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auswandernden jungen Leute, die zu einer bestimmten Tätigkeit weder vorbereitet noch geneigt sind, notwendigerweise ein
unbestimmter. Sie gehen fort
mit dem Gedanken, Geld zu verdienen. Die Hotelindustrie versucht freilich da und dort, die ausgewanderten
Walliser zu vereinigen; so in Genf
und am Mittelmeer. Da die höhern Studien, die man im Wallis
machen kann,
die Jugend nur dem geistlichen
Stande und der Jurisprudenz zuweisen, gibt es keine höher gebildeten Auswanderer, ausser solchen,
die unliebsamer Erlebnisse wegen sich von ihrer Heimstätte wegwenden oder denen sie verleidet ist. Hingegen zählte das
Wallis
im Jahr 1905 55 Soldaten und Offiziere in der päpstlichen
Garde, wovon einen aus dem Unterwallis, alle
übrigen aus den obern Bezirken. Das
Lötschenthal allein lieferte 13 Gardisten, und das bei einer Bevölkerung, die noch
nicht 1000
Seelen zählt.
f) Wohnungen; häusliches Leben.
Die Verteilung der bewohnten Oertlichkeiten und die grössere oder geringere Wichtigkeit der Ansiedelungen hängt von ebenso zahlreichen wie schwer zu bestimmenden Einzelheiten ab: Natur des Bodens, Höhenlage, verschiedene Bedingungen der Exposition, der Sicherheit, der Gesundheit und der Nachbarschaft. In erster Linie erklärt uns die periodische Ueberschwemmung der Rhoneebene durch die Hochwasser des hin und her pendelnden Flusses den Umstand, dass alle Ortschaften des grossen Thales sich der Länge nach an den Fuss der Abhänge reihen und warum, neben einigen isolierten Hofgütern, nur Illarsaz und Collombey le Grand im äussersten Unterwallis sich auf die Weite der Ebene hinausgewagt haben.
Wenn weiter oben
Granges
(Gradetsch) und
Grône eine Ausnahme zu machen scheinen, liegt der
Grund hiefür darin, dass
sie sich auf genügend geschützten Anhöhen ansiedeln konnten. In zweiter Linie hat das der
Sonne mehr ausgesetzte Ufer selbst
da, wo die grossen Verkehrswege es verlassen, wie von Bully bis
Chamoson, eine viel beträchtlichere Bevölkerungszahl aufzuweisen
als das andre. Diese Erscheinung erklärt sich sofort
durch das Zurücktreten der Waldzone und eine reichlichere
Bodenproduktion.
Die Dörfer haben auch mit den sanitären Verhältnissen zu rechnen; darum ist die hauptsächlichste Siedelungsgruppe von Riddes aus der ungesunden Umgebung der im Sumpfland stehenden Kirche weggerückt, um sich auf dem den Luftströmungen gut ausgesetzten Schuttkegel der Fare festzusetzen. Ebenso ist Vernayaz einer Einbuchtung der Ebene ausgewichen, um sich deren Zentrum zu nähern; aus dem selben Grunde hat Massongex die schönen es überragenden Hänge gemieden und sich gegen die Rhone gewendet, um nicht hinter einer nassen Ebene sich zu isolieren.
Auch die Verhältnisse der Nachbarschaft üben einigen Einfluss aus auf die Gruppierung der Ortschaften. Die Wichtigkeit der Flecken des Rhonethals hängt von derjenigen der Seitenthäler ab, deren Ausmündung von je einem solchen beherrscht wird. Wenn ihnen diese Bedeutung dann noch von zwei verschiedenen Wegen her zukommt, so verdoppelt sich das Verkehrszentrum, wie in Brig-Naters, wo der Verkehr durch das Thal des Simplon und der über die Furka und durch das Goms es zu Stande brachten, Brig die Vorherrschaft zu sichern.
Die Stadt Sitten, begünstigt durch den Schutz mehrerer Hügel, durch sein Klima und den ausnahmsweisen Reichtum seines Berggehänges, musste von Anfang an den Verkehr aus dem Val d'Hérens an sich ziehen; immerhin hat sich, da Sitten etwas weit von dessen Mündung entfernt liegt, mit Bramois ein Zentrum zweiten Ranges gebildet. Man dürfte in Visp eine sehr ansehnliche Ortschaft erwarten, wenn sie nicht in zu grosser Nachbarschaft von Brig läge. Am auffallendsten ist aber dieser Dualismus in Martinach.
Die Einwohner der verschwundenen alten Hauptstadt haben sich nach dem Bourg zurückgezogen, weg von dem verwüstenden Flusse und den Ueberschwemmungen der Rhone. Aber diese Schwelle volkreicher Alpenthäler ist schon zu weit von dem Hauptverkehrsweg längs dem Thalfluss abgelegen. Das Bedürfnis, sich diesem Weg zu nähern und mit den Dörfern der fruchtbaren Ebene in intensivern Verkehr zu treten, hat nach und nach der verschwundenen Stadt ihre Bedeutung zurückgegeben, ohne aber den Bourg als Schlüsselpunkt zu den Bergen verdrängen zu können.
