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als diejenige der 38 vorhergehenden Jahre von 1850-1888 zusammengenommen. Nahezu drei Zehntel des Bevölkerungszuwachses zweier voller Jahrhunderte (1700-1900) drängen sich zusammen in die 12 Jahre 1888-1900, die nur 1/16 dieses Zeitraumes ausmachen!
Die Sterblichkeit beträgt im Kant. Zürich nach der eidg. Statistik von 1901-1905 auf je 1000 Ew. jährlich 15,9 - eine Zahl, die einzig von Neuenburg und Basel Stadt (14,4) unterboten wird (Mittel für die ganze Schweiz 17,7) und wohl wesentlich der trefflichen Fürsorge für die öffentliche Gesundheitspflege in den Städten zuzuschreiben ist.
Hinsichtlich des Geburtenüberschusses über die Todesfälle steht Zürich unter den schweizerischen Kantonen an zweiter Stelle (Bern 77, Zürich 46, St. Gallen 24, Waadt 23; Mittel für die ganze Schweiz: 33).
Eheschliessungen entfallen (1871-1890) jährlich 8,5 auf je 1000 Ew. Der Kanton Zürich steht in dieser Hinsicht mit Appenzell A. R. nur den Kantonen Basel Stadt und Genf nach (Mittel für die Schweiz ist 7,4); dagegen ist er mit 3,56 Ehescheidungen per Jahr auf 1000 bestehende Ehen (1876-1890) nur von Appenzell A. R. übertroffen (3,93).
Die eidg. Betriebszählung vom verzeichnet für den Kanton Zürich folgende Ziffern:
Die Landwirtschaft treibende Bevölkerung ist prozentual stetig und erheblich zurückgegangen, trotz gleichzeitiger Vermehrung der Gesamtbevölkerung. 1870 betrug sie 36,6% der gesamten Bevölkerung; 1880: 29,4; 1888: 27,2 und 1900 nur noch 19,2% (82660 von 431036 Ew.). Mit 247 Landwirten in Haupt- oder Nebenberuf auf 1000 Erwerbstätige steht Zürich an 6. letzter Stelle in der Reihe der Kantone. Immer mehr nimmt die industrielle Tätigkeit zu. Die natürliche Bodenbeschaffenheit ist allerdings an vielen Orten der Landwirtschaft auch nicht besonders günstig; die Sandsteine der Molasse sind ein wenig fruchtbarer Untergrund. Moränenauflagerung erzeugt durch ihre bunte Gesteinsmischung stellenweise bessere Verhältnisse.
Dem Bekenntnis nach setzte sich die Bevölkerung im Jahre 1900 zusammen aus 345446 Protestanten, 80752 Katholiken, 2933 Israeliten und 1905 Ew. andrer oder unbekannter Konfession. Das prozentuale Verhältnis beträgt demnach 80,2 Protestanten, 18,7 Katholiken, 0,7 Israeliten und 0,4 Andere (im Jahre 1850 war es 97,3, bezw. 2,7 und 0:0).
Die grosse Mehrzahl der Bevölkerung (413141) spricht deutsch, 11192 italienisch, 3894 französisch, 610 romanisch, 2199 andre Sprachen. 48,3% der Gesamtbevölkerung waren männlichen und 51,7% weiblichen Geschlechtes. Nach der Heimatzugehörigkeit waren am
145290 | Bürger der Wohngemeinde, |
116069 | Bürger der andrer Gemeinden des Kantons, |
99651 | Bürger der andrer Kantone. |
total 361010 | Schweizerbürger |
70026 | Ausländer |
Zürich steht heute wie Genf und Basel im Zeichen der Fremdeninvasion. Heute sind nahezu 1/5 der Ew. Ausländer; nach der eidg. Volkszählung von 1836 traf es auf 231576 Ew. nur 6366 = 1/36 der Gesamtbevölkerung Ausländer! Durch die Italiener-Einwanderung wird die Armenlast der einzelnen Gemeinden erheblich und ohne Gegenrecht gesteigert, da die Italiener meist aus verdienstarmen Provinzen (Belluno, Ferrara, Forli, Romagna) einwandern, weil bei uns bessere Löhne bezahlt werden.
Namentlich Baugewerbe und Textilindustrie spüren diese italienische Einwanderung. Kann auch das Baugewerbe die Italiener kaum entbehren, so erhebt sich doch angesichts der italienischerseits wohlorganisierten Auswanderung sozial wenig leistungsfähiger Elemente (70% Analphabeten) der Ruf nach behördlicher Würdigung der Italienerfrage, da die Einwanderung immer grössere Dimensionen annimmt. Sind doch im Jahr 1907 in der Stadt Zürich allein über 12000 Italiener niedergelassen, während 1900 für den ganzen Kanton bloss 12305 gezählt wurden. Neben der Einwanderung aus dem Ausland hat in den letzten Jahren auch der innere Bevölkerungsaustausch zugenommen. Die erleichterten Verkehrsverhältnisse und die Konzentration der Arbeit im Fabrikbetrieb, der vielfach die frühere Hausindustrie erdrückt, begünstigen diese inländischen Wanderungen.
Von einer namhaften Auswanderung aus dem Kant. Zürich kann heute kaum mehr gesprochen werden, es sei denn im Sinne des Bevölkerungsaustausches. Die maximalen Prozentsätze der gegenseitigen Einwanderungszunahme zeigt der Kanton Tessin mit dem Kanton Zürich (Gotthardbahn). Gelegentlich hört man wohl auch noch von truppweisen Auswanderungen nach Amerika, insbesondre nach Südamerika (Brasilien, Argentinien), aber ebenso auch von Rückkehr Enttäuschter.
Dagegen weiss die Chronik zu berichten, dass im 18. Jahrhundert «das Volk zu wiederholten Malen von der Auswanderungslust wie von einer Krankheit befallen» war, sodass die Obrigkeit mehrfach Mandate dagegen erliess. 1738-1744 wanderten allein aus Rafz, das damals 700 Ew. hatte, 66 Personen nach Amerika aus, 1803 und 1804 viele aus Bonstetten, Hausen, Hirzel, Mettmenstetten, Seebach und Wallisellen nach der Krimm, wo sie eine eigene Gemeinde «Zürichthal» bildeten. Gründe zur Auswanderung mögen Armut, politische oder religiöse Differenzen oder wohl auch Uebervölkerung gewesen sein.
Bibliographie. Statistische Mitteilungen betr. den Kanton Zürich, herausgeg. vom kant. statist. Bureau; insbesondre: Heft 1901: Hauptergebnisse der eidg. Volkszählung vom im Kanton Zürich, 1. Heft, Winterthur 1903; ferner 1905, 1. Heft: Der Bevölkerungsaustausch zwischen dem Kant. Zürich und andern Kantonen in Bezug auf schweizer. Geburts- und Wohnort nach den Volkszählungsergebnissen von 1888 und 1900. Winterthur 1906. - Ergebnisse der eidg. Betriebszählung vom 9. VIII. 1905. Band I 1: Kant. Zürich. (Schweizer. Statistik. 154. 1906). - Schmid, C. A. Die Bedeutung der Italienereinwanderung, insbesondre für den Kanton Zürich (im Zürcher Jahrb. für Gemeinnützigkeit 1907/08 und Neue Zürcher Zeitung vom 21. I. 1907). - Meyer von Knonau, Gerold. Gemälde der Schweiz: Der Kanton Zürich. I. 1844.
15. Sitten, Gebræuche, Tracht etc.
Alte weitausgreifende Handelsverbindungen, der ausserordentlich gesteigerte Verkehr der Neuzeit und die Neigung zu industrieller Beschäftigung in den Städten sowohl wie in grössern Dörfern mit der nötigen natürlichen Betriebskraft und ¶
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günstigen Verkehrslage, und nicht zuletzt ein frühzeitig wohl ausgebautes Schulwesen brachten dem Zürcher Volk, neben seiner durch die Geschichte gegebenen vornehmen Stellung unter den Schweizer Kantonen den Ruhm grosser politischer Reife, einer Hochburg der Demokratie. Die natürliche geistige Beweglichkeit des Ostschweizers, gelenkt durch weitblickende Erfahrung im Aussenverkehr, und selbstbewusste Achtung vor dem historisch Gewordenen geben dem Zürcher etwas Dominierendes. So divergent auch die Interessen der verschiedenen Kantonsteile je nach der Beschäftigungs- und Erwerbsart sein mögen, in eidgenössischen und kantonalen Dingen hat die Zürcher Bevölkerung in ihrer grossen Mehrheit stets erfreulich zum Fortschritt gehalten. Das schliesst nicht aus, dass manche alte Bräuche sich auch in der modernen Zeit, wenn auch oft in veränderter Form erhalten haben.
Eine gesunde Rivalität mit dem Bruderkanton der Bundesstadt, Bern, blickt hüben und drüben geschwinder oder langsamer, je nach dem Temperamente, durch. Als durch Beschluss der eidgenössischen Räte das schweizerische Landesmuseum nach Zürich gelegt wurde, hiess es, «d'Cholera chunt o nid go Bärn, d'Zürcher wei (wollen) si». Noch jüngst (1908) schreibt Gunther im «Yärbsitepeter»: «d'Schalusiee für die eidgenössische Gibäu z'Bärn wärde fast aui (alle) z'Züri g'macht». Und dass auch der Aargau dank seiner vortrefflichen Bildungsanstalten manchen einflussreichen Eidgenossen hervorgebracht, wird in traulichen Gespräch den «Rüebliländern» kaufmännisch gebucht.
Einige besonders charakteristische Gebräuche sind bereits im Abschnitt Volkskunde des Artikels Schweiz trefflich geschildert und mögen hier nicht wiederholt werden; so das Zürcher Sechseläuten, das Lichterbrennen in Winterthur, die Chrungele-Nacht im Oberland, das Bringen der «Stubenhitzen» am Berchtoldstag. Einige andere seien ergänzend noch erwähnt: Bei wichtigen politischen Anlässen, z. B. vor folgenreichen Abstimmungen, werden heute noch (wie ehedem der Ustertag und andere grosse Tagungen) imposante Volksversammlungen abgehalten, zur Hebung des Staatsgedankens und Entfachung patriotischer Begeisterung.
Der Münsterhof in Zürich hat schon manche würdige Kundgebung dieser Art gesehen;
und nicht selten ziehen die politischen Spitzen auf's Land, um die Mitwirkung der landschaftlichen Bevölkerung durch aufklärende Referate zu sichern. In kleinerem Kreise halten Zünfte und Vereine ihre Feste ab: Umzüge, Sechseläuten und Rechenmahl der Zünfte, Bürgertrunk einzelner Gemeinden;
Theater- und Konzertaufführungen zahlloser Gesellschaften;
herbstliche «Sauserbummel» ins Weinland und am Zürichsee entlang, Kilbi usw.
Bezirksweise oder in grösseren Verbänden treten Schützen, Turner und Sänger zu ihren Festen zusammen, wo strenge Arbeit in Gesamtaufführungen und Einzel-Wettkämpfen mit froher Geselligkeit abwechseln doch kann man diese Festlichkeiten wohl kaum als spezifisch zürcherisch bezeichnen, wenn schon gerade die Vereine mit idealen Bestrebungen von Alters her im Kant. Zürich einen festen Rückhalt im Volke fanden. So lieferten die Zürcher 3/7 aller Sänger zum eidg. Sängerfest in Bern 1899, und Turnerei und Schützenwesen werden überall mit patriotischem Eifer gepflegt, vielleicht da und dort gar des Guten zuviel getan in der Kumulierung an sich wohlberechtigter und historisch eingelebter Feste.
In der Stadt Zürich besteht die volkstümliche Einrichtung des Knabenschiessens (alljährlich im Herbst), wo die Schüler der ganzen Stadt zu einem Preisschiessen versammelt und mit einem Imbiss regaliert werden, und die ganze kinderfrohe Stadt feiert mit.
Gewisse Tere des Jahres, insbesondere der Frühlingseinzug nach langem, nebligem Winter lösen festlichen Jubel aus. Neben dem Sechseläuten der Zünfte hat sich auch der 1. Mai-Umzug mit sozialpolitischer Färbung in den hauptsächlichsten Industriezentren das Bürgerrecht erworben. Die Stadt Zürich gibt an diesem Nachmittag die Schule frei, und in der Nacht zuvor pflegen, altem Brauche treu, die «Singstudenten» (der Studenten-Gesangverein) den Wonnemonat mit einem Gesang auf dem Lindenhof feierlich zu begrüssen.
Charfreitag, Ostern und Weihnachten geben grösseren Gesangvereinen, Musikgesellschaften und Theatern ¶