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Mietskasernen breit gemacht. Einzig die Hauptstadt Lausanne war zur Zeit der bischöflichen Herrschaft der Sitz eines mächtigen Bistums und politischer Mittelpunkt eines sehr kleinen Staatswesens. Daher sind auch ihre Kathedrale und ihr Schloss die bemerkenswertesten Baudenkmäler des Landes. Zahlreicher als anderswo sind in der Waadt die geräumigen und zum Teil auch eleganten Burganlagen aus der so machtvollen Zeit des Rittertums. Die im Mittelalter vorherrschende Frömmigkeit liess Kirchen und Kapellen erstehen, die heute zu den archäologischen Schätzen des Landes zählen.
Mit Ausnahme vielleicht des «Bourg», der Oberstadt von Moudon, hat die Waadt keine durch altertümlichen oder mittelalterlichen Charakter allgemein berühmt gewordene Stadt- oder Dorfanlage aufzuweisen. Dafür wird aber der Freund vergangener Zeiten und Kunst in fast jeder Ortschaft auf irgend ein Haus, einen Toreingang, einen Dachgiebel, einen Brunnen oder dergl. stossen, die ihre Originalität bewahrt haben und in ihrer Unscheinbarkeit, ihrer oft versteckten Lage und Vergessenheit wahre kleine Schmuckstücke darstellen. Jene Gasse in Saint Saphorin erinnert an Savoyen und sogar an Italien, dieses behäbige Burgerhaus einer kleinen Stadt lässt uns an die prächtigen Patrizierhäuser von Bern denken, gewisse Arkaden und Balkons zeigen die elegante Architektur der Länder des Südens etc.
Ein eigentliches Waadtländerhaus existiert nicht. Der Meierhof auf den Sennbergen des Waadtländer Jura unterscheidet sich in Anlage und Ausführung kaum von den übrigen jurassischen Alpgebäuden: Steinhaus mit weit-ausladendem Dach und der steingepflasterten und durch ein kleines Fenster erleuchteten grossen Küche als Hauptgelass. Ueber der Feuerstelle hängt der schwere Käsekessel; der Rauch zieht durch ein unten weites und nach oben sich verengerndes Holzkamin ab, das mit einem beweglichen Deckel versehen ist. Dazu kommen ein Wohnraum, ein Käsekeller, Speicher und Stall. Bezogen wird dieses Haus bloss im Sommer.
Etwas tiefer unten an den Berggehängen stösst man ausser- und oberhalb der Bergdörfer in den sog. «prises», «prés» und «cernils» hie und da noch auf das typische alte jurassische Haus aus Stein, von viereckiger Gestalt und mit ungeheuerm Dach; dessen Seele bildet immer noch die mächtige Küche, die inmitten des Hauses liegt und in ihrem eigenen Mittelpunkt die grosse Feuerstätte mit dem geräumigen Kamin aufweist. Von dieser Küche aus gelangt man direkt in die Wohnräume.
Der Stall befindet sich neben dem Haus, während der über eine oft steil ansteigende Rampe zugängliche Speicher das Hinterhaus und Dachgeschoss umfasst. Die altertümlichen Schindeln verschwinden mehr und mehr und machen dem Ziegeldach Platz. In den industriellen Ortschaften wie Sainte Croix, Vallorbe, im Jouxthal weisen weder Mietskaserne noch Fabrikgebäude besondre architektonische Charakterzüge auf, während man in den neben Industrie und Gewerbe auch Landwirtschaft treibenden Dörfern oft malerische Wohnhäuser, vorspringende Dächer, zierliche Giebel, gotische Toreingänge und ähnliches sehen kann.
Das Bauernhaus am Jurafuss und im Mittelland bietet keine ihm eigenen Charakterzüge. Als Typus des eigentlichen Bernerhauses sieht man noch das auf allen Seiten überhängende und zahlreiche bequeme Holzgalerien schützende ungeheure Dach. Meist aber fehlen die Galerien, sodass man das gewöhnliche viereckige Steinhaus («la carrée» der Waadtländer Bauern) vor sich hat, bei dem ebenfalls Wohnräume, Stallungen, Speicher und Schuppen unter einem und demselben Dach liegen.
