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Frauenarbeitsschule. Ausserdem besitzt das Museum eine Bibliothek, eine Vorbildersammlung, einen Zeichensaal, ein Auskunftsbureau und veranstaltet in Aarau und im Kanton herum Kurse und Vorträge der verschiedensten Art auf gewerblichem Gebiete. Landwirtschaftliche Winterschule in Brugg. In Diskussion steht die Errichtung eines Technikums oder einer Werkmeisterschule.
Es gibt (1907/08) 33 Bezirksschulen (mit 4 Jahresklassen), wovon 6 für Mädchen allein, die andern für Knaben und Mädchen. Sie haben auch Unterricht im Griechischen (4. Jahr) und Lateinischen (2.-4. Jahr). In 271 Schulorten bestehen 631 Gemeindeschulen, für welche 26 Inspektorate errichtet sind. Die Primar- oder Gemeindeschule zählt, der Schulpflichtigkeit entsprechend, 8 Jahresklassen. Aus der 5. Klasse kann man in die Bezirksschule oder in die dreiklassige Fortbildungsschule übertreten, wo auch französisch gelehrt wird; es gibt 42 Fortbildungsschulen. Die aus der Schulpflicht entlassenen Jünglinge haben während drei Wintern die Bürgerschule zu besuchen, wenn sie sich nicht an einer kantonalen Anstalt befinden; solcher Schulen sind 298. Für die Mädchen bestehen 302 Arbeitsschulen.
In 8 Städten gibt es kaufmännische Fortbildungsschulen. Unter der staatlichen Aufsicht stehen noch folgende Schul- und Erziehungsanstalten: Rettungsanstalten zu Olsberg (Pestalozzistiftung) und Effingen, Sennhof;
Armenerziehungsanstalten in Kasteln, St. Johann in Klingnau, Erziehungsanstalten in Muri, Friedberg bei Seengen, Maria Krönung in Baden;
die Taubstummenanstalten Aarau und Baden;
die Anstalten für Schwachsinnige in Biberstein und Bremgarten;
die Strafhausschule in Lenzburg und die Zwangsarbeitsschule in Aarburg;
ausserdem 3 Privat-Erziehungsinstitute in Aarburg, Schinznach und Oftringen.
Die Lehrerschaft aller öffentlichen Schulen des Kantons versammelt sich jährlich einmal zur Besprechung von Schulangelegenheiten und zur Anhörung von Vorträgen; ebenso finden sich alle Vierteljahre die Lehrer eines jeden Bezirks zur Bezirkskonferenz zusammen. - Das Minimum der Lehrerbesoldung beträgt Fr. 1400. Dazu kommen Alterszulagen von Fr. 300. Die Amtsdauer der Lehrer beträgt 6 Jahre. Es besteht ein kantonaler Lehrerpensionsfond, der zum Teil durch den Staat, zum Teil durch die Lehrerschaft geäufnet wird. Ihm ist ein Teil des Klostervermögens zugewiesen worden; ferner gibt es eine Lehrerwitwen- und -waisenkasse.
Im Jahre 1906 gaben die Gemeinden für das Schulwesen aus 2123000 Fr., der Staat 1009000 Fr., zus. 3132000 Fr.
16. Kultus.
Nach der Verfassung von 1885 ordnen die Konfessionen ihre Angelegenheiten unter der Aufsicht des Staates selbst. Die Kirchgemeinden wählen ihre Kirchenpflegen und ihre Geistlichen; sie dürfen Kirchensteuern erheben; sie wählen die Mitglieder der Synoden (Geistliche und Laien), denen die Aufsicht über Seelsorge, Kultus, religiösen Unterricht, Amtsführung der Geistlichen obliegt. Es gibt eine reformierte, eine römisch-katholische und eine christkatholische Synode.
Bei der Gründung des Kantons (1803) lagen die Pfrund- und Kirchengüter in den Händen teils der Gemeinden, teils der Kollatoren, teils des Staates, der sich eine Anzahl Kollaturen noch hinzuerwarb. Die Verfassung von 1885, welche den Gemeinden weitergehende Autonomie zugestand, verlangte auch die Ausscheidung der Kirchengüter aus dem Staatsgute und Zuteilung an die Kirchgemeinden. Dies ist in den Jahren 1906 und 1907 geschehen, und zwar nicht durch ein Gesetz, sondern durch Verträge, welche der Staat mit den Kirchgemeinden abschloss und welche durch den Grossen Rat und durch die Kirchgemeindeversammlungen zu genehmigen waren. Damit ist ein wichtiger Schritt für die Trennung von Kirche und Staat geschehen. Ausser der allgemeinen Aufsicht über die Kirche beteiligt sich der Staat noch an der Wahlfähigkeitsprüfung für theologische Kandidaten; für die Prüfung der reformierten Kandidaten besteht ein Konkordat mit schweizerischen Universitäten.
