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Im Vorbeigehen können wir aber auch bei diesen Bergbewohnern eine Fürsorge für Ordnung und Reinlichkeit konstatieren, die man etwas weiter unten vielleicht kaum wiederfinden würde. Das Walliser Haus zeigt eine einfache Ornamentik. Der Berner Dachbalken ist selten im Land, und wenn er irgendwo auftritt, ist es in dessen kümmerlichster Form. Die Figuren, welche man am Giebel oder an den Zimmerwänden anbringt, sind mit dem Zirkel angefertigt oder Wappenschilder, wozu sich naive Inschriften gesellen. In Naters, in Aernen und im Lötschenthal findet man noch zahlreich in Blei gefasste Fenster. Im letztern Thale zeichnet sich das Haus Murmann in Kippel durch seine schöne geschnitzte Fassade aus. Es gibt indessen zwei, weit voneinander entfernte Punkte des Landes, wo die Wohnungen dieses ernsthafte Aussehen verlieren, wie es sich in Selkingen und einigen Winkeln von Evolena am besten zeigt.
Wir meinen
das Haus im Bernerstil, wie es in
Champéry und
Savièse zu finden ist. In der letztern Ortschaft
kündigt das mit grosser Bedachung versehene, der
Sonne offene, ganz mit Wappenschildern bedeckte, von Farben und Inschriften
bunte
Haus die Nachbarschaft des Saanenlandes und des
Pays d'Enhaut an. So auffallend hingegen die Verwandtschaft des Holzhauses
von
Champéry mit seinem spornartig vorspringenden Dachgiebel
, den breiten Galerien und der burgundischen
Form des Kamins mit dem
Haus des
Berner
Oberlandes erscheint, hält es doch schwierig, seine Herkunft zu erklären.
g) Tracht.
Wenn man die Hochthäler und Terrassenlandschaften des Wallis durchquert, kann man leicht feststellen, dass die alten Trachten nur noch in den Gemeinden zu treffen sind, deren Bürger wenig auswandern, wo das Gemeindeterritorium ein ausgedehntes ist und der Boden einen gewissen Wohlstand verbürgt. Man kann sagen, dass mit Ausnahme von drei oder vier Ortschaften, wo hauptsächlich die Frauen bis zum heutigen Tag ihre ursprünglichen Trachten beibehalten haben, die Walliser und Walliserinnen der gewöhnlichen Mode unserer Zeit huldigen.
Dieser Wandel muss auch der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zugeschrieben werden, denn die alten Kostümformen sind gewöhnlich zugleich mit dem Rohmaterial, dem Tuch und den Verzierungen, verschwunden, aus dem sie angefertigt waren. Die früher häufigen Webstühle sind heute zu einem unnützen und lästigen Möbel geworden. Die Männer behalten indessen ihre aus braunem Tuch verfertigten Winterkleider bei. Die Frauen haben auf dieses Tuch verzichtet, besonders im Unterwallis.
Sie machen von ihm noch in Evolena Gebrauch, wo die alte Tracht sich erhalten hat: Bock mit gegen die Schultern gefältelten, an den Armen bauschigen und gegen die Handwurzel sich verengenden Aermeln. Die Einfassungen und vielfach auch die Aufschläge sind aus Samt, der Vorderteil der Taille bald geschnürt, bald eingesetzt. Die Haartracht besteht aus einer leichten, verzierten weissen Haube, auf welche ein niedriger Filzhut mit schmalem, flachem Rand zu sitzen kommt. Im Oberwallis und im Eifischthal insbesondre ist das landesübliche Tuch meist schwarz. In Savièse sind die Festkleider der Frauen gewöhnlich schwarz und mit Samt eingefasst, während der Hut, von unveränderlicher Form, aus Stroh besteht, mit einem schwarzen Stoff garniert und auf den Seiten hinuntergeschlagen ist und auf eine Haube von schwarzem Taffet gesetzt wird, die bei den jüngern Personen mit aufrecht stehenden, bei den ältern mit herabhängenden grossen Spitzen versehen ist.
Bei der Arbeit ist die Savièserin mit einem Halbwollstoff bekleidet, in welchem Blau und Violett vorherrschen. Diese beiden Farben sind übrigens allgemein sehr beliebt und werfen etwas Glanz auf die dunklern Stoffe des Ganzen. Die Halstücher und Taschentücher aus Seide, sowie die Sonntagsschürzen sind oft mit Violett durchwirkt. Der Rock ist kurz und die Strümpfe heben sich aus flachen Schuhen ab. In Savièse wie Evolena ist die weibliche Tracht unverändert geblieben.
Die übrigen Landesteile dagegen besitzen keine lokale Tracht. Der sog. Walliser- oder Falbelnhut war im ganzen Kanton vom Genfersee bis zur Furka gemein. Es ist noch nicht mehr als 40 Jahre her, dass die Damen stolz darauf waren, ihn zu ihren städtischen Kleidern tragen zu können. Wir finden diesen merkwürdigen Hut heute noch im mittlern Rhonethal. Von ihm sagt das Sprichwort: «En Wibergrind chost' es Zitrind». Er ist aus weissem Stroh gemacht, hat einen hohen Kopf, der mit breiten Bändern umgeben ist, welche je nach der bestimmten Gelegenheit, für welche der Hut aufgesetzt wird, aus blauem, rosa oder schwarzem Samt bestehen und oft reich mit Silber und Gold bestickt sind.
Der schmale Rand ist bedeckt von einem Zopf, «Kräss» genannt, zu dessen Fältelung 35-40 Meter schwarzes Seidenband nötig sind und der von einer Kröslerin in 2-3 Tagen erstellt wird. Das Band sei nicht mehr im Handel erhältlich, weshalb die alten Zöpfe so lange als möglich auf neue Hüte übertragen werden (nach Frau Julie Heierli). Im Unterwallis ist dieser Kopfputz beliebigen andern Hüten gewichen; im Oberwallis, im Goms wie im Visperthal bleibt man ihm treu, aber man setzt ihn nur Sonntags zur Kirche, bei Festen und zur Reise auf. Im mittlern Kantonsteil, besonders in Ayent, Lens, im Eringer- und Lötschenthal hat man der Schwierigkeit, sich Falbeln zu verschaffen, dadurch zu steuern gesucht, dass man den Rand mit Samt umfasst, ohne dabei zu merken, dass ein solcher, seines ursprünglichen Schmuckes beraubter Kopfputz aufhört, original zu sein und daher sehr unschön wird. Im Unterwallis trägt man den Hut noch vollständig in den Thälern von Entremont und Bagnes, sowie in Martinach und in Monthey.
Vielerorts ist bloss das sonntägliche Kostüm banal geworden, während die Frauen immer noch eigenartige Arbeitskleider tragen. Es ist in erster Linie das Val d'Illiez erwähnenswert, wo sie ein brennend rotes wollenes Kopftuch tragen, das an jenes der Bäuerinnen in der Gegend von Bordeaux erinnert. Wenn die Bäuerinnen des Val d'Illiez ihre Herden weiden, wird dieses graziös geknüpfte Kopftuch von einem noch sonderbareren Attribut begleitet: einer Männerhose, welche den Weg durch Bäche und über Hecken erleichtert.
Der Hut mit grossen, an der Seite umgebogenen Flügeln ist die Arbeits-Kopfbedeckung für die meisten Bäuerinnen des mittleren Wallis. Während er aber im Eifischthal (Val d'Anniviers) kleiner und mit grossen Samteinfassungen umgeben ist, wird er grösser in Conthey und besonders in Bagnes, wo er die letzte Spur der alten Tracht darstellt und bei den Feldarbeiten noch im allgemeinen Gebrauch steht, aber nicht mehr bei den Festen figuriert. Ebenso trägt der Mann die Blouse nur noch an den Werktagen. Man darf sagen, dass dieses Zeichen der Dienstbarkeit fast niemals über die Schwelle einer Kirche tritt. In den meisten übrigen Teilen des französischen Wallis, welche wir noch nicht erwähnt haben, so in Martinach, Sembrancher, Salvan, in der Rhoneebene trägt die Bäuerin bei ihrer Landarbeit einen runden schwarzen Strohhut mit herunterhängender Krempe wie im Waadtland.
h) Spiele und Volksbelustigungen.
Die Spiele und Belustigungen der Walliser sind gar mannigfacher Art, meistens verschieden je nach der Jahreszeit. Im Winter tummelt sich die Jugend in fröhlichen Scharen auf der glatten Eisbahn oder fährt auf sausendem Schlitten die steilen Berghalden hinunter. In neuester Zeit findet auch das Skifahren immer weitere Verbreitung. Und auch in der heimeligen Stube fehlts nicht an trauter Unterhaltung: die Erzählung von Geschichten und Sagen, der Gesang alter Weisen, verschiedene Pfänderspiele, («Wirtelklopfen, Tellerdrehen» etc.),
Kampfspiele («Fingerziehen, Fauststossen») und Brettspiele («Mühle, Hasensprung»),
allerlei Rätsel- und Scherzfragen («den König verdriessen», «Farben raten»),
Karten und Tarok verkürzen die langen Winterabende. In der schönen Jahreszeit dreht sich die heranwachsende Jugend bald in fröhlichen Reigen, bald übt sie sich in Lauf und Sprung («Lumpj trägu», «den Dritten jagen», «der schwarze Mann», «Barlaufen», «Bockspringen», «das lange Ross», «Schaflaufen»),
bald erfreut sie sich an mannigfaltigen Versteckspielen. Auch Ball-, Kugel- und Kegelspiele der verschiedensten Art sind überall verbreitet. Für das junge Volk ist auch der Tanz eine beliebte Belustigung, die jedoch durch das Gesetz vom eine Beschränkung gefunden. Dass der Walliser zu Zeiten auch einen guten Trunk nicht verschmäht, ist so ziemlich selbstverständlich, wenn man den köstlichen Tropfen ¶
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bedenkt, der im Rhonethal gedeiht. Eigenartig und verschieden sind die Fastnachtgebräuche, die teilweise auf sehr alte Ueberlieferungen zurückgehen. Sie bestehen zunächst in Vermummungen und Maskeraden aller Art; die Beteiligten ziehen meistens in der Nacht von Haus zu Haus, bisweilen erscheinen sie auch bei Tage auf den öffentlichen Plätzen. Hie und da wird ein naheliegendes Ereignis dargestellt oder verspottet, meistens sind aber die Maskierten reine Phantasiegestalten. Interessant ist die Tatsache, dass für das Wort «Maske» jeder deutsche Bezirk eine eigene Bezeichnung hat (Schildknecht im Goms, Mätzi in Mörel, Maschchi in Brig, Füdi in Visp, Roitscheggel'n in Lötschen, Ootschi in Leuk).
Solche Aufzüge, welche nach der Tradition von «Drei Königen» an gestattet sind, mehren sich mit der Annäherung der Fastenzeit; die drei letzten Tage vor Aschermittwoch sind dem von der Jungmannschaft organisierten Tanzvergnügen bei Tag und Nacht gewidmet. Ehemals machte man sich am Mittwoch Morgen nach einer durchfeierten Nacht an die Hinrichtung des durch einen Strohmann dargestellten Karnevals; meist begleitete man ihn im Zuge, eine Geige an der Spitze, bis zur nächsten Brücke, von welcher er in das Wasser hinuntergestürzt wurde. Am folgenden Sonntag (Funkensonntag oder Dimanche des Brandons in Monthey; dimanche vieille in Bagnes, alte Fastnacht in Goms) vereinigt man sich von neuem, mindestens in den eben genannten Thälern, um den Vorrat vom «Wein der Jugend» (vin de jeunesse) zur Neige zu bringen.
Bei dieser Gelegenheit backen die jungen Mädchen Kuchen (cressins auf französisch, Chruchtelen zu deutsch) als Erkenntlichkeit für die Einladung, die ihnen zu teil geworden. Sie liefern gemeinsam Mehl und Butter und stellen die stärksten ihrer Anbeter für die Arbeiten und die Bewachung des Backofens an, um welchen herum die «Verheirateten» auf der Lauer liegen. Früher war es am «fetten Dienstag» erlaubt, den unachtsamen Köchinnen das Essen vom Feuer wegzustehlen, es fortzutragen und zusammen mit andern Spassmachern zu verzehren oder es auch einfach in irgend einem Winkel zu verstecken.
Im Goms wird die Reihe dieser Feste noch durch den «Gigelmontag» alten Herkommens vermehrt, bei welcher Gelegenheit die jungen Burschen das Mädchen ihrer Wahl heimlich beim Zopf ziehen. Dieses verteidigt sich, und der Kampf beginnt. Der verlierende Teil muss dem Gewinnenden ein kleines Geschenk geben. In Lötschen verfertigten früher die Bauern ihre Masken vielfach aus Arvenholz; der Hinterkopf der Maske war ganz mit Schafpelz überspannt, so dass man vom Kopf des Maskierten gar nichts mehr sah.
Der ganze Körper, selbst Arme, Beine und Hände, wurde mit Schaf- oder Ziegenpelz bedeckt. Um die Lenden trugen die Maskierten einen breiten Ledergurt, der mit 3 bis 4 Kuhtrinkeln behangen war. Diese Art Vermummung, «Roitscheggelen» geheissen, die ehemals im grössten Teil von Oberwallis üblich war, ist jetzt auch in Lötschen völlig verschwunden. In einigen Städten, namentlich in Monthey und Brig, war man bestrebt, den Ruf der Fastnacht durch theatralische Darstellungen zu heben. So stellte man den «Gros Bellet», einen Volkshelden, «Kunst und Handwerk», die «Lebensalter» u. s. w. dar.
Seit einiger Zeit wird aber dieser Brauch vernachlässigt. Die Aufführungen unter freiem Himmel, von denen Töpffer und Mario*** sprechen, sind noch beliebt im deutschen Wallis. Visperterminen verfügt sogar über einen Schauspielsaal, einen alten Schiessstand, dem ein Bretterbau angehängt worden ist. Saint Maurice, Sitten und Brig haben etwas vollständigere Theater. Auch Wiler, Kippel und andre Gemeinden besitzen eigene Theatergebäulichkeiten, die freilich meistens primitiv eingerichtet sind.
Der Fronleichnamstag gibt mit seinen Prozessionen an sehr vielen Orten Gelegenheit zu militärischen Paraden. Ueberall bringen die Gläubigen Girlanden, «Ruhealtäre» (reposoirs) und grüne Zweige an städtischen und ländlichen Wegkreuzungen an. Sie drapieren die Fenster, schmücken, bekränzen und streuen Blumen und Blumenblätter. In Sitten, wo der Bischof die Monstranz trägt und der durch die schönsten Landjäger des ganzen Kantons bewachte Baldachin vom Regierungsrat in corpore begleitet wird, findet der Umzug unter Begleitung von Polizei- und Militärabteilungen und mit Artilleriesalven statt.
Auch in den Landgemeinden wird Militär aufgeboten, um den Glanz des Festes zu erhöhen. An einigen Orten treten grössere oder kleinere Gruppen in schmucker Uniform vergangener Zeiten auf. So in Savièse, in Vissoye, in Visperterminen, in St. Niklaus, in Mund etc. Besonders imposant ist der Aufzug der Lötscher; alle Mann tragen die Ausrüstung der ehemaligen Schweizersoldaten in neapolitanischen Diensten: scharlachroten Waffenrock und weisse Hosen. Auch an Patronatsfesten werden vielerorts ähnliche militärische Aufzüge veranstaltet.
Ebenfalls malerisch sind die Zeremonien der Bittgänge. Im Val d'Anniviers geht eine Prozession des Morgens in Vissoye ab, um sich der Reihe nach in die 3 Gemeinden Ayer, Grimentz und Saint Jean zu begeben, welche das Kirchspiel bilden. Dort erwarten sie Erfrischungen in Brot, Käse und Gemeindewein. Im Val d'Entremont bricht am Dienstag Morgen ein Zug in Sembrancher auf, nimmt den Weg über Vollèges, vergrössert sich durch die Prozession dieser Gemeinde und kommt nach Bagnes, wo die drei vereinigten Gruppen dann mit fliegenden Fahnen durch die blühenden Wiesen wandern. Am folgenden Tag vereinigt man sich neuerdings, um nun die ganze Prozession in der umgekehrten Reihenfolge zu wiederholen.
Die Bittgänge von Saint Maurice haben seit 10 Jahren viel von ihrem frühern Glanz verloren, und zwar infolge des Dispenses von der Teilnahme, die den am weitesten entfernten Kirchgemeinden erteilt wurde, und wegen der auferlegten Einschränkung des Wirtshausbesuches. Früher kamen alle die Prozessionen, die während der Nacht von den Ufern des Genfersees und aus dem Hintergrund der Thäler von Salvan und Illiez aufgebrochen waren, mit dem Morgengrauen gegen die kleine alte Stadt der Märtyrer, wo sie sich zu einem farbenreichen und grossen Ganzen vereinigten. Die Familienanlässe, wie Taufen, Verlobungen, Hochzeiten und Beerdigungen geben kaum mehr Anlass zu besondern Zeremonien, wenigstens nicht im Unterwallis.
10. Land- und Alpwirtschaft; Forstwirtschaft. ¶