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nach der Breite ausdehnt. Ob er die Ufer der Rhone oder die hochgelegenen, Hänge bewohne, überall sieht man ihn auf- und absteigen, indem er auf allen Etappen die kleinen Hütten oder Scheuerchen hinstellt, die ihm als zeitweiliger Schutz und als Niederlagen für seine Ernten dienen. Er nennt sie gewöhnlich «mayens», wenn sie sich oberhalb des Dorfes befinden, dagegen «remointse» (von «remuer»),
wenn sie in unmittelbarer Nachbarschaft oder tiefer als das Dorf liegen.
Wir haben soeben von Chandolin gesprochen, dem höchstgelegenen Dorf des Kantons und beinahe der ganzen Schweiz. Da der Bewohner dieser Ortschaft seine «mayens» nicht noch höher hat anlegen können, verteilte er sie weiter unten über das Gehänge: Je nach dem Erfordernis des Augenblicks steigt er nach Sussillon oder nach Niouc hinunter ohne von den Besitzungen zu reden, welche er in Siders unterhält und wohin er gleich den übrigen Anniviarden zur Zeit der Arbeiten in den Weinbergen mit seinem Herd, seinem Vieh und sogar mit seiner Dorfschule übersiedelt. Um ein entgegengesetztes Beispiel anzuführen, brauchen wir nur irgend ein Dorf der Ebene auszuwählen: Fully, Leytron, Chamoson oder Conthey, deren Einwohner, obgleich in erster Linie Weinbauer, weder der Felder noch der Einkünfte durch die Viehzucht entbehren.
Bald sehen wir das selbe Vieh in den Flussauen des Rhonethales in 400-500 m Höhe, bald an den obersten Gräten der Dents de Morcles, der beiden Muveran, der Diablerets weiden. Diese wirtschaftliche Eigentümlichkeit erklärt auch, warum die Gemeindegrenzen gewöhnlich vom Gipfel der Berge bis zum Thalbach oder zum Hauptfluss sich hinunterziehen. Wie Siders seine Weiler im Val d'Anniviers besitzt, hat Fully drei Viertel des Jahres öde liegende Ansiedelungen um Bagnes und Orsières und die Croix de Martigny ihre Weiler im Gebiet von Salvan.
Diese zeitweiligen Wohnungen mit wenigem, ländlichem Hausrat stellen den Typus des Walliser «mazot» dar, welchen Namen man in missbräuchlicher Weise auf die verschiedensten Arten von Holzkonstruktionen übertragen hat, die dazu dienen, die Vorräte oder Ernten einzuschliessen und von denen doch jede Art ihre besondre Bestimmung hat. Die kleinen Holzbauten, welche in Pilzform auf kurze Pfeiler gestellt und peinlich abgeschlossen werden, sind die Speicher (greniers), wo man das Korn, das Mehl, das Fleisch und andere trockene Vorräte, sowie gelegentlich Schmuckgegenstände und Festkleider aufbewahrt.
Der Gaden (raccard) wird nicht immer von der Scheune (grange) unterschieden, obwohl er mehr die Tenne zum Dreschen des Getreides bezeichnet, während letztere, meist über dem Stall gelegen, nur Futtervorräte enthält. Die Verwechslung mag daher rühren, dass wenig bemittelte Leute Körner und Futtervorräte in ein und demselben Gebäude aufbewahren. Oft unterscheiden sich die Gaden von den Garbenräumen durch Galerien, denen Reihen von Stangen zum Trocknen der Bohnen vorgelagert sind.
Eine andre Art Holzbauten, meist an ein andres grösseres Gebäude angelehnt, heisst im mittlern Wallis «Tsi», welcher Ausdruck sich nach Stebler (Das Goms und die Gomser) ohne Zweifel von «Schür» herleitet. Die «mayens» tragen auch den Namen Scheune (grange). Sie bestehen gewöhnlich aus einem Hauptteil mit dem Futterraum; in einem Winkel ist eine kleine heizbare Kammer aufgerüstet, wenn der Besitzer über einigen Wohlstand verfügt. Ein besondres Anhängsel, die sog. tsâna (chavanne, cabanne = Hütte) ist mit einer Feuerstätte versehen und dient als Küche.
Der Stall liegt unter dem Heuboden. In der Rhoneebene verliert das Walliserhaus jeden charakteristischen Zug. Die Dörfer und Weiler sind überall eingeengt, um den Kulturboden zu Rate zu halten; des öftern erscheint die Wohnung wie verloren unter ihren vielen Anhängseln. Trotzdem gibt es aber im mittlern Wallis, hauptsächlich in abgelegenen Dörfern, in welchen noch keine Katastrophe den ursprünglichen Zustand gestört hat, einen bestimmten Wohnungstypus, der hinsichtlich des Holzwerkes je nach dem Reichtum und der Nähe der umliegenden Wälder abwechselt.
Fast immer ruht dieses Holzwerk auf einem Fundament (chesal) aus Mauerwerk, das mehr oder weniger über den Erdboden erhaben ist. Aber während an gewissen Orten (Evolena. Hérémence etc.) dieser gemauerte Unterstock nur den Keller umfasst, entspricht er an vielen andern noch dem am liebsten bewohnten ersten Stockwerk und lässt dann das Zimmerwerk des oberen Teiles offen. Die meistens zu zweien oder dreien aneinander gereihten Fenster schauen fast immer thalwärts; der Eingang findet sich auf einer der Seiten, desgleichen die Treppenaufgänge in das obere Stockwerk.
Vielerorts besteht die eine Hälfte des Hauses aus Holz, die andere aus Mauerwerk (Saas); anderswo mauert man mit Vorliebe die Ecke, welche die Küche enthält (Zermatt, Lens, Entremont). Jenachdem das Haus an der Sonnseite liegt oder sich sonst eines gemässigten Klimas erfreut, bringt man in grösserer oder geringerer Zahl Galerien mit ausgeschnittenen Planken an. Solche Galerien ziehen sich auf der Aussenseite den Fenstern entlang; Früchte trocknen hier auf Hürden; sie sind auch von Stangen umgeben, an welchen Kränze von Maiskolben und Wäsche zum Trocknen aufgehängt sind. Aber diese Bauten erleiden viele Abänderungen, je nach dem Orte und dem Besitzer. So bietet Stalden vom Eingang des Visperthales an ein typisches Beispiel für Häuser mit zwei gemauerten Stockwerken, während das aus Zimmerwerk allein bestehende dritte die Mauer vorspringend überragt, statt dahinter zurückzutreten.
Im höchsten Oberwallis, besonders in der Gegend von Goms erscheinen die Holzhäuser viel geräumiger und besonders viel höher, mit mehreren Stockwerken versehen. Diese Eigentümlichkeit erklärt sich einerseits durch die Nähe der Wälder, andrerseits durch die Strenge der langen Winter, welche um so mehr die Annehmlichkeit und Bequemlichkeit des häuslichen Herdes schätzbar machen. Je näher man aber den Quellen der Rhone kommt, werden Galerien und Gerüste zum Trocknen selten, so dass die hohen Bauten, durch das Wetter geschwärzt, in ihrer ganzen Schwere erscheinen. Es ist daher nicht unnötig, ihnen ein etwas freundlicheres Aussehen zu geben. Dies sucht man zu erreichen durch die Rahmen der Doppelfenster und die tannenen Konsolen, welche mit zahlreichen Blumentöpfen besetzt sind. ¶
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Im Vorbeigehen können wir aber auch bei diesen Bergbewohnern eine Fürsorge für Ordnung und Reinlichkeit konstatieren, die man etwas weiter unten vielleicht kaum wiederfinden würde. Das Walliser Haus zeigt eine einfache Ornamentik. Der Berner Dachbalken ist selten im Land, und wenn er irgendwo auftritt, ist es in dessen kümmerlichster Form. Die Figuren, welche man am Giebel oder an den Zimmerwänden anbringt, sind mit dem Zirkel angefertigt oder Wappenschilder, wozu sich naive Inschriften gesellen. In Naters, in Aernen und im Lötschenthal findet man noch zahlreich in Blei gefasste Fenster. Im letztern Thale zeichnet sich das Haus Murmann in Kippel durch seine schöne geschnitzte Fassade aus. Es gibt indessen zwei, weit voneinander entfernte Punkte des Landes, wo die Wohnungen dieses ernsthafte Aussehen verlieren, wie es sich in Selkingen und einigen Winkeln von Evolena am besten zeigt.
Wir meinen das Haus im Bernerstil, wie es in Champéry und Savièse zu finden ist. In der letztern Ortschaft kündigt das mit grosser Bedachung versehene, der Sonne offene, ganz mit Wappenschildern bedeckte, von Farben und Inschriften bunte Haus die Nachbarschaft des Saanenlandes und des Pays d'Enhaut an. So auffallend hingegen die Verwandtschaft des Holzhauses von Champéry mit seinem spornartig vorspringenden Dachgiebel, den breiten Galerien und der burgundischen Form des Kamins mit dem Haus des Berner Oberlandes erscheint, hält es doch schwierig, seine Herkunft zu erklären.
g) Tracht.
Wenn man die Hochthäler und Terrassenlandschaften des Wallis durchquert, kann man leicht feststellen, dass die alten Trachten nur noch in den Gemeinden zu treffen sind, deren Bürger wenig auswandern, wo das Gemeindeterritorium ein ausgedehntes ist und der Boden einen gewissen Wohlstand verbürgt. Man kann sagen, dass mit Ausnahme von drei oder vier Ortschaften, wo hauptsächlich die Frauen bis zum heutigen Tag ihre ursprünglichen Trachten beibehalten haben, die Walliser und Walliserinnen der gewöhnlichen Mode unserer Zeit huldigen.
Dieser Wandel muss auch der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zugeschrieben werden, denn die alten Kostümformen sind gewöhnlich zugleich mit dem Rohmaterial, dem Tuch und den Verzierungen, verschwunden, aus dem sie angefertigt waren. Die früher häufigen Webstühle sind heute zu einem unnützen und lästigen Möbel geworden. Die Männer behalten indessen ihre aus braunem Tuch verfertigten Winterkleider bei. Die Frauen haben auf dieses Tuch verzichtet, besonders im Unterwallis.
Sie machen von ihm noch in Evolena Gebrauch, wo die alte Tracht sich erhalten hat: Bock mit gegen die Schultern gefältelten, an den Armen bauschigen und gegen die Handwurzel sich verengenden Aermeln. Die Einfassungen und vielfach auch die Aufschläge sind aus Samt, der Vorderteil der Taille bald geschnürt, bald eingesetzt. Die Haartracht besteht aus einer leichten, verzierten weissen Haube, auf welche ein niedriger Filzhut mit schmalem, flachem Rand zu sitzen kommt. Im Oberwallis und im Eifischthal insbesondre ist das landesübliche Tuch meist schwarz. In Savièse sind die Festkleider der Frauen gewöhnlich schwarz und mit Samt eingefasst, während der Hut, von unveränderlicher Form, aus Stroh besteht, mit einem schwarzen Stoff garniert und auf den Seiten hinuntergeschlagen ist und auf eine Haube von schwarzem Taffet gesetzt wird, die bei den jüngern Personen mit aufrecht stehenden, bei den ältern mit herabhängenden grossen Spitzen versehen ist.
Bei der Arbeit ist die Savièserin mit einem Halbwollstoff bekleidet, in welchem Blau und Violett vorherrschen. Diese beiden Farben sind übrigens allgemein sehr beliebt und werfen etwas Glanz auf die dunklern Stoffe des Ganzen. Die Halstücher und Taschentücher aus Seide, sowie die Sonntagsschürzen sind oft mit Violett durchwirkt. Der Rock ist kurz und die Strümpfe heben sich aus flachen Schuhen ab. In Savièse wie Evolena ist die weibliche Tracht unverändert geblieben.
Die übrigen Landesteile dagegen besitzen keine lokale Tracht. Der sog. Walliser- oder Falbelnhut war im ganzen Kanton vom Genfersee bis zur Furka gemein. Es ist noch nicht mehr als 40 Jahre her, dass die Damen stolz darauf waren, ihn zu ihren städtischen Kleidern tragen zu können. Wir finden diesen merkwürdigen Hut heute noch im mittlern Rhonethal. Von ihm sagt das Sprichwort: «En Wibergrind chost' es Zitrind». Er ist aus weissem Stroh gemacht, hat einen hohen Kopf, der mit breiten Bändern umgeben ist, welche je nach der bestimmten Gelegenheit, für welche der Hut aufgesetzt wird, aus blauem, rosa oder schwarzem Samt bestehen und oft reich mit Silber und Gold bestickt sind.
Der schmale Rand ist bedeckt von einem Zopf, «Kräss» genannt, zu dessen Fältelung 35-40 Meter schwarzes Seidenband nötig sind und der von einer Kröslerin in 2-3 Tagen erstellt wird. Das Band sei nicht mehr im Handel erhältlich, weshalb die alten Zöpfe so lange als möglich auf neue Hüte übertragen werden (nach Frau Julie Heierli). Im Unterwallis ist dieser Kopfputz beliebigen andern Hüten gewichen; im Oberwallis, im Goms wie im Visperthal bleibt man ihm treu, aber man setzt ihn nur Sonntags zur Kirche, bei Festen und zur Reise auf. Im mittlern Kantonsteil, besonders in Ayent, Lens, im Eringer- und Lötschenthal hat man der Schwierigkeit, sich Falbeln zu verschaffen, dadurch zu steuern gesucht, dass man den Rand mit Samt umfasst, ohne dabei zu merken, dass ein solcher, seines ursprünglichen Schmuckes beraubter Kopfputz aufhört, original zu sein und daher sehr unschön wird. Im Unterwallis trägt man den Hut noch vollständig in den Thälern von Entremont und Bagnes, sowie in Martinach und in Monthey.
Vielerorts ist bloss das sonntägliche Kostüm banal geworden, während die Frauen immer noch eigenartige Arbeitskleider tragen. Es ist in erster Linie das Val d'Illiez erwähnenswert, wo sie ein brennend rotes wollenes Kopftuch tragen, das an jenes der Bäuerinnen in der Gegend von Bordeaux erinnert. Wenn die Bäuerinnen des Val d'Illiez ihre Herden weiden, wird dieses graziös geknüpfte Kopftuch von einem noch sonderbareren Attribut begleitet: einer Männerhose, welche den Weg durch Bäche und über Hecken erleichtert.
Der Hut mit grossen, an der Seite umgebogenen Flügeln ist die Arbeits-Kopfbedeckung für die meisten Bäuerinnen des mittleren Wallis. Während er aber im Eifischthal (Val d'Anniviers) kleiner und mit grossen Samteinfassungen umgeben ist, wird er grösser in Conthey und besonders in Bagnes, wo er die letzte Spur der alten Tracht darstellt und bei den Feldarbeiten noch im allgemeinen Gebrauch steht, aber nicht mehr bei den Festen figuriert. Ebenso trägt der Mann die Blouse nur noch an den Werktagen. Man darf sagen, dass dieses Zeichen der Dienstbarkeit fast niemals über die Schwelle einer Kirche tritt. In den meisten übrigen Teilen des französischen Wallis, welche wir noch nicht erwähnt haben, so in Martinach, Sembrancher, Salvan, in der Rhoneebene trägt die Bäuerin bei ihrer Landarbeit einen runden schwarzen Strohhut mit herunterhängender Krempe wie im Waadtland.
h) Spiele und Volksbelustigungen.
Die Spiele und Belustigungen der Walliser sind gar mannigfacher Art, meistens verschieden je nach der Jahreszeit. Im Winter tummelt sich die Jugend in fröhlichen Scharen auf der glatten Eisbahn oder fährt auf sausendem Schlitten die steilen Berghalden hinunter. In neuester Zeit findet auch das Skifahren immer weitere Verbreitung. Und auch in der heimeligen Stube fehlts nicht an trauter Unterhaltung: die Erzählung von Geschichten und Sagen, der Gesang alter Weisen, verschiedene Pfänderspiele, («Wirtelklopfen, Tellerdrehen» etc.),
Kampfspiele («Fingerziehen, Fauststossen») und Brettspiele («Mühle, Hasensprung»),
allerlei Rätsel- und Scherzfragen («den König verdriessen», «Farben raten»),
Karten und Tarok verkürzen die langen Winterabende. In der schönen Jahreszeit dreht sich die heranwachsende Jugend bald in fröhlichen Reigen, bald übt sie sich in Lauf und Sprung («Lumpj trägu», «den Dritten jagen», «der schwarze Mann», «Barlaufen», «Bockspringen», «das lange Ross», «Schaflaufen»),
bald erfreut sie sich an mannigfaltigen Versteckspielen. Auch Ball-, Kugel- und Kegelspiele der verschiedensten Art sind überall verbreitet. Für das junge Volk ist auch der Tanz eine beliebte Belustigung, die jedoch durch das Gesetz vom eine Beschränkung gefunden. Dass der Walliser zu Zeiten auch einen guten Trunk nicht verschmäht, ist so ziemlich selbstverständlich, wenn man den köstlichen Tropfen ¶