Die katholische Bevölkerung des Kantons Aargau gehört zur Diözese Basel (Residenz in Solothurn); es bestehen die Kapitel Siss- und Frickgau, Mellingen, Bremgarten, Regensberg. Von den einst zahlreichen Klöstern und Stiftern (22) existiert heute nur noch eines: das Benediktinerinnenkloster Fahr an der Limmat (Enklave im Kanton Zürich). Die andern sind aufgehoben worden zur Reformationszeit, durch Josef II. (Frickthal), in der Mediationszeit, infolge der aargauischen Klosterwirren 1841 und seither durch die Grossratsbeschlüsse.
Die Israeliten haben ihre ursprünglichen Wohnsitze in Endingen und Lengnau in der alten Grafschaft Baden, wo ihnen seit der 2. Hälfte der 17. Jahrh. alleinige freie Niederlassung (allerdings ohne Eigentum an Häusern, Grund und Boden) zustand. Hier war ihnen auch die Ausübung ihrer Religion gestattet, und hier hatten sie ihren Friedhof. Während der Helvetik wurde die Frage des Bürgerrechts der Israeliten zwar aufgeworfen, doch kam sie nicht mehr zur Beantwortung; jedenfalls aber genossen sie die allgemeine Kultusfreiheit.
Der neugegründete Kanton regelte ihre Stellung durch ein Gesetz (1809), erkannte ihnen aber keineswegs das Ortsbürgerrecht zu. Davon wurden sie auch fern gehalten, als ihnen nach und nach andere Rechte zugestanden wurden. Das Gesetz von 1862 (veranlasst durch einen Bundesbeschluss von 1856) wollte ihnen auch dieses Recht gewähren, allein das Volk berief den Grossen Rat ab und verlangte mit grossem Mehr die Abänderung des Gesetzes. Das neue Gesetz (1863), das jenes frühere widerrief, fand die Missbilligung der Bundesbehörden; ein drittes Gesetz (1863) stellte der Sache nach ihre politischen Rechte wieder her.
Doch erst 1877 wurden die Judenkorporationen Lengnau und Endingen zu Ortsbürgergemeinden erhoben und mit den christlichen Ortsbürgergemeinden zu politischen Gemeinden vereinigt. Damit war die Judenemanzipation durchgeführt. Inzwischen war durch das Kirchgemeindegesetz von 1868 auch für die Juden die Kirchgemeinde und die Kirchenpflege geschaffen worden, in welcher der Rabbiner (oder ein Verweser) und weltliche Mitglieder sassen. Daneben bestanden besondere Vorschriften über Beschneiden und Schächten (das 1893 durch die revidierte Bundesverfassung untersagt wurde). Ausser den beiden israelitischen Kirchgemeinden bestehen Kultusvereine in Baden und Bremgarten. (Vergl. E. Haller: Die rechtliche Stellung der Juden im Kanton Aargau. 1900).
17. Gesundheitspflege.
Nach der Verfassung steht die öffentliche Krankenpflege unter der Obsorge des Staates, der die Errichtung von Bezirks- und Kreisspitälern finanziell unterstützt. Die entsprechende Behörde ist die Sanitätskommission; in den Bezirken ist je ein Bezirksarzt
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bestellt, wie auch ein Bezirkstierarzt. Der Kanton hatte 1907: 110 Aerzte, 20 Zahnärzte, 14 ärztliche Gehilfen, 35 Tierärzte, 269 Hebammen;
es bestanden 31 öffentliche und 54 Privat-Apotheken (von Aerzten und Tierärzten gehalten).
Wirtschaftsgesetz (1903) und Lebensmittelkontrolle sind wirksam für die Verbesserung der Lebensmittelverhältnisse. Ein Impfzwang existiert nicht; von den in Betracht kommenden Kindern werden durchschnittlich höchstens 20% geimpft. An öffentlichen Spitälern, Krankenhäusern und Pflegeanstalten sind zu nennen: die kantonale Krankenanstalt in Aarau (seit 1887 in Betrieb) mit der chirurgischen, medizinischen, ophthalmologischen Abteilung und der Gebäranstalt und Hebammenschule.
