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dieser kleinen Auswanderungsziffern ist in der Bodenständigkeit der Bevölkerung zu suchen, die gerade den sonst beweglichen industriellen Arbeitern eine grössere Stabilität verleiht. Sie liefert ein sprechendes Beispiel für die befriedigenden wirtschaftlichen Verhältnisse im Aargau.
[Prof. A. Hirt.]
11. Handel und Industrie.
Nach der Berufszählung des Jahres 1905 haben sich im Kanton Aargau beschäftigt mit:
Betriebe | Personen | |
---|---|---|
1) Bergbau und sonstiger Ausbeutung der Erdrinde | 176 | 1318 |
2) Veredlung der Natur- und Arbeitserzeugnisse | 14599 | 47632 |
3) Handel | 4324 | 8378 |
4) Verkehr | 829 | 3765 |
Welches in den Gruppen 1) und 2) das Verhältnis zwischen industriellen Betrieben und den Betrieben des Gewerbes (im engem Sinne) ist, lässt sich nicht genau ermitteln. Einen Anhaltspunkt bildet die Fabrikstatistik von 1901, die für den Aargau 454 unter dem Fabrikgesetz stehende industrielle Etablissemente mit 20000 Arbeitern festgestellt hat. Die Zahlen der Etablissemente und Arbeiter würden sich für 1905 aber höher stellen. Eine Ausscheidung des in Gruppe 3) vereinigten Gross- und Detailhandels lässt sich nicht vornehmen, sondern nur allgemein sagen, dass letzterer in dieser Gruppe bedeutend überwiegt. Einen eigentlichen Grosshandel besitzt der Aargau wohl nur für Vieh, Gespinste, Tabak, Kolonialwaren, Wein. Im übrigen ist er mit der industriellen Tätigkeit verknüpft. Eine besondere Stellung nimmt das Bankwesen ein.
Die Entstehung des aargauischen Bankwesens fällt in die Mitte des 19. Jahrh. 1854 ist unter der Führung von Feer-Herzog das grösste Institut, die Aargauische Kreditanstalt gegründet worden. Ihr gingen zum Teil wenige Jahre voraus oder folgten später die Aargauische Kreditanstalt in Aarau, die Bank in Zofingen, die Bank in Baden, die Spar- und Leihkasse Zofingen, die Hypothekar- und Leihkasse Lenzburg, die Bank in Menziken und die Spar- und Leihkasse in Brugg. Neben diesen Instituten, von denen sich einzelne erst im Laufe der Zeit zu eigentlichen Banken entwickelten, besteht im Kanton noch eine ganze Anzahl von Sparkassen. Die älteste wurde im Jahre 1812 in Aarau gegründet. 1903 haben 36 Kreditinstitute bestanden. Von diesen waren 17 Aktiengesellschaften mit einem eigenen Kapital von 22 Mill. und Reserven 3,4 Mill. Fr., 19 Genossenschaften mit einem eigenen Kapital von 2,5 Mill. und 4,3 Mill. Reserven.
Die Anfänge der aarg. Textilindustrie reichen ins 18. Jahrh. zurück, in dem sich im Winen-, See- und Wiggerthal auf der Grundlage der bäuerlichen Leinwandweberei die Baumwollhandweberei entwickelte, die für die Verleger und Kaufleute in Aarau, Lenzburg und Zofingen arbeitete. In ihrem Gefolge entwickelte sich später in Lenzburg und Wildegg der Zeugdruck. 1810 gründete Johann Herzog von Effingen in Aarau die erste mechanische Baumwollspinnerei, der später bald andre in Windisch, Turgi, Baden und Wettingen folgten. 1857 waren in 24 Baumwollspinnereien und Zwirnereien in den Bezirken Aarau, Baden, Brugg, Bremgarten, Kulm, Lenzburg, Zofingen 2800 Arbeiter beschäftigt; 1905 waren in der Baumwollspinnerei und -Zwirnerei noch rund 2000 Arbeiter tätig in den Bezirken Baden, Bremgarten, Lenzburg, Zofingen.
