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auf dem alten Fuss unter dem Vorort Zürich wieder konstituieren, freilich unter Anerkennung der sechs neuen Mediationskantone. Unter dieser Bedingung war der Aargau auch dabei, nicht aber Bern, dessen wieder ans Ruder getretenen Aristokraten sofort ihre Ansprüche auf Waadt und Aargau geltend machten. Während in Wien und Zürich nun über die Neugestaltung der Schweiz verhandelt wurde, gab sich der Kanton Aargau am eine neue (zweite) Verfassung. Die wesentlichen Unterschiede gegenüber der ersten Verfassung liegen, dem Zug des Augenblicks entsprechend, darin, dass die Staatsgewalt in überwiegendem Mass in die Hände des Kleinen Rates gelegt, dessen Amtsdauer (wie übrigens aller Beamtungen) auf 12 Jahre verlängert wurde (Stabilität) und dass der Zensus für aktives und passives Wahlrecht bedeutend verschärft wurde.
Wichtig war ferner die Einführung der Parität: Kleiner und Grosser Rat und Appellationsgerichtshof sollten zur Hälfte aus Reformierten, zur Hälfte aus Katholiken besetzt werden. Indessen dauerte der Streit mit Bern fort, allein in Wien wurde schliesslich zu Gunsten des Aargaus entschieden. Die Zeit der Restauration war auch im Aargau eine Zeit der Bevormundung des Volkes, wenn auch dies sich viel weniger äusserte, als anderwärts; fehlte doch diesem neuen Kanton eine alte, auf Traditionen gestützte Aristokratie.
Das Regiment war zwar ziemlich ausschliesslich, aber ohne Härte. Der hervorragendste Mann in der Regierung, seit 1819 Bürgermeister des Kantons, war Johann Herzog von Effingen (1773-1840). Die Zensur der Presse wurde auf den Druck der Tagsatzung hin ausgeführt, die ihrerseits einem Druck der Grossmächte nachgab. Doch gab es Männer, die sich gegen die Bevormundung wehrten, so Heinrich Zschokke im Schweizerboten, der Dichter Abraham Emanuel Fröhlich von Brugg (1796-1865), Dr. Karl Rudolf Tanner von Aarau (1794-1849) u. a. m.
Als die Julirevolution 1830 vielerorts den Druck beseitigte, der auf den Völkern lastete, blieb mit manchem Schweizerkanton auch der Aargau nicht zurück. Eine Versammlung von Vertrauensmännern in Lenzburg (12. Sept.) und nachher eine grosse Volksversammlung in Wohlenswil (7. Nov.) verlangten nach einer neuen Verfassung. Der Kleine Rat legte dann auch dem Grossen Rat ein Dekret vor, wonach ein Verfassungsrat einberufen werden sollte. Der Grosse Rat nahm das Dekret an mit dem Zusatze, dass ihm selbst das Recht der Abänderung der Verfassung zustehen sollte. Diese Beeinträchtigung der freien Rechte des Verfassungsrates rief eine grosse Aufregung im Volk hervor. 6000-8000 Mann, aus dem Freiamt zumeist, zogen am 6. Dez. unter der Führung des Grossrats und Schwanenwirts Heinrich Fischer von Meerenschwand nach Aarau und zwangen Kleinen und Grossen Rat zur Nachgiebigkeit. So kam es zur (dritten) Verfassung vom Da sie auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufgebaut ist, so ruht das Schwergewicht nunmehr beim Grossen Rat. Eine stattliche Reihe von Volksrechten wird wieder eingeführt: Gewissensfreiheit, Pressfreiheit;
Gleichheit vor dem Gesetz;
Petitions- und Beschwerderecht;
Oeffentlichkeit der Verhandlungen der Behörden;
Die Parität wurde beibehalten; eine Revision der Verfassung innerhalb der nächsten zehn Jahre war vorgeschrieben.
