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der innern Stadt werden immer mehr ehemalige Wohnungen in Kaufhäuser und Bureaux umgewandelt, und die an sich rege Bautätigkeit in den Aussenquartieren vermag, abgesehen davon, dass sie vielfach durch Streike unvorhergesehene Unterbrüche erleidet, der stetig wachsenden Nachfrage nicht zu genügen. So kommt es, dass die Mietpreise in den letzten Jahren enorm in die Höhe gegangen sind. Mit 279 Fr. durchschnittlichem Zimmerpreis (1906/07; seither noch höher) - der Durchschnitt inklusive Dachzimmer gerechnet - durfte Zürich so ziemlich an der Spitze der Schweizerstädte marschieren.
Die Stadt ist in richtiger Einsicht dieser Schwierigkeiten bereits dazu geschritten, einen offiziellen städtischen Wohnungsnachweis einzurichten, welcher seit Juni 1906 funktioniert und durch Einblick in die Lage des Wohnungsmarktes eine Wegleitung zu geben geeignet ist für die künftige Gestaltung der Bautätigkeit. Die Stadt errichtet ausserdem eigene Wohnhäuserblöcke. Neubauten wurden im Jahr 1907 im Ganzen 213 errichtet, mit 696 Wohnungen und zu 17,4 Mill. Fr. brandversichert. Im Jahr 1907 zählte man in Zürich 14641 Gebäude. 750 davon sind seit 1899 neu hinzugekommen.
Seit der allgemeinen Abtragung der alten Schanzen und Zuschüttung ihrer Gräben im Jahr 1833 konnte die bauliche Entwicklung der Stadt gedeihen. Sie nahm namentlich durch die Stadtvereinigung im Jahr 1893 einen gewaltigen Aufschwung. Die ungeahnte Zunahme der Bevölkerungsziffern und allgemeine wirtschaftliche Wandlungen waren von grossem Einfluss auf die Bautätigkeit. Ein neues Baugesetz für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen (1893) verlangt grössern Abstand der Häuser von den Nachbargrundstücken (3,5 m). Früher baute jeder mehr oder weniger für sich, wie es ihm passte. 1770 waren die Häuser durchschnittlich 2½ Stockwerke hoch.
Dann kamen hohe Mietshäuser. Das neue Baugesetz lässt den 6. Wohnstock nicht mehr zu und verlangt eine minimale Höhe von 2,5 m für Wohnräume. Dazu kamen 1901 die Vorschriften für offene Ueberbauung grosser Distrikte. Dadurch scheint die Rückkehr zum Einfamilienhaus angebahnt zu sein. Vor 1900 waren solche nur 7,6% aller Wohnungsbauten, nachher schon 19,8%. Das System hält eben die Bodenpreise in einem vernünftigen Rahmen zurück. Ums Jahr 1900 zeigte sich allerdings eine Reaktion in Form einer Bau- und Liegenschaftenkrise.
Seit 1809 besteht die staatliche Brandassekuranz mit mustergiltiger Registrierung der Bautätigkeit. Zürich im heutigen Gebietsumfang zählte
Jahr | Wohnhäuser | Assekuranzwert Mill. Fr. |
---|---|---|
1862 | 3514 | 140 |
1892 | 7338 | 359 |
1900 | 9867 | 552 |
1906 | 10122 | 597 |
Der Totalassekuranzwert der privaten Gebäude mit und ohne Wohnungen und der behördlichen Bauten betrug im Jahr 1906 681,9 Mill. Franken. Die Wohnbauten nehmen in der Stadt gegenüber industriellen Bauten relativ zu; die Industrie zieht in die umliegenden Orte mit billigerem Boden. Zürich wird dadurch wieder mehr Wohnstadt, mit Ausnahme der Altstadt.
Wohnungen bestanden im Jahre 1906 im Ganzen 35900.
per Jahr | Wohnungen per Haus | ||
---|---|---|---|
vor 1863 | 9300 | 2.72 | |
erbaut 1863-1892 | 11600 | 387 | 3.12 |
erbaut 1893-1900 | 12200 | 1526 | 4.64 |
erbaut 1901-1906 | 2800 | 465 | 4.30 |
total | 35900 | wie oben. |
Interessant ist die allgemeine Zunahme der Behausungsziffer (= Einwohner per Haus) im Laufe der Zeiten. Nachstehende Tabelle gibt darüber Auskunft:
Wohnhäuser | Ew. | Behausungsziffer für die ganze Stadt | Behausungsziffer für die Altstadt | |
---|---|---|---|---|
1770 | 10.6 | |||
Ende 1862 | 3514 | 46200 | 13.2 | 15.9 |
Ende 1892 | 7338 | 106000 | 14.4 | 15.2 |
Ende 1900 | 9867 | 150700 | 15.3 | 13.9 |
Ende 1906 | 10427 | 171000 | 16.4 | 13.2 |
Bibliographie: Ausser den sub. Zürich, Kanton, Abschnitt Bevölkerung, erwähnten Quellen: Die periodischen Berichte des statistischen Amtes der Stadt Zürich in den Tagesblättern. - Wolff, H. Zürichs Bevölkerung seit der Stadtvereinigung (1893-1906). (Statistik der Stadt Zürich 6, 1906). - Geschäftsbericht des Stadtrates für 1907. Zürich 1908. - Der Zuzug in die Stadt nach der kilometrischen Entfernung der Zuzugsgebiete. (Statistik der Stadt Zür. 10, 1908). - Wolff, H. Vortrag über Zürichs bauliche Entwicklung (speziell Wohnungsbau), gehalten in der Statist. volkswirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons Zürich. (Referate in der Neuen Zürcher Zeitung, Januar 1908).
5. Hygienische Zustænde.
In früheren Zeiten mochten die natürlichen Wasserverhältnisse von See, Limmat und Sihl einen wesentlichen Einfluss auf die gesundheitlichen Zustände der Stadt ausüben. Es wird überliefert, dass z. B. im Jahr 1344 durch eine Ueberschwemmung das Haus zum Schwert und drei Mühlen weggerissen wurden, deren Trümmer die Brücke beim Hardturm zerstörten. 1553 konnte man mit Nachen im Fraumünster herumfahren, und 1556 lief die Limmat über die Mühlestege weg.
Auch die Sihl ergoss sich gelegentlich über den Platzspitz. 1404 und 1512 dagegen konnte man trockenen Fusses vom Weinplatz, damals Kornhausplatz geheissen, bis zum Rathaus gehen, und der grosse Stein unterhalb der untern (Gemüse-) Brücke war 1580, 1585, 1654, 1740 und 1814 trocken. Heute sind die Wasserstände derart reguliert, dass selbst extrem trockene Jahrgänge, wie sie z. B. die letzten Jahre, inklusive 1908 gewesen, wohl noch ausserordentlich niedrige Pegelstände, aber weiter keine grossen Nachteile mehr mit sich bringen.
Der mittlere Wasserstand des Sees liegt bei 409,2 m über Meer. Maximal erreichte er 411,00 m am minimal 408,50 m am 408,56 m am und 408,60 m am Aehnliche Zahlen hat neuerdings der März 1909 gebracht (Nullpunkt der See- und Limmatpegel 411,28 m). Die mittlere Abflussmenge (Limmat und Schanzengraben) beträgt 87 m3 Sek., ein Maximum wurde am mit 350 m3 Sek., ein Minimum mit 15,5 m3 Sek. am erreicht. (Seefläche 87,78 km2, Wassergehalt 4000 Mill. m3, Einzugsgebiet 1819,7 km2).
Wesentlich gesundheitserhaltend wirkt der See, ausser als allgemein klimatischer Faktor, als Badegelegenheit
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(mittlere Oberflächentemperatur 10,9 °C; maximum 22,0 °C; in 16 m Tiefe 5,9 resp. 11,6 °C). Die Stadt Zürich unterhält 11 öffentliche Badeanstalten im See, in der Limmat und im Schanzengraben, welche jährlich 300000 bis 400000 Besucher aufweisen. Drei davon sind unentgeltlich. Im Jahr 1907 (schlechter Sommer) wurden 289077 zahlende Besucher registriert, im Jahr 1906 343816. Selbst im Winter baden Einzelne im See («Eisbärenklub»),
sogar bei Seegfrörne (Winterschwimmbäder fehlen; ein bezüglicher Versuch wurde wieder aufgegeben). Die Stadt gibt übrigens auch an die Luft- und Sonnenbad-Einrichtungen des Naturheilvereins jährliche Beiträge und hat neulich die Männerbadanstalt am Bürkliplatz für Luftbäder erweitert.
Als Lungen der Stadt funktionieren eine ansehnliche Zahl freier Plätze, Parkanlagen und Promenaden. Schon die alte Stadt hatte ihren Lindenhof, den «historischen Kernpunkt der Stadt», auf welchem das römische castrum Turicense und später eine königliche Pfalz gestanden haben soll, die Winkelwies auf dem Geissberg und die alte Schützenwiese, jetzt Platzspitz-Promenade. Später kamen botan. Garten, Sihlhölzli, Hohe Promenade, mit altem Kirchhof, Heimplatz, Stadelhoferplatz, Stadthausanlagen hinzu, und die grossen Quaibauten mit den wundervollen Quaianlagen, welche sich als grünes Laubgewinde vom Belvoirpark bis zur Quaibrücke und von da auf dem rechten Ufer bis ans Zürichhorn hinausziehen, dessen freundliche alte Weiden Rudolf Koller so manches schöne Motiv in den Pinsel spendeten. Mit pietätvollem Verständnis hüten die Stadtväter unsre alten Bäume. Allgemeine Bedrückung lag auf den Gemütern, als durch ungewohnten Schneedruck auf die jungbelaubten Zweige am ein grosser Teil der Anlagen Schaden nahm, und wenn irgendwo eine morsche Pappel gefällt oder ein lieb gewordener Ahornstamm den modernen Verkehrserfordernissen geopfert werden muss, so erhebt sich ein Entrüstungsturm in allen Blättern der Stadt.
Wo neue Quartiere entstehen, wird auch für Anlage freier Plätze mit Bäumen und Spielwiesen gesorgt: Limmatplatz, Rotwandareal u. s. f. An verschiedenen Orten sind Tennisplätze angelegt, auch finden sich im Winter Schlitt- und Schlittschuhgelegenheiten.
