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die reichsdeutsche Zuwanderung über Basel und Zürich wirkt. Einsprengungen hunnischer Elemente (um 450), sowie fränkischer (nach 500), ungarischer (nach 900), slavischer Typen (durch den Sklavenkauf der weltlichen und geistlichen Herrschaften) sind möglich, ja wahrscheinlich. Vom 17. Jahrh. an gibt es auch jüdische Zuwanderung. Wichtige Aufschlüsse über die Rassenverhältnisse vermöchten zu geben:
1) Ortsnamen, wie einerseits diejenigen auf -ingen, -hofen, (-ikon), -wil, -wiler, -heim, -büren (deutsch), andrerseits die nach der Beschaffenheit der Orte gebildeten (z. B. auf -au, -berg, -acker), die oft einfach Uebersetzungen keltoromanischer Namen sind. - 2) die Betonung von zusammengesetzten Orts- und Personennamen, z. B. Joggi neben Kobi (Jakob), Wildégg neben Wildegg. - 3) Trachten, Häuserstil, Sagen und Gebräuche etc. -
4) Dialekteigentümlichkeiten, wie tue, tuet neben due, tued, offene oder geschlossene e und a. Uebrigens haben in diesen Dingen auch konfessionelle und herrschaftliche Verhältnisse eingewirkt, wie etwa die Bevorzugung dieser oder jener Personennamen (z. B. Fridolin im Frickthal) oder die Aussprache des l unter bernischem Einfluss bezeugt. Das Studium solcher Geschichtsquellen ist übrigens neu oder hat nicht einmal begonnen. So können diesfalls auch nicht Ergebnisse vorgeführt, sondern nur Wege angedeutet werden.
Die Freizügigkeit infolge der Bundesverfassung von 1848 befördert bei uns wie anderswo, z. B. in Süddeutschland, die Zunahme des dunklen Typus, zunächst in Gestalt eines aschblonden oder braunhaarigen Mischtypus. Vorher, bei der Abgeschlossenheit der Gemeinden, scheinen diese bisweilen fast ganz blonde Bewohnerschaft gehabt zu haben, während das Umgekehrte kaum vorgekommen sein dürfte.
[Dr. J. Winteler.]
Die Verteilung der Bevölkerung auf die Konfessionen ergibt sich aus der historischen Entwicklung des Kantons. Es leben (1900)
1) im ehemals Bernischen Kantonsteil (reform.)
Bezirk | Reformiert | Kathol. | Israel. |
---|---|---|---|
Aarau | 20957 | 2334 | 26 |
Brugg | 15743 | 1242 | 40 |
Kulm | 19153 | 658 | 18 |
Lenzburg | 17358 | 881 | 20 |
Zofingen | 27585 | 1062 | 28 |
Total | 100796 | 6177 | 132 |
2) in den ehemaligen Gemeinen Herrschaften (kathol.)
Bezirk | Reformiert | Kathol. | Israel. | |
---|---|---|---|---|
Baden | Grafschaft Baden, seit 1712 nur unter Zürich Bern u. Glarus | 7113 | 20602 | 328 |
Zurzach | Grafschaft Baden, seit 1712 nur unter Zürich Bern u. Glarus | 2128 | 10344 | 389 |
Bremgarten | (unteres Freiamt), seit 1712 nur unter Zürich Bern u. Glarus | 1089 | 17556 | 76 |
Muri | (oberes Freiamt), bis 1798 auch unter den kathol. Orten | 280 | 13124 | 6 |
Total | . | 10610 | 61626 | 799 |
3) im ehemals Österreich. Frickthal (katholisch)
Bezirk | Reform. | Kathol. | Israel. |
---|---|---|---|
Laufenburg | 699 | 12692 | 17 |
Rheinfelden | 2071 | 10544 | 42 |
Total | 2770 | 23236 | 59 |
Kanton Aargau (Total) | 114176 | 91039 | 990 |
Die Verteilung der aus einem Berufe ernährten Bevölkerung (1900: 196312) auf die Berufsarten erhellt aus folgender Uebersicht:
Gewinnung der Naturerzeugnisse | 80827 |
(davon Landwirtschaft und Viehzucht 78694) | . |
Veredlung der Natur- und der Arbeitserzeugnisse | 88005 |
Handel | 11603 |
Verkehr | 7274 |
Allgem. Verwaltung, Wissenschaft, Künste | 8098 |
Wir fügen hier die Berufsstatistik nach der Zählung von 1888 bei, aus welcher, im Vergleich mit der von 1900, der Wandel im Verhältnis von Landwirtschaft und Industrie ersichtlich wird.