Für die Baumwollspinnerei trat in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrh. eine bedeutende Wendung ein durch den Uebergang zur mechanischen Weberei. An dieser Wandlung war vorerst nur die Weissweberei in den Bezirken Aarau, Kulm, Lenzburg und Zofingen beteiligt. Die Buntweberei, die besonders in den Bezirken Zofingen, Lenzburg und Kulm zu starker Entwicklung gelangt war, blieb länger beim Handstuhl. In der Weissweberei, die in den Bezirken Zofingen, Kulm, Lenzburg, Aarau, Brugg und Baden vertreten ist, sind 1905 in 9 grösseren Etablissementen rund 700-800 Arbeiter tätig gewesen.
Die Buntweberei im Bezirk Zofingen und im Bezirk Kulm beschäftigte 1905 in 7 Etablissementen etwa 600 bis 700 Arbeiter. Der Zeugdruck, der in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts eine lebhafte Entwicklung erfahren hatte, ist in den 40er Jahren ganz eingegangen, um zu Anfang des 20. Jahrhunderts erst in Aarau und dann in Lenzburg in zwei Betrieben wieder neu aufzuleben. Im Gefolge der Baumwollindustrie entwickelten sich Färberei, Bleicherei und Appretur, die 1905 rund 500-600 Arbeiter in 17 Betrieben hauptsächlich in den Bezirken Zofingen und Aarau beschäftigt haben.
Die Seidenbandweberei, die schon im 18. Jahrhundert sich im Aargau heimisch gemacht hat, ist heute, soweit sie fabrikmässig betrieben wird, zur Hauptsache auf Aarau beschränkt und beschäftigt etwa 300 Arbeiter. Dazu kommen aber noch die hausindustriellen Betriebe (rund 500), die namentlich im Frickthal stark vertreten sind. Diese arbeiten für Aarau, zur Hauptsache aber für Basel und Säckingen. Die Seidenstoffweberei in Bremgarten, Brugg und Küttigen mag an die 500-600 Personen neben etwa 200 Hausarbeitern beschäftigen.
Ein grosses Etablissement in Spreitenbach befasst sich mit der Herstellung von Kunstseide. Die Woll- und Halbwollspinnerei wird in Zofingen (2 Betriebe) und neuerdings in Rheinfelden (1 Betrieb) betrieben. Die Leinenindustrie ist durch ein grosses Etablissement in Niederlenz vertreten. Gesundheitskrepp wird in Zofingen und Rothrist fabriziert. Die Stickerei hat ihren Hauptsitz in Zurzach, wohin sie in den 70er Jahren verpflanzt worden ist. Einen sehr bedeutenden Aufschwung hat seit Mitte des 19. Jahrh. die Wirkerei und Strickerei erfahren.