Der Flächeninhalt der städtischen Anlagen beträgt heute schon über 320000 m2, und in den Alleen der Stadt stehen 4000 Strassenbäume (1905). Dazu kommen etliche Hotelparks (Baur au Lac, Dolder), die vielen Vorgärten der neuen Häuser und die gartenreichen Quartiere mit offener Ueberbauung an den Hängen des Zürichberges und am Uetlibergfuss. Das Allerschönste aber sind die weiten Waldpromenade-Anlagen auf dem Zürichberg, Käferberg und Uetliberg selber, welche vom Verschönerungsverein von Zürich und Umgebung seit dessen Gründung zu Anfang der 1870er Jahre angelegt worden sind.
Ehre solch unentwegter gemeinnütziger Arbeit! Tausende lustwandeln Sonntags in diesen grünen Hallen, freuen sich auf den zahlreichen Ruhebänken der schönen stillen Natur und der verschlungenen Gebüschpfade mit ihren kunstvollen Brücklein und zierlichen Ueberraschungen (Manessebrünneli am Uetliberg, Waldhüsli, Elephant, Grossmutterbuche, Schlachtendenkmal [1799], Wasserfall im Sagentobel, Stöckentobel, am Wehrenbach und auf dem Weidberg). Und der Utogipfel mit seinem Aussichtsturm kann zur wahren Volksversammlung werden, wenn winterliches Nebelmeer über den Thälern liegt, der Grat aber in sonnige Wärme hinaufragt oder wenn am Himmelfahrtsmorgen die Sonne «gumpet».
Bis in den Schwarzwald und die Vogesen hinaus reicht da die Aussicht und weit über die Silberbänder der Aareschlingen in die Jurakämme hinein, nach Norden zu den alten Hegauer Vulkankegeln des Hohenstoffeln und Hohentwiel, und von den Alpen bietet der Uetliberg die vornehmste Uebersicht vom Säntis bis zu den Berner Oberländer Eisriesen. Artig wie ein Riesenspielzeug ausgebreitet liegen zu Füssen gleichsam aus Spelterinis Ballonperspektive das gründurchwirkte Häusergewimmel der Stadt und der blaue See mit seinen geschäftigen Dampfschwalben, den sonntäglichen Ruderboten und eleganten Seglern und Sport-Skiffen; weiter aufwärts die freundlichen Uferdörfer und das waldreiche Sihlthal mit dem grossen Stadtforst Sihlwald und dem städtischen Wildpark.
Mit dem Strassenreinigungs- und Abfuhrwesen darf
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man in Zürich zufrieden sein. Die Stadt steht im Vergleich mit andern, grössern Städten vorteilhaft da. Im Sommer wird mit Sprengwagen, à 5 und 7,5 m Sprengweite, zum Teil an den elektrischen Trambetrieb angeschlossen, für Niederhaltung des Staubes gesorgt; auf den Trottoirs mit Handwagen. Der früher benützte Fahrschlauch wurde, weil teuer und verkehrsstörend, grossenteils aufgegeben. Reinigung mit Kehrwalzen. Rasche Schneeabfuhr (Ausleeren in die Limmat) ab den Hauptstrassen im Winter, wobei Arbeitslose willkommene Beschäftigung finden. Es existiert eine städtische Kehrichtverbrennungsanstalt (Kehrichtabfuhr 1907: 58390 m3 gleich 21293 t, davon verbrannt 20231 t) und Kadaververbrennungseinrichtung (System Podewils). Die Fäkalien werden in Kübeln abgeholt; 1907: 7848 m3 in 10441 Kübeln mit 218502 Auswechslungen;
Kübelwäscherei im Hardhüsligut.
Bedürfnisanstalten bestehen in der Stadt total 64 (Oelpissoirs, System Beetz). Ueber die Wohnungsverhältnisse ist im Abschnitt «Bevölkerung» berichtet worden.
Lebensmittel und Lebensmittelkontrolle. Ueber den Fleischkonsum gibt die amtliche Fleischschau sichere Auskunft. Es bestanden bisher drei öffentliche und 35 private Schlachthäuser und eine zentrale Fleischhalle für den Verkauf, neben zahlreichen privaten Verkaufslokalen. Ein grosser städtischer Schlachthof wird im Jahre 1909 vollendet. Kostenaufwand rund 6 Mill. Franken. Im Jahre 1907 wurden geschlachtet 3338 Zuchtochsen, 6820 Ochsen, 1675 Kühe, 2611 Rinder, 23519 Kälber, 29640 Schweine, 5547 Schafe, 228 Ziegen, 307 Pferde und 98 Kaninchen, mit einem Gesamtgewicht von 7687787 kg. Dazu ist zu rechnen eine Fleischeinfuhr (einschliesslich Geflügel und Fische) von 3954903 kg, macht zusammen 11642690 kg; entsprechend einem täglichen Fleischkonsum von 173 gr per Kopf der Bevölkerung (1906 169 gr). Die Fleischpreise betrugen per ½ kg: Zuchtstierfleisch 85-90 cts. (1906: 80-85 cts.), Ochsen- und Rindfleisch 75-95 (80-95), Kuhfleisch 55-75 (65-75), Kalbfleisch 100-125 (110-120), Schweinefleisch 90-115 (110-115), Schaffleisch 80-100 (70-90), Pferdefleisch 40 (40) cts. Von den geschlachteten Stücken stammten über drei Viertel aus der Schweiz, und nur kaum ein Viertel ist ausländisches Vieh.
An Milch wurden 1907 täglich 119700 Liter eingeführt, zum Verkaufspreis von 23 Cts. Durchschnittlich fielen im Laufe des Jahres 5,4 Kontrollen auf einen Verkäufer. Ueber die Frage der Milchversorgung schweben Unterhandlungen der Stadt mit dem auf genossenschaftlicher Grundlage aufgebauten Lebensmittelverein. Bis jetzt bestanden namentlich zwei grosse Molkereien auf privater Basis.
Ein originelles Erbstück aus früherer Zeit ist der Markt mit Gemüsen, Früchten und andern Lebensmitteln, der jahraus, jahrein wöchentlich zweimal, je Dienstags und Freitags, auf offener Strasse abgehalten wird. Bis 11 Uhr vormittags sind an diesen Tagen die Trottoirs gewisser zentral gelegener Strassenzüge mit Marktständen und lustig kramendem Publikum belagert: Bahnhofstrasse, Petersstrasse, Münzplatz, Uraniastrasse, Sihlhofstrasse, Usteristrasse, Schweizergasse, Lintheschergasse, Schützengasse, Rathausquai (unter den Bögen), Rathausbrücke, Hirschengraben, Stauffacherstrasse.
Der Landesproduktenmarkt an der Bahnhofstrasse und ihren Seitenstrassen wies 1907 regelmässig 727, im Herbst oft über 1200 Verkäufer auf. Davon sind 75% Selbstproduzenten. Je nach Art der Lebensmittel ist eine gewisse wenn auch nicht allzu streng durchgeführte Sonderung auf die verschiedenen Strassenbezirke erkennbar. Am schönsten ist jeweilen der Blumenmarkt im obersten Teil der Bahnhofstrasse. Im Herbst, Mitte September bis Mitte November, ist für Obst und Kartoffeln ein Engros-Markt an der Uraniastrasse und am Hirschengraben eingerichtet. Es wurden im Jahre 1907 aufgeführt: 3000 q Aepfel à 16 bis 48 Fr., wenig Birnen (30-40 frs. per q), 120 q Zwetschgen à 11-13 frs. und 316 q Kartoffeln à 7-8 frs. Das Obst stammte namentlich aus den Bezirken Zürich, Bülach, Dielsdorf, Horgen und Uster und aus den Kantonen Aargau und Zug, Zwetschgen auch aus dem Elsass, Kartoffeln vom Rafzerfeld und aus dem Kanton Schaffhausen. Um Weihnachten beleben sich der Hirschengraben und manche andere Plätze der Stadt mit einem lustigen Christbaummarkt. 1907 wurden rund 1700 Tännchen zum Verkauf gebracht.
Zürich besass Ende 1907 sage 1061 Wirtschaften (darunter 85 Gasthöfe) und etwa 1000 Kleinverkaufsstellen für geistige Getränke. Nach dem zu Recht bestehenden Wirtschaftsgesetz sind ihrer 174 zu viel, im Verhältnis zur (fortgeschriebenen) Einwohnerzahl der Stadt. Während im ganzen Kanton je eine Wirtschaft auf 131 Ew. besteht, gibt es deren in gewissen Quartieren der Stadt Zürich in bedenklichem Ueberfluss. So trifft es im Niederdorf auf 74 Häuser 29 Wirtschaften, an der Zeughausstrasse 10 auf 23 Häuser, an der Seebahnstrasse 11 auf 45, Konradstrasse 11 auf 46, Zwinglistrasse 10 auf 34, Langstrasse 28 auf 91 Häuser.
Einen heilsamen Einfluss üben die 28 Temperenz- und Kaffeewirtschaften, die sich einer stets steigenden Frequenz erfreuen. In den 9 alkoholfreien Lokalen des Frauenvereins für Mässigkeit und Volkswohl verkehren täglich 7000-8000 Gäste; 260 weibliche Angestellte finden hier Beschäftigung und Wohnung. Die Betriebe des Vereins begannen vor 12 Jahren, aus bescheidenen Anfängen sich stetig erweiternd; heute haben sie jährlich über eine Million fr. Aktiven und Passiven.
Trotz oder vielleicht wegen der minimen Détailgewinne ruht alles auf solider, auf Selbsterhaltung berechneter Basis. Rasche Amortisation konnte Platz greifen, und die drei grossen auf je ca. ½ Million bewerteten Volkshäuser «Zürichberg», «zum blauen Seidenhof» und «zum Olivenbaum», sowie das neu erweiterte Restaurant «zu Karl dem Grossen» sind stolze Früchte zielbewusster Frauenarbeit. Das Treiben in diesen Volkshäusern gehört mit zum Originellsten und Ehrenhaftesten, was Zürich bieten kann.
Scharen strömen da zu und ab, in denen sogar die zürcherischen Standesununterschiede sich verwischen zu wollen scheinen. Die Familien, die ihre Sommerausflüge auf eine pompöse zweispännige Küchlifahrt ins Nidelbad oder auf die nahe Waid zu konzentrieren pflegten, fallen heute nicht mehr auf, wo der freie, frohe Sinn für die Natur in Schule und Haus, bei, Knaben und Mädchen energisch geweckt wird, trotz Unkenrufen nach Einschränkung der naturwissenschaftlichen Bildung.
