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Schaffhauser Dörflein Burg mit reform. Kirche gegenüber Stein und endlich die winzige, bloss 11-12 ha messende st. gallische Enklave Raach im Egnach bei Hegi. Weitere Naturgrenzen besitzt der Kanton sozusagen keine. Die politischen Grenzen sind: im N. das Grossherzogtum Baden und der Kanton Schaffhausen (dieser nur auf zwei ganz kleinen Strecken, bei Burg und wieder bei Dörflingen);
im O. die Königreiche Württemberg und Baiern;
im S. der Kanton St. Gallen von Horn bis zum Hörnli auf einer vielfach gebrochenen, etwa 97 km langen Strecke mit starken Einbiegungen bei Amriswil und Wil;
im W. der Kanton Zürich vom Hörnli bis Paradies (72 km; Einbuchtung bei Stammheim).
Das Gesamtareal des Kantons beträgt 1011,6 km2, wovon aber 155,54 km2 auf Seen mit über 10 ha Wasserfläche entfallen (der Anteil des Thurgaus am Bodensee mit Untersee beträgt 154,78 km2). Somit verbleiben an festem Boden 856,06 km2, wovon 9,7 km2 auf unproduktiven Boden entfallen. Der Thurgau zählt 113221 Ew. oder 112 Ew. auf 1 km2 der Gesamtfläche (131 Ew. auf 1 km2 der festen Oberfläche). Sowohl der Fläche als der Einwohnerzahl nach nimmt er den 12. Rang unter den Schweizerkantonen ein.
2. Orographie.
Der Thurgau gehört ausschliesslich dem schweizerischen Mittelland an, das hier bloss im Gebiet des Hörnli Voralpencharakter zeigt, sonst aber nicht als eigentliches Bergland bezeichnet werden kann. Die Höhenlage schwankt zwischen 400 m (Seeufer und Unterlauf der Thur) und 1000 m (Allenwinden am Hörnli). Abgesehen vom Gebiet des Hörnli besitzt er keine eigentlichen Berge. Niedrige und sanft geformte Hügel und Höhenzüge wechseln ab mit ebenen Flächen und lang gestreckten Thalschaften, die wohl teilweise bis 2,5 km breit sein können, aber wenig tief eingeschnitten sind und die gleichen Namen wie die betr. Gewässer tragen.
a) Nördl. Abschnitt. Der Bezirk Arbon ist, mit Ausnahme seines südl. Teils bei Freidorf-Roggwil, eben. Dann folgt das von Hessenreuti bis Romanshorn ziehende liebliche Aachthal. Nördl. davon beginnt bei Dozwil-Romanshorn ein leichter, beidseitig sanft geböschter Höhenzug, der, immer ansteigend und steiler werdend, sich dem ganzen See und Rhein entlang bis an die zürcherische Grenze bei Stammheim hinabzieht. Es ist dies der «Seerücken», der die Seegegend vom Thurthal trennt.
Seinen höchsten Punkt erreicht er bei Salen-Reutenen (723 m) zwischen Berlingen und Müllheim. Als südl. Ausläufer des Seerückens können der von Berg bis Märstetten sich erstreckende anmutige Ottenberg (684 m) und die von Debrunnen-Herdern an das rechte Thurufer begleitende Neunforner Höhe bezeichnet werden. Vom Seerücken getrennt wird der Ottenberg durch das kleine Kemmenthal, die Neunforner Höhe dagegen durch das fast flache Seebachthal mit den Hüttwilerseen. Als isoliert sich erhebende Hügel in diesem nördl. Kantonsteil sind endlich noch zu nennen der Rodelberg zwischen Etzwilen und Diessenhofen, sowie der waldige Kohlfirst zwischen Schlatt und Schaffhausen.
b) Mittlere Hügelregion. Die Hügelrücken südl. vom Aachthal sind der Räuchlisberg und der Lettenberg, letzterer zwischen Erlen-Sulgen und Heidelberg bei Hohentannen. Hier wird er von der Thur durchbrochen, setzt sich aber auf deren jenseitigem Ufer über den ganzen mittleren Kantonsteil links der Thur fort. Schliesslich verzweigt er sich in den langgestreckten Wellenberg zwischen Amlikon und Frauenfeld, sowie den mit diesem parallel laufenden Immenberg (710 m) mit dem stolzen Schloss Sonnenberg.
Diese beiden Hügelzüge schliessen das kleine, wiesenreiche Thunbachthal ein, während am Fuss der steilen S.-Seite des Immenbergs sich das Lauchethal hinzieht. Als wichtigste Höhen in dieser mittlern Hügelreihe des Kantons sind ferner noch zu nennen: der Gabrisstock, der Nollen (der sog. thurgauische Rigi; 737 m) zwischen Bürglen und Wil, die Braunauerhöhe, der Bausel zwischen Frauenfeld und Gachnang mit schöner Rundschau bei Gerlikon, dann zwischen Frauenfeld und Aadorf der Hügel «Burg» mit ebenfalls lohnender Aussicht und endlich der ziemlich isolierte Tuttwilerberg zwischen Wängi und Eschlikon.
c) Die dritte oder südl. Gruppe bildet das Hörnli mit seinen Ketten und Ausläufern links und rechts des obern Murgthales. Dieser sog. Hinterthurgau bildet den gebirgigsten Abschnitt des Kantons mit einem förmlichen Gewirr von Kämmen und Kuppen, Thälchen und Tobeln, sowie vereinzelt stehenden Stöcken. Die Gegend hat schon subalpinen Charakter und zeigt saftig-grüne, von waldigen Höhen umschlossene Wiesengründe, über welche eine Menge von Einzel- und Dorfsiedelungen hingestreut sind.
Die ruhige, vom Kohlenrauch der Maschine wie vom städtischen Verkehrslärm freie Lage hat Fischingen mit seinem alten Kloster und seinen idyllischen Matten und Waldungen zu einer besuchten Station für Erholungsbedürftige gemacht. Die Spitze des Hörnli gehört dem Kanton Zürich an; der Markstein, «Dreiländerstein» genannt, zwischen Thurgau, Zürich und St. Gallen steht unmittelbar am Anstieg zum höchsten Gipfel auf dessen N.-Abhang. Andere besuchte Punkte sind: Ottenegg und Iddaberg bei Fischingen, der Hackenberg bei Dussnang und der Haselberg (825 m) bei Bichelsee.
3. Hydrographie.
In hydrographischer Beziehung kommt die grösste Bedeutung dem Bodensee (Ober- und Untersee) mit dem ihm entströmenden Rhein zu, die der Landschaft einen hohen Reiz verleihen, billige und bequeme Verkehrsstrassen bilden, der Fischerei eine schöne Ausbeute sichern und auf das Klima als regulierende Faktoren einwirken. Der ganze Kanton gehört entweder direkt oder durch Vermittlung der Thur zum Einzugsgebiet des Rheins. Direkte, aber nur kurze Zuflüsse des Bodensees und Rheins aus dem Thurgau sind: die Goldach bei Horn, die Aach oder Salmsach bei Romanshorn, der Geisslibach bei Diessenhofen und die Schwarzach bei Paradies.
Die Ortschaften Ermatingen, Berlingen, Steckborn, Mammern und Eschenz stehen auf Deltas, die von den Bächen am N.-Abhang des Seerückens in den See hinausgebaut worden sind. Kleinere Seen im Innern des Landes: der Nussbaumersee, die Hüttwilerseen und der Bichelsee. Zwischen Niederbüren und Bischofszell tritt die aus dem Toggenburg kommende Thur als ziemlich breiter Fluss auf thurgauischen Boden über, um hier nw. Bischofszell am Fuss des das Städtchen tragenden Felsens von rechts die annähernd gleichstarke aber den Thurgau nur 6 km weit durchfliessende Sitter zu erhalten und dann den ganzen Kanton von O. nach W. in dem meist breiten Thurthal bis Neunforn zu durchschneiden. Die Vereinigung mit dem Rhein erfolgt im Kanton Zürich. Ausser der Sitter erhält sie noch: von rechts den durch Weinfelden fliessenden und bei Amlikon mündenden Giessen, den Kemmenbach, der bei Müllheim mit dem Mühlbach mündet, den Pfinbach und
Lief. 248.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebrüder Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 6° 40’ O; 47° 35’ N; 1:300000]
Einwohner per Km2.
░ 1-24
▐ 75-99
▓ 100-149
░ 150-299
▒ 300-399
▓ 400-499
▐ mehr als 500
Mce. Borel & Cie. Neuchâtel.
V. Attinger sc.
KANTON THURGAU
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den Seebach (Abfluss der Hüttwilerseen) bei Ochsenfurt; von links die vom Hörnli kommende und 2,5 km n. Frauenfeld mündende Murg mit der Lauche, dem Thunbach und der kleinen Lützelmurg.
Für Einrichtung elektrischer Kraftanlagen scheinen die thurgauischen Gewässer nicht besonders geeignet zu sein. Sie haben zu wenig Stosskraft und zu wenig Gefälle. In trockenen Sommern führen etliche Bäche und Flüsse überhaupt nur spärlich Wasser. Man beabsichtigte, Elektrizitätswerke an der Thur und der Murg anzulegen, musste aber infolge ungünstiger Gutachten davon wieder absehen. Die thurgauischen Gemeinden beziehen demnach die Elektrizität meist von auswärts.
Frauenfeld hat einen Kraftlieferungsvertrag mit der Gesellschaft «Motor» in Baden (Beznau-Werk) abgeschlossen, welche bis ins Hasli-Müllheim Leitungen erstellt. Dann hat sich eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Arbon für ein Elektrizitätswerk «Bodensee-Thurthal» gebildet, welche von Arbon abwärts Leitungen erstellt und von einem grossen auswärtigen Stromlieferanten Kraft bezieht. Ein paar Gemeinden besitzen schwächere kleine Elektrizitätswerke für ihren lokalen Bedarf an Licht und Kraft; so Steckborn, Emmishofen, Kreuzlingen, Romanshorn und Egnach.
Die thurgauischen Flusswasser werden dagegen vielfach durch Kanäle zu kleinern und grössern gewerblichen und industriellen Anlagen geleitet, wo sie als Triebkraft und in anderer Weise dienstbar gemacht sind. Trink- und Brauchwasser ist in guter Qualität vorhanden, ebenso Wasser für Feuerlöschzwecke. Die meisten Gemeinden besitzen Reservoirs, Hauswasserversorgung und Hydranten. Kreuzlingen, Romanshorn und Münsterlingen haben Seewasserversorgungen, die unfiltriertes Bodenseewasser liefern. Weil aus einer Tiefe von 30-40 m gefasst, soll dieses chemisch und bakteriologisch ebenso rein sein, wie filtriertes See- und Quellwasser. Zur Zeit ist eine auf der Grundlage des Siegfried-Atlas in 1:25000 beruhende Quellenkarte des Thurgaues im Entstehen begriffen, die sowohl rein wissenschaftliche Zwecke verfolgen als auch in praktischer Hinsicht für künftigen vermehrten Quellwasserbedarf der Gemeinden vorsorgen soll.
4. Allgemeiner Landschaftscharakter.
Abgesehen vom See und Rhein und deren Ufern kann von eigentlichen Naturschönheiten und Naturwundern im Thurgau nicht gesprochen werden. Dafür trägt er in hohem Grade den Stempel der Lieblichkeit, des Wohlgeordneten, der Fruchtbarkeit, des äusserst fleissig bebauten und geschäftlich klug bewirtschafteten Bodens. Leider ist der Weinstock nicht mehr wie ehedem (bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts) eine Quelle des Wohlstandes. Wer zur Sommerszeit von einem der vielen Aussichtspunkte den Blick über die üppigen Wiesen und Felder, wo Weiler an Weiler und Dorf an Dorf sich reiht, über den Obstbaumwald, die Rebenhänge, die bewaldeten Kuppen schweifen lässt, oder wer das Gelände im Frühjahr, wo die Bäume mit einem wahren Meer schneeweisser Birnen- und rötlichweisser Apfelblüten überschüttet sind, durchwandert, oder endlich im Herbst die Fülle zitronengelber und rotwangiger Früchte und die Trauben aus dem Laub herauswinken sieht, der muss sich gestehen, dass ihm ein gesegnetes Fleckchen Erde zu schauen vergönnt ist. So anziehend und fruchtbar indes die meisten Thäler und Höhen sind, bilden doch die Ufer des Untersees, mit denen einzelne Striche am Obersee (vorab Kreuzlingen) wetteifern, den Glanzpunkt des Kantons.
Nicht umsonst haben seit alten Zeiten Schloss an Schloss sich gereiht an diesen Ufern mit ihrem herrlichen Baumwuchs, ihren üppigen Gärten, fruchtbaren Weinreben, stillen Wäldern und Schluchten, mit dem Ausblick auf den See und die teils sehr nahe liegenden, teils im Dunst verschwimmenden jenseitigen Ufer. Kurorte: Ermatingen, Mannenbach, Glarisegg-Steckborn, Mammern. Vergegenwärtigt man sich alle diese Anmut und dieses Gedeihen, so erkennt man, dass das thurgauische Volkslied «O Thurgau, du Heimat, wie bist du so schön!» nicht ohne Grund entstanden ist.
[Dep.-Sekr. F. Ribi.]
5. Geologie.
Das ganze Gebiet des Kantons weist hauptsächlich zweierlei Bildungen auf: Tertiäre, vertreten durch die nichtdislozierten Schichten der obern Süsswassermolasse, und quartäre, zu welchen einerseits die einige Kantonsteile geradezu charakterisierenden diluvialen und andrerseits die alluvialen Ablagerungen gehören.
Die Molasse deutet auf eine Deltabildung hin. In diesem Hörnli-Delta, das zur Breite die Entfernung Uetliberg-Untersee, zur Länge die Strecke Hörnli-Höhenzüge bis Rafz hat, kommen folgende Sedimente in Betracht: a) die Mergel, welche hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Farbe eine grosse Mannigfaltigkeit aufweisen. Sie sind grösstenteils sehr kalkreich (Ausbeute bei Eschikofen) und enthalten oft nicht nur kohlige Trümmer von Pflanzen, sondern auch Reste von Land- und Süsswasserkonchylien (bituminöse Mergel). - b) Der Sandstein. Als Farbe herrscht Grau vor; der Struktur nach ist er fein- bis grobkörnig. Das Bindemittel, der kohlensaure Kalk, tritt in verschiedenen Quantitäten auf; nicht selten finden sich Stellen, wo es konzentriert ist (Knauermolasse). Der geringen Festigkeit wegen wird der Sandstein selten als Baustein verwendet. Bei Kehlhof-Berg befindet sich ein Steinbruch, der als Spezialität Ofenplatten liefert. - c) Der Süsswasserkalk wurde trotz der geringen Mächtigkeit der Lager früher als sog. Wetterkalk an manchen Orten namentlich im hintern Thurgau, ausgebeutet. - d) Die Nagelfluh kommt vornehmlich im hinteren und westl. Teil des Kantons zur Geltung. Auffallend ist die Abnahme der Geröllgrösse in nordwestl. Richtung, sowie eine Verminderung in der
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Zahl der Nagelfluhbänke, an deren Stelle Sandsteine und Mergel treten. Die Linie Bischofszell-Sulgen-Strasse nach Kreuzlingen bezeichnet die nordöstl. Grenze des Vorkommens der Nagelfluh. Der jenseits dieser Linie gelegene Kantonsteil präsentiert sich in meist sanften hügeligen Formen, bedeckt von diluvialen Ablagerungen. Im diesseits der genannten Linie gelegenen Gebiete, dessen Anhöhen vielfach Nagelfluhbänke aufweisen, die dem Einfluss der Atmosphärilien besser widerstehen als Sandsteine und Mergel, erheben sich teilweise recht scharf ausgeprägte Berggruppen. - e) Sehr häufig ist das Vorkommen von Molassekohle in Form von Flötz- und Nesterkohle. Eine Ausbeute fand eine Zeit lang statt in Herdern, Wellhausen, Murkart, Littenheid. Genauere Untersuchungen haben ergeben, dass das Vorhandensein abbauwürdiger Kohlenlager überhaupt höchst unwahrscheinlich ist. - f) Hinsichtlich der Flora und Fauna kann ein reiches Vorkommen von fossilen pflanzlichen und tierischen Vertretern erwähnt werden. Bekannte Fundorte sind Stettfurt, Herdern, Steckborn, Berlingen, Tägerwilen, Bernrain u. a.
Die diluvialen Bildungen liefern in ausgezeichneter Weise nicht nur Beweise für die einstige Vergletscherung des thurgauischen Bodens überhaupt, sondern namentlich auch für die mechanische Tätigkeit der Gletscher, welche zur Thalbildung beigetragen hat. Als Zeugen der Eiszeit seien erwähnt:
a) die Glazialschotter. Diese fluvioglazialen Bildungen sind in mehr oder weniger ausgeprägter Weise reich verbreitet und werden stellenweise auch ausgebeutet. Die Umgebung von Bischofszell z. B. weist nicht nur Schottermassen der jüngeren Eiszeit auf, sondern am rechten Ufer der Sitter auch den Deckenschotter von Hohlenstein. Niederterrassenschotter findet sich in der Umgebung von Rickenbach bei Wil. - b) Von den Drumlins- und Moränenlandschaften haben namentlich die ersteren eine grosse Verbreitung.
Man findet solche im Gottshaus südöstl. Bischofszell, dann nördl. Bischofszell-Zihlschlacht, jenseits des Deckenschotterplateaus vom Hohlenstein, östl. der Thur und südl. der Bahnlinie Frauenfeld-Romanshorn. In den Gemeinden Sulgen, Erlen, Leimbach und Donzhausen sind Drumlins zerstreut. Weitere typische Landschaften beobachtet man in dem Gebiet Märwil-Tobel-Affeltrangen-Lommis-Thürn-Sedel-St. Margarethen, ferner in der Gegend Engwang-Wigoltingen-Pfin, im Kemmenthal von Siegershausen über Hugelshofen bis Märstetten, dann zwischen Vorder- und Hinterhorben bis Wilen-Nunforn und endlich in der Umgebung von Kefikon.
Moränenlandschaften finden sich in den Gebieten zwischen Schlattingen und Unter Stammheim, von Nussbaumen, um die Seen nach Uerschhausen, ferner von Eschenz-Kaltenbach-Etzwilen-Stein-Oeningen. Das ganz beträchtliche Gletschermaterial, das sich in den meisten Thälern ablagerte, war im Stande, Wasserläufen eine andere Richtung zu geben (Thur bei Schwarzenbach, Thunbach, Lützelmurg), Thäler zu sperren und Seen (Hüttwilerseen, ehemaliger Frauenfeldersee), sowie eine grosse Zahl von Sümpfen (Torfmooren) zu bilden. - c) Erratische Blöcke, deren Heimat zum weitaus grössten Teil im Einzugsgebiet des Rheingletschers zu suchen ist, liegen im ganzen Kanton zerstreut umher.
Die bis jetzt gefundenen sind meist von geringer Grösse, solche von mehr als 1-2 m3 Inhalt gehören schon zu den grossen. Einer der bemerkenswertesten Blöcke ist der «graue Stein» oberhalb Ermatingen (subalpiner Muschelsandstein). Ausser diesem leicht erkennbaren Gestein, das im ganzen Kanton Fundstellen aufweist, kommen noch vor Kalksteine der alpinen Jura-, Kreide- und Eozänformation, dann häufig auch grünliche, talkige Quarzschiefer oder grünliche, gneisartige Verrucanogesteine; ferner roter Verrucano, Granite vom Val Puntaiglas und Julier, seltener subalpine Molasse, Kalknagelfluh u. s. w. - d) Gletscherschliffe sind selten. Zwischen Münchwilen und Sirnach wurde im Jahr 1876 ausgezeichnet geschliffener Kalk gefunden. - e) Die Flora der Eiszeit. Fundorte fossiler interglazialer und glazialer Pflanzen sind, abgesehen von einer Stelle in Niederwil bei Frauenfeld, noch keine nachgewiesen. Dagegen ist in Torfmooren und an geschützten Stellen von Moränen noch eine bedeutende Zahl lebender Vertreter der alpinen Flora erhalten geblieben.
Das Studium der erwähnten glazialen Ablagerungen bietet ein Mittel, den Lauf wenigstens des letzten Gletschers zu bestimmen. Vom sanft welligen Oberthurgau aus, der eine allgemeine Bedeckung mit Grundmoräne aufweist, arbeitete sich die Eismasse lappenförmig durch die Molasse hindurch und zwar in der Weise, dass sich ein nördl. Arm in das Gebiet des jetzigen Untersees erstreckte, während der südl. die S.-Grenze des Kantons bestrich und der mittlere sich zwischen dem Otten- und Braunauerberg hindurch drängte. Von diesem letztern Arm zweigte sich ein Lappen ab und zog sich zwischen dem Braunauerberg im S. und dem Sonnenberg im N. bis zur Murg im W. hin. Ein zweiter Lappen bewegte sich durch das Kemmenthal, während der Hauptstrom in die Thäler des untern Thurgau führte. In den südlichsten Gebieten findet sich Erratikum, das auf eine zeitweise Bedeckung durch den Säntisgletscher schliessen lässt.
Der Thurgau ist durchzogen einesteils von ausgedehnten Thalböden, andernteils aber durchfurcht von tief eingeschnittenen, schluchtartigen Thälern. In den letztern weisen die Bäche ein starkes Gefälle auf und konzentrieren sie ihre ganze Wirkung auf das Einsägen in die Tiefe.
Während also die Entstehung der tiefeingeschnittenen, schmalen Thäler das Werk der erodierenden Tätigkeit des fliessenden Wassers ist, muss dagegen bei der Bildung der breiten Thäler grösstenteils Gletschererosion mitgewirkt haben.
Zu den alluvialen Ablagerungen gehören die Flussanschwemmungen, die sich im Murg- und Thurthal vorfinden, dann die Schuttkegel oberhalb Frauenfeld von Wellhausen bis Eschikofen und am Untersee von Eschenz bis Emmishofen. Tuffbildungen finden sich nicht selten. Manche Gegenden sind namentlich in regnerischen Jahren reich an Erdschlipfen.
[Dr. J. Eberli.]
6. Klima.
Der Kanton Thurgau hat seit langen Jahren ein dichtes Netz von Regenmessstationen, so dass wir über die Niederschlagsverhältnisse dieses Gebietes sehr gut orientiert sind. Folgende Tabelle gibt die jährliche Niederschlagsmenge reduziert auf die Periode 1864/1903 für eine Auswahl dieser Regenmessstationen:
mm | mm | ||
---|---|---|---|
Romanshorn | 942 | Weinfelden | 963 |
Amriswil | 984 | Frauenfeld | 963 |
Kreuzlingen | 844 | Nieder Neunforn | 813 |
Haidenhaus | 966 | Wängi | 963 |
Eschenz | 820 | Aadorf | 1006 |
Diessenhofen | 804 | Eschlikon | 1123 |
Bischofszell | 1016 | Dussnang | 1289 |
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Die Differenzen sind also, wenn wir vom obern Murgthal absehen, relativ klein;
die durchschnittliche Jahresmenge beträgt am Bodenseeufer, auf dem Seerücken und im Thurthal etwa 95 cm;
sie nimmt gegen W. ab bis auf 80 cm (Diessenhofen, Nieder Neunforn);
am meisten Niederschlag hat Dussnang in dem gegen das Hörnli aufsteigenden Murgthal.
Vollständige meteorologische Stationen bestehen im Thurgau drei: Frauenfeld, Kreuzlingen und Haidenhaus (auf dem Seerücken ob Steckborn);
langjährige Beobachtungen liegen auch vor von der früheren Station Diessenhofen.
Die mittlern Temperaturen des Jahres und der extremen Monate (reduziert auf den Zeitraum 1864-1900) sind:
Januar °C. | Juli °C. | Jahr °C. | |
---|---|---|---|
Kreuzlingen (430 m) | -1,4 | 18.3 | 8.5 |
Frauenfeld (425 m) | -1,8 | 17.9 | 8.1 |
Diessenhofen (410 m) | -2,2 | 17.4 | 7.7 |
Haidenhaus (695 m) | -2,6 | 16.7 | 7.2 |
Die drei Stationen in der Niederung weisen trotz gleicher Seehöhe nicht unerhebliche Differenzen auf. Am wärmsten ist Kreuzlingen, wohl unter dem Einfluss der grossen Wasserfläche des Bodensees, wie die Differenzen gegen Frauenfeld - am kleinsten im Frühjahr, am grössten im Herbst - zeigen. Die tiefsten Temperaturmittel hat Diessenhofen. Die selbe Reihenfolge der Stationen ergibt sich nach dem mittleren jährlichen Minimum der Temperatur (Kreuzlingen -12,2° C.; Frauenfeld -14,6° C.; Diessenhofen -17,0° C.), während der durchschnittlich erreichte höchste Wert der Temperatur im Jahre sich an allen drei Stationen recht nahe kommt (etwa 29½° C.).
Die mittlere Bewölkung der drei Stationen ist die selbe (6,4); das hochgelegene Haidenhaus hat eine kleinere Bewölkung (5,8), hauptsächlich wegen grösserer Helligkeit im Spätherbst und Winter. Tage mit Nebel werden in Frauenfeld durchschnittlich 55, in Kreuzlingen 63 gezählt; noch häufiger scheint der Nebel in Diessenhofen zu sein. Die Zahl der Regentage beträgt in den Niederungen etwa 145, während Haidenhaus etwa 160 hat. Schnee fällt in Frauenfeld an 27, in Haidenhaus an 45 Tagen im Jahr. An etwa 18 Tagen im Jahre kommen Gewitter vor; bezüglich derselben sei auf eine interessante Studie von Prof. Cl. Hess verwiesen (Einiges über Gewitter in der Schweiz im allgemeinen und Gewitterzüge im Thurgau im speziellen in den Mitteilungen der Thurg. Naturf. Gesellsch. 15).
Im ganzen genommen ist das Klima des Thurgaues dasjenige des die nämlichen Höhenlagen aufweisenden schweizerischen Mittellandes überhaupt. Die Luftströmungen werden hier nicht von Bergketten aufgehalten oder verzögert, so dass sich ihre Wirkung stärker fühlbar zu machen pflegt als in den eigentlichen Bergregionen. Am mildesten und am meisten ausgeglichen erscheint das Klima der Ufergebiete am Boden- und Untersee. Am häufigsten sind frische und feuchte SW.- und W.-Winde. Im Winter bläst häufig die Bise, d. h. der kalte und trockene NO.
[Dr. R. Billwiller.]
7. Flora.
Der Wechsel in Bodenform und Bodenbeschaffenheit ist so gering, dass nur kleine Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der Pflanzendecke erwartet werden dürfen. In der Tat sind überall die gewöhnlichen Verhältnisse des Mittellandes vorhanden. Kaum dass am Hörnli und bei Bischofszell noch einige Vertreter der Bergflora hereinstrahlen (Adenostyles, Elymus, Nardus, Rosa alpina, Carlina acaulis, Polygonum bistorta, Alnus viridis etc.) oder längs der Thur herabgeschwemmt vorkommen (Campanula pusilla, Ranunculus aconitifolius, Pleurospermum, Gypsophila repens) und im W. etliche Kalkpflanzen vom Jura her sich bemerkbar machen (Cytisus nigricans, Helleborus foetidus, Pulsatilla).
Floristische Seltenheiten fehlen indes nicht vollständig (Samolus Valerandi und Thalictrum exaltatum bei Güttingen, Aspidium cristatum im Hudelmoos bei Zihlschlacht, Saxifraga oppositifolia am Seestrand von Güttingen bis Kreuzlingen und bei Glarisegg; Gladiolus palustris und Ophioglossum bei Gottlieben; Deschampsia rhenana am See- und Rheinufer, Armeria rhenana bei Mammern, Najas flexilis, Alisma graminifolium und Sagittaria bei Ermatingen). Bei Diessenhofen und Neunforn, in der Zone geringsten Regenfalls, ist eine Anzahl von Bürgern wärmerer Gegenden vorhanden (Lamium amplexicaule, Andropogon Ischaemum, Tunica prolifera, Gypsophila muralis, Antirrhinum orontium, Euphrasia lutea, Urtica urens etc.), und das Seeufer zeichnet sich infolge gemilderter Winter durch eine reiche Parkflora aus.
Die Torfmoore sind meist vorwiegend aus Riedgräsern, Gräsern und Binsen zusammengesetzte Flachmoore mit Erle, Birke und Faulbaum; das Hochmoor mit schwellenden Sphagnumpolstern, mit Ericaceen (Oxycoccus, Andromeda, Calluna) und mit Eriophorum vaginatum findet sich in etwas grösserer Ausdehnung fast nur im obern Thurgau (Rudel-, Heldswiler- und Waldbachermoos). Leider müssen die Moore mehr und mehr dem Kulturland weichen. Mit ihnen schwinden auch viele schöne Pflanzen, besonders Glazialrelikte, die hier ihre Zufluchtsstätte haben (Eriophorum vaginatum und E. alpinum, Oxycoccus, Andromeda, Trollius, Pinguicula alpina, Botrychium lunaria etc.). Uebrigens finden sich solche auch im glazialen Trümmerfeld zwischen Frauenfeld und Diessenhofen, sowie auf Seerücken, Ottenberg, Immen- und Wellenberg (Arctostaphylos, Pirola uniflora, Gymnadenia odoratissima etc.) und am Seestrand (Saxifraga oppositifolia).
Einen eigentümlichen Einschlag in die thurgauische Flora bedeuten die auf mehrere Hektaren zu veranschlagenden und sich stets weiter ausbreitendem Bestände der kanