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scheint. Wir haben hier also ganz andre Verhältnisse vor uns als am Jurafuss, wo sich die Tertiärschichten normal auf diejenigen des Jura legen. Ursache des abweichenden Verhaltens am Alpenrand sind beträchtliche Dislokationsvorgänge, zu deren Verständnis wir uns zunächst mit der Stratigraphie sowohl der Präalpen als der hohen Kalkalpen vertraut machen müssen.
A. In den Präalpen
unterscheiden wir folgende stratigraphische Glieder:
Quaternär. Wildbach- und Flussalluvionen, Verwitterungs- und Sturzschutt, Moränen.
Tertiär. Schiefer, harte Sandsteine und grobe Konglomerate des Flysch (Gurnigel- und Niesenflysch).
Kreide. Obere Kreide, bestehend aus rotem, grünlich-grauem, zuweilen auch blassrosa oder weissem schiefrigen Kalkstein (sog. Couches rouges). - Untere Kreide oder Neokorn, bestehend aus dünnbankigem grauen, zuweilen auch dunkler gefärbtem mergligen Kalkstein mit Kephalopoden. Umfasst die ganze untere Kreide und tritt bloss in der äussern und der Sattelzone, sowie im N.-Abschnitt der medianen Präalpen auf.
Jura. Malm: Dichte Kalke in den nördl. Präalpen, rötlich- oder grünlich-grauen Knollenkalk und Mergel (Birmensdorferschichten) überlagernd. Im S.-Abschnitt der medianen Präalpen besteht die ganze Masse des Malm aus dichtem weissen oder grauen Kalk. In der Gurnigel- und der Sattelzone findet man ausserdem noch Oxfordmergel mit pyritisierten Fossilien und knolligen Konkretionen. - Dogger: Graue oolithische oder feinkörnige Kalke und Mergel mit Zoophykos, mächtig entwickelt im NW.-Abschnitt;
dann Mytilusschichten (Uferfazies), in reduzierter Mächtigkeit im SO.-Abschnitt. - Lias: Schiefriger oberer
Lias (Toarcien), Kiesel- oder Spatkalke (Echinodermenbreccie) des mittlern Lias (Charmouthien) und dunkler Kieselkalk oder
schiefriger Kalk des untern Lias (Sinémurien und Hettangien).
In der SO.-Zone, wo Mytilusdogger auftritt, fehlt der Lias vollständig.
Trias. Rät mit Avicula contorta, auf dolomitischen und oft zu Rauhwacke (oder Dolomitbreccie) umgeformten Dolomitkalken, die ihrerseits wieder auf Gips oder Anhydrit ruhen. Im SO. fehlt das Rät und ist dagegen die dolomitische Serie mächtig entwickelt; sie enthält hier oft schwarze und feinkörnige dolomitische Kalke.
Die Trias stellt das älteste Formationsglied der Präalpen dar. Im SO. findet man stellenweise sog. Hornfluhbreccie, eine auf dem Rät der Trias ruhende Jurafazies. In der Tektonik der Präalpen spielen alle diese verschiedenen Formationen eine sehr bemerkenswerte Rolle. Es lassen sich in den Waadtländer Präalpen folgende tektonische Zonen unterscheiden:
1. Zone der Pléiades oder Gurnigelzone. Anhäufung von Flysch mit eingeschlossenen wurzellosen Fetzen von Kreide- und Juragesteinen in Form von Schuppen, die oft buchstäblich in den Flysch eingewickelt sind. Der ganze Komplex scheint den Molasseschichten direkt aufgelagert zu sein und keilt sich in der Tiefe nach und nach aus. Dieser Zone gehört die kurze Kette der Pléiades an, deren ¶
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unterirdische Fortsetzung sich durch eine Reihe von weit hinter dem Alpenrand bis in die Umgebung von Montreux zutage tretenden Aufschlüssen verrät (Cornaux; Charnex, Bahnhof Montreux).
2. Mediane Präalpen. Gefaltete Schichtenreihe, zu unter sich parallelen und um eine Mulde (Rodomont Braye-Leysin) ziehenden Bogenketten angeordnet, mit den ältesten Schichten (der Trias) zu unterst ohne Ausnahme auf dem Flysch der vorhergehenden Zone liegend. Im N.-Abschnitt bauen sich der Mont Folly, Mont Molard, Cubly, Rocher de Glion und der Rücken von Caux aus einer Reihenfolge von Falten oder, besser, überschobenen Schuppen von Trias, Lias und Dogger auf.
Während hier der Malm der Erosion zum Opfer gefallen ist, ist er in der Gipfelpartie des Moléson zusammen mit seiner Neokomkappe erhalten geblieben. Die geologische Struktur des ganzen Gebietes wird durch die Schluchten der Baye de Clarens und der Baye de Montreux prachtvoll aufgeschlossen. Mit dem hohen Kamm der Verraux und von der Cape au Moine und der Dent de Jaman an, die der Ganteristkette im Berner Abschnitt der medianen Präalpen entsprechen, findet man die ganze Schichtenreihe bis zum obern Malm hinauf vertreten.