Trinkwasser. Der erste Röhrenbrunnen wurde im Jahre 1430 im Rennweg errichtet. Um die Mitte des 19. Jahrh. flossen der Stadt in 7 Brunnenwerken aus 110 (plus 7 im Stadtbezirk selber gelegenen) meist in Holz gefassten Quellen stündlich 36000 Maass (à 1½ Liter) Wasser zu; das zugehörige Röhrennetz hatte eine Länge von 90000 Fuss. Daneben bestanden viele Sodbrunnen, teils von sehr zweifelhafter Güte. Dazu kamen Pumpwerke in
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der Limmat, in der Schipfe und am Schanzengraben (G. Meyer von Knonau, Der Kanton Zürich, 1844). Vom Jahr 1860 an wurden sodann systematische Untersuchungen für eine rationelle Wasserversorgung betrieben und auf einem 1867 von Bürkli abgefassten, wahrhaft klassischen Bericht hin grundsätzlich beschlossen, es sei die Neufassung bestehender Quellen und die Anlage eines neuen Pumpwerkes von 30 PS aus der Limmat für Brauchwasser am oberen Mühlesteg von der Stadt zu übernehmen.
Mit den Arbeiten wurde 1868 begonnen: Anlage zweier Reservoirs beim Polytechnikum und am Schmelzberg ob der Sternwarte;
Filter im Limmatbett unterhalb der Bauschanze und von da Zementleitung ins Pumpwerk.
Man hatte mit einem täglichen Verbrauch von 135-190 Liter per Kopf der Bevölkerung gerechnet. Schon im Jahr 1872 war zu wenig Brauchwasser vorhanden. Man musste provisorisch ein neues Pumpwerk am Platzspitz errichten, welches (1870 fertig erstellt) mit dem alten zusammen 15000 m3 täglich zu heben vermochte. Aber auch das war bald zu wenig. Man beschloss 1875 die Erbauung eines definitiven Wasserwerkes im Letten. Die Limmat wurde beim Drahtschmidli durch ein Nadelwehr gestaut und durch einen Kanal eine Wasserkraft von 900 PS gewonnen, mit welcher eine maximale Wasserhebung von 51000 m3 im Tag erzielt wurde.
Das Werk war 1879 vollendet, und anfänglich konnte noch Kraft direkt mit Drahtseilen abgegeben werden. Für das Brauchwasser, das bislang in einer besondern Parzelle des Reservoirs beim Polytechnikum gehalten war, entstand ein besonderes Reservoir ob Langensteinen (Oberstrass) - der Dammabschluss desselben steht heute noch - und oberhalb des Schlösslis am Zürichberg wurde in 145 m über dem Seespiegel ein drittes Trinkwasserreservoir für die Hochdruckzone errichtet.
Da brach im Jahr 1884 eine böse Typhusepidemie über Zürich herein. Allgemein vermutete man die Ursache ihrer raschen Ausbreitung in einer Infektion der Wasserversorgung. In der Tat war die Zementleitung in der Limmat stark beschädigt, und an einer Stelle fast verstopft. Das führte zur Einsetzung einer «erweiterten Wasserkommission», der Dr. K. Zehnder und Dr. H. v. Wyss als Mediziner, Prof. Cramer als Bakteriolog, Prof. Lunge als Chemiker und Prof. Heim als Geolog angehörten.
Gründliche Studien über die gesamte Wasserbeschaffungsfrage führten zu dem Resultat, das Seewasser sei als Haupttrinkwasser (neben zahlreichen bereits bestehenden Quellfassungen) beizubehalten, die Fassungsstelle des Seewassers jedoch 200 m weit oberhalb der Quaibrücke in den See hinaus zu verlegen, dort das Wasser in 12 m Tiefe zu fassen und mit einer eisernen Röhrenleitung durch Schanzengraben-Sihl zu einer Filteranlage am Sihlquai und von da zum Letten-Pumpwerk zu führen.
Chemisch und bakteriell erwies sich das Wasser des Sees günstig: Alkalinität in französischen Härtegraden 12,5;
organische Substanz 18,2-23,5 mgr im Liter, freies Ammoniak und Salpetersäure Spuren, albuminoides Ammoniak 0,035-0,05 mgr per Liter, Pilzkeime per cm3 200 im rohen, 20 im filtrierten Wasser.
Mit den Arbeiten wurde noch 1885 begonnen, die neue Filteranlage 1886 dem Betrieb übergeben, und man erlebte die Genugtuung, dass seit der Einführung der neuen grossartigen Filtrieranlage (Sandkiesfilter in 10 Kammern) die Typhuserkrankungszahl von 62,88 im Mittel pro 10000 Einwohner auf 8,27, die Sterblichkeit von 6,67 auf 0,8 zurückgegangen ist, womit die Minimalziffern für grössere Städte mit vorteilhaften hygienischen Verhältnissen übereinstimmen.
Auch das Wasser der alten Quellleitungen wird jetzt filtriert, da viele inkonstante Moränenquellen dabei sind, und mancher verdächtige Sodbrunnen wurde vom Gesundheitsamt als Trinkwasser unbrauchbar erklärt. So ist durch energische Massnahmen der früher endemische Typhus aus Zürich verschwunden und die Gefahr einer neuen Epidemie beseitigt. Kontinuierliche bakterielle und chemische Untersuchung des Trinkwassers ist übrigens heute noch eine der Hauptaufgaben des Stadtchemikers. Die chemische Analyse ergab beispielsweise für 1903 als Jahresmittel:
Vor der Filtration: mgr pro l | Nach der Filtration mgr pro l | |
---|---|---|
Organische Stoffe | 24.0 | 12.6 |
Freies Ammoniak | 0.011 | 0.0 |
Albuminoides Ammoniak | 0.065 | 0.005 |
Pilzkeime | 1605 pro cm3 | 14 pro cm3 |
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So tadellos nun qualitativ diese neue grosse Trinkwasserversorgung funktionierte - infolge der rapiden Zunahme der Bevölkerung mochte sie bald quantitativ nicht mehr genügen. Wird doch 1905 der mittlere Wasserverbrauch per Kopf und Tag auf 220, der maximale gar auf 315 Liter angegeben. Zur Vermehrung der öffentlichen Brunnen in der Stadt und zur Erstellung von Brunnen in neu entstehenden Quartieren begann man im Jahr 1907 die Zuleitung eines Grossteils der gewaltig ergibigen Sihl- und Lorzequellen.
Auf blauem, klebrig-zähem Grundmoränenlehm der 1. Eiszeit treten sie in ähnlicher Weise aus der 30-40 m hohen Deckenschotternagelfluh des Sihl- und Lorzethales im Gebiet vom Sihlsprung-Menzingen aus, wie im kleinen die Hotelquelle am Utogipfel (s. Geologie im Artikel Zürich, Kanton). Ein grosses, regenreiches (1600 mm), zumeist waldiges Sammelgebiet und der prächtige natürliche Filtrierapparat der löcherigen Nagelfluhplatte bedingen einen sehr konstanten Ertrag, dessen Maxima und Minima nur im Verhältnis von 5:3 schwanken.
Die Sihlquellen wurden durch 11,5 km lange Röhrenleitung mit bis 40 cm Lichtweite, die Lorzequellen in 5,7 km langer, bis 50 cm weiter Leitung nach Sihlbrugg geführt; von da geht eine 17,7 km lange, 55 cm weite Röhrenleitung mit 2,5‰ Gefälle durchs Sihlthal zum neuen Reservoir beim Albisgütli (500 m über Meer = 91 m über dem Seespiegel gelegen). Hier wird das Wasser (in dem punkto Regenfall normalen Jahrgang 1905 waren es rund 20400 Minutenliter) auf die Speisleitungen der öffentlichen Quellwasserbrunnen und auf die Mittel- und Niederdruckleitungszone der Seewasserversorgung verteilt.
Die Anlage kostete total 3174104 fr. und liefert über die Hälfte des ganzen Wasserbedarfs der Stadt. Qualitativ ist das Wasser der Sihl-Lorze-Quellen sehr gut: im Jahre 1905 zeigte es Temperaturen von 8,6 (Januar) bis 10,9° C. (September) und eine Bakterienzahl von 0-37. Allerdings ist es mit 24-25 franz. Graden etwas hart im Vergleich zum Seewasser (13), sodass für Dampfkesselspeisung Sodazusatz nötig wird. Die Sihlthalquellen fliessen seit 4. Dezember, diejenigen des Lorzethals seit der Stadt zu. Immerhin muss bei anhaltender Bevölkerungsvermehrung in Zürich schon in den nächsten Jahren an die Erstellung einer noch grösseren Wassergewinnungsanlage, aus dem See oder aus geeigneten Grundwassergebieten, gedacht werden.
Der totale Wasserverbrauch der Stadt Zürich erreichte vom bis einen Betrag von 14700098 m3. Davon fielen 67,6% auf die Niederdruckzone, 27,3% auf die Mitteldruckzone, 4,1% auf die Hochdruckzone und 1% auf die obere Hochdruckzone. Es ergibt sich dadurch ein mittlerer Verbrauch von 237 (maximal 330) Liter pro Kopf und Tag. Aus dem gelieferten Wasser (einschliesslich für öffentliche Zwecke) wurde ein Erlös von fr. 1751000 erzielt, was nach 3% Abschreibungen über eine halbe Million Reingewinn bedeutet. Das gesamte Leitungsnetz für Brauch-, Trieb- und Trinkwasser hatte Ende 1907 eine Länge von 128 km (ohne die Quellwasserzuleitungen). Dazu käme ausserdem noch die 2,67 km lange Fassungsleitung von 900 mm Durchmesser aus dem See zu den Filteranlagen und 0,51 km vom Filter zum Pumpwerk.
Vorgängig dieser grosszügigen Trinkwasserversorgungsanlagen musste natürlich ein Kanalisationssystem vorgesehen sein, zu welchem schon Ingenieur Bürkli den Plan entworfen, und mit dessen Ausbau mit Kübelsystem (an Stelle der alten Ehgräben) bereits im Jahr 1867 begonnen wurde. Heute durchzieht es die ganze Stadt und mündet (inklusive einige Sauggebiete) unterhalb der Stadt (durch Regierungsdekret unterhalb der Trinkwasseranlage im Letten) in die Limmat.
Ueber die Krankenanstalten (kantonale, munizipale und freiwillige private), sowie über die ausgezeichnete soziale Fürsorge für arme Kranke durch die verschiedensten Hilfsinstitute vergl. weiter unten.