Mit 6 andern Kantonen trat der Aargau 1832 zu dem sog. Siebnerkonkordate zusammen, das den Zweck hatte, die neugewonnenen Volksrechte zu sichern. Und ebenso beteiligte er sich an einer Abmachung von 1834, welche die Ueberordnung des Staates über die Kirche bezweckte, nämlich an den sog. Badner Artikeln. Bis zum Jahr 1828 gehörte ein Teil der aargauischen Katholiken zum Bistum Konstanz, bezw. standen sie seit 1814 unter dem apostolischen Vikar Göldlin von Tiefenau, während der andere Teil zum Bistum Basel gehörte; die Grenze bildete die Aare. In dem Uebereinkommen von 1828 kamen nun auch, mit andern Kantonen, jene früher konstanzischen Gebiete ans Bistum Basel.
Den Badner Artikeln zufolge richtete der Aargau das staatliche Plazet ein (Genehmigung für offizielle kirchliche Erlasse) und liess das Vermögen der Klöster durch Kommissäre feststellen. Dies führte zu den Unruhen von 1835, die sich dann anlässlich der Verfassungsrevision von 1840 bedeutend steigerten. Die neue (vierte) Verfassung vom enthielt vor allem den Grundsatz der Parität für den Grossen Rat nicht mehr, weshalb die Reformierten sie annahmen, die Katholiken (als Minderheit) sie verwarfen.
Darüber kam es im Freiamt zum Aufstand und, da hiefür die Klöster verantwortlich gemacht wurden, erklärte der Grosse Rat am auf Antrag von Erziehungsdirektor Augustin Keller die 8 Klöster für aufgehoben. Die Tagsatzung, an der die Angelegenheit sofort zur Sprache kam, spaltete sich, doch verlangte die Mehrheit die Wiederherstellung der Klöster, da diese durch Art. 12 des Bundesvertrages von 1815 garantiert seien. Erst als der Aargau sich bereit erklärte, seine 4 Frauenklöster wieder herzustellen, fielen ihm 13 Stimmen zu
Indessen hatte Luzern gegen den Willen einer liberalen Minorität die Jesuiten an die theologische Fakultät berufen. Da ein Antrag Aargaus an der Tagsatzung, die Jesuiten aus der ganzen Schweiz wegzuweisen, nur wenige ¶
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Stimmen auf sich vereinigte, griffen die Luzerner Freisinnigen zur Gewalt und suchten in zwei Freischarenzügen, für die sie namentlich aus dem Aargau Zuzug erhalten hatten, die luzernische Regierung zu stürzen und Beide misslangen. Angesichts dieser Ereignisse hatten sich die katholischen Kantone zum Sonderbund zusammengetan, dessen Aufhebung zwar sofort an der Tagsatzung verlangt, aber nicht beschlossen wurde. Erst im Sommer 1847 gab es eine Mehrheit für Auflösung des Sonderbundes und Ausweisung der Jesuiten. Beides musste dann durch Waffengewalt erzwungen werden (Sonderbundskrieg). Die bedeutenden Männer des Aargaus aus dieser Zeit sind: Reg.-Rat. Franz Waller aus Zug (1803-1879), Reg.-Rat, Oberst und Bundesrat Fr. Frey-Herosé von Aarau (1801-1873), Reg.-Rat Fidel Jos. Wieland aus Rheinfelden (1797-1852), Reg. Rat und Oberst Friedr. Siegfried von Zofingen (1809-1882), Seminardirektor Augustin Keller von Sarmenstorf (1805-1883).
Die Errichtung der Bundesverfassung von 1848 machte auch neue kantonale Verfassungen nötig. Allein die tiefe Kluft, welche die Ereignisse des letzten Jahrzehnts im Kanton Aargau gerissen hatten, erschwerte die Verfassungsrevision ausserordentlich. Dreimal verwarf das Volk den Entwurf, bis der vierte 1852 die Gnade beim Volke fand; es ist dies die fünfte aargauische Verfassung. Neu war das Recht des Volkes, die Abberufung des Grossen Rates zu beschliessen, das Recht der Initiative für Gesetzesänderungen und die Einführung der Schwurgerichte.
Immer noch bestand die Parität für Regierung und Obergericht. Aus dieser Zeit stammen eine Reihe vortrefflicher Gesetze. Es wurde die aargauische Bank geschaffen, namentlich unter der Förderung durch Nat.-Rat Feer-Herzog. Aus der Verfassungsrevision von 1862/63 seien erwähnt: Wegfall der zehnjährigen Verfassungsdauer;
die Revision kann jederzeit stattfinden;
Veto gegen Gesetzesbeschlüsse und gegen Beschlüsse, deren finanzielle Bedeutung eine Million übersteigt.