Der aus einer Kreidemulde herausgeschnittene Grat der Rochers de Naye beherrscht im N. das ausgewaschene Gewölbe von Veraye-Bonaudon und im S. dasjenige von La Tinière-Chaude, das an seiner tiefsten Stelle bis zur Rauhwacke und zum Gips der Trias abgedeckt erscheint. Die Synklinalscholle von Corjon, jenseits des Thales des Hongrin, bildet mit ihrem aus Neokom, roter Kreide und sogar Flysch bestehenden Kern das Gegenstück zum Synklinalkamm von Naye. Die die Mulde Naye-Corjon beiderseits begleitenden Gewölbezüge vereinigen sich nordöstl. der Klus der Saane zu einer gemeinsamen Gipfelregion, die bald vom einen und bald vom andern Flügel der dazwischen eingeschlossenen Mulde gebildet wird: Kette Becca de Cray-Vanil Noir.
Sogar der oberste Gipfel des Vanil Noir besteht aus Neokom. Die Synklinalstruktur der Kammlinie lässt sich dank den die Gehänge anschneidenden zahlreichen Wildbach- und Schuttrunsen von den einzelnen Gipfeltürmen aus sehr schön überblicken. Mehrere dieser seitlichen An- und Einschnitte, so z. B. derjenige von Paray Charbon sind von ehemaligem Gletschereis ausgestaltete regelrechte Kare. In der Kette der Tours erscheint das S.-Gewölbe von grosser Regelmässigkeit, taucht dann aber in der Richtung gegen La Verdaz vollständig unter.
Die Kette des Vanil Noir wird durch eine Flyschzone von der Kette der Gastlosen getrennt. Diese Flyschzone erstreckt sich aus dem Thal der Eau Froide über den Col d'Ayerne und den Col de Sonlemont, durch das Thal von Château d'Œx und über die Sierne au Cuir längs dem Thal von Vert Champ bis La Verdaz, Die hauptsächlich schiefrigen und sandigen Flyschbildungen erscheinen in verschiedenen Niveaux durch Nagelfluhbänke (sog. Poudingue de la Mocausa) unterbrochen, die z. B. bei Le Tabousset, am Sonlemont bei Château d'Œx, an der Laitemaire und besonders in der Umgebung von La Verdaz zutage, anstehen.
Die Kette der Gastlosen ist nach dem scharfen Kamm benannt, der sich zwischen dem bernischen Thal von Abläntschen und dem freiburgischen Sattelberg erhebt und dessen aus fast senkrecht stehendem obern Jurakalk aufgebauten kühnen Gipfelzacken die beiderseits sich ausbreitende grüne Flyschlandschaft beherrschen. Auf Waadtländer Boden bildet die Kette die Berggruppe der Tours d'Aï, die über dem Rand des Rhonethales und hinter der tiefen Combe von Corbeyrier-Luan als regelmässiges Gewölbe mit kühnen und charakteristischen Gipfelzacken aus Malmkalk aufsteigt.
Dass aber dieses Gewölbe der Tours d'Aï nicht die direkte Fortsetzung des Hauptkammes der Gastlosen darstellt, sondern aus einer unter diesem letztern auftauchenden Antiklinale (der Stammantiklinale der Kette) herauswächst, lässt sich bei näherm Zusehen sehr wohl erkennen. Nordöstl. der Tour de Famelon taucht der Gewölberücken offenkundig unter den Flysch ein, um dann bis zum Querthal des Hongrin vollständig im Boden zu verschwinden. Erst im tiefsten Teil dieses Thales zeigt sich zwischen Les Anteines und Le Tabousset von neuem der Scheitel einer Jura- und Kreidefalte, die sich immer höher erhebt und das Felsgerüste der Monts Chevreuils und des Mont des Thésailles bildet.
Nachdem das regelmässige Gewölbe vom Querthal der Tourneresse durchschnitten worden, wird es jenseits der Gorge du Pissot zum Sockel der Bergschulter von Videcombe, an welche sich die Rochers de la Braye lehnen. Dann taucht es neuerdings unter und verschwindet als orographisch hervortretendes Gebirgsglied endgiltig im NO. der Granges d'Œx. Die ob Videcombe zunächst ausschliesslich aus Kreidegesteinen aufgebauten Rochers de la Braye lassen bald den Malm hervorstechen, der dann in senkrechter Felswand abbricht.
An deren Fuss setzt er sich durch die Schlucht von Gérignoz quer über das Saanethal fort, um sich jenseits mit der das Thal von Château d'Œx im NO. abschliessenden dreieckigen Deckscholle der Laitemaire zu verknüpfen. Mit ihren Jura- und Triasmassen legt sich letztere nicht bloss auf das untergetauchte und derart vollständig verdeckte Gewölbe Videcombe-Tours d'Aï, sondern auch noch auf einen breiten Abschnitt des Flyschbeckens zwischen diesem und der Kette des Vanil Noir.
Die Schlucht von Les Siernes Picats trennt die Laitemaire vom Kamm der Montagne aux Manges, der sich bis zum Rocher de la Raye hinaufzieht, wo wir neuerdings die die Kette der Gastlosen aufbauenden beiden verschiedenen Elemente deutlich wahrnehmen können: Malm- und Doggergewölbe mit darüber aufgeschobener Scholle wie bei der Laitemaire. Während letztere sich direkt mit dem Kamm der Gastlosen verknüpft, bildet das darunter liegende Gewölbe die nun wieder in die Höhe tauchende Fortsetzung der Antiklinale der Tours d'Aï. Im Gebiet der Tours d'Aï ist die Ueberschiebung der Gastlosen nicht mehr vorhanden. ¶