Epidemien. Die Cholera hat Zürich zum letztenmal im Jahr 1867 heimgesucht. Noch existiert unter den allgemeinen Fonds der stadtzürcherischen Stiftungen ein «Fond für Hilfeleistungen bei Cholera-Epidemien». Der Typhus ist nicht mehr endemisch; die letzte Epidemie von 1884 hat eine gründliche Sanierung der Trinkwasserversorgung zur Folge gehabt. Dagegen ist ständig Scharlach und Diphtherie vorhanden, wenn auch die letztgenannte Krankheit infolge der modernen Serumbehandlung weniger gefährlich auftritt als früher. Es fehlt zur Einschränkung dieser Schulhausgefahren offenbar vielen Eltern an Einsicht und den Behörden an wirksam zu handhabenden Gesetzen, trotz der bestehenden unentgeltlichen bakteriellen Untersuchungen und obligatorischer unentgeltlicher Möbel-, Kleider- und Zimmerdesinfektion im Falle von Scharlach, Diphtherie, sowie Typhus, Pocken und Kindbettfieber (fakultativ bei Tuberkulose). Im Jahr 1907 führten 462 Fälle von Scharlach und 417 von Diphtherie zur Verfügung von 1265 Schulausschlüssen.
Die Scharlachfrequenz der vorhergehenden Jahre war die folgende: 1906 = 505;
1905 = 1050;
1904 = 961;
1903 = 1174;
Diphtherie 1906 = 467;
1905 = 427;
1904 = 344;
1903 = 238. Von andern ansteckenden Krankheiten wurden im Jahr 1907 gemeldet: Pocken keine;
Genickstarre 16 Fälle;
Masern 215 (1906 = 1217; 1905 = 60; 1904 = 1234; 1903 = 21);
Typhus 46 (1906 = 47; 1905 = 59; 1904 = 83; 1903 = 41);
Wöchnerinnenfieber 23;
andere Infektionskrankheiten 120;
total 1511 Fälle.
Ueber Augen- und Ohrenuntersuchung der Schulkinder wurde im Abschnitt über das Unterrichtswesen (Kanton Zürich) Bericht erstattet. Eine unentgeltliche Schul-Zahnklinik ist neu eingerichtet worden. Zur Bekämpfung der Kopfparasiten unter der Schuljugend amtet eine besondere Gehülfin des städtischen Schularztes, von der Schuljugend spassig «Vögelitante» genannt, welche im Berichtsjahre 1907 im ganzen 503 Kinder (darunter 499 Mädchen) gleich 1,99% der Schülerzahl (25275) zur Reinigung anhalten musste. Im Jahre 1905 waren es 2,9%, im Jahre 1903 noch 11,7%.
Die Sterblichkeit ist ebenfalls im Abschnitt über das Sanitätswesen behandelt. Es erübrigt noch, die Bestattungen zu erwähnen. Sie geschehen auf Kosten der Stadt. Im Jahr 1907 wurden 1614 vollzogen, bei einer täglichen Höchstzahl von 16. Friedhöfe gibt es in Zürich im ganzen 18, und zwar für den Kreis I: Friedhof Sihlfeld (Zentralfriedhof, mit Krematorium und hervorragenden Denkmälern) und Friedhof auf der hohen Promenade (ausser Betrieb; zum Teil Leichenwachsbildung infolge lehmigen Grundmoränenbodens);
im Kreis II: Friedhöfe Enge, Manegg, Leimbach, Wollishofen;
Kreis III: Friedhof Sihlfeld Abteilung B und C, alte Friedhöfe Aussersihl und
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Wiedikon; Kreis IV: Friedhof Nordheim, Friedhof Unterstrass, alter Friedhof Oberstrass und Friedhof Wipkingen;
Kreis V: Friedhöfe Realp und Enzenbühl, alter Friedhof Neumünster und Friedhof Allmend Muntern.
Auf dem ehemaligen Neumünsterfriedhof ist ein neues (zweites) Krematorium geplant. Anzahl der Kremationen im Krematorium des Zentralfriedhofes für 1907: 232 (dazu 131 von auswärts eingebrachte Leichen).
Unser Kapitel über die hygienischen Verhältnisse der Stadt Zürich darf füglich mit dem Zitate schliessen: "Zürich ist also eine der gesundesten Städte der Schweiz».
Bibliographie. Meyer von Knonau. Der Kanton Zürich. Bd. 1, 1844. - Alb. Heim. Gebirgsansichten vom Stadthausquai und vom Hügel in der Parkanlage Enge. 1900 (mit zahlreichen lokalgeograph. Zahlen). - Näf-Hatt. Karten vom Zürichberg-Adlisberg und vom Uetliberg in 1:12500, herausgegeben vom Verschönerungsverein von Zürich und Umgebung, 2. Auflage, 1902 und 1905, mit Gebirgsansichten von Alb. Bosshard und X. Imfeld. - Wagner, E. Exkursionskarte der Albiskette, 1:30000. Zürich 1906. - Ueber die Wasserversorgung, ausser den im Text erwähnten Berichten von Bürkli und der erweiterten Wasserkommission: Escher von der Linth, Arnold, und Arn. Bürkli. Die Wasserverhältnisse der Stadt Zürich. (Neujahrsblatt der naturforschenden Gesellschaft Zürich auf 1871). - Die industriellen Unternehmungen der Stadt Zürich; gewidmet den Teilnehmern der 43. Jahresvers. des deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern. Zürich 1903, darin: Peter, H. Wasserversorgung; Weiss, A. Gaswerk; Wenner, V. Kanalisation. - Peter, H. Wasserversorgung (in der Polytechnikums-Jubiläumsschrift. II, 1905). - Rothpletz, G. Bericht des Stadtgärtners (ebenda). - Usteri, E. Kranken- und Versorgungsanstalten (ebenda). Peter, H. Bericht über die Erstellung der Quellwasserversorgung aus dem Sihl- und Lorzethal. Zürich 1906. - Geschäftsbericht des Stadtrates und der Zentralschulpflege für 1907. Zürich 1908. - Pflüger, P. Der Gemeindesozialismus der Stadt Zürich. Denkschrift. Zürich 1908. - Orelli, Frau S. Die alkoholfreien Wirtschaften des Frauenvereins für Mässigkeit und Volkswohl, 3. Aufl. -
Zürcher Jahrbuch für Gemeinnützigkeit. Jahresberichte der gemeinnützigen Bezirksgesellschaften. - Boos-Jegher. Eingabe an den Kantonsrat und Regierungsrat Zürich, vom Februar 1909 (betreffend Wirtschaften). Zahlreiche Jahresberichte wohltätiger Institutionen und Gesellschaften. - Erismann, F. Die Gesundheits- und Wohlfahrtspflege der Stadt Zürich, Festschrift 1909. Enthält 83 kurze Aufsätze verschiedener Verfasser, konnte zur Redaktion des Abschnittes 5 noch nicht benützt werden.
6. Handel und Gewerbe.
S. den Art. über den Kanton Zürich.
7. Verkehrswege.
Die im Zürcher Hauptbahnhof sich treffenden Verkehrsstränge sind bereits eingangs erwähnt worden. So bleibt hier noch nachzutragen, dass ausser dem Hauptbahnhof im zürcherischen Stadtgebiet noch folgende Bahnstationen den Verkehr erleichtern: Wiedikon, Enge und Wollishofen an der linksufrigen, Letten, Stadelhofen und Tiefenbrunnen an der rechtsufrigen Seebahn. In den Bahnhof Selnau münden Uetliberg- und Sihlthalbahn gemeinschaftlich; erstere (1875 eröffnet) gewinnt als steile Adhäsionsbahn über die Stationen Binz und Waldegg in weit nach W. ausholender Kurve nach halbstündiger Fahrt den Uetliberggipfel, letztere führt über Giesshübel-Brunau-Manegg-Sod-Adliswil ins Sihlthal und schliesst bei der Station Sihlbrugg an die Bundesbahnlinie Thalwil-Zug an.
Früher als die Eisenbahnverbindungen (Eröffnung der ersten Linie von Zürich nach Baden am der zweiten nach Winterthur am nach Uster am nach Zug, u. s. f.) bestanden Dampfbootkurse auf dem Zürichsee. Schon am fuhr das erste Dampfschiff. 1891 wurde der Lokalverkehr auf dem See durch Einrichtung der «Dampfschwalben» wesentlich gefördert, welche dem untern Teile des Sees heute ein prächtig pulsierendes Leben verleihen, während die Kurse der grossen Dampfboote infolge beidufriger Eisenbahnen relativ reduziert wurden.
Postkurse bestehen noch zwei, einer nach Maur und einer nach Zumikon. Zürich hat 19 Post- und 17 Telegraphenbureaux.
In der Stadt selbst vermittelt ein weitverzweigtes und rasch sich vergrösserndes Netz von Strassenbahnen den Verkehr. Als privater Pferdetramway wurde die erste Linie am eröffnet. Kaum ein Jahrzehnt später erstand die erste elektrisch betriebene Linie nach der Burgwies, und 1898 wurde das mit dem Pumpwerk im Letten verbundene Elektrizitätswerk derart betriebsfähig, dass das ganze Strassenbahnnetz
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in städtischen elektrischen Betrieb gestellt werden konnte. Bald wurde durch Ankauf auch die zentrale Zürichbergbahn und die Strassenbahn des Industriequartiers angegliedert. Heute bestehen als Privatstrassenbahnen noch die Linie vom Giesshübel nach dem Albisgütli, die Limmatthalstrassenbahn von der Marienstrasse nach Altstetten-Schlieren-Dietikon (von hier Strassenbahn über den Mutschellen nach Bremgarten)-Unterengstrigen-Kloster Fahr-Weiningen, sowie die Linien vom Hauptbahnhof bezw. von Wipkingen nach Höngg und vom Leonhardsplatz nach Oerlikon-Seebach-Glattbrugg mit Abzweigung nach Schwamendingen. Ausserdem drei Seilbahnen nach den Höhen des Zürichberges: vom Rigiplatz nach dem Rigiviertel, vom Leonhardsplatz zum Polytechnikum und vom Römerhof zum Waldhaus Dolder, mit anschliessender Strassenbahn bis zum Grand Hotel Dolder.