Der Schuppen befindet sich hier in der Mitte zwischen den Wohnräumen einerseits und den Stallungen samt Speicher andrerseits. Das Wohnhaus umfasst eine kleine Laube, auf welche sich die stets an der Hauptfront neben der Scheuer angebrachte Haustüre öffnet, eine Küche und ein bis zwei Zimmer. Scheuer und Speicher machen für sich etwa zwei Drittel des ganzen Hauses aus. Die Zimmer sind klein und niedrig. Ist ein Oberstock vorhanden, so gelangt man meist auf einer zur Laube ausmündenden Innentreppe, manchmal aber auch auf einer an der Aussenseite angebrachten und zu einer Galerie hinaufführenden Holztreppe dahin.
Im Weinland erheischen Keller und Trotte eine andre Anordnung, indem ihnen als unumschränkten Herren alle übrigen Räume sich unterordnen müssen. Aber auch hier herrscht kein einheitlicher Typ. Im Allgemeinen befindet sich die Trotte in der Mitte und gegen die Südseite, der Keller auf der einen und der Schuppen auf der andern Seite, während Wohnzimmer und Küche im Obergeschoss liegen, das auf einer engen und steilen Stein- oder Holztreppe erreicht wird. In modernen Hausanlagen befindet sich die Trotte im Erdgeschoss auf der hintern, der Bergseite, der Keller dagegen tiefer unten auf der vordern Seite. Trotte, Keller und Wohnung des Weinbauern liegen unter einem Dach, während Scheune und Stall, wo vorhanden, in einem Nebengebäude untergebracht sind.
Die Bauweise in den Waadtländer Alpen ist vom Berner Oberland, vom Greierz und vom Wallis her beeinflusst worden. Im Pays d'Enhaut finden wir als Spezialität das sowohl dem eigentlichen Bernerhaus als dem Oberländer Chalet verwandte mächtige Chalet, das mit kleinen Schindeln bedeckt und reichlich mit Holzgalerien versehen ist. Das Haus der Ormonts zeigt Anklänge an den Greierzer- und Oberländertyp; der Unterstock besteht aus Stein, der Oberstock aus Holz, im Erdgeschoss befinden sich Keller, Schuppen und Holzbehälter, im ersten Stock, wohin eine Aussentreppe führt, Küche und Wohnräume. Oft kommt dazu noch ein zweites Stockwerk.
Tracht. Von einer eigentlichen Volkstracht kann kaum noch gesprochen werden, indem diese sowohl als Werktags- wie als Feiertagskleidung vollständig verschwunden ist und bloss noch etwa bei Anlass von lokalen Festen, bei Gedenkfeiern und an Festzügen getragen wird. Bis vor kurzem trugen einige alte Frauen noch die weite Spitzenhaube der Bäuerinnen von Lavaux und der Gegend von Montreux, die das Gesicht angenehm umrahmte. Die Volkstracht unterlag zunächst savoyischem und französischem, dann nach der Eroberung des Landes auch bernischem Einfluss. In seinem Dictionnaire gibt Levade ein Muster der Winzertracht aus dem 16. Jahrhundert: enganliegende Kniehose, ebensolches Wams und Federhut. In einem Manuskript-Album auf ¶
Landwirtschaftliche Karte des Kantons Waadt
Lief. 258.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebrüder Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 4° 30’ O; 46° 30’ N; 1:560000]
▴ 50 Pferde
● 200 Rinder
❙ 100 Schweine
v 100 Ziegen
⥾ 100 Schafe
^ 50 Bienenstöcke
░ Weinbau
▒ Ackerland
▓ Wald
▐ Weide
▒ Unproduktiver Boden
Y Tabaksbau
⌂ Ziegelerde
P Thonerde
C Zementgrube
⤚ Fischerei & Fischzucht
Stück Rindvieh auf 100 Einw.
