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auflösen. Noch verrät die winklige Figur des Schanzengrabens den Umfang der ehemaligen «kleinen Stadt» auf dem linken Limmatufer, während Seilergraben-Hirschengraben die«grosse» (rechtsufrige) Stadt bergwärts umschliessen. Innerhalb dieses alten Festungsrahmens wollen wir unsere Wanderung durch die Stadt beginnen. Ein Schiff führte uns zum Landungssteg am Bürkliplatz, früher Stadthausplatz geheissen. Welch hübsche Parkanlagen links hinaus gegen die Enge und vor uns nach der Bahnhofstrasse! Wir überschreiten die Quaibrücke. 1882/83 aus grobem Schwarzwälder Granit erbaut, überbrückt sie mit 165 m Länge die Ausflussstelle der Limmat aus dem See.
Von hier geniesst man bei klarer, insbesondre föhniger Witterung einen herrlichen Ausblick auf See und Gebirge. Da erhebt sich zur Linken, hinter dem spitzen Kirchturm von Zollikon, das prachtvolle Schichtenmassiv des Glärnisch mit dem Vrenelisgärtli und dem Bächistock hinter der grossen Firnschulter. Nach rechts folgt der Kalkklotz des Faulen, in der vorderen Kulisse der schiefgebänderte Drusberg im obersten Sihlthal, dann Bifertenstock, Tödi, Klariden, Scheerhorn, die elegante Firnpyramide des Düssistockes; im Mittelgrund, oft in düsterm Blaugrau sich abhebend, der Mythen, weiter rechts hinten die mächtige Windgällenwand mit dem Porphyrgipfel der Kleinen Windgälle rechts unten, und über der Lücke von Kaiserstock und Rossberg hinaufragend der gratreiche Bristenstock.
Bis zu den westl. Urschweizern (Urirotstock, Schlossstock und Wissig) reicht der Firnenkranz, vor dem die waldigen Molasseberge des Hohen Ronen und Gottschalkenberges und der Sihlwald am Albisabhang, sowie der niedrige Moränenzug des Zimmerberges bis gen Hütten und Schindellegi hinauf wie ein grüner Teppich ausgebreitet erscheinen, seewärts übersät mit sonnbeglänzten Dörfern. Schmucke Kirchtürme ragen auf, neben Schulhäusern, und dem See entlang zeugen Fabrikschlote in grosser Zahl von reicher industrieller Tätigkeit. An beiden Ufern raucht die Lokomotive, und kleine Dampferchen eilen geschäftig herüber und hinüber und ziehen Guirlanden-Linien den Ufern entlang: ein unvergessliches, unvergleichlich schönes Bild, gemischt aus majestätischer Hochgebirgsruhe, lieblichem Landleben und geschäftigem Verkehr - getrennt und doch verbunden durch die weite blaue Seefläche.
Wenden wir uns von der Quaibrücke limmatabwärts der Altstadt zu. Ueber den Platz der ehemaligen Schifflände, jetzt zu einem prächtigen Quai verbreitert, erreichen wir das 1885 erbaute Zwinglidenkmal, ein hohes Bronzestandbild des grossen Reformators, von dunkeln Baumgruppen umrahmt, vor der alten Wasserkirche, in der heute die Stadtbibliothek untergebracht ist. Nördlich schliesst das Helmhaus an. Von der Münsterbrücke bietet sich ein charaktervolles Stadtbild dar rechts, erhöht, das Grossmünster mit seinen zwei gotischen Türmen - früher in Spitzhelme auslaufend, jetzt von Holzkuppeln gekrönt. Es ist die Kirche des ehemaligen Chorherrenstiftes, die Stelle der Wirksamkeit Zwinglis 1519-1531, in roman. Stil im Jahre 1078 erbaut an Stelle einer älteren, abgebrannten Kirche. Am südl. Turm hoch oben in einer Nische sitzt, in Stein gemeisselt, Kaiser Karl der Grosse mit dem Schwert auf den Knien und goldener Krone auf dem Haupt. Im sehenswerten Kreuzgang (höhere Töchterschule) steht ein Brunnen mit dem Standbild des Kaisers in Sandstein.
Limmatquaiabwärts folgen einige Zunfthäuser, dann das altehrwürdige Rathaus, über die Limmat hinausgebaut. Es ist das dritte Gebäude an dieser Stelle. Das erste war ganz aus Holz gebaut, das weite (1400) wenigstens gegen die kleine (linksufrige) Stadt hinüber bis 1502 hölzern; 1504 bekam es gläserne Fenster, die vorher nur mit Tuch bespannt waren, und wurde 1694 abgebrochen. Der heutige Bau ist in edlem deutschem Renaissancestil gehalten. Im Vestibül die Büste des Dichters und zürcherischen Staatsschreibers Gottfried Keller. Im obern Stock der Kantonsratssaal, der auch vom grossen Stadtrat als Sitzungslokal benützt wird.
«Die Tribüne für die Zuhörer ist wohl angebracht», schreibt 1846 Meyer von Knonau, «doch würde sie etwas beengt sein, wenn immer wichtige Gegenstände behandelt und Redner vom ersten Range auftreten würden.» Vom Rathaus leitet die breite Gemüsebrücke mit ihren blau beschirmten Marktständen das Auge hinüber zum grünen Hügel des Lindenhofs mit der Freimaurerloge und zum Turm der St. Peterskirche mit den mächtigen Zifferblättern (bis gegen Mitte des 16. Jahrhunderts die einzige öffentliche Uhr in Zürich), hinab über die kleinfensterigen, schmalen und hohen Häuser der Schipfe und zurück an der Wühre vorbei zu dem in reichem Barokstil erbauten Zunfthause «zur Meise» das mit seinem schmiedeisernen Hofgitter die bürgerliche Noblesse in Sandstein verkörpert. Es folgt am linken Ufer aufwärts die schlank getürmte Fraumünsterkirche, von Ludwig dem Deutschen 853 gestiftet, mit dem Grabmal Hans Waldmanns. Daran angebaut und in stilvoller Weise mit dem alten Kreuzgang verbunden (Architekt Gull) das freundliche Stadthaus, die Zentralstelle der städtischen Verwaltung, und das eidg.
Postgebäude. Alle diese Bauten sind in Molassesandstein aus den Brüchen von Bäch und Bollingen aufgeführt, dessen dunkle Verwitterungsfarbe dem sonst lieblichen Stadtbild einen leicht melancholischen Zug verleiht. Wie tröstend überragt der neue Predigerturm und die einfache Basilika der römisch-katholischen Liebfrauenkirche mit ihrem stumpf zugekanteten Campanile aus blendend weissem Kalktuff das engere Stadtbild. Die Limmat erscheint durch die auf Pfählen stehenden industriellen Gebäude der beiden Mühlestege abgeschlossen, und eine fast komische Note bringt der in eine Rundgalerie ausgeladene Uraniaturm mit der Kuppel der Volkssternwarte in das Bild.
Die Münsterbrücke, von der aus wir diese Einsicht in die Altstadt gewannen, wurde 1838 eingeweiht. In vier leichtgewölbten Bogen überspannt sie den Fluss. «Gewölbe und Einkleidung sind von schwarzem Marmor aus den Brüchen vom Wallenstadtersee, das Hauptgesims aus weisslichtem Gotthardgranit, der bei Mellingen aus mächtigen, dort liegenden Fündlingen genommen ist... Dieses schöne Bauwerk liess die zürcherische ¶
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Kaufmannschalt unter Leitung des Ingenieur Negrelli durch Konrad Stadler und zwei andere zürcherische Baumeister aufführen."
Wir folgen dem Quai an der lustigen Schwanenkolonie vorbei und «unter den Bögen» hindurch bis zum Rathaus und steigen gegenüber Fleischhalle und Gemüsebrücke die Marktgasse hinauf. Unbegreiflich, dass dieser enge Durchpass einmal der wichtigste Verkehrskanal sein musste, durch den die Posten aus der Ostschweiz über Zürich der Westschweiz zurollten. Bald biegen wir links ab, am hohen Zunfthaus zur Schmieden und am Rindermarkt vorbei zur Stüssihofstatt. Da sieht es mittelalterlich aus: schmale, winklige Gassen, abschüssige Plätze. Gravitätisch mustert Ritter Stüssi auf dem Brunnen den engen Umkreis. Durchs Wirtschaften-Gewimmel des Niederdorfs gelangen wir, verstohlene Blicke in schattige Quergässchen werfend, zum Leonhardplatz und auf die Bahnhofbrücke. Da ist regster Verkehr. Mehrere Tramlinien münden hier zusammen, und die Brücke vermag zeitweise den Strom von Gefährten und Fussgängern kaum zu fassen.
Im Winkel zwischen Limmat und Sihl ist der Hauptbahnhof als Kopfbahnhof erbaut, eine hübsche Anlage der ehemaligen Nordostbahngesellschaft, mit allegorischen Figuren über dem Mittelbau, Kunst, Wissenschaft, Handel und Gewerbe darstellend. Die weite Personenhalle hat lange für eine der grössten und schönsten der Welt gegolten, und auf die prunkvollen Wartsäle machten die Reisehandbücher besonders aufmerksam. Heute sind sie baulich längst übertroffen, dafür imponiert stramme Ordnung und Sauberkeit im Zürcher Bahnhof, insbesondre an verkehrsreichen Festtagen.
In der Platzpromenade hinter dem Bahnhof steht das nach den Plänen des Architekten Gull 1892-98 von der Stadt Zürich erbaute schweizerische Landesmuseum, ein vortreffliches Beispiel der Anschmiegung der Architektur (mittelalterlicher Stil) an die kompliziertesten Erfordernisse der einzelnen Museumsabteilungen. Besonders berühmt sind die früher im Helmhaus aufbewahrten Ferdinand Keller'schen Pfahlbautenfunde und der Waffensaal mit Hodlerschem Wandgemälde (Rückzug der Schweizer von der Schlacht bei Marignano).
Ferner zahlreiche Originalzimmer, darunter drei gotische aus der Fraumünsterabtei Zürich von 1489 und 1507, die Schatzkammer mit Münzkabinet im Souterrain, eine grosse Porzellansammlung etc. Das Landesmuseum wurde 1891 durch die Eidgenossenschaft gegründet, am festlich eingeweiht. In den hübschen Anlagen vor dem Stromzusammenfluss Limmat-Sihl erfreuen uns die einfachsinnigen Denkmäler für den Minnesänger Hadlaub, den Idyllendichter Gessner und für Wilhelm Baumgartner, den Schöpfer der unvergleichlichen Sangesweise zu Gottfried Kellers O mein Heimatland.
Vor dem Bahnhof bewundern wir den grossen Monumental-Brunnen aus rotem Granit, mit dem von Richard Kisling geschaffenen Standbild Alfred Eschers, das an Stelle eines hohen Springbrunnens 1889 errichtet wurde, und wenden uns jetzt der Bahnhofstrasse zu. Welcher Gegensatz zu den engen, hochgiebeligen Gassen des rechten Ufers! Mit wohltuender Breite zieht sich ihre Lindenallee, zweimal in stumpfem Winkel links abbiegend, gegen den Paradeplatz und nach dem See. Sie umgeht das Moränenhügelquartier des Oetenbachs (früher Zuchthausbauten, aus den Ueberresten des alten Oetenbachklosters erstellt, jetzt abgebrochen und künstlich durchschnitten in der Uraniastrasse), des Rennweges, Lindenhofes, Strohhofes und lässt die isolierten Gletscherschutthügel zu St. Anna und die Katz (botanischer Garten) rechts liegen. Mit schönen Hotelbauten französischer Architektur beginnt sie am Bahnhof; es folgt das Linth Escher-Schulhaus, in hübscher Parkanlage zurückstehend; davor das Pestalozzidenkmal. Dann gross angelegte moderne Geschäfts- und Warenhäuser, Schaufenster an Schaufenster, zu oberst die grossen Häuserblöcke des Zentral- und Kappelerhofes und die 1877-80 von der kaufmännischen Gesellschaft ¶