Die «Ville» muss auf die Aera der Eisenbahnen warten, bis es ihr gelingen wird, die erste Rolle zu spielen und den Verkehr aus dem Entremont und der Combe an sich zu reissen. Was die Dörfer der obern Thäler anbelangt, wird ihre Lage selten durch ähnliche Ursachen bedingt; sie scheinen vielmehr der Exposition und der lokalen Ausdehnung des Ackerbaues Rechnung zu tragen. Immerhin halten sie sich trotz des Vorherrschens der Alpwirtschaft doch fast immer an die Zone des Ackerbaues, sodass man nur selten ständig bewohnte Siedelungen über 1500 m oder gar über 1600 m Höhe trifft.
Folgendes sind die obersten ständig (d. h. auch im Winter) bewohnten Dörfer jedes Thales:
m | ||
---|---|---|
Rhonethal | Oberwald und Unterwasser | 1380 |
Binnenthal | Imfeld | 1568 |
Saasthal | Almagell | 1679 |
Nikolaithal | Zermatt | 1620 |
Lötschenthal | Eisten | 1585 |
Leukerthal | Leukerbad | 1411 |
Eifischthal | Grimentz | 1570 |
Eringerthal | Les Haudères | 1433 |
Nendazthal | Sarclenz | 1107 |
Bagnesthal | Lourtier | 1080 |
Val d'Entremont | Bourg Saint Pierre | 1634 |
Val Ferret | Praz de Fort | 1153 |
Val de Salvan | Trient | 1300 |
Val d'Illiez | Champéry | 1070 |
Immerhin kommt es auch vor, dass sich Dörfer oder Weiler der Seitengehänge bis zu einer Höhe hinauf-wagen, welche viel bedeutender ist, als die des letzten bewohnten Ortes im Thalboden. Dies trifft besonders in dem Fall zu, wenn ihnen der erweiterte Horizont eine bevorzugte Lage sichert; so Le Levron (1314 m) und Verbier (1406 m) im Bagnesthal, Saint Luc (1643 m) und besonders Chandolin (1936 m) im Eifischthal (Val d'Anniviers). Uebrigens wohnen nur 4% der Walliser Bevölkerung über 1500 m und 34% über 1000 m Höhe, trotz der beträchtlichen Massenerhebung in diesem Alpengebiet. Man muss sagen, dass der Walliser die Entfernungen der verschiedenen Punkte, an die ihn seine Tätigkeit ruft, zu mildern weiss, indem er diese mehr der Höhe zu als ¶
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nach der Breite ausdehnt. Ob er die Ufer der Rhone oder die hochgelegenen, Hänge bewohne, überall sieht man ihn auf- und absteigen, indem er auf allen Etappen die kleinen Hütten oder Scheuerchen hinstellt, die ihm als zeitweiliger Schutz und als Niederlagen für seine Ernten dienen. Er nennt sie gewöhnlich «mayens», wenn sie sich oberhalb des Dorfes befinden, dagegen «remointse» (von «remuer»),
wenn sie in unmittelbarer Nachbarschaft oder tiefer als das Dorf liegen.
Wir haben soeben von Chandolin gesprochen, dem höchstgelegenen Dorf des Kantons und beinahe der ganzen Schweiz. Da der Bewohner dieser Ortschaft seine «mayens» nicht noch höher hat anlegen können, verteilte er sie weiter unten über das Gehänge: Je nach dem Erfordernis des Augenblicks steigt er nach Sussillon oder nach Niouc hinunter ohne von den Besitzungen zu reden, welche er in Siders unterhält und wohin er gleich den übrigen Anniviarden zur Zeit der Arbeiten in den Weinbergen mit seinem Herd, seinem Vieh und sogar mit seiner Dorfschule übersiedelt. Um ein entgegengesetztes Beispiel anzuführen, brauchen wir nur irgend ein Dorf der Ebene auszuwählen: Fully, Leytron, Chamoson oder Conthey, deren Einwohner, obgleich in erster Linie Weinbauer, weder der Felder noch der Einkünfte durch die Viehzucht entbehren.
Bald sehen wir das selbe Vieh in den Flussauen des Rhonethales in 400-500 m Höhe, bald an den obersten Gräten der Dents de Morcles, der beiden Muveran, der Diablerets weiden. Diese wirtschaftliche Eigentümlichkeit erklärt auch, warum die Gemeindegrenzen gewöhnlich vom Gipfel der Berge bis zum Thalbach oder zum Hauptfluss sich hinunterziehen. Wie Siders seine Weiler im Val d'Anniviers besitzt, hat Fully drei Viertel des Jahres öde liegende Ansiedelungen um Bagnes und Orsières und die Croix de Martigny ihre Weiler im Gebiet von Salvan.
Diese zeitweiligen Wohnungen mit wenigem, ländlichem Hausrat stellen den Typus des Walliser «mazot» dar, welchen Namen man in missbräuchlicher Weise auf die verschiedensten Arten von Holzkonstruktionen übertragen hat, die dazu dienen, die Vorräte oder Ernten einzuschliessen und von denen doch jede Art ihre besondre Bestimmung hat. Die kleinen Holzbauten, welche in Pilzform auf kurze Pfeiler gestellt und peinlich abgeschlossen werden, sind die Speicher (greniers), wo man das Korn, das Mehl, das Fleisch und andere trockene Vorräte, sowie gelegentlich Schmuckgegenstände und Festkleider aufbewahrt.
Der Gaden (raccard) wird nicht immer von der Scheune (grange) unterschieden, obwohl er mehr die Tenne zum Dreschen des Getreides bezeichnet, während letztere, meist über dem Stall gelegen, nur Futtervorräte enthält. Die Verwechslung mag daher rühren, dass wenig bemittelte Leute Körner und Futtervorräte in ein und demselben Gebäude aufbewahren. Oft unterscheiden sich die Gaden von den Garbenräumen durch Galerien, denen Reihen von Stangen zum Trocknen der Bohnen vorgelagert sind.
Eine andre Art Holzbauten, meist an ein andres grösseres Gebäude angelehnt, heisst im mittlern Wallis «Tsi», welcher Ausdruck sich nach Stebler (Das Goms und die Gomser) ohne Zweifel von «Schür» herleitet. Die «mayens» tragen auch den Namen Scheune (grange). Sie bestehen gewöhnlich aus einem Hauptteil mit dem Futterraum; in einem Winkel ist eine kleine heizbare Kammer aufgerüstet, wenn der Besitzer über einigen Wohlstand verfügt. Ein besondres Anhängsel, die sog. tsâna (chavanne, cabanne = Hütte) ist mit einer Feuerstätte versehen und dient als Küche.
Der Stall liegt unter dem Heuboden. In der Rhoneebene verliert das Walliserhaus jeden charakteristischen Zug. Die Dörfer und Weiler sind überall eingeengt, um den Kulturboden zu Rate zu halten; des öftern erscheint die Wohnung wie verloren unter ihren vielen Anhängseln. Trotzdem gibt es aber im mittlern Wallis, hauptsächlich in abgelegenen Dörfern, in welchen noch keine Katastrophe den ursprünglichen Zustand gestört hat, einen bestimmten Wohnungstypus, der hinsichtlich des Holzwerkes je nach dem Reichtum und der Nähe der umliegenden Wälder abwechselt.
Fast immer ruht dieses Holzwerk auf einem Fundament (chesal) aus Mauerwerk, das mehr oder weniger über den Erdboden erhaben ist. Aber während an gewissen Orten (Evolena. Hérémence etc.) dieser gemauerte Unterstock nur den Keller umfasst, entspricht er an vielen andern noch dem am liebsten bewohnten ersten Stockwerk und lässt dann das Zimmerwerk des oberen Teiles offen. Die meistens zu zweien oder dreien aneinander gereihten Fenster schauen fast immer thalwärts; der Eingang findet sich auf einer der Seiten, desgleichen die Treppenaufgänge in das obere Stockwerk.
Vielerorts besteht die eine Hälfte des Hauses aus Holz, die andere aus Mauerwerk (Saas); anderswo mauert man mit Vorliebe die Ecke, welche die Küche enthält (Zermatt, Lens, Entremont). Jenachdem das Haus an der Sonnseite liegt oder sich sonst eines gemässigten Klimas erfreut, bringt man in grösserer oder geringerer Zahl Galerien mit ausgeschnittenen Planken an. Solche Galerien ziehen sich auf der Aussenseite den Fenstern entlang; Früchte trocknen hier auf Hürden; sie sind auch von Stangen umgeben, an welchen Kränze von Maiskolben und Wäsche zum Trocknen aufgehängt sind. Aber diese Bauten erleiden viele Abänderungen, je nach dem Orte und dem Besitzer. So bietet Stalden vom Eingang des Visperthales an ein typisches Beispiel für Häuser mit zwei gemauerten Stockwerken, während das aus Zimmerwerk allein bestehende dritte die Mauer vorspringend überragt, statt dahinter zurückzutreten.
Im höchsten Oberwallis, besonders in der Gegend von Goms erscheinen die Holzhäuser viel geräumiger und besonders viel höher, mit mehreren Stockwerken versehen. Diese Eigentümlichkeit erklärt sich einerseits durch die Nähe der Wälder, andrerseits durch die Strenge der langen Winter, welche um so mehr die Annehmlichkeit und Bequemlichkeit des häuslichen Herdes schätzbar machen. Je näher man aber den Quellen der Rhone kommt, werden Galerien und Gerüste zum Trocknen selten, so dass die hohen Bauten, durch das Wetter geschwärzt, in ihrer ganzen Schwere erscheinen. Es ist daher nicht unnötig, ihnen ein etwas freundlicheres Aussehen zu geben. Dies sucht man zu erreichen durch die Rahmen der Doppelfenster und die tannenen Konsolen, welche mit zahlreichen Blumentöpfen besetzt sind. ¶