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Automobile und sonstiger Verkehrsmittel auf deren Verminderung dächte schliessen zu müssen. Allein es zeigt sich da deutlich, wie der Verkehr im grossen (mit der Eisenbahn etc.) den Verkehr im kleinen nicht bloss fördert, sondern eigentlich zu seiner Ernährung bedarf. In Weinfelden besitzt der Kanton eine Fohlenweide, die jährlich durchschnittlich mit etwa 40 Fohlen beschickt wird. In der Rindviehzucht des Kantons sind beide Hauptrassen vertreten, das Braun- und das Fleckvieh, jenes vorwiegend im obern und hintern Kantonsteil. In der Seegegend und im Unterthurgau sorgen die Juden von Wangen, Gailingen und Konstanz durch Import von schwäbischem Vieh für den nötigen Ersatz an Kühen.
Durch Kreuzung mit den vielfach auch nicht reinen Zuchtstieren entstehen dann zahlreiche Abarten. Vorherrschend sind die Rotschecken und Gelbschecken. Im hintern Teil des Landes wird die Gebirgsrasse des Toggenburgs und von Graubünden eingeführt. Grosse Verdienste um die Pflege des Rassenviehs haben besonders die Gutsverwaltungen des Staates in Kalchrain, Tobel und Münsterlingen, die von den aufgehobenen Klöstern herrühren und den dortigen Staatsanstalten (Zwangsarbeitsanstalt in Kalchrain, Zuchthaus in Tobel und Spital in Münsterlingen) angegliedert worden sind, sowie die thurgauischen Tierärzte grosse Verdienste.
Tobel und
Münsterlingen züchten ausschliesslich Braunvieh. Für ihr Jungvieh haben sie in Ottenegg hinter
Fischingen, am Ostabhang
des
Hörnli, eine Sommerweide, die ebenfalls Eigentum des Kantons ist und wo jede der beiden Gutsverwaltungen
an die 20 Stück sömmert.
Kalchrain hat seine eigenen
Weiden auf dem
Seerücken. Es gibt auch Gemeinden (wie
Eschlikon), die
ihre eigene Jungviehweide
haben. Im obern und hintern Thurgau
sodann ist kaum ein Gehöft, das nicht abwechselnd
einen Wiesenkomplex einzäunt und während des ganzen Sommers als
Viehweide benutzt.
Die Idee der Gründung von Viehzuchtgenossenschaften, sowie der Anschaffung und Zucht von reinem Rassenvieh (vorab Simmenthaler) gewinnt an Boden. Bereits sind über ein Dutzend solcher Genossenschaften entstanden. Anspornend wirken dabei die Bundes- und kantonalen Prämien anlässlich der Viehschauen. Im Uebrigen sind die Viehbesitzer der 212 thurgauischen Ortsgemeinden in 155 Viehversicherungskorporationen organisiert. Daneben bestehen freiwillige Assekuranzen für Ziegen, Schweine, Pferde.
Die Zahl der versicherten Tiere betrug im Jahr 1906: 61349 Stück. Bei der Zählung vom Jahr 1906 wurden zum Schlachten 2166, zur Aufzucht 3762 Kälber mit Milch ernährt. Der Schweinehaltung (Mastung und Zucht) und dem Schweinehandel liegen in neuerer Zeit vornehmlich die Käsereien ob, von denen einige bis zu 150 und mehr Schweine halten. Die Zahl der Bienenstöcke steigt und fällt zum Teil je nach den günstigen oder ungünstigen Jahren. Gegen 1896 zählte man im Jahr 1901 3181 Bienenstöcke weniger.
Nach guten Honigjahren dürfte ein Steigen ihrer Zahl eintreten. Indessen ist zu bemerken, dass vielen Landwirten die für die Wartung der Bienenvölker nötige freie Zeit abgeht. Die meisten und die Hauptimker finden sich denn auch nicht unter den Landwirten, sondern in andern Ständen. Der heutige Stand der thurgauischen Bienenzucht ist immerhin ein schöner. Am meisten Bienenstöcke zählt man in Wellhausen, Engwang, Bischofszell, Bichelsee, Hüttwilen, Eschenz und am Nollen.
[a. Pfarrer Wælli.]
Die angeführten Zahlen zeigen, dass die Bauern das Hauptgewicht auf Milchproduktion und Milchindustrie legen. Sie sind organisiert im Verband thurgauischer Käsereigesellschaften und Milchproduzenten, von dem verschiedene Sektionen der nordostschweizerischen Käserei- und Milchgenossenschaft angehören. Eine Hauptaufgabe dieser Organisationen ist die Regulierung der Milchpreise für die Winter- und Sommermilch. Dabei setzt es oft harte Kämpfe ab mit dem gegnerischen Lager, dem Verein der Käser, Käsehändler et Milchhändler. Um die wichtige Rolle zu zeigen, welche die Milchwirtschaft im wirtschaftlichen Leben des Kantons spielt, lassen sich leider einige Zahlen wieder nicht umgehen.
Setzen wir als Durchschnittsertrag per Kuh und per Tag nur 7 Liter Milch an, so erhalten wir von den 38064 Kühen 266448 Liter im Tag; setzen wir ferner den von den Produzenten für die Wintermilch 1907/08 erkämpften schönen Preis von 15½ Rappen per Liter an, so resultiert der Betrag von Fr. 41299 per Tag. Für das ganze Jahr stellen sich die Ziffern auf etwa 97 Mill. Liter Milch mit einem Erlös von Fr. 15035000. Benutzt wird die Milch zunächst für die Selbstversorgung, ferner zum direkten Verbrauch in Familien, die kein Vieh halten.
Letztere Milch wird entweder von den Käsereien abgegeben (1902: 14027 Liter täglich) oder von Produzenten und Milchhändlern in die städtischen und industriellen Ortschaften geführt. Dann ist die Milch auch Exportartikel, indem täglich etwa 7000 Liter nach Konstanz verkauft und ferner ab etlichen Stationen (z. B. Felben, Märstetten) je mit dem letzten Abend- und dem ersten Morgenzug ein grösseres Quantum Milch in die Städte Zürich und Winterthur geliefert wird.
Sämtliche Milch von Schlattingen kommt nach Schaffhausen. Ein gewisser Prozentsatz dient zur Aufzucht von Kälbern. Weitaus der grösste Teil, mehr als die Hälfte aller Milch, wandert aber in die Sennereien und wird dort zu Käse oder Butter verarbeitet. Die Käseindustrie hat im Thurgau noch eine sehr hohe Bedeutung, während sie z. B. im Nachbarkanton Zürich im Verschwinden begriffen ist. Die Käsereien sind teils Eigentum von Käsereigesellschaften, teils Privateigentum.
Der Käse wird vorzugsweise nach Emmenthaler Art fabriziert; da und dort widmet man sich aber auch der Herstellung anderer Käsesorten, wie Tilsiter, Zentrifugen-Käse, Magerkäse, Zieger, Romadurkäse. 47 von den 156 Käsereien und Molkereien, welche im Jahr 1902 gezählt wurden, sind mit Zentrifugen eingerichtet und verwenden sämtliche oder einen Teil der Milch zur Erzeugung feiner Butter. In den Bauernfamilien selber ist infolge des modernen Molkereiwesens der Butterkonsum selten geworden, während ehedem, als noch die Bereitung eigener Butter (das «Rühren») ein regelmässig wiederkehrendes Geschäft im Hause war, auch das «Schmalzbrot» häufiger auf dem Tisch erschien.