Berufsstatistik 1888. | Personen |
---|---|
Es kommen hiefür in Betracht | 179636 |
Gewinnung der Naturerzeugnisse | 85009 |
(davon Landwirtschaft 82926) | . |
Veredlung der Natur- und Arbeitserzeugnisse | 71484 |
Handel | 9522 |
Verkehr | 5509 |
Allgem. Verwaltung, Kunst, Wissenschaft | 7109 |
Bevölkerungsbewegung.
Die Anzahl der Bewohner betrug:
Jahr | Ew. |
---|---|
1803 | 130516 |
1836 | 182755 |
1850 | 199852 |
1860 | 194208 |
1870 | 198873 |
1880 | 198645 |
1888 | 193580 |
1900 | 206659 |
Zu beachten ist, dass die Bevölkerung 1850 eine Zahl aufwies, die nachher zweimal nicht unwesentlich sank und erst gegen Ende des Jahrhunderts wieder erreicht und überschritten wurde.
Die Bevölkerung verteilt sich nach der Herkunft folgendermassen:
Bürger der Wohngemeinde | Bürger and. Gemeinden | Bürger and. Kantone | Ausländer |
---|---|---|---|
119796 | 52829 | 23830 | 10043 |
Rechnet man zu den beiden ersten Kategorien die 79040 Aargauer in andern Kantonen, so ergeben sich 251665 in der Schweiz wohnende Bürger des Kantons Aargau.
Verteilung nach der Muttersprache: Deutsch 203071, franz. 819, ital. 2415, romanisch 43, andere Sprachen 150.
Volkscharakter.
Sprache, Tracht, Sitten und Gebräuche sind in ihrer Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit das getreue Zeugnis des Mangels einer einheitlichen geschichtlichen Entwicklung. Viele alte Gebräuche haben vor dem rasch lebenden Zuge der Gegenwart weichen müssen; manche sind geblieben als ein Gruss aus früherer Zeit. Wir nennen den Umzug der Schützen in Lenzburg, den Bachfischet in Aarau, das Weihnachts- und Neujahrssingen der Sebastiansbruderschaft in Rheinfelden.
Alt ist auch mancherorts die Einrichtung der Jugendfeste in den Städten: in Brugg der Rutenzug, in Aarau der Maienzug, in Lenzburg und Zofingen die Solennität. Nach der Gründung des Kantons hat die schöne Sitte überall Anklang gefunden; heute feiert man fast in jeder Ortschaft des Kantons ein Jugendfest. Dem Aargauer muss das Zeugnis gegeben werden, dass er ein ruhiger, fast nüchterner, fleissiger Arbeiter ist, der seinen Heimatkanton liebt, vor allem aber ein guter Schweizer sein will.
Auswanderung.
Mit einer Bevölkerungsziffer, die von 1900 mit 206498 auf 213582 Einwohner im Jahre 1907 stieg, hat der Kanton Aargau eine kleine Auswanderungsziffer aufzuweisen. Es wanderten aus:
Jahr | Aargau | Schweiz | % der Gesamt-Auswanderung |
---|---|---|---|
1900 | 140 | 3816 | 3.68 |
1901 | 159 | 3921 | 4.06 |
1902 | 211 | 4707 | 4.49 |
1903 | 206 | 5817 | 3.54 |
1904 | 196 | 4818 | 4.075 |
1905 | 154 | 5049 | 3.05 |
1906 | 195 | 5296 | 3.69 |
1907 | 248 | ? | ? |
Die Beteiligung der Aargaus an der Auswanderung in überseeische Gebiete an der schweizerischen Gesamtziffer ist also klein, sie schwankt zwischen 3,05 und 4,5%. Von der Gesamtbevölkerung macht das im Jahr 1907 nur 0,1235% aus. Im Jahr 1906 zogen nach den Vereinigten Staaten 181, nach dem übrigen Teile des nordamerikanischen Kontinents 3, nach Zentralamerika 1, nach Argentinien 8 und nach Asien 2 Personen. Im Jahre 1907 zeigte sich auch wieder die Union als dominierendes Auswanderungsziel, indem 224 Personen dorthin auswanderten, 13 Personen zogen nach Südamerika, 2 nach Zentralamerika und je eine nach Afrika und Australien. Von diesen letzten Ausgewanderten waren Aargauer 149, Bürger anderer Kantone 51 und Ausländer 48. Der Grund ¶
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dieser kleinen Auswanderungsziffern ist in der Bodenständigkeit der Bevölkerung zu suchen, die gerade den sonst beweglichen industriellen Arbeitern eine grössere Stabilität verleiht. Sie liefert ein sprechendes Beispiel für die befriedigenden wirtschaftlichen Verhältnisse im Aargau.