Pavillonsystem. Die Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden (Neubau von 1872) zur Aufnahme Geistesgestörter. Vom Staate unterstützt werden: die Bezirksspitäler in Baden, Zofingen, Leuggern, das Krankenasyl Oberwinen- und Seethal in Menziken, das Krankenhaus Laufenburg, der Urech’sche Kinderspital in Brugg, der Kreisspital für das Freiamt in Muri, die Pflegeanstalt in Gnadenthal. Unter der staatlichen Aufsicht stehen auch die drei Armenbäder in Baden, Rheinfelden und Schinznach. 1909 ist in dem ehemaligen Kloster Muri eine kantonale Pflegeanstalt errichtet worden; ein hiezu gegründeter Verein hat mit Hilfe der Gemeinden die nötigen Mittel gesammelt. Seit 1895 ist eine Sammlung im Gange für ein kantonales Lungensanatorium, die bis jetzt ca. 350000 Fr. abgeworfen hat. Da die Mittel des Staates für die Kranken- und Armenunterstützung nicht ausreichten, hat das Volk 1904 für vier Jahre eine besondere Viertelsteuer beschlossen (was für die vier Jahre eine Summe von 740000 Fr. ausmachte), aber nach Ablauf dieses Termines leider nicht erneuert.
18. Soziales.
Für die Beurteilung der sozialen Verhältnisse ist die Tatsache wichtig, dass der Aargau bei einer Seelenzahl von über 200000 kein grosses Bevölkerungszentrum besitzt; keine Ortschaft erreicht die Einwohnerzahl 10000. Für die Grossindustrie kommt nur Baden in Betracht. Die Auswanderung spielt kaum eine Rolle; Durchschnitt der letzten 20 Jahre 231. Die Armenpflege ist Sache der Heimatgemeinde. Dem Staat steht die Oberaufsicht zu; zudem hat er diejenigen Gemeinden zu unterstützen, bei denen der Bezug von 1½ Steuern nicht ausreicht.
Für die Bestreitung der Armenbedürfnisse sind das Armengut, allfällige besondere Stiftungsgüter, das allgemeine Ortsbürgergut und die Steuerkraft der Ortsbürger in Anspruch zu nehmen. Es bestanden 1907 99 Armenhäuser mit 814 Insassen. Die Zahl der Armen betrug 10309. Der Kantonsarmenfonds betrug Ende 1907 916539 Fr. Aus der Viertelsmehrsteuer für die Jahre 1904-1907 wurden an das Armenwesen 447238 Fr. entrichtet. Ein kantonaler Blindenfonds belief sich 1907 auf 55403 Fr. Die Unterstützungen der Gemeinden beliefen sich (1906) auf 1315058 Fr. Die Armengüter der Gemeinden betrugen 1906: 11326369 Fr. (reines Vermögen);
dazu kamen an besondern Fonds und Stiftungen 3166033 Fr. Die freiwillige Armenpflege ist sehr reich entwickelt: Die 11 Bezirksarmenvereine sorgten (1907) für 1055 arme Kinder;
ihr Vermögen stand auf 346348 Fr. Sie gaben aus 242949 Fr. und nahmen 258046 Fr. ein;
davon sind Beitrag des Staates 28346 Fr.
Ausserdem bestehen in den Gemeinden 118 Armen-, Kranken- und Frauenarbeitsvereine, welche 11568 Personen unterstützten. Ihr Vermögen beläuft sich auf Fr. 424735. Sie gaben aus Fr. 127302 und nahmen ein Fr. 139477. Der Staat leistete daran Fr. 9877.
Die Naturalverpflegung wurde 1907 von 4932 Gästen in Anspruch genommen, was 11598 Fr. Aufwand beanspruchte. Es besteht ein kantonales Arbeitsvermittlungsamt; der Kanton ist auch dem Konkordat über die Stellenvermittlung für Dienstboten im Inlande beigetreten. 1907 gab es 7 Koch- und Haushaltungsschulen, 2 Haushaltungs- und Dienstbotenschulen des schweiz. gemeinnützigen Frauenvereins, 21 weibliche Fortbildungsschulen, 14 von den Kulturgesellschaften veranstaltete Koch- und Haushaltungskurse. Sie alle erhielten staatliche Subvention. 1903 erliess der Kanton ein Gesetz zum Schutz der Arbeiterinnen. Der Kanton Aargau besitzt seit 1864 eine nach modernen Grundsätzen eingerichtete und geleitete Strafanstalt in Lenzburg, mit der eine Zwangsarbeitsanstalt verbunden wurde. Eine ähnliche Anstalt wurde 1893 auf der Festung Aarburg für jugendliche Verirrte eingerichtet.
Versicherungswesen.