Geben wir im weitern noch dem Bericht der Käsereiinspektoren pro 1902 (im Amtsblatt des Kantons Thurgau pro 1903) das Wort:
«Das täglich in die Käsereien gelieferte Milchquantum beträgt 154320 kg oder jährlich 56326800 kg, welches zu dem Durchschnittspreis von 13¾ Rp. per kg einen Wert von 7744935 Fr. ausmacht. Im Kanton stehen im Betrieb: 2 Käsereien mit täglich über 3000, 3 mit über 2000, 59 mit über 1000, 8 mit 1000, 72 mit 500-1000 und 12 mit täglich unter 500 kg. In weitaus den meisten Käsereien wird ein tägliches Milchquantum von 800-1200 kg verarbeitet.
In 126 Käsereien sind Hochdruckleitungen vorhanden, während im Jahre 1896/97 erst 47 zu finden waren; mit Kraftanlagen sind 116 Käsereien versehen mit einer Gesamtstärke von 350 HP, gegenüber 10 solchen Anlagen vor fünf Jahren. 49 Käsereien haben seither an den Feuerungsanlagen treffliche Verbesserungen vorgenommen, so dass das System „fester Kessel“ mit „beweglichem Feuer“ an 130 Orten vorhanden ist. In verschiedenen Käsereien sind auch sog. „Rührwerke“ vorhanden, welche das ¶
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Rühren im Kessel auf mechanischem Wege vornehmen. In Bezug auf die Neubauten für die Schweinestallungen ist ebenfalls ein grosser Fortschritt zu verzeichnen, indem an die Stelle der üblichen Holzställe fast überall massive, geräumige und gut ventilierbare Anlagen getreten sind. Die in sämtlichen Käsereien des Kantons gehaltenen Schweine belaufen sich auf 12196 Stück und repräsentieren, zu 80 Fr. gerechnet, einen Wert von 975680 Fr.; seit 1896/97 hat sich die Stückzahl um über 3600 vermehrt.
Was die Käsefabrikation anbelangt, so gelangen die Inspektoren zu dem Schlusse, dass dieselbe in den letzten Dezennien erfreuliche Fortschritte gemacht hat, wenn auch noch viele und zum Teil bedeutende Mängel im Interesse eines gesunden Gedeihens dieser Industrie beseitigt werden müssen."
Wir können beifügen, dass die anlässlich der schweizerischen landwirtschaftlichen Ausstellung in Frauenfeld 1903 eingerichteten Musterkäsereien mit ihren modernsten Maschinen, Geräten, Feuerungen, Boden- und Wandverkleidungen jedenfalls gute Früchte zeitigen werden.
[F. Ribi.]
14. Bevölkerung.
Die einheimischen Bewohner des Kantons sind alemannischen Ursprungs. Sie stammen von den Einwanderern, die nach der Verdrängung der römischen Herrschaft von Schwaben her ins Land kamen und es bevölkerten. Ihr ungebundener Freiheitssinn hasste die Städte und ihre Mauern. Darum zerstörten sie, was von solchen aus der Römerzeit vorhanden war. Sie selbst bauten sich ihre Gehöfte zerstreut und vereinzelt im Lande, also dass Jeder der unbeschränkte Gebieter in dem ihm zustehenden Gebiete war.
Infolge dieser Art der Besiedelung hat der Thurgau ursprünglich nirgends grössere Dörfer und Ortschaften gehabt und bis auf den heutigen Tag eine grosse Menge von Weilern und Dörfchen beibehalten, die aus den Gehöften der alten Zeit herausgewachsen sind. Für die Landwirtschaft, die ausschliessliche Beschäftigung der frühere Zeiten, war das die passendste Art der Besiedelung. Erst die neuere Zeit mit ihrer Industrie und ihren veränderten Zuständen und Bedürfnissen hat die Leute mehr zusammengeführt und damit die Entwicklung von grössern Dörfern und Flecken gefördert.