Die Baulänge des Netzes der städtischen Strassenbahn betrug Ende 1907 29,8 km, die Geleiselänge im Ganzen 59,4 km (Doppelspur teilweise ausgebaut), mit 133 Motor- und 32 Anhängewagen. Das ganze Netz ist in 6 verschiedene Betriebslinien eingeteilt, deren Wagen durch farbige Zahlentafeln kenntlich gemacht sind. Tagesfrequenz 1907: 62136 Personen. Als weitere Verkehrsmittel sind einige Taxameter-Motordroschken und der gewöhnliche Droschkendienst zu erwähnen; der letztere ist durch Prämierungen, welche der Verkehrsverein veranstaltet, wesentlich verbessert worden. Zahlreiche Motor-, Ruder- und Segelboote können am See gemietet werden, und breite Ledischiffe vermitteln den Warenverkehr (namentlich Baumaterialfuhren aus den Sandsteinbrüchen und Kiesgruben des obern Zürichsees).
Zürich zählte im Jahre 1907 941 Strassen und Plätze. Infolge rascher Erweiterung des Stadtbildes an der Peripherie kommen jährlich zahlreiche neue hinzu. Ganze Strassenzüge entstehen an den Abhängen des Zürichberges, wo die alten Wildbachthälchen künstlich ausgefüllt oder mit Dämmen überbaut werden. So ist der Wolfbach, der von Hottingen her beim oberen Mühlesteg in die Limmat mündete, für das Auge vollständig verschwunden, ebenso der Klosbach, der Hornbach eingedämmt, die Nische des ehemaligen Lindenbaches im 4. Stadtkreis nahezu verschwunden.
Bei Nacht wird die Stadt durch Auerlicht und an den grössern Plätzen und Hauptverkehrsadern durch elektrische Bogenlampen reichlich beleuchtet. Die Gasbeleuchtung wurde 1856 durch eine Privatgesellschaft eingeführt. 1886 übernahm die Stadt diese Aufgabe. Das heutige Gasleitungsnetz reicht bis an die äussersten Grenzen der Stadt, sogar bis auf den Uetliberggrat. Alles wird gespeist vom städtischen Gaswerk in Schlieren, das in Anlage und Betrieb ein Musterwerk ersten Rangs genannt zu werden verdient. Im Dezember 1908 lieferte es täglich 105000 bis 106000 m3 Gas bei einem täglichen Kohlenverbrauch von 35 Waggons.
Dank seiner neu durchgeführten Erweiterung durch eine beim ersten Bau (eröffnet 1898) schon vorgesehene Parallelanlage mit Vertikalretorten und Wagenkipper ist es jetzt noch bedeutend leistungsfähiger geworden. Jahresleistung 1907 = 26640200 m3, davon Privatkonsum und Gaslieferung an Aussengemeinden (Adliswil, Oerlikon, Zollikon, Kilchberg, Schlieren, Albisrieden-Altstetten) 22162889 m3. Diese Zahlen sind in rapidem Steigen begriffen; Zunahme von 1906 auf 1907 = über 12%. Gasverbrauch per Kopf und Jahr 114,02 m3 (Stadt Zürich und obige Aussengemeinden). Flammenzahl am Oeffentliche Laternen 7649, Privatflammen 321993, Flammen in der Gasfabrik 488, total 330130.
8. Geistiges Leben. - Vereine.
Das geistige Leben gipfelt öffentlich in den politischen Verhältnissen unserer ausgeprägten Demokratie. Wollte man ein wenig sezieren, so müssten die Zürcher in zwei Kategorien geschieden werden: Aktive (an der Politik Mitarbeitende) und Passive (zum Teil Geschobene, zum Teil Gleichgültige), und die erstgenannte Kategorie zerfiele sogleich in zwei weitere Rubriken: ernsthafte Arbeiter am Gemeinwesen, voll Ueberzeugungsmut und Opferwilligkeit, und ebenso fleissige politische Streber.
Ein Blick ins Tagblatt der Stadt Zürich an einem Samstag vor einem Abstimmungs- oder Wahltag dürfte diese Einteilung nicht ganz unrichtig befinden: Die ersten Bogen des auf 40 und mehr Folioseiten angeschwollenen Blattes enthalten die knapp gehaltenen offiziellen Kundgebungen (das Tagblatt ist zugleich städtisches Amtsblatt). Dann folgen ganz- und halbseitig die Aufrufe der politischen Parteikomités, die, oft mit den gleichen, namentlich der willfährigen Statistik entnommenen Motiven für schwarz, weiss und rot plädieren.
Darauf spalten- und seitenweise kostbare Inserate pro und kontra, meist unterstützt durch eine Flut von farbigen Flugblättern, die an den belebtesten Strassen verteilt und in alle Briefkästen der Häuser ausgetragen werden. Bei wichtigen Aktionen rücken einzelne Parteien sogar samthaft mit Eifer und Musik zur Urne. Einem etwa an monarchische Staatsform gewohnten Fremden muss das merkwürdig vorkommen, und doch dürfte ihm eine gewisse Feierlichkeit, die in diesem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ausgeprägt liegt, nicht entgehen, und die Ordnung, mit der sich in der Regel alles vollzieht, flösst Achtung ein.
Zeitungen und periodische Zeitschriften erscheinen zur Zeit (1909) in Zürich etwa 160, davon 9 täglich, 1 wöchentlich dreimal, 3 wöchentlich zweimal, 53 wöchentlich einmal, 41 alle 14 Tage und 33 monatlich einmal. Schon im Jahre 1666 erschien ein Wochenblatt; die Freitägliche Wochenzeitung, heute Zürcher Freitagszeitung (Bürklizitig, Auflage 3500) datiert ihr Erscheinen vom Jahr 1673 und dürfte die älteste Schweizerzeitung sein. Die Zürcher Zeitung kam am erstmals heraus; von 1821 an heisst sie Neue Zürcher Zeitung; seit 1843 erschien sie täglich, seit mehreren Jahren dreimal im Tage, mit einer Auflage von 15000. Schon im Jahr 1801 muss das Blatt sehr regierungstreu gewesen sein, denn der Verleger bat damals den Regierungsstatthalter um teilweise Befreiung von der Zensur, da er die helvetischen Artikel einem Manne anvertraut habe, «von dem durchaus nicht zu besorgen steht, dass er irgend etwas den Geist oder Sinn der Regierung kontravierendes aufnehmen werde» (Max Uebelhör: Zur Geschichte der Neuen Zürcher Zeitung 1803-1821, in der N. Z. Z. vom 31. III. 1908).
Das Tagblatt der Stadt Zürich (Amtsblatt, Auflage 27000) besteht seit 1837. Als verbreitetste Tagesblätter sind ausserdem zu nennen: Zürcher Post, Tagesanzeiger
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(Auflage 62000), Grütlianer, Volksrecht und Neue Zürcher Nachrichten (als Organ der Katholiken). Originelle ephemere Erscheinungen in der Zeitungsliteratur sind die Sechseläutenblätter, in denen die Lokalereignisse des Jahres mit mehr oder weniger Geist und Humor in Wort und Bild dargestellt zu werden pflegen. Als ständiges, in Zürich seit 1874 allwöchentlich erscheinendes schweizerisches politisches Witzblatt verdient der Nebelspalter genannt zu werden. Näheres siehe in der Festschrift zum zürcherischen Pressjubiläum 1908 (Beiträge zur Geschichte des zürcherischen Zeitungswesens).
Die Rubrik «Vereine und Gesellschaften» im neuen Adressbuch der Stadt Zürich gibt einen ungefähren Begriff von dem grossen Raum, den das Vereinsleben in unsrer Stadt beansprucht und von den mannigfachen Gelegenheiten, die unsrer Bevölkerung zur Betätigung auf dem Boden öffentlicher Gemeinnützigkeit, zur Fortbildung auf zahllosen Gebieten, wie zur Pflege froher Geselligkeit, zu gegenseitiger Unterstützung und zur Ausübung von allerlei Arten Sport geboten werden.
Unter den rund tausend registrierten Vereinen und Gesellschaften (und manche einflussreiche Konventikel mögen der Registrierung entgangen sein - Ref.) finden wir 163 Berufsvereine, 2 Bestattungsvereine, 16 dramatische Vereine, 161 gemeinnützige Vereine und Anstalten, 92 Gesangvereine, 69 Geselligkeitsvereine, 101 Kranken- und Unterstützungsvereine und Sterbekassen, 40 Kunst- und wissenschaftliche Vereine, 20 Militärvereine, 37 Musikvereine, 36 politische Vereine, 14 Quartiervereine, 42 religiöse Vereine, 1 Schachverein, 67 Schützenvereine, 54 Sportvereine, 3 Stenographenvereine, 30 Studentenverbindungen und Akademische Fachvereine, 32 Turnvereine und 21 Zunftgesellschaften. Ausserdem bestehen innerhalb der meisten grösseren Vereine mancherlei Zweigsektionen, die in obigen Zahlen nicht inbegriffen sind und die ebenfalls eine rege Tätigkeit auf irgend einem Spezialgebiete entfalten. (N. Z. Z. 11/II 09).
Ansehnliche Bibliotheken werden von manchen dieser Vereine und Gesellschaften, sowie auch von Staat und Gemeinde unterhalten. Eine Zentralbibliothek wird lebhaft angestrebt; einstweilen existiert ein Zentral-Zettelkatalog im Helmhaus, und die einzelnen Bibliotheken vereinigen die Anzeige ihrer Neuerwerbungen in einem gemeinsamen, periodisch erscheinenden Zuwachsverzeichnis. Es sind folgende Institute daran beteiligt: Kantons- und Universitätsbibliothek (im Chor der Predigerkirche, 95000 Bände, 150000 Dissertationen und Broschüren, 1000 Manuskripte), Stadtbibliothek (in der Wasserkirche am Helmhaus, über 175000 Katalogtitel, 4300 Bände Handschriften und zahlreiche Inkunabeln, 80000 Ansichtsblätter, 11000 Karten, 17000 Münzen), Bibliothek des Kunstgewerbemuseums (am Landesmuseum), des schweizerischen Landesmuseums, der eidg. polytechnischen Schule (45000 Titel), kantonale Militärbibliothek (Polizei-Kaserne), Staatsarchiv, Bibliotheken der juristischen, medizinisch-chirurgischen (beide im Chor der Predigerkirche) und naturforschenden Gesellschaft (letztere im Helmhaus, etwa 25000 Bde., Gesellschaft gegründet von Johann Gessner 1747), Bibliothek des Pestalozzianums, der Kunstgesellschaft, der Museumsgesellschaft (letztere im «Museum» gegenüber der Fleischhalle, grosser Lesesaal mit 120 Zeitungen und 650 Zeitschriften, gegründet 1834). Manche wissenschaftliche, künstlerische und gesellige Vereine haben ausserdem ihre eigenen Bibliotheken (akadem. Leseverein beider Hochschulen, Lesezirkel Hottingen, Alpenklub, zahlreiche Gesangvereine, Lesevereine etc.). Seit kurzem existiert ferner eine Bibliothek der Zentralstelle für soziale Literatur der Schweiz mit Lesesaal am Seilergraben.