[Prof. A. Hirt.]
11. Handel und Industrie.
Nach der Berufszählung des Jahres 1905 haben sich im Kanton Aargau beschäftigt mit:
Betriebe | Personen | |
---|---|---|
1) Bergbau und sonstiger Ausbeutung der Erdrinde | 176 | 1318 |
2) Veredlung der Natur- und Arbeitserzeugnisse | 14599 | 47632 |
3) Handel | 4324 | 8378 |
4) Verkehr | 829 | 3765 |
Welches in den Gruppen 1) und 2) das Verhältnis zwischen industriellen Betrieben und den Betrieben des Gewerbes (im engem Sinne) ist, lässt sich nicht genau ermitteln. Einen Anhaltspunkt bildet die Fabrikstatistik von 1901, die für den Aargau 454 unter dem Fabrikgesetz stehende industrielle Etablissemente mit 20000 Arbeitern festgestellt hat. Die Zahlen der Etablissemente und Arbeiter würden sich für 1905 aber höher stellen. Eine Ausscheidung des in Gruppe 3) vereinigten Gross- und Detailhandels lässt sich nicht vornehmen, sondern nur allgemein sagen, dass letzterer in dieser Gruppe bedeutend überwiegt. Einen eigentlichen Grosshandel besitzt der Aargau wohl nur für Vieh, Gespinste, Tabak, Kolonialwaren, Wein. Im übrigen ist er mit der industriellen Tätigkeit verknüpft. Eine besondere Stellung nimmt das Bankwesen ein.
Die Entstehung des aargauischen Bankwesens fällt in die Mitte des 19. Jahrh. 1854 ist unter der Führung von Feer-Herzog das grösste Institut, die Aargauische Kreditanstalt gegründet worden. Ihr gingen zum Teil wenige Jahre voraus oder folgten später die Aargauische Kreditanstalt in Aarau, die Bank in Zofingen, die Bank in Baden, die Spar- und Leihkasse Zofingen, die Hypothekar- und Leihkasse Lenzburg, die Bank in Menziken und die Spar- und Leihkasse in Brugg. Neben diesen Instituten, von denen sich einzelne erst im Laufe der Zeit zu eigentlichen Banken entwickelten, besteht im Kanton noch eine ganze Anzahl von Sparkassen. Die älteste wurde im Jahre 1812 in Aarau gegründet. 1903 haben 36 Kreditinstitute bestanden. Von diesen waren 17 Aktiengesellschaften mit einem eigenen Kapital von 22 Mill. und Reserven 3,4 Mill. Fr., 19 Genossenschaften mit einem eigenen Kapital von 2,5 Mill. und 4,3 Mill. Reserven.
Die Anfänge der aarg. Textilindustrie reichen ins 18. Jahrh. zurück, in dem sich im Winen-, See- und Wiggerthal auf der Grundlage der bäuerlichen Leinwandweberei die Baumwollhandweberei entwickelte, die für die Verleger und Kaufleute in Aarau, Lenzburg und Zofingen arbeitete. In ihrem Gefolge entwickelte sich später in Lenzburg und Wildegg der Zeugdruck. 1810 gründete Johann Herzog von Effingen in Aarau die erste mechanische Baumwollspinnerei, der später bald andre in Windisch, Turgi, Baden und Wettingen folgten. 1857 waren in 24 Baumwollspinnereien und Zwirnereien in den Bezirken Aarau, Baden, Brugg, Bremgarten, Kulm, Lenzburg, Zofingen 2800 Arbeiter beschäftigt; 1905 waren in der Baumwollspinnerei und -Zwirnerei noch rund 2000 Arbeiter tätig in den Bezirken Baden, Bremgarten, Lenzburg, Zofingen.