Diese sind alle neuern Datums und reichen kaum mehr denn 50-80 Jahre zurück. Wir nennen nur Sirnach, Münchwilen und Wängi, dann wieder Romanshorn, Amriswil und Kreuzlingen, in neuester Zeit Arbon und Bürglen. Bis 1798 schieden sich die Bewohner des Thurgaues in Adelige und Leibeigene. Nur wenige Geschlechter gehörten dem erstern, die weit überwiegende Mehrzahl dem letztern Stand an. Ein grosser Teil der Inhaber von Herrschaften und Gerichtsherrlichkeiten war ausländischer Herkunft: die Landenberg aus Zürich; die Eglin, Muntprat, Blarer etc. aus Konstanz;
die von Ulm und Mötteli aus Ravensburg;
die Montfort, Fürstenberg, Gemmingen, Fugger u. a. aus Deutschland.
Sie haben sich nie dem Volke assimiliert, sondern sind nach Anschauungen, Sitten und Gebräuchen ein isolierter Teil der Bevölkerung geblieben.
Die vorwiegend landwirtschaftliche Beschäftigung, am See verbunden mit Fischfang und Schiffahrt, übte auf die körperliche und geistige Entwicklung des Volkes einen günstigen Einfluss. Die männliche Bevölkerung ist von mittlerer Grösse, mager und sehnicht, ein ausdauerndes Soldatenmaterial und schon zur Zeit des Reislaufens allezeit willkommene Söldner. Sie ist geistig geweckt und für vernünftige Neuerungen stets empfänglich. Zur Zeit des Untertanenverhältnisses standen die Thurgauer längere Zeit im Rufe schlauer und verschmitzter Leute.
Aber nicht ihre natürlichen Geistesanlagen haben sie in diesen Ruf gebracht, sondern die ungünstigen politischen und sozialen Zustände, in denen sie sich Jahrhunderte hindurch zurechtzufinden hatten und in denen alles darauf angelegt war, sie auszusaugen und zu missbrauchen. Die neuere Geschichte der Eidgenossenschaft zeigt, dass das thurgauische Volk in Einsicht, Freiheits- und Vaterlandsliebe und in charaktervollem Gebahren hinter keinem andern Volksstamm zurücksteht.
Einen üblen Einfluss übten namentlich im 17. und 18. Jahrhundert die konfessionellen Unterschiede und die daraus entstehenden Wirren. In der Reformation hatte sich nahezu die ganze Landgrafschaft der evangelischen Lehre zugewandt. In der Folge waren die 5 katholischen unter den 7 regierenden Orten bemüht, diesen Zustand zu ändern und möglichst viele Gemeinden dem katholischen Bekenntnis zurückzuerobern, während Zürich mit ebenso viel Eifer diesem Treiben entgegentrat.
Das brachte harte Kämpfe mit sich, und einmal ums andere drohte darob der Ausbruch des Krieges. Das Resultat war, dass in einer Menge von Gemeinden die Kirchen paritätisch wurden. Das brachte viel Anstand und gegenseitige Reiberei, bis der Vertrag von Diessenhofen vom Jahr 1728 die Anstände hob und jeder der beiden Konfessionen das Ihre zuteilte. Seitdem haben beide gelernt, sich gegenseitig zu vertragen, und konfessionelle Streitigkeiten in den Gemeinden gehören zu den grössten Seltenheiten.
Von den Thurgauerinnen sagt der Bürgermeister Vadian von St. Gallen, ein Zeitgenosse und Freund Zwinglis, dass sie zart und wohlgebildet, zuweilen selbst durch Schönheit ausgezeichnet seien. Was vor 380 Jahren der Fall war, dürfte auch heute noch zutreffen. Kretinismus und Missgeburten sind im Lande nahezu unbekannte Dinge. Der Gesundheitszustand war von je ein günstiger. Dazu haben Beschäftigung, Nahrung, Wohnung und Kleidung das Ihrige beigetragen. Die Beschäftigung war vorwiegend die Landwirtschaft, die sich in einigen Gegenden mit der Leinwandfabrikation verband. Arbon war der hauptsächlichste Sitz der letztern. Die Nahrung war einfach und ergab sich aus den Erzeugnissen des Landes, unter denen Obst und Obstwein schon in vergangenen Jahrhunderten ihre grosse Bedeutung hatten. Die Wohnungen des ¶