Schon der neugegründete Kanton hatte 1805 ein Brandassekuranzgesetz errichtet, durch das jedermann gezwungen wurde, bei der durch die Gesamtheit der Häuserbesitzer dargestellten Vereinigung seine Gebäude zu versichern. Das gegenwärtige Versicherungswesen beruht auf dem Gesetz von 1897, welches auch die Mobiliarversicherung obligatorisch gemacht hat. Während aber die Gebäude lediglich durch den Staat versichert werden, beteiligen sich an der Mobiliarversicherung neun Versicherungsgesellschaften (1907). Der Versicherungsstand der Gebäudeversicherung betrug Ende 1907: 470536426 Fr., wovon 153065424 Fr. rückversichert waren;
die Prämie für die Rückversicherung belief sich auf 137412 Fr. Ein im Jahr vorher kreierter Rückversicherungsfond stand auf 215380 Fr. Das Reinvermögen der Anstalt betrug 1853673 Fr., der Reservefonds 1502222 Fr. Die Prämieneinnahme erreichte die Höhe von 537679 Fr. brutto, 388858 Fr. netto.
Für 136 Brandfälle wurden 340154 Fr. bezahlt, wovon die Rückversicherung 136707 Fr. deckte, die Anstalt 203446 Fr. zu tragen hatte. An den Löschfonds wurden 60000 Fr. entrichtet; an Strohdachprämien 58904 Fr. An Mobiliarschäden hatten die neun Gesellschaften 221880 Fr. zu vergüten. Das Staatsmobiliar war für 9282846 Fr. mit 6626 Fr. Prämien versichert. Für die Landwirtschaft bestehen ausserdem die Hagel- und die Viehversicherung.
Vereine.
Wie allerorten, so gedeiht auch im Kanton Aargau das Vereinsleben aufs beste. Jeder Ort hat seine Vereinigung von Schützen, Turnern, Sängern, von Fach- und Berufsgenossen aller Art, von Leuten, die sich in irgend einer Bestrebung einig wissen und gemeinsam ihre Zwecke fördern. Gleichartige Vereine schliessen sich zu Thalschafts-, Bezirks- oder kantonalen Organisationen zusammen oder stehen mit Vereinen andrer Kantone in eidgenössischem Verband. Sie alle, auch nur im Ueberblick zu nennen, ist durchaus unmöglich. Es soll hier nur an die Gesellschaft für vaterländische Kultur im Kanton Aargau erinnert werden, welche 1811 von Heinrich Zschokke (und vier Mitgründern: Nepomuk v.
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Schmiel, Carl v. Hallwyl, Heinrich Remigius Sauerländer und Friedrich Heldmann; dazu kamen noch Daniel Dolder und Heinrich Fisch) gegründet worden ist. Nach ihr hat man den Aargau den «Kulturstaat» genannt, ein Name, der zur Ehrung wie zur Verspottung gedient hat und dient. Die Gesellschaft gliederte sich in 5 Klassen: die staatswissenschaftliche, die historische, die naturhistorische, die landwirtschaftliche und die Klasse für Gewerbe und Wohlstand. Diese Klassen leben in den entsprechenden Gesellschaften heute noch fort, teils freilich nach längern Unterbrechungen.
Von der «Kulturgesellschaft» gingen eine Menge von wirtschaftlichen und gemeinnützigen Gründungen und Anregungen aus, so die Hülfsgesellschaft in Aarau, die Ersparniskassen, Arbeitsschulen für Mädchen, Anfänge der Mobiliarversicherung, Gründung der Taubstummenanstalten in Aarau, Zofingen und Baden, Versorgung armer Kinder, Schutzaufsicht über entlassene Sträflinge, Handwerkerschule in Aarau und manches andre, das durch die Ungunst der Zeiten am Gedeihen verhindert war. In allen Bezirken entstanden Zweigvereine dieser Gesellschaft, die heute noch in schönster Wirksamkeit stehen.
19. Uebersicht über die Geschichte. Von der vorrömischen Zeit sind im Aargau auffallend wenig Ueberreste bekannt. Pfahlbauten z. B. kennt man hier nicht. Eine Steinzeit-Ansiedlung ist bei Unter Siggenthal gefunden worden; in der Bronzezeit wird eine Ansiedlung in Windisch schon existiert haben, die sich dann auch in Jüngern Perioden erhielt. Aus der ältern Eisenzeit stammt das Gräberfeld bei Unterlunkhofen mit etwa 40 Grabhügeln, wohl das grösste in der Schweiz.