Für die Baumwollspinnerei trat in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrh. eine bedeutende Wendung ein durch den Uebergang zur mechanischen Weberei. An dieser Wandlung war vorerst nur die Weissweberei in den Bezirken Aarau, Kulm, Lenzburg und Zofingen beteiligt. Die Buntweberei, die besonders in den Bezirken Zofingen, Lenzburg und Kulm zu starker Entwicklung gelangt war, blieb länger beim Handstuhl. In der Weissweberei, die in den Bezirken Zofingen, Kulm, Lenzburg, Aarau, Brugg und Baden vertreten ist, sind 1905 in 9 grösseren Etablissementen rund 700-800 Arbeiter tätig gewesen.
Die Buntweberei im Bezirk Zofingen und im Bezirk Kulm beschäftigte 1905 in 7 Etablissementen etwa 600 bis 700 Arbeiter. Der Zeugdruck, der in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts eine lebhafte Entwicklung erfahren hatte, ist in den 40er Jahren ganz eingegangen, um zu Anfang des 20. Jahrhunderts erst in Aarau und dann in Lenzburg in zwei Betrieben wieder neu aufzuleben. Im Gefolge der Baumwollindustrie entwickelten sich Färberei, Bleicherei und Appretur, die 1905 rund 500-600 Arbeiter in 17 Betrieben hauptsächlich in den Bezirken Zofingen und Aarau beschäftigt haben.
Die Seidenbandweberei, die schon im 18. Jahrhundert sich im Aargau heimisch gemacht hat, ist heute, soweit sie fabrikmässig betrieben wird, zur Hauptsache auf Aarau beschränkt und beschäftigt etwa 300 Arbeiter. Dazu kommen aber noch die hausindustriellen Betriebe (rund 500), die namentlich im Frickthal stark vertreten sind. Diese arbeiten für Aarau, zur Hauptsache aber für Basel und Säckingen. Die Seidenstoffweberei in Bremgarten, Brugg und Küttigen mag an die 500-600 Personen neben etwa 200 Hausarbeitern beschäftigen.
Ein grosses Etablissement in Spreitenbach befasst sich mit der Herstellung von Kunstseide. Die Woll- und Halbwollspinnerei wird in Zofingen (2 Betriebe) und neuerdings in Rheinfelden (1 Betrieb) betrieben. Die Leinenindustrie ist durch ein grosses Etablissement in Niederlenz vertreten. Gesundheitskrepp wird in Zofingen und Rothrist fabriziert. Die Stickerei hat ihren Hauptsitz in Zurzach, wohin sie in den 70er Jahren verpflanzt worden ist. Einen sehr bedeutenden Aufschwung hat seit Mitte des 19. Jahrh. die Wirkerei und Strickerei erfahren.
Diese Industrie ist namentlich im Bezirk Zofingen zu Hause und in neuerer Zeit auch nach Laufenburg gekommen. In dieser Industrie sind in 12 grösseren Fabriken rund 1600 Personen tätig. Dazu kommen noch 600-1000 Hausarbeiter. Die alteingesessene Industrie des Freiamts ist die Strohindustrie. Zu Ende des 18. Jahrh. gelang es Jakob Isler, den Strohgeflechten und den geflochtenen ländlichen Strohhüten einen grösseren Markt zu schaffen. In den 20er Jahren des 19. Jahrh. kam zur eigentlichen Strohflechterei die Strohweberei, und Ende der 30er Jahre begann man neben Stroh auch Manilahanf, Seide, Baumwolle und Pferdehaar zu verarbeiten. Neben den Isler beteiligten sich auch die Bruggisser, Geissmann, Vock, Meyer an der Entwicklung dieser Industrie. In den 40er ¶