░ 5-10
░ 10-40
▒ 40-60
▓ 60-80
▐ 80-90
Mce. Borel & Cie. - Neuchâtel.
Attinger sc.
LANDWIRTSCHAFT UND BODENERZEUGNISSE DES KANTONS WAADT ¶
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der Waadtländer Kantonsbibliothek hat Herr von Gingins das Frauenkostüm jener Zeit gezeichnet, ohne Zweifel nach einem seither verloren gegangenen Stich: nur bis zur halben Wade herabreichender kurzer Rock, enganliegendes Mieder mit kleinem Göller, sehr kurze und bauschige Aermel, die fast den ganzen Arm frei lassen. Der Kopfschmuck ist äusserst bizarr. In der Hand hält die Bäuerin einen breitrandigen Strohhut mit einem grossen und verkehrten abgestumpften Kegel als Aufsatz.
Ein Stich der schweizerischen Landesbibliothek zeigt uns Winzer aus der Umgebung von Vevey in ihrer natürlich sehr einfachen Arbeitskleidung aus dem 18. Jahrhundert. Der Mann trägt Kniehosen und Gamaschen, offene Weste und Hemd; bei der Frau finden wir den halblangen Rock, die bauschigen Aermel und nackten Arme, sowie über der Haube den so charakteristischen Kamin- oder Schwefelhut. Seither hat sich die typische Tracht kaum mehr geändert: Halbschuhe, halblanger Rock mit kleinen Längsstreifen oder breiten Querstreifen am Saum;
kurze weisse oder schwarzseidene Spitzenschürze oder auch Schürze aus farbigem Indiennestoff, enganliegendes, kurzes und wenig ausgeschnittenes Mieder, das das Busentuch leicht hervorschauen lässt, bauschige Hemdärmel, nackte oder mit Garnhandschuhen bekleidete Arme, schwarze Spitzenhaube und Kaminhut.
Das Mieder ist schwarz, der Rock hell, meist weiss, gelegentlich auch grün. Die Männertracht ist diejenige des 18. Jahrhunderts, wozu noch ein moderner Hut kommt. Die eben beschriebene Tracht ist die der Gegend am Genfersee. Im Gebirge erscheint sie mannigfach abgeändert. Der Senn hat sein kleines Strohkäppchen und die weite Aermelweste beibehalten, doch ist auch diese Tracht im Abgang begriffen.
Sitte und Brauch. Wie die Tracht sind auch die alten Volksbräuche unrettbar dem Untergang geweiht. Um uns darüber zu unterrichten, müssen wir alte Schilderungen, Erzählungen, Predigten, sowie die Mandate und Ordonnanzen der Berner Oberbehörden nachlesen. Die Kirchweihen (abbayes), an denen während drei Tagen getanzt wird, werden immer seltener, gleich wie die Jugendfeste, die übrigens keine Waadtländer Eigenart sind. Die Erzählung Rosette ou la danse au village von Urbain Olivier mutet uns heutzutage eigentümlich veraltet und aus der Mode gekommen an. Bald werden auch die dörflichen Zusammenkünfte an Winterabenden (Lichtstubeten) im warmen Stall, in der Küche oder in der grossen Familienkammer der Vergangenheit angehören.
Hier fand der junge Bauernbursch seine Braut, worauf im nachfolgenden Frühjahr die Hochzeit gefeiert ward. Auch der einst so festliche Alpauftrieb gestaltet sich immer nüchterner und einfacher. Mittsommerfeste werden noch in Taveyannaz, Bretaye, Chavonne, La Berneuse ob Leysin und Anzeindaz gefeiert. Besonders berühmt sind diejenigen von Taveyannaz und Anzeindaz, doch sieht man an ihnen jetzt mehr Städter, Fremde, Neugierige als Einheimische teilnehmen. Wie an so vielen andern Orten haben sich diese altüberlieferten lokalen Feste allmählig zu mehr oder weniger szenischen Vorstellungen ausgewachsen, die für die von weit herkommenden Zuschauer besonders organisiert werden.