Von sehr grossem Segen sind auch die öffentlichen Bibliotheken und Lesesäle der Pestalozzigesellschaft für Volksbildung und Volkserziehung, welche in 10 Filialen über die ganze Stadt verstreut im Jahr 1907 rund 210000 Besucher aufwiesen. Diese Gesellschaft veranstaltet ausserdem jährlich im Winter mehrere Volkslehrkurse und Volkskonzerte; Kosten 1907 nahezu 45000 fr., woran die Stadt 21000 fr. beitrug. Ueberhaupt ist im Winter die Zahl der öffentlichen Vorträge ausserordentlich gross, fast zu gross.
Hervorragende Sammlungen: schweizerisches Landesmuseum (schon früher erwähnt). Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich (wechselnde moderne Ausstellungen, Raumkunst). Sammlungen im eidg. Polytechnikum: archäologische Sammlung, zoologische (u. a. entwicklungsgeschichtliche Originale [Schnecken von A. Lang]), mineralogische (D. Wiser'sche Sammlung), petrographische (Originale v. Grubenmann), geologische (erste originelle Sammlung für allgemeine Geologie, insbesondere
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Erscheinungen des Gebirgsdruckes, v. Heim) und paläontologische Sammlung (Heer'sche und Mayer-Eymar'sche Originale, Santiago Roth'sche Sammlung von Pampas-Säugetieren, Mammuth von Niederweningen); Sammlung in der Land- und forstwirtschaftlichen Schule (zoologische mit interessanten Originalen zur Geschichte der Haustiere von C. Keller, botanische nach allgemeinen Gesichtspunkten von C. Schröter). Prächtige Reliefs aus der Schweiz von Becker, Simon, Imfeld, Heim.
Kupferstichkabinett. Sammlung der geograph.-ethnographischen Gesellschaft (Seilergraben). Pestalozzianum (permanente Schulausstellung, vorläufig im Wollenhof an der Schipfe). Städtisches zoologisches Museum, früher Nägeli-Museum genannt, am Zürichhorn (schweizerische Säugetiere und Vögel). Schliesslich ist noch auf den bereits im Rundgang der Stadt beschriebenen botanischen Garten mit seinen Sammlungen hinzuweisen, sowie auf die öffentliche Voliere mit lebenden Vögeln am Mythenquai. Ein zoologischer Garten fehlt.
Der bildenden Kunst wird jetzt am Heimplatz ein würdiger Bau (Kunsthaus) erstellt, während ihr altes Heim, das Künstlergütli gegenüber der Südfront des Polytechnikums, dem neuen Universitätsgebäude weichen muss. Die permanente Ausstellung der Zürcher Kunstgesellschaft birgt wertvolle Stücke, namentlich von den beiden berühmten Zürcher Malern Rudolf Koller und Arnold Böcklin. Wechselnde Ausstellungen moderner Meister werden inzwischen im «Künstlerhaus», einer provisorischen Baracke bei der Börse, veranstaltet. Manche wertvolle Gemälde befinden sich in Zürcher Privatbesitz und konnten in den bisherigen engen Räumlichkeiten nicht allgemein zugänglich sein, sollen aber im neuen Kunsthaus zur Ausstellung gelangen.
Viel heimischer als bildende Kunst waren bisher in Zürich Theater und Konzerte. Seit Jahren verdient die Ausübung der mimenden Kunst im Stadttheater und auf dessen Schauspielbühne im Pfauentheater unter Leitung Alfred Reuckers volles Lob. Um die Oper hat sich Kapellmeister Lothar Kempter grosse Verdienste erworben. Es war eine richtig erkannte und würdig durchgeführte Aufgabe, an der Stelle der einstigen Wirksamkeit Richard Wagners gerade dessen Opern in fortschreitender Reihe unentwegt zur begeisterten Aufnahme zu verhelfen. In der Tonhalle drüben brachte Friedrich Hegar im Lauf eines Menschenalters die erhabensten Schöpfungen alter und neuer Meister (Beethoven, Brahms, Richard Strauss) in Orchester und Chören musterhaft zu Gehör.
Das hohe musikalische Verständnis, das dem Zürcher Publikum im allgemeinen nachgerühmt wird, ist wesentlich ein Erziehungskunststück zürcherischer Meister, deren Reihe, bei Baumgartner angefangen, über Ignaz Heim, Gustav Weber, Friedrich Hegar, Karl Attenhofer, Gottfried Angerer bis zum ganz modernen Volkmar Andreae führt, und die alle als Orchester- und Chorleiter nicht minder hervorragen, denn als Komponisten selber. In den letzten Jahren sind die Aufführungen des Stadttheaters und der Tonhalle auch den weniger Begüterten in besondern, vorzüglich durchgeführten Volksvorstellungen und populären Konzerten zugänglich geworden. Ausserdem sorgen mehrere andere Theater für die Liebhaber leichter geschürzter Musen: das Zentraltheater an der Weinbergstrasse (Schwänke, Kinematograph, etc.), das Korsotheater am alten Tonhalleplatz (Variété), das intime Theater in der Urania (Cabaret).
Oft auch stellen sich wissenschaftliche, theatralische oder musikalische und ähnliche Veranstaltungen in den Dienst der Wohltätigkeit - es sei aus dem Jahre 1908/09 erinnert an die Konzerte des Sängervereins «Harmonie» zu Gunsten der Brandbeschädigten von Bonaduz, des «Männerchors Zürich" zu Gunsten der vom Schneeschaden im Mai betroffenen Landwirte, und für die Erdbebenopfer in Messina, für welche auch die naturforschende Gesellschaft einen Rathausvortrag veranstaltete. So greifen im geistigen Leben das edle Streben nach Bildung und die opferfreudige Anteilnahme an der Durchführung gemeinnütziger und wohltätiger Aufgaben häufig wirksam in einander.
Die Zürcher Tonhalle ist aber nicht nur der Mittelpunkt des musikalischen Lebens, um das sich noch ungezählte musikalische Vereine der Stadt mit ihren im eigenen Kreise abgehaltenen regulären Aufführungen verdient machen. Sie ist auch der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, im Sommer auf der aussichtsreichen Terrasse beim allabendlichen vortrefflichen Gartenkonzert, wo Kapellmeister Kempter sogar Symphonien auszuführen wagen darf, im Winter zu Veranstaltungen mannigfaltigster Art, von Wohltätigkeitsbazars bis zu den vornehmen Kostümfesten des Hottinger Lesezirkels und der Akademie der Polytechniker, sowie von den Tanzkränzchen der grössten Vereine bis zum alljährlichen grossen Maskenball. Bis 3000 Personen haben die gastlichen Räume schon in froher Lust vereinigt. Aber auch wehmutsvolle Töne und ernste Worte sind in diesen kunstgeweihten Räumen verklungen, wenn es galt, grosse Tote zu ehren oder in vaterländischer Sache mannhaft zu tagen.
[Dr. Leo Wehrli.]
9. Kirchenwesen.
Von der im Jahr 1893 erfolgten Vereinigung Zürichs mit seinen Vororten sind die Kirchgemeinden unberührt geblieben. Es bestehen daher heute noch folgende 13 protestantischen Kirchgemeinden: Grossmünster, Fraumünster, St. Peter, Predigern, Aussersihl, Enge, Fluntern, Neumünster, Oberstrass, Unterstrass, Wiedikon, Wipkingen, Wollishofen. Dazu kommt die der evangelischen Landeskirche angegliederte französische Kirchgemeinde und die vom Staat anerkannte altkatholische Kirchgemeinde. An privaten Kultusgenossenschaften sind zu nennen die evangelisch-lutherische Kreuzgemeinde, die römisch-katholischen Pfarrgemeinden St. Peter und Paul und Unterstrass-Zürich, die bischöfliche Methodistenkirche, die israelitische Kultusgemeinde, etc.
10. Organisation der Verwaltung.
Die Verwaltungsorganisation der Stadt Zürich weicht von derjenigen der übrigen zürcherischen Gemeinden seit dem Jahr 1893, in welchem durch die Vereinigung der Altstadt mit den Vororten die Entwicklung zur Grossstadt ihre rechtliche Sanktion erhielt, nicht unwesentlich ab. Die landsgemeindeartige Gemeindeversammlung existiert seit diesem Zeitpunkt in Zürich nicht mehr; dagegen besitzt die Gesamtheit der stimmberechtigten, in der Stadt niedergelassenen Schweizerbürger (die «Gemeinde») mittelst des Stimmzettels immer noch grossen Einfluss auf den Gang der kommunalen Verwaltung. So fallen ihr zunächst zu die wichtigsten Wahlen, nämlich: Stadtpräsident, Kleiner Stadtrat, Grosser Stadtrat, Zentralschulpflege, Kreisschulpflegen, Primar- und Sekundarschullehrer, Betreibungsbeamter, Friedensrichter. Im weitern aber hat die «Gemeinde» abzustimmen im Weg des obligatorischen Referendums: über die Gemeindeordnung, über Beschlüsse des Grossen Stadtrates, die jährlich wiederkehrende Ausgaben von mehr als 20000 Fr. oder einmalige Ausgaben von mehr als 200000 Fr. nach sich ziehen. Dem fakultativen Referendum unterliegen alle übrigen
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Be-Schlüsse des Grossen Stadtrates mit Ausnahme der Wahlen, der Abnahme der Rechnung und des Geschäftsberichtes, des Budgets, der Festsetzung des Steuerfusses und der mit Dringlichkeitsklausel versehenen Beschlüsse. Das Referendum gilt als zustande gekommen, wenn es innert 20 Tagen von 2000 Stimmberechtigten begehrt wird. Neben dem Referendum besteht noch das Recht der Initiative: jeder Stimmberechtigte kann beim Grossen Stadtrat eine Motion einreichen und seine Anregung muss, wenn sie in die Kompetenz der Gemeinde fällt, der Volksabstimmung unterbreitet werden, sofern 30 Mitglieder des Grossen Stadtrates oder 2000 Stimmberechtigte sie unterstützen.
Der grosse Stadtrat wird in den fünf Stadtkreisen auf eine Amtsdauer von 3 Jahren gewählt. Er besteht zur Zeit aus 125 Mitgliedern. Seine wichtigsten Funktionen sind: Wahl der kant. Geschwornen, der Steuerkommission, des Waisenamtes und einer Anzahl weiterer Kollegien, Festsetzung des Budgets und des Steuerfusses, Aufsicht über die gesamte Stadtverwaltung, Abnahme der Jahresrechnung, Erlass von Verordnungen, Begutachtung der Vorlagen an die Gemeinde etc.
Der Stadtrat besteht aus 9 Mitgliedern, deren jedes einer Verwaltungsabteilung vorsieht. Die 9 Departemente sind:
1) Verwaltungsabteilung des Stadtpräsidenten;
2) Finanzwesen;
3) Steuerwesen;
4) Polizeiwesen;
5) Gesundheitswesen;
6) Bauwesen I (Hoch- und Tiefbau):
7) Bauwesen II (industrielle Unternehmungen);
8) Schuh wesen;
9) Vormundschaftswesen. Als Kollegium hat der Stadtrat alle Vorlagen an den Grossen Stadtrat und an die Gemeinde vorzuberaten, deren Beschlüsse zu vollziehen, die Wahlen vorzunehmen, die nicht einer andern Behörde übertragen sind etc. Für die Schulverwaltung steht neben dem Stadtrat, jedoch unter dem Vorsitz eines seiner Mitglieder, die Zentralschulpflege (25 Mitglieder), die in einigen wichtigern Dingen (wie Organisation des Schulwesens etc.) direkt an den Grossen Stadtrat Anträge stellt, im übrigen aber die Geschäfte zu handen des Kleinen Stadtrates bloss vorbereitet. Die Aufsicht über die Volksschule in den einzelnen Stadtkreisen führen die Kreisschulpflegen.
11. Finanzhaushalt.
Die ordentlichen Ausgaben der Stadt Zürich betrugen im Jahre 1907 rund 16 Millionen Fr. Dazu kamen noch ausserordentliche Ausgaben im Betrag von 4,8 Mill. Fr. Die wichtigsten Posten des städtischen Haushaltes sind die folgenden: Verzinsung der Passiven (3,2 Mill. Fr.), Schuldentilgung (2,1 Mill. Fr.), Polizeikorps (0,7 Mill. Fr.), Strassenunterhalt (1,6 Mill. Fr.) Schulwesen (3,4 Mill. Fr.), Tiefbauten (3 Mill. Fr.), Hochbauten (1,6 Mill. Fr.). - An Einnahmequellen sind zu nennen: Der Ertrag der Kapitalien (1,9 Mill. Fr.), der Ertrag der Liegenschaften (0,49 Mill. Fr.), der Ertrag der Vermögensteuer (54 Mill. Fr.), der Einkommensteuer (1,3 Mill. Fr.), der Mannssteuer (0,4 Mill. Fr.), der Feuerwehrersatzsteuer (0,14 Mill. Fr.) und der Liegenschaftssteuer (0,38 Mill. Fr.), der Reinertrag des Gaswerkes (1 Mill. Fr.), der Wasserversorgung (0,5 Mill. Fr.), des Elektrizitätswerkes (0,29 Mill. Fr.) und der Strassenbahn (0,1 Mill. Fr.), die Staatsbeiträge an das Schulwesen (ca. 14 Mill. Fr.), die Gebühren für Handänderung von Liegenschaften. (0,4 Mill. Fr.), die Beiträge Privater an Strassenbauten (etwa 1,4 Mill. Fr.). Das Gemeindevermögen weist an entbehrlichen Aktiven auf 80,2 Mill. Fr. (wovon rund 5,4 Mill. Fr. Wertschriften, 31 Mill. Fr. Liegenschaften, 29 Mill. Fr., in den städtischen industriellen Werken angelegtes Kapital), an unentbehrlichen Aktiven (Verwaltungsgebäude, Mobiliar etc.) 20,6 Mill. Fr., total 100,8 Mill. Fr. Die Passiven beliefen sich auf rund 97,9 Mill. Fr., das Reinvermögen auf 2,9 Mill. Fr. Das Nettovermögen der Separatfonds und Stiftungen beträgt 18,9 Mill. Fr.
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Der Wert der Liegenschaften, die sich im Eigentum der Stadt befanden, belief sich auf rund 50 Mill. Fr., wovon 31 Mill. auf realisierbare und 19 Mill. auf nichtrealisierbare, d. h. für Verwaltungszwecke benötigte Grundstücke und Gebäulichkeiten entfielen. An weiteren wichtigen Bestandteilen des Gemeindevermögens sind zu nennen: Schuldbriefe (etwa 3,4 Mill. Fr.), Obligationen (etwa 1,4 Mill. Fr.) und die Anlagekapitalien der städtischen Betriebe (Gaswerk 11,7 Mill. Fr., Wasserversorgung 5,6 Mill. Fr., Elektrizitätswerk 6,4 Mill. Fr., Strassenbahn 8,9 Mill. Fr., Materialverwaltung 0,9 Mill. Fr., Abfuhrwesen 0,5 Mill. Fr., Kehrichtverbrennungsanstalt 0,2 Mill. Fr. etc.). An allgemeinen Fonds und Stiftungen befand sich Ende 1907 eine Summe von rund. 4½ Mill. Fr. in der Verwaltung der Stadt.
Der wichtigste davon ist der Fond für eine Pensionskasse für die städtischen Beamten. Angestellten und Arbeiter, der sich auf 2½ Mill. Fr. beläuft. Von den in Besitz oder Verwaltung der Bürgergemeinde befindlichen Fonds seien genannt: das Armengut (1,7 Mill. Fr.), das allgemeine Bürgergut (1,4 Mill. Fr.), die Stiftung des stadtzürcherischen Nutzungsgutes (2,3 Mill. Fr.), der Waisenhausfond (2,2 Mill. Fr.), der Pfrundhausfond (1,7 Mill. Fr.), der Stadtbibliothekfond (0,25 Mill. Fr.) etc. Im ganzen belief sich Ende 1907 das Vermögen der bürgerlichen Fonds und Stiftungen auf 14,3 Mill. Fr. Besondere Erwähnung verdient die «Stiftung des städtischen Nutzungsgutes», die grösstenteils aus dem sog. Sihlwald besteht und deren Erträgnisse im Jahr 1893, anlässlich der Vereinigung der Altstadt mit den Ausgemeinden, für immer Zwecken der Wissenschaft, Kunst, Wohltätigkeit und Jugendfürsorge zugesprochen wurden.
12. Sanitætswesen.
Zur Pflege der öffentlichen Gesundheit besitzt die Stadtgemeinde eine Reihe von teils vorbeugenden, teils repressiven Institutionen. Zu den erstem zählt vor allem die Lebensmittelkontrolle, die durch 9 Tierärzte, ein ständiges Sanitätskorps und ein städtisches Laboratorium besorgt wird und sich auf alle Lebens- und die wichtigsten Genussmittel erstreckt. Ferner betreibt die Stadt eine Reihe von See- und Flussbadeanstalten. Zum Zweck der Verbesserung des Wohnungswesens in hygienischer und ökonomischer Hinsicht bewilligte die Gemeinde im April 1907 eine Summe von 2,5 Mill. Fr. für die Erstellung von Wohnhäusern durch die Stadt. Die menschlichen Auswurfstoffe werden durch die Stadtverwaltung nach dem Kübelsystem abgeführt, der Hauskehricht in der städtischen Kehrichtverbrennungsanstalt verbrannt. Dagegen fehlt eine wirksame Bekämpfung der gesundheitlichen Gefahren der Prostitution. - An repressiven Massnahmen ist zu nennen die bei Scharlach, Diphtherie, Typhus, Pocken, epidemischer Genickstarre und Kindbettfieber obligatorische Desinfektion.
Für poliklinische Behandlung dürftiger Einwohner wurden im Jahre 1907 rund 24000 Fr. ausgegeben, ausserdem im städtischen Notkrankenhaus 164 Personen verpflegt. Die Errichtung eines besondern Stadtspitals ist projektiert. Die private Krankenpflege betreibt eine Reihe von Spitälern. Zu erwähnen wäre etwa der Kinderspital Zürich, das Schwesternhaus vom Roten Kreuz, das Krankenasyl und die Diakonissenanstalt Neumünster, das Theodosianum, die schweizerische Anstalt für Epileptische, die schweizerische Pflegerinnenschule mit Frauenspital, alle diese beruhen auf gemeinnütziger Grundlage. Dazu kommen noch eine Anzahl Privatkliniken von Aerzten. Ueber den Kantonsspital vergl. den Art. betr. den Kanton Zürich. Die Sterblichkeitsverhältnisse haben sich in Zürich, wie aus nachfolgender Tabelle hervorgeht, seit dem Jahr 1893 (Vereinigung mit den Ausgemeinden), fortgesetzt gebessert. Es starben nämlich von je 1000 Einwohnern
Im Jahr | überhaupt | an Lungentuberkulose |
---|---|---|
1893 | 18.37 | 2.23 |
1894 | 17.46 | 2.22 |
1895 | 17.38 | 2.04 |
1896 | 16.71 | 1.94 |
1897 | 16.50 | 2.04 |
1898 | 17.33 | 2.14 |
1899 | 15.42 | 2.09 |
1900 | 18.65 | 2.49 |
1901 | 15.32 | 2.11 |
1902 | 15.92 | 1.87 |
1903 | 14.74 | 2.16 |
1904 | 14.55 | 1.96 |
1905 | 14.41 | 1.91 |
1906 | 13.58 | 1.74 |
1907 | 12.74 | 1.63 |
13. Gemeinnützigkeit.
Aus der grossen Zahl gemeinnütziger Institutionen seien nur folgende hervorgehoben: Allgemeine Ziele der Gemeinnützigkeit verfolgen verschiedene in den einzelnen Quartieren bestehende Vereinigungen, so die Gemeinnützigen Gesellschaften Enge, Wiedikon, Neumünster, Unterstrass, Wipkingen und die Hülfsgesellschaft Zürich. Diese Korporationen sind in der Regel auch die Protektoren von Anstalten aller Art. So betreibt, bezw. protegiert z. B. die Hülfsgesellschaft Zürich eine Sparkasse, eine allgemeine Krankenkasse, eine Blinden- und Taubstummenanstalt, eine Kleinkinderbewahrungsanstalt, während die gemeinnützige Gesellschaft Neumünster an derartigen Tätigkeitszweigen aufzuweisen hat eine Sparkasse, ein Altersasyl, Kleinkinderschulen, ein Lehrlingsheim, das Protektorat für alleinstehende Frauen etc. -
Die spezielle Fürsorge für Frauen und Kinder bezweckt die Sektion Zürich des schweizerischen gemeinnützigen Frauenvereins; sie betreibt einen Mädchenhort, eine Anzahl Kinderkrippen, eine Haushaltungsschule, unterstützt die Behörden in der Aufsicht über die Verpflegung der Kostkinder etc. Zwecke der Jugendfürsorge verfolgen auch die Kinderschutzvereinigung Zürich, die sittlich gefährdeten, verwahrlosten, misshandelten Kindern ihre Hilfe angedeihen lässt, ferner die Ferienkolonien und Milchkuren der Stadt Zürich, die alljährlich eine grosse Zahl erholungsbedürftiger Kinder auf das Land schickt oder durch Verabreichung von Milch zu stärken sucht. Das Lehrlingspatronat Zürich endlich ermöglicht armen Knaben und Mädchen die Erlernung eines Handwerkes.
Praktische Reformen auf dem Gebiete der Alkoholfrage hat der Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl verwirklicht durch Errichtung und Betrieb einer Reihe von alkoholfreien Speisehäusern in den verschiedenen Stadtteilen. An Nachtasylen sind besonders die für Allerärmste berechneten zwei Anstalten der Heilsarmee zu nennen. Der Volkserziehung widmet sich die Pestalozzigesellschaft durch Betrieb von 8 öffentlichen Lesesälen und einer
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öffentlichen Bibliothek mit Filialen, durch populärwissenschaftliche Vorträge und Kurse, Herausgabe von Schriften, Volkskonzerte.
14. Sozialpolitische Institutionen.
Für die friedliche Schlichtung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten besteht ein aus drei Mitgliedern zusammengesetztes Einigungsamt, für die Stellenvermittlung ein kommunales Arbeitsamt. Im Winter fungiert jeweilen eine Arbeitslosenkommission, von der z. B. 1906/1907: 298 Arbeitslose mit insgesamt 28388 Fr. unterstützt wurden. Für den Wohnungsnachweis besteht ein besondres Bureau, das wöchentlich zweimal ein Bulletin herausgibt. Durch Gemeindebeschluss vom wurde auch ein Anfang mit der Erstellung von Wohnhäusern durch die Stadt gemacht, in dem für diesen Zweck ein Kredit von 2,4 Mill. Fr. ausgesetzt wurde.
Die Stadt bemüht sich auch, in der Behandlung ihrer Arbeiter mit gutem Beispiel voranzugehen. So führte sie den Neunstundentag als Maximalarbeitszeit, sowie einen Minimallohn von 5 Fr. 50 Rp. für gelernte und einen solchen von 5 Fr. für ungelernte Arbeiter ein. Jeder Angestellte und Arbeiter hat auch Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von mindestens 4 Tagen. Zu nennen ist ferner die Schülerspeisung, für welche im Jahr 1907 rund 47000 Fr. aufgewendet wurden. Dazu kamen für Bekleidung dürftiger Schüler 5407 Fr. Es bestehen rund 50 städtische Kindergärten und 26 Jugendhorte. Erstere werden von über 1800, letztere von etwa 800 Kindern frequentiert. Bäder bestehen in 25 Schulhäusern. Die Gesundheitspflege in den Schulen wird von einem ständigen Schularzt geleitet. Für die Zahnpflege besteht eine besondere Schulzahnklinik.
[Dr. E. Grossmann.]
15. Præhistorie.
Das Gebiet der Stadt Zürich wurde seit der neolithischen Periode ununterbrochen bewohnt. Neben zahlreichen Einzelfunden aus der jüngern Steinzeit entdeckte man im Gebiet der Stadt an vier Stellen Pfahlbauten: Im grossen und kleinen Hafner, in der Bauschanze und im Haumesser. Alle diese Ansiedlungen erhielten sich bis gegen Ende der Bronzezeit, in welcher Periode besonders der Pfahlbau Haumesser bei Wollishofen sich entwickelte. Dazumal schon gab es Leute, die auf dem festen Lande wohnten, und auf dem Uetliberg entstand ein Refugium. In der Eisenzeit waren die Pfahlbauten bei Zürich verlassen, der befestigte Lindenhof dagegen dicht besiedelt und das Refugium Uetliberg mit Wällen und Gräben reichlich versehen.
Die Toten wurden zuerst in Grabhügeln beigesetzt, wie deren im Burghölzli untersucht werden konnten. Später begrub man die unverbrannten Leichen in freier Erde. Derartige Gräber, die man der 2. Eisenzeit (La Tène-Periode) zuweist, fanden sich im Gabler in Enge, auf dem Rebhügel und bei der neuen Kirche Wiedikon, an der Bäckerstrasse in Zürich III und auf dem Uetliberg. Ein wichtiger Fund kam neulich zutage bei Bahnbauten an der Grenze gegen Altstetten, nämlich eine goldene Schüssel von getriebener Arbeit und einer Technik, die das Stück zu einem Unikum macht. Sie stammt wahrscheinlich aus einem Fürstengrab des 7. vorchristlichen Jahrhunderts.
Zürich muss auch Münzstätte gewesen sein, wie ein grosser Schatz zusammengeschmolzener Münzmasse aus Potin, gefunden bei der heutigen Börse, beweist. Gewiss war Zürich eines der 400 Dörfer oder eine der 12 Städte, welche die Helvetier bei ihrer Auswanderung verbrannten.
Zürich war in römischer Zeit eine Zollstätte. Diese befand sich im Schutz des Kastells, das auf dem Lindenhof nachgewiesen werden konnte und mit der Warte auf dem Uetliberg in optischer Verbindung stand. Auf oder am Lindenhof mag auch die Ziegelbrennerei gestanden haben, die ihre Ware mit D. S. P. bezeichnete, das von Mommsen als Doliare Stationis Publicae (Ziegel des öffentlichen Zollamtes) erklärt wurde. Auf dem Lindenhof wurde 1747 ein römischer Inschriftstein gefunden, der den alten Namen Zürichs (Turicum) enthält. Es ist ein Grabstein, den der Zollvorsteher seinem Söhnlein setzen liess.
Ein anderer Inschriftstein, der in Zürich zum Vorschein kam, berichtet uns von einer Zunft der Bärenjäger. Das römische Turicum befand sich um den Lindenhof herum. Ein Gebäude mit Mosaik stand unfern der heutigen Peterskirche, ein anderes bei der Wasserkirche. Im Oetenbach entdeckte man einen römischen Goldschmuck, im Rennweg und an andern Orten kamen Münzschätze zum Vorschein. Auch in den frühern Ausgemeinden von Zürich wurden ähnliche Funde gemacht. Im Sternen in Enge fand man die Reste einer römischen Ansiedlung. Ein anderer Sitz der Römer konnte im Galgen bei Albisrieden, ein dritter unter der Waid bei Wipkingen konstatiert werden. Römische Gräber fand man, ausser dem erwähnten Grabstein des L. Ael. Urbicus, auf dem Lindenhof, beim Zentralhof, im Münsterhof, in den Tiefenhöfen und im Sihlfeld.
Die Römerstrasse von Baden (Aquae) her zog sich in Zürich durch den Rennweg ins Kastell, ging dann die Strehlgasse hinunter, setzte bei der jetzigen Fleischhalle über die Limmat und führt weiter oben heute noch den Namen «alte Landstrasse» bis gegen Zollikon. Längs derselben fand man wiederholt römische Münzen.
In frühgermanischer Zeit war der Lindenhof Sitz der kaiserlichen Pfalz und um dieselbe herum dehnte sich die Stadt aus, in deren Nähe eine Anzahl urkundlich im 8. und 9. Jahrh. genannte Höfe sich befanden, die nach und nach zu eigenen Gemeinden heranwuchsen, bezw. mit der Stadt verschmolzen, so Wipkingen, Wiedikon, Stadelhofen, Riesbach, Hirslanden, Hottingen, Fluntern.
Ausser dem uralten Bevölkerungszentrum auf dem Lindenhof hatten sich in frühchristlicher Zeit neue Zentren gebildet um das Gross- und Fraumünster herum, bis etwa im 10. Jahrh. alle drei durch eine Mauer zur «Stadt» zusammengefasst wurden. Interessant sind die Gräber aus alemannisch-fränkischer Zeit. Schon in den Grabhügeln im Burghölzli hatte man Alemannen gebettet gefunden. Fast gleichzeitig war man auf einen Friedhof gestossen im Entibühl oberhalb des Balgrist, der eine Reihe von Funden aus alemannischer Zeit lieferte, worunter Schmuck und Waffen. Im letzten Jahrzehnt konnten zwei neue Alemannenfriedhöfe untersucht werden, derjenige vom Rebhügel Wiedikon und der grosse Friedhof
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an der Bäckerstrasse in Zürich III. Die Funde aus diesen Gräbern liegen im Schweizer. Landesmuseum und bieten grosses Interesse. Ein Frankengrab war dadurch gekennzeichnet, dass dem Toten die Lieblingswaffe der Franken, die Wurfaxt oder Franziska, mitgegeben wurde. Mehrmals lagen Mutter und Kind beisammen. In einem solchen Grab fand man die Reste eines Holzsarges und innerhalb desselben eine reichgeschmückte Frau mit einem kleinen Kinde im linken Arm. Offenbar waren Mutter und Kind gleichzeitig beerdigt worden.
Die Frau trug um den Hals ein Collier von Glas, Bernstein und Emailperlen. Auf der Brust lagen zwei Fibeln aus Gold mit eingelegten Almandinen. Auf der rechten Seite des Kopfes befand sich ein Tierknochen: man hatte der Toten Speise mitgegeben. In der Gürtelgegend fanden sich eine silberplattierte Schnalle, zwei silberne und vergoldete Schlangenkopffibeln mit Nielloeinlagen. Der Arm des Kindes scheint ebenfalls Perlschmuck getragen zu haben. Man hatte dem Kinde auch Spielzeug mit ins Grab gegeben. Neben dem linken Oberschenkel der Frau befanden sich die Reste eines Schächtelchens, das Toilettengeräte enthielt.
[Dr. J. Heierli.]
16. Geschichte.
S. den Art. Zürich (Kanton).