters von Felsbändern durchzogen. Darüber folgen nicht gerade sehr ausgedehnte Alpweiden auf Terrassen und in flachen Mulden, die meist nur auf weitausholenden, steinigen Zickzackwegen zu erreichen sind, endlich die wildgerissenen, verwitterten Gräte und Gipfel in vielfach hin und hergewundenen Linien, die weite, hochwandige Bergnischen umschliessen.
Die vielen weit hinziehenden Wände machen mit den zugehörigen Schutthalden aus einiger Entfernung und bei der hellen Beleuchtung des Südens oft fast mehr den Eindruck eines Kalk- als eines Gneisgebirges. Und dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Quellenarmut weiter Strecken in den höhern Lagen, was umsomehr auffallen muss, als diese Gebirge zu den regenreichsten der Alpen gehören. Tiefer unten sind allerdings Quellen und Bäche überreichlich vorhanden; da sprudelt und rauscht und stürzt es in zahllosen Wasserfällen an allen Ecken und Enden und in allen Formen und Farben durch den Tannenwald hinunter: ein für Zeichner und Maler unerschöpfliches Gebiet.
Die westlichste der drei Ketten verknüpft sich am Poncione delle Frecione (3199 m) mit dem Kern der Adulagruppe und verläuft in genau südl. Richtung längs der bündnerisch-tessinischen Grenze. Sie bildet mit der Kette des Piz Terri die längste rein meridionale Kette im Gebiet der Schweizer Alpen in einer Länge von etwa 60 km vom Vorderrhein bei Truns bis zum Ausgang des Misox. Die Höhe dieses ganzen langen Gebirgszuges ist durchweg eine sehr beträchtliche, doch steht die südl. Hälfte darin und mehr noch die Vergletscherung erheblich hinter der nördl. zurück. 3000 m werden da nur von den zwei nördlichsten Gipfeln überschritten: vom Fil di Rosso (3163 m) und von der Cima dei Cogni (3068 m). Von da nach Süden hält sich die Gipfelhöhe fast bis ans Ende sehr gleichmässig auf über 2800 bis über 2900 m: Fil di Revio (2838 m), Pizzo di Pianasso (2834 m), Pizzo di Remia (2915 m), Pizzo delle Streghè (2909 m), Pizzo di Termine (2867 m), Torrone d’Orza (2948 m). Dann erst sinkt die Höhe rascher: Pizzo di Claro (2719 m) und Pizzo di Molinera (2287 m), zwei prächtige Aussichtspunkte, von welchen man ausser dem Gebirge auch grosse Teile des Tessinthales, von oberhalb Biasca bis unterhalb Bellinzona, überblickt.
Die Kette kann an verschiedenen Stellen überschritten werden. Doch kommt nur dem Passo di Giumella (2120 m) einige Bedeutung zu und auch diesem nur für einen eng begrenzten Lokalverkehr. Er führt auf rauhen Pfaden von Rossa (1100 m) im mittlern Val Calanca hinüber ins Val Pontirone und durch dieses nach Malvaglia, bezw. Biasca. Seitenzweige hat diese Kette nur auf der W.-Seite. Deren längste schliessen das Val Pontirone ein. Der südl. endigt mit dem durch den gewaltigen Bergsturz vom Jahr 1512 bekannten Pizzo Magno.
Die mittlere Misoxerkette geht vom Zapporthorn (3149 m) aus und trennt das Calancathal vom eigentl. Misox. In ihrem nördl. Teil verläuft sie unter verschiedenen Windungen im ganzen SSO., dann ebenfalls in gerader Linie genau S. Die Höhe ist erheblich geringer als in der westl. Kette und die Vergletscherung auf die Ansatzstelle beim Zapporthorn bis zum Pizzo di Muccia (2963 m) beschränkt. Die Gipfel bilden oft, auch wenn sie als Pizzo oder Cima bezeichnet werden, längere, mehrzackige ¶
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und nach W. oder O. vorspringende Gräte, meist von recht wildem, ruinenartigem Aussehen. Die bedeutendsten sind: Pizzo Rotondo (2829 m), Cima di Bedoletta (2633 und 2627 m), Cima di Tresculmine (2633 m), Cima di Gangella (2764 m), Fil di Ciaro (2780 m etc.), Fil di Dragiva (2770 m), Fil di Calvarese (2383 m), Fil di Nomnone (2634 m) und Pizzo di Groven (2693 und 1695 m). Dann senkt sich der Kamm rascher auf 2000 m und endet am Ausgang des Calancathals. Unter den Pässen ist der wichtigste und bequemste der Passetti (2075 m), dessen Scheitel durch einen kleinen See geschmückt ist. Er verbindet das Dorf San Bernardino mit dem obersten Teil des Calancathals und überragt das erstere nur um 450 m. Sowohl für den Lokal- als für den Touristenverkehr kommt er von allen Uebergängen dieser Kette fast allein in Betracht. Ein Parallelpass dazu ist der nördlicher gelegene und höhere Passo Tre Uomini (2653 m). Südlicher sind erwähnenswert der Passo di Tresculmine (2153 m) von Mesocco-Cremeo aus und der Passo di Buffalora (2265 m) von Soazza aus hinüber nach dem Calancathal. Sie sind aber wegen ihrer weit grösseren relativen Höhe (1400 und 1600 m) viel beschwerlicher als der Passetti.