Damals regte die Frage der Judenemanzipation die Gemüter auf. Bis jetzt hatten die Juden in Lengnau und Endingen keine politischen Rechte. Ein Bundesgesetz von 1856 sprach ihnen solche im Grundsatz zu und der aargauische Grosse Rat erliess 1862 ein Gesetz, das die beiden Judenkorporationen zu Ortsbürgergemeinden, die Juden zu Kantonsbürgern erhob. Dagegen erhob sich ein grosser Sturm; der Grosse Rat wurde abberufen und ein neues Judengesetz, das die politische Gleichberechtigung nicht enthielt, angenommen. Gegen dieses bundesrechtswidrige Gesetz schritten Bundesrat und Bundesversammlung ein, und nun mussten sich die Aargauer fügen.
Seit 1869 bestand die Volkswahl der Bezirksbeamten, seit 1870 das obligatorische Finanzreferendum für einmalige Ausgaben über 250000 Fr. oder periodische über 25000 Fr. Aus diesen Zeiten sind zu nennen: Reg.-Rat und späterer Bundesrat Emil Welti aus Zurzach (1825 bis 1899), Reg.-Rat und Oberst Samuel Schwarz von Mülligen (1814-1868);
auch Augustin Keller sass jetzt in der Regierung;
Nat.-Rat Karl Feer-Herzog von Aarau (1820-1880);
Jakob Frey von Gontenswil (1824-1875), Dichter.
Der Kulturkampf der 70er Jahre brachte im Aargau den Bruch zwischen staatlichen und kirchlichen Behörden, bis 1884 ein neuer Vertrag die Diözesenangelegenheit regelte und 1885 die aarg. katholische Kirche ihre Synode erhielt. In diesem Jahr 1885 wurde die letzte (sechste), jetzt noch gültige Verfassung geschaffen. Es ist daraus zu erwähnen: Erleichterung der Initiative;
Erweiterung des Referendums;
Kompetenz des Grossen Rates zum Bezug einer halben Staatssteuer;
Reduktion der Zahl der Mitglieder des Regierungsrates auf fünf;
die Parität ist abgeschafft, dagegen eine Vertretung der politischen Minderheit in der Regierung gesetzlich festgelegt;
Obligatorium der Wahlen und Abstimmungen.
Unter den Veränderungen, die seither stattgefunden haben, sollen genannt werden: 1903 Volkswahl der Regierungs- und der Ständeräte;
1905 Abschaffung der sog. Referendumsgemeinden (Gemeindeversammlungen, in denen die Bürger vor einer kantonalen Abstimmung über den Gegenstand aufgeklärt werden sollten).
1903 feierte der Kanton in Aarau ein glänzendes Fest zur Erinnerung an den 100jährigen Bestand.
Hervorragende Männer der letzten Periode: General Hans Herzog von Aarau (1819-1894), Oberst Emil Rothpletz von Aarau (1824-1897), Ständerat und Oberst Olivier Zschokke von Aarau (1826-1898), Ständerat Johann Haberstich von Entfelden (1823-1890), Oberst Aug. Rudolf von Rietheim (1834-1899), Oberst Arnold Künzli von Riken (1834-1908), Nationalrat Erwin Kurz von Aarau (1846-1901), Adolf Stäbli von Brugg, Maler (1842-1901.)
[Dr. Ernst Zschokke.]
Bibliographie.
Fr. X. Bronner. Der Kanton Aargau. 2 Bd. Sankt Gallen und Bern, 1844. - J. Müller. Der Aargau. 2 Bd. Zürich und Aarau 1870-71. - Ernst Zschokke. Die Geschichte des Aargaus, histor. Festschrift für die Centenarfeier 1903. Aarau 1903. - W. Merz. Die mittelalterlichen Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, Aarau 1904-1906. - W. Merz und Mitarbeiter. Bilderatlas zur aarg. Geschichte, Aarau 1908. - Argovia, Jahresschrift der histor. Gesellschaft des Kantons Aargau. 41 Bde. und Taschenbücher, Aarau 1860-1909. - A. Wind, Pfarrer. Geschichte des Kantons Aargau, Baden 1903.