Diese Industrie ist namentlich im Bezirk Zofingen zu Hause und in neuerer Zeit auch nach Laufenburg gekommen. In dieser Industrie sind in 12 grösseren Fabriken rund 1600 Personen tätig. Dazu kommen noch 600-1000 Hausarbeiter. Die alteingesessene Industrie des Freiamts ist die Strohindustrie. Zu Ende des 18. Jahrh. gelang es Jakob Isler, den Strohgeflechten und den geflochtenen ländlichen Strohhüten einen grösseren Markt zu schaffen. In den 20er Jahren des 19. Jahrh. kam zur eigentlichen Strohflechterei die Strohweberei, und Ende der 30er Jahre begann man neben Stroh auch Manilahanf, Seide, Baumwolle und Pferdehaar zu verarbeiten. Neben den Isler beteiligten sich auch die Bruggisser, Geissmann, Vock, Meyer an der Entwicklung dieser Industrie. In den 40er ¶
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Jahren verpflanzte die Familie Fischer die Industrie nach Meisterschwanden und 1849 ein Vertreter des Hauses Isler auch nach Wildegg. In der Zeit der Bordüre 1845-1855 standen bis zu 15000 Handwebstühle in Arbeit. Die Baumwollbändel 1862/63 und die Baumwolllitzen der 70er Jahre brachten der Strohindustrie jeweilen neue Erfolge. Auch die 90er Jahre waren eine Zeit grossen Aufschwungs. Der Wert der aargauischen Strohprodukte mag 8-12 Mill. Fr. betragen. 1905 mögen in den Betrieben etwa 2000 Arbeiter beschäftigt worden sein. Dazu kamen damals rund 2000 Hausarbeiter, deren Zahl je nach den in Mode stehenden Artikeln noch wesentlich gesteigert wird oder auch zurückgeht. Das Verbreitungsgebiet der Industrie ist ungefähr dasselbe geblieben. Neu hinzugekommen ist Aarau. Die eigentliche Strohmetropole ist immer noch Wohlen.
Die Zementfabrikation ist 1830 nach Aarau gebracht worden, wo in der Folge bedeutende Etablissemente entstanden. Von hier aus wurde auch ein bedeutendes Etablissement in Wildegg angelegt. Für die Herstellung von Zement und hydraulischem Kalk sind z. Z. 900 Personen tätig. In der Ziegelei und Zementsteinindustrie (Aarau, Kölliken, Mellingen, Frick, Brugg) sind z. Z. 700-800 Personen beschäftigt. In neuester Zeit ist in Riburg eine Steingutfabrik entstanden. Die industrielle Ausbeutung der Salzlager am Rhein ist um die Mitte des 19. Jahrh. begonnen worden.
Die Salinen von Rheinfelden, Riburg und Kaiseraugst erzeugten 1906: 307000 q Salz aller Art (53% der gesamten schweizerischen Produktion). Die chemische Industrie hat sich im Aargau erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrh. umfassender entwickelt. In den 60er Jahren begann in Aarau und Zofingen die Lack-, Firniss und Farbenfabrikation. Zu Anfang der 70er Jahre kam in Zofingen ein Etablissement für pharmazeutische Produkte hinzu. Später entstand eine chemische Fabrik in Brugg, die auch pharmazeutische Produkte, Süssstoffe aller Art und Ammoniak herstellt. Tinte und Siegellack werden in Aarau erzeugt. In der chemischen Industrie sind etwa 400 Personen tätig.
Wohl eine der ältesten Vertreterinnen der Metallbearbeitung im Aargau ist die Glockengiesserei in Aarau. 1803 brachte der Elsässer Esser die Fabrikation von Reisszeugen und geodätischen Instrumenten nach Aarau, die von Hommel, Kern und Gysi weiter entwickelt wurde. Die Aarauer Präzisionsinstrumente geniessen einen bedeutenden Ruf. Die fabrikmässige Herstellung von Metallwaren hat in den 60er Jahren im Kanton Eingang gefunden. Heute beschäftigen die Metallwaren-, Leuchter- und Armaturenfabriken von Niederrohrdorf, Künten, Baden, Turgi, Kulm an 1500 Arbeitskräfte. In Gontenswil befasst sich seit einigen Jahren ein Etablissement mit der Erstellung von Aluminiumwaren. Zentralheizungen werden in Zofingen und Menziken erstellt. Bedeutende Werkstätten für Brückenkonstruktionen befinden sich in Brugg und Döttingen.
Grössere Eisengiessereien haben Aarau und Brugg. Beim Bau von Maschinen und Apparaten werden etwa 4000 Arbeiter beschäftigt. Das grösste Kontingent entfällt auf die Aktiengesellschaft Brown Boveri & Cie. in Baden, die elektrische Maschinen und Dampfturbinen baut. Elektrische Apparate werden in Aarau hergestellt, Textilindustriemaschinen in Baden, Holzmaschinen in Brugg. Die Holzindustrie ist durch eine Zellulosefabrik in Kaiseraugst, durch Parketterien in Baden und Aarburg und Möbelfabriken an verschiedenen Orten vertreten.
Zigarrenkistchen werden in Klingnau angefertigt. Eine ziemliche Ausdehnung hat in den letzten Jahren die Erstellung von Korbwaren und Rohrmöbeln (Murgenthal, Rothrist, Aarburg, Rheinfelden, Klingnau und Zurzach) erfahren. In Lenzburg und z. T. in den schon genannten Korbwarenfabriken werden Kinderwagen erstellt. Bürsten- und Pinselfabriken finden sich in Entfelden und Rohrdorf. Die Lederindustrie ist in Menziken durch eine Triebriemenfabrik vertreten. Die Schuhfabrikation ist zu Anfang der 50er Jahre von Karl Franz Bally nach Schönenwerd gebracht und später nach dem Aargau verpflanzt worden, wo heute verschiedene Fabriken des Hauses Bally bestehen. Weitere Schuhfabriken finden sich in Baden, Veltheim und Brittnau. Im Ganzen werden im Aargau in der Schuhindustrie etwa 1500 Arbeiter tätig sein, neben einer ziemlichen Zahl Hausarbeiter.
In der Industrie der Nahrungs- und Genussmittel sind rund 5000 Arbeiter tätig. Von diesen fallen gegen 4000 auf die Tabak- und Zigarrenindustrie, die ihren Sitz im Winen- und Seethal und in Rheinfelden hat. Die eigentlichen Zentralen sind Reinach, Menziken und Beinwil am See. In der Bierbrauerei bestehen 14 Betriebe mit einer Gesamtproduktion von 285000 Hektolitern (1906). Von dieser Produktion fällt der grösste Teil auf die beiden Brauereien Feldschlösschen und Salmenbräu in Rheinfelden.
Schokolade wird in Aarau fabriziert. In Lenzburg und Seon bestehen bedeutende Konservenfabriken. Die Müllerei ist mit 8 grösseren Handelsmühlen vertreten in Brittnau, Zofingen, Aarau, Wildegg, Schöftland, Lenzburg, Baden und Birmenstorf. Eine Papierfabrik besteht in Oftringen. Graphische Anstalten, darunter zwei bedeutende Lithographien, bestehen in Zofingen, Aarau, Brugg und Baden. Kartonnagearbeiten werden in Mellingen angefertigt, Papierwaren in Gontenswil.
Nach der Fabrikstatistik von 1901 dienten in der aargauischen Industrie als Betriebskräfte nach Abzug der Elektrizitätswerke etwa 15000 PS. Davon waren Wasserkraft 7800, Dampfkraft 4000, Elektrizität 3000, andere Motoren 500 PS.
Eine sehr bedeutende Entwicklung hat im Aargau die Gewinnung von Elektrizität zu Licht- und Kraftzwecken aus den aarg. Gewässern namentlich seit den 90er Jahren genommen. Dadurch sind die andern aargauischen Industrien nachhaltig gefördert worden. Es sei an die bedeutenden Elektrizitätswerke Olten-Aarburg, Aarau, Brugg, Beznau, Baden, Bremgarten und Rheinfelden erinnert, zu denen in einigen Jahren Augst-Wilen, Laufenburg und Rupperswil kommen werden. Aus aarg. Gewässern (dabei sind die Quoten einzelner Werke, die auf andere Kantone resp. Staaten fallen, in Abzug gebracht) wurden 1907 36000 konzedierte PS. gewonnen, heute etwa 41000 PS. Wenn die Werke Augst-Wilen, Laufenburg und Rupperswil in Betrieb sind, werden aus aargauischen Gewässern 100000-105000 PS. ausgenutzt.