Die östl. Misoxerkette reicht vom Passo di Balniscio (2358 m) im N. bis zum Passo di San Jorio (1956 m) im S. und verknüpft sich dort mit der Gruppe des Tambohorns, hier mit den Lugarner Voralpen. Sie verläuft auf der bündnerisch-italienischen Grenze und scheidet die zwei grossen Verkehrslinien des Bernhardins und Splügens. Obwohl diese Kette nur im Piz Corbet und in der benachbarten Cima di Pian Guarnei, die 3000 m um ein Geringes übersteigt und auch nur wenige Höhen von 2900 und 2800 m aufweist, erscheint sie doch von den tiefen Thälern aus (von Soazza an abwärts 600-200 und von Chiavenna an 300-200 m) sehr hoch, steil und rauh, so dass auch die Uebergänge sehr spärlich und wenig leicht sind.
Auch die kleinen Seitenzweige sind, abgesehen vom südlichen Teil, hoch, steil und wildzerrissen und schliessen nur kurze, rauhe, in der Entwicklung zurückgebliebene Alpthäler ein, die alle mit engen, spaltenförmigen Schluchten in die Hauptthäler ausmünden. Als Hauptgipfel mögen genannt werden: Cima di Barma (2861 m), Piz Montagna (2746 m), Cima di Vercönca (2869 m), Cima die Pian Guarnei (3014 m), Piz Corbet (3025 m), Pizzo Pombi (2971 m), Pizzo del Torto (ca. 2900 m), Pizzo Campanile (2653 m), Pizzo della Forcola (2590 m), Pizzo di Padion (2633 m), Pizzo di Settagiolo (2567 m), Pizzo di Cresem (2578 m), Pizzo Campanile und della Paglia (2554 und 2595 m), Gardinello dello Stagno (2379 m) und Cima di Cugn (2237 m) als südlichster Punkt Graubündens, ferner in den westl. Verzweigungen der mächtige Felsbau des Sasso di Castello (2525 m). Die besten, gangbarsten Pässe, doch natürlich (wie überall im Gebiet der Misoxerberge) nur mit rauhen Gebirgspfaden, sind der Passo di Balniscio (2358 m) von San Giacomo unterhalb San Bernardino nach Isola, dem ersten Dorf südl. des Splügen, der Passo della Forcola (2217 m) von Soazza nach Gordona bei Chiavenna, die Bocchetta die Cama (2097 m) ebenfalls nach Gordona und der Passo di San Jorio (1956 m), der nach Gravedona am Comersee führt und zu dem man schweizerischerseits gewöhnlich von Giubiasco bei Bellinzona aufsteigt, aber ebenso gut auch von Arbedo und von Roveredo aus aufsteigen kann.
Endlich ist noch eines zwar nicht sehr ausgedehnten, aber in Aufbau und mächtigen Felsformationen doch imponierenden Gebirgsstückes zu gedenken, das vom Zentralstock der Adulagruppe sich in den Kanton Tessin erstreckt. Es füllt den Raum aus zwischen dem Val Malvaglia und dem Val Luzzone und bildet mit seiner westl. Abdachung die linke Flanke des Bleniothals von Campo bis Malvaglia. Der Hauptteil desselben geht vom Rheinwaldhorn aus und teilt sich am Uomo di Sasso in zwei Aeste: den nach NW. streichenden zackigen Grat der Colma (mit der Cima di Pinaderio 2488 m) und den nach SW. vorspringenden und wieder sich teilenden mächtigen Stock des Simano (2842 m), neben vielen andern Gipfeln und Zacken (2788, 2676, 2583 m etc.). Ein kleinerer Ast mit dem Torrone di Nava (2884 m) streicht vom Piz Cassimoi nach NW., von der Colma getrennt durch das Val Carasina.
Etwas abgesondert erhebt sich mit schroffen Mauern der Sosto (2221 m) bei Campo, der aber von O. leicht über Rasenhänge zu ersteigen ist und einen prachtvollen Blick über das Bleniolhal und gegen den Lukmanier gewährt. Auch zwei grössere Gletscher gehören diesem Tessinergebiet an: der Brescianagletscher auf der W.-Seite des Rheinwaldhorns, das auch von dieser Seite bestiegen werden kann, und der schöne Scaradragletscher, dessen mächtige Zunge zum Piz Cassimoi, Piz Casinell, Piz Sorda und Torrone di Nava hinauf führt.
Touristisch ist das ganze Adulagebirge gut erschlossen, am besten sein zentraler und höchster Teil, alle die Gipfel um den Rheinwald-, Zapport-, Lenta-, Güfer-, Kanal- und Fanellagletscher, am wenigsten die Misoxerketten. Das Rheinwaldhorn wurde schon 1789 von Placidus a Spescha von Zapport aus über die Lentalücke erstiegen. 1849 folgte J. J. Weilenmann, 1861 J. Coaz auf dem selben Weg. Seither sind noch zahlreiche Anstiegsrouten aufgefunden worden, über Rheinwald-, Lenta- und Brescianagletscher, alle mit verschiedenen Varianten: über NO.-, NW.-, W.- und SO.-Grat und über O.- und W.-Flanke.
Placidus a Spescha hat ausserdem noch viele andre Gipfel und Pässe in diesem Gebiet erstiegen, darunter das Güferhorn, den Piz Terri, Piz Cristallina, Scopi etc. und muss überhaupt als der Begründer der Orographie und Topographie des Bündner Oberlandes und als einer der ersten und tüchtigsten Pioniere der Alpenkunde und des Bergsteigens bezeichnet werden. Zu den ersten und erfolgreichsten Erschliessern der Adulagruppe gehören ausser den oben genannten auch Alb. Hoffmann-Burckhardt, L. Held, E. Calberla, L. Darmstädter, Dr. Törger und die Engländer D. W. Freshfield, J. D. Walker, M. Beacheroft, A. W. Moore, H. B. George, F. Morshead und vor allem W. A. B. Coolidge, dessen The Adula Alps (ein Bändchen in Conway and Colidges Climber’s Guides) noch immer der vollständigste und beste Führer für das gesamte Gebiet der Adulagruppe ist. 1865 war das Medelsergebiet, 1872 das Rheinwaldgebirge und 1874 das Bündner Oberland offizielles Exkursionsgebiet des Schweizer Alpenklub.
Damals entstanden die Itinerare von Theobald für das Medelsergebirge, von Rütimeyer für das Rheinwaldgebirge und von Coaz für das Bündner Oberland, die alle drei auch jetzt noch sehr wertvoll sind. Die Jahrbücher des S. A. C. aus der damaligen Zeit (bes. die Bände 3, 8 und 10) enthalten zahlreiche Aufsätze und Berichte, teils touristischen, teils wissenschaftlichen Inhalts aus den drei Gebieten, die auch in spätern Bänden bis in die Gegenwart noch manche Ergänzungen erhalten haben. Als grössere Arbeiten seien speziell noch erwähnt die von Dr. Jörger im Jahrbuch des S. A. C. 31 und 32: Aus dem Adulagebiet und aus dem Valserthal und von Dr. Darmstädter in der Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins 24: Aus einem vergessenen Exkursionsgebiet des Schweizer Alpenklub (dem Adulagebiet).
Durch die neuliche Entwicklung der Eisenbahnen und des Fremdenverkehrs ist das gesamte Adulagebiet sehr viel leichter zugänglich geworden als es noch Ende des vorigen Jahrh. war. Insbesonders Ilanz, Thusis, Misox und Biasca erscheinen als die vorgeschobensten Stationen für dieses Gebiet. Die tiefeindringenden Thäler Rheinwald, Safien, Lugnez, Vals, Somvix, Medels, Blenio, Misox und Calanca bieten in ihren Dörfern fast überall gute Unterkunft, manchmal auch in hochgelegenen Alphütten. Dagegen gibt es bis jetzt immer noch bloss eine einzige alpine Unterkunftshütte, die Zapporthütte (2320 m) auf einer Terrasse über dem Ursprung des Hinterrheins.
Die gründlichste geologische Bearbeitung hat das Gebiet gefunden in Albert Heims Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein (in den Beiträgen zur geolog. Karte der Schweiz. 25. Lieferung. Bern 1891). Einen kurzen Ueberblick gibt der Artikel Graubünden dieses Lexikons, ferner der geologische Teil des Artikels Schweiz, der unser Gebiet auch in das Licht der neuen Deckfaltentheorie rückt.
[Dr. Ed. Imhof.]