Anders in der Römerzeit (seit 58 v. Chr.). Da waren am Rhein die festen Stützpunkte Tenedo (Zurzach) und Augusta Raurica und zwischen ihnen eine Reihe von Wachttürmen (speculae) errichtet, und weiter im Lande die Militärkolonie Vindonissa und die Bäderstadt Aquae (Baden). Von Vindonissa führten Strassen der Aare und der Limmat nach aufwärts, der Aare nach abwärts, über den Bötzberg und wohl in alle südl. Seitenthäler der Aare. Als die Römer gegen Ende des ersten Jahrhunderts ihre Grenze vom Rhein an die Donau und darüber hinaus vorschoben, blühte hier römisch-helvetische Kultur; Villen zerstreuten sich über die Niederungen.
Das Christentum fand Eingang, in Vindonissa sass ein Bischof. Doch seit dem 3. Jahrh. drängten die Germanen, die Römer zogen ihre Streitkräfte wieder hinter den Rhein zurück; es erstanden neue Befestigungen: castrum Rauracense, castrum Vindonissense, neue speculae längs des Rheines. Mit dem Beginn des 5. Jahrh. geriet die Schweiz nördl. der Alpen ganz in den Besitz der Germanen, das Gebiet des Aargau in den der Alemannen. Ein Jahrhundert später gehört das Land unter die Herrschaft der Franken und geht dann auf in dem grossen Reich Karls des Grossen.
Die fränkische Gauverfassung schuf in der N.- und O.-Schweiz den Aargau und den Thurgau, die aber beide im 9. Jahrh. geteilt wurden; so entstand in jenem noch der Augstgau, zu dem Sissgau und Frickgau gehörten, in diesem der Zürichgau. Ebenso teilte sich der rechts der Aare gelegene eigentliche Aargau in Ober- und Unteraargau; Grenze waren Murg und Rot. Beim Zerfall der Gauverfassung schwangen sich in den verschiedenen Teilen des Landes einzelne Grafengeschlechter oben auf, wie die von Lenzburg, Kiburg, Thierstein, Homberg, Rheinfelden, Habsburg, die schliesslich durch Heirat, Erbschaft und Kauf das ganze Gebiet an sich brachten. 1415 wurde ihnen der grössere Teil durch die Eidgenossen entrissen, und zwar geriet die Grafschaft Baden und das Freiamt an die VI Orte (Uri kam bald auch dazu), der Teil zwischen Aare, unterer Reuss und Lindenberg bis zur Luzernergrenze an Bern, welches 1712 die katholischen Orte aus der Regierung über das untere Freiamt und die Grafschaft Baden hinausdrängte und sie sich, Zürich und Glarus vorbehielt. Im Laufe des 15. und 16. Jahrh. hat Bern weitere Erwerbungen jenseits der Aare bis auf die Höhen des Jura gemacht.
Die Reformationszeit brachte dem Berner Aargau den neuen Glauben, während die andern Teile beim alten verharrten; die Religionskriege (die beiden Villmergerkriege 1656 und 1712) wurden auf Untertanenboden, in den Freiämtern ausgefochten. Der Bauernkrieg brachte auch unsern Gegenden heftige Erschütterungen, indessen das Frickthal durch den Rappenkrieg 1612-14 aufgeregt und während des 30jährigen Krieges durch Schweden, Franzosen und Kaiserliche aufs schrecklichste heimgesucht wurde.
Die helvetische Revolution 1798 riss die Untertanenländer von den Oberherren los; aus den aargauischen Herrschaften wurden die Kantone Aargau und Baden gemacht, und in Aarau tagte ein halbes Jahr lang die helvetische Regierung. Wie die gesamte Schweiz litten auch diese Gegenden unter dem Kriege der zweiten Koalition, umso mehr, als es ja Limmat und untere Aare waren, welche die Gegner während mehrerer Monate trennten. In den helvetischen Behörden zeichneten sich aus die Aargauer Albrecht Rengger (1764-1835) und Phil. Alb. Stapfer (1766-1840), beide von Brugg. Damals, anfangs 1802, wurde auch die Kantonsschule in Aarau eröffnet. Als sich 1802 der Sturz der Helvetik vorbereitete, nahm das aargauische Landvolk lebhaften Anteil, ja die Erhebung begann eigentlich im Siggenthal. Ihren Siegeslauf unterbrach der Konsul Bonaparte, der im Winter 1802/03 die Konsulta in Paris vereinigte. In dieser Zeit wurde nun auch das Frickthal mit der Schweiz vereinigt.
Am wurde in Paris die Mediationsverfassung proklamiert. Sie schuf auch den neuen Kanton Aargau aus dem alten Berner Unteraargau, dem Freiamt, der Grafschaft Baden und dem Frickthal. Das Wappen weist auf die vier Bestandteile hin: Thal der Aare und drei Sterne.
Die Verfassung von 1803 bestellte einen Grossen Rat aus 150 Mitgliedern, die teils durch Los, teils durch Wahl nach einem dreifachen System, bei dem der Zensus eine Rolle spielte, bezeichnet wurden. Der Grosse Rat wählte aus seiner Mitte einen Kleinen Rat auf sechs Jahre, ebenfalls nach Zensusbestimmungen. Dieser Grosse Rat hat eine ganze Reihe wichtiger Gesetze und Verordnungen geschaffen. Der Mann, der sich bei der Organisation des neuen Staatswesens unstreitbar grosse Verdienste erworben hat, war der Präsident des Grossen und des Kleinen Rates, Joh. Rud. Dolder (1753-1807), ursprünglich von Meilen, dann im Kanton Aargau eingebürgert. Damals trat auch Heinrich Zschokke (1771-1848) als Forst- und Bergrat in den Dienst der Oeffentlichkeit, der den Schweizerboten herausgab und 1811 die «Gesellschaft für vaterländische Kultur im Kanton Aargau" gründete. Nachdem durch die Schlacht bei Leipzig Napoleons Machtstellung erschüttert war, sagte sich die Tagsatzung in Zürich von der Mediationsverfassung los und wollte sich
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auf dem alten Fuss unter dem Vorort Zürich wieder konstituieren, freilich unter Anerkennung der sechs neuen Mediationskantone. Unter dieser Bedingung war der Aargau auch dabei, nicht aber Bern, dessen wieder ans Ruder getretenen Aristokraten sofort ihre Ansprüche auf Waadt und Aargau geltend machten. Während in Wien und Zürich nun über die Neugestaltung der Schweiz verhandelt wurde, gab sich der Kanton Aargau am eine neue (zweite) Verfassung. Die wesentlichen Unterschiede gegenüber der ersten Verfassung liegen, dem Zug des Augenblicks entsprechend, darin, dass die Staatsgewalt in überwiegendem Mass in die Hände des Kleinen Rates gelegt, dessen Amtsdauer (wie übrigens aller Beamtungen) auf 12 Jahre verlängert wurde (Stabilität) und dass der Zensus für aktives und passives Wahlrecht bedeutend verschärft wurde.
Wichtig war ferner die Einführung der Parität: Kleiner und Grosser Rat und Appellationsgerichtshof sollten zur Hälfte aus Reformierten, zur Hälfte aus Katholiken besetzt werden. Indessen dauerte der Streit mit Bern fort, allein in Wien wurde schliesslich zu Gunsten des Aargaus entschieden. Die Zeit der Restauration war auch im Aargau eine Zeit der Bevormundung des Volkes, wenn auch dies sich viel weniger äusserte, als anderwärts; fehlte doch diesem neuen Kanton eine alte, auf Traditionen gestützte Aristokratie.
Das Regiment war zwar ziemlich ausschliesslich, aber ohne Härte. Der hervorragendste Mann in der Regierung, seit 1819 Bürgermeister des Kantons, war Johann Herzog von Effingen (1773-1840). Die Zensur der Presse wurde auf den Druck der Tagsatzung hin ausgeführt, die ihrerseits einem Druck der Grossmächte nachgab. Doch gab es Männer, die sich gegen die Bevormundung wehrten, so Heinrich Zschokke im Schweizerboten, der Dichter Abraham Emanuel Fröhlich von Brugg (1796-1865), Dr. Karl Rudolf Tanner von Aarau (1794-1849) u. a. m.
Als die Julirevolution 1830 vielerorts den Druck beseitigte, der auf den Völkern lastete, blieb mit manchem Schweizerkanton auch der Aargau nicht zurück. Eine Versammlung von Vertrauensmännern in Lenzburg (12. Sept.) und nachher eine grosse Volksversammlung in Wohlenswil (7. Nov.) verlangten nach einer neuen Verfassung. Der Kleine Rat legte dann auch dem Grossen Rat ein Dekret vor, wonach ein Verfassungsrat einberufen werden sollte. Der Grosse Rat nahm das Dekret an mit dem Zusatze, dass ihm selbst das Recht der Abänderung der Verfassung zustehen sollte. Diese Beeinträchtigung der freien Rechte des Verfassungsrates rief eine grosse Aufregung im Volk hervor. 6000-8000 Mann, aus dem Freiamt zumeist, zogen am 6. Dez. unter der Führung des Grossrats und Schwanenwirts Heinrich Fischer von Meerenschwand nach Aarau und zwangen Kleinen und Grossen Rat zur Nachgiebigkeit. So kam es zur (dritten) Verfassung vom Da sie auf dem Prinzip der Volkssouveränität aufgebaut ist, so ruht das Schwergewicht nunmehr beim Grossen Rat. Eine stattliche Reihe von Volksrechten wird wieder eingeführt: Gewissensfreiheit, Pressfreiheit;
Gleichheit vor dem Gesetz;
Petitions- und Beschwerderecht;
Oeffentlichkeit der Verhandlungen der Behörden;
Reduktion der Amtsdauer.
Die Parität wurde beibehalten; eine Revision der Verfassung innerhalb der nächsten zehn Jahre war vorgeschrieben.
Mit 6 andern Kantonen trat der Aargau 1832 zu dem sog. Siebnerkonkordate zusammen, das den Zweck hatte, die neugewonnenen Volksrechte zu sichern. Und ebenso beteiligte er sich an einer Abmachung von 1834, welche die Ueberordnung des Staates über die Kirche bezweckte, nämlich an den sog. Badner Artikeln. Bis zum Jahr 1828 gehörte ein Teil der aargauischen Katholiken zum Bistum Konstanz, bezw. standen sie seit 1814 unter dem apostolischen Vikar Göldlin von Tiefenau, während der andere Teil zum Bistum Basel gehörte; die Grenze bildete die Aare. In dem Uebereinkommen von 1828 kamen nun auch, mit andern Kantonen, jene früher konstanzischen Gebiete ans Bistum Basel.
Den Badner Artikeln zufolge richtete der Aargau das staatliche Plazet ein (Genehmigung für offizielle kirchliche Erlasse) und liess das Vermögen der Klöster durch Kommissäre feststellen. Dies führte zu den Unruhen von 1835, die sich dann anlässlich der Verfassungsrevision von 1840 bedeutend steigerten. Die neue (vierte) Verfassung vom enthielt vor allem den Grundsatz der Parität für den Grossen Rat nicht mehr, weshalb die Reformierten sie annahmen, die Katholiken (als Minderheit) sie verwarfen.
Darüber kam es im Freiamt zum Aufstand und, da hiefür die Klöster verantwortlich gemacht wurden, erklärte der Grosse Rat am auf Antrag von Erziehungsdirektor Augustin Keller die 8 Klöster für aufgehoben. Die Tagsatzung, an der die Angelegenheit sofort zur Sprache kam, spaltete sich, doch verlangte die Mehrheit die Wiederherstellung der Klöster, da diese durch Art. 12 des Bundesvertrages von 1815 garantiert seien. Erst als der Aargau sich bereit erklärte, seine 4 Frauenklöster wieder herzustellen, fielen ihm 13 Stimmen zu
Indessen hatte Luzern gegen den Willen einer liberalen Minorität die Jesuiten an die theologische Fakultät berufen. Da ein Antrag Aargaus an der Tagsatzung, die Jesuiten aus der ganzen Schweiz wegzuweisen, nur wenige
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Stimmen auf sich vereinigte, griffen die Luzerner Freisinnigen zur Gewalt und suchten in zwei Freischarenzügen, für die sie namentlich aus dem Aargau Zuzug erhalten hatten, die luzernische Regierung zu stürzen und Beide misslangen. Angesichts dieser Ereignisse hatten sich die katholischen Kantone zum Sonderbund zusammengetan, dessen Aufhebung zwar sofort an der Tagsatzung verlangt, aber nicht beschlossen wurde. Erst im Sommer 1847 gab es eine Mehrheit für Auflösung des Sonderbundes und Ausweisung der Jesuiten. Beides musste dann durch Waffengewalt erzwungen werden (Sonderbundskrieg). Die bedeutenden Männer des Aargaus aus dieser Zeit sind: Reg.-Rat. Franz Waller aus Zug (1803-1879), Reg.-Rat, Oberst und Bundesrat Fr. Frey-Herosé von Aarau (1801-1873), Reg.-Rat Fidel Jos. Wieland aus Rheinfelden (1797-1852), Reg. Rat und Oberst Friedr. Siegfried von Zofingen (1809-1882), Seminardirektor Augustin Keller von Sarmenstorf (1805-1883).
Die Errichtung der Bundesverfassung von 1848 machte auch neue kantonale Verfassungen nötig. Allein die tiefe Kluft, welche die Ereignisse des letzten Jahrzehnts im Kanton Aargau gerissen hatten, erschwerte die Verfassungsrevision ausserordentlich. Dreimal verwarf das Volk den Entwurf, bis der vierte 1852 die Gnade beim Volke fand; es ist dies die fünfte aargauische Verfassung. Neu war das Recht des Volkes, die Abberufung des Grossen Rates zu beschliessen, das Recht der Initiative für Gesetzesänderungen und die Einführung der Schwurgerichte.
Immer noch bestand die Parität für Regierung und Obergericht. Aus dieser Zeit stammen eine Reihe vortrefflicher Gesetze. Es wurde die aargauische Bank geschaffen, namentlich unter der Förderung durch Nat.-Rat Feer-Herzog. Aus der Verfassungsrevision von 1862/63 seien erwähnt: Wegfall der zehnjährigen Verfassungsdauer;
die Revision kann jederzeit stattfinden;
Veto gegen Gesetzesbeschlüsse und gegen Beschlüsse, deren finanzielle Bedeutung eine Million übersteigt.
Damals regte die Frage der Judenemanzipation die Gemüter auf. Bis jetzt hatten die Juden in Lengnau und Endingen keine politischen Rechte. Ein Bundesgesetz von 1856 sprach ihnen solche im Grundsatz zu und der aargauische Grosse Rat erliess 1862 ein Gesetz, das die beiden Judenkorporationen zu Ortsbürgergemeinden, die Juden zu Kantonsbürgern erhob. Dagegen erhob sich ein grosser Sturm; der Grosse Rat wurde abberufen und ein neues Judengesetz, das die politische Gleichberechtigung nicht enthielt, angenommen. Gegen dieses bundesrechtswidrige Gesetz schritten Bundesrat und Bundesversammlung ein, und nun mussten sich die Aargauer fügen.
Seit 1869 bestand die Volkswahl der Bezirksbeamten, seit 1870 das obligatorische Finanzreferendum für einmalige Ausgaben über 250000 Fr. oder periodische über 25000 Fr. Aus diesen Zeiten sind zu nennen: Reg.-Rat und späterer Bundesrat Emil Welti aus Zurzach (1825 bis 1899), Reg.-Rat und Oberst Samuel Schwarz von Mülligen (1814-1868);
auch Augustin Keller sass jetzt in der Regierung;
Nat.-Rat Karl Feer-Herzog von Aarau (1820-1880);
Jakob Frey von Gontenswil (1824-1875), Dichter.
Der Kulturkampf der 70er Jahre brachte im Aargau den Bruch zwischen staatlichen und kirchlichen Behörden, bis 1884 ein neuer Vertrag die Diözesenangelegenheit regelte und 1885 die aarg. katholische Kirche ihre Synode erhielt. In diesem Jahr 1885 wurde die letzte (sechste), jetzt noch gültige Verfassung geschaffen. Es ist daraus zu erwähnen: Erleichterung der Initiative;
Erweiterung des Referendums;
Kompetenz des Grossen Rates zum Bezug einer halben Staatssteuer;
Reduktion der Zahl der Mitglieder des Regierungsrates auf fünf;
die Parität ist abgeschafft, dagegen eine Vertretung der politischen Minderheit in der Regierung gesetzlich festgelegt;
Obligatorium der Wahlen und Abstimmungen.
Unter den Veränderungen, die seither stattgefunden haben, sollen genannt werden: 1903 Volkswahl der Regierungs- und der Ständeräte;
1905 Abschaffung der sog. Referendumsgemeinden (Gemeindeversammlungen, in denen die Bürger vor einer kantonalen Abstimmung über den Gegenstand aufgeklärt werden sollten).
1903 feierte der Kanton in Aarau ein glänzendes Fest zur Erinnerung an den 100jährigen Bestand.
Hervorragende Männer der letzten Periode: General Hans Herzog von Aarau (1819-1894), Oberst Emil Rothpletz von Aarau (1824-1897), Ständerat und Oberst Olivier Zschokke von Aarau (1826-1898), Ständerat Johann Haberstich von Entfelden (1823-1890), Oberst Aug. Rudolf von Rietheim (1834-1899), Oberst Arnold Künzli von Riken (1834-1908), Nationalrat Erwin Kurz von Aarau (1846-1901), Adolf Stäbli von Brugg, Maler (1842-1901.)
[Dr. Ernst Zschokke.]
Bibliographie.
Fr. X. Bronner. Der Kanton Aargau. 2 Bd. Sankt Gallen und Bern, 1844. - J. Müller. Der Aargau. 2 Bd. Zürich und Aarau 1870-71. - Ernst Zschokke. Die Geschichte des Aargaus, histor. Festschrift für die Centenarfeier 1903. Aarau 1903. - W. Merz. Die mittelalterlichen Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, Aarau 1904-1906. - W. Merz und Mitarbeiter. Bilderatlas zur aarg. Geschichte, Aarau 1908. - Argovia, Jahresschrift der histor. Gesellschaft des Kantons Aargau. 41 Bde. und Taschenbücher, Aarau 1860-1909. - A. Wind, Pfarrer. Geschichte des Kantons Aargau, Baden 1903.