Die altehrwürdige «Abbaye des Vignerons» (Winzerzunft) in Vevey hat sich bis auf den heutigen Tag frisch und jung erhalten. Sie verteilt heute wie früher ihre Preise an fleissige Weinbauern, sieht aber ihre Hauptaufgabe in der Organisation der in unregelmässigen Zeiträumen sich wiederholenden grossen Winzerfeste, deren jedes immer wieder künstlerischer, theatralischer und grossartiger als die vorangehenden sich gestaltet. Es sind heute diese Winzerfeste von Vevey zu grosszügigen und prunkvollen Schaustellungen für ausländische und schweizerische Zuschauer geworden, wobei sie aber ihres ursprünglichen lokalen Charakters und intimen Reizes vollständig verlustig gingen. Auch die einfachsten Bräuche verschwinden. Wohl trinkt man im Weinland noch die traditionellen drei Gläser vom Zapfen (wobei «drei» hier einfach soviel als «mehr als zwei» heissen will), doch machen die zahlreichen Missernten den Weinbauern kaum noch zu fröhlichen Gelagen geneigt. So verwischt die alles nivellierende Walze der heutigen Zivilisation nach und nach jede Originalität vergangener Zeiten.
Der Waadtländer Volkscharakter ist schon oft geschildert und in seine hervortretendsten Eigenschaften zerlegt worden. Solche sollen vor allem in einer gewissen neckischen Gutmütigkeit, in viel gesundem Menschenverstand und einer gewissen Schwerfälligkeit des Denkens bestehen. Dabei erscheint aber nicht sicher, ob dieses konventionelle Porträt sich immer mit der Wirklichkeit decke und ob andrerseits diese Vorzüge und Schwächen wirklich eine besondre Eigenart der Waadtländer Rasse seien.
Dass sich der Waadtländer von seinen Nachbarn da und dort etwas unterscheidet, hängt von andern Ursachen ab als dem pompös oft so genannten «Rassengeist». Der Waadtländer gleicht weder dem Neuenburger noch dem Genfer, weil diese beiden Volksstämme vorwiegend industriell sind, die grosse Mehrheit des Waadtländer Volkes aber bisher bäurisch geblieben ist. Bestünde der konfessionelle Unterschied nicht, so liesse sich der Waadtländer viel eher dem Freiburger und dem Walliser Bauern zur Seite stellen. Die Uhrenmacherbevölkerung von Sainte Croix offenbart die selben Neigungen und das gleiche Temperament wie diejenige des Neuenburger Berglandes, wie auch der Bauer aus dem Gros de Vaud sich kaum von demjenigen der Neuenburger Béroche oder dem des Rhonethales unterscheidet.
11. Landwirtschaft.
Im ersten Rang aller Erwerbszweige der Waadtländer Bevölkerung steht die Landwirtschaft. Die Statistik weist nach, dass auf je 1000 Ew. etwa die Hälfte (1888: 491‰; 1900: 415‰) von der Landwirtschaft leben, während etwa der dritte Teil sich industriell betätigt. Vom Ende der Berner Oberhoheit an sehen wir die Landwirtschaft machtvoll sich entfalten. Der Grund hiefür lag vor allem im Loskauf oder der Aufhebung aller Feudallasten. Die Abschaffung des freien Weidganges trug ebenfalls viel zu einer rationelleren Ausnutzung des Bodens bei. Schon zu Ende des 18. Jahrhunderts kam man allmählich von der Dreifelderwirtschaft zurück, worauf der Anbau von Futterpflanzen wie Klee und Esparsette, sowie der Zuckerrüben- und Kartoffelnbau eine grosse Ausdehnung gewannen. Das besser genährte und besser gepflegte Vieh gab höhern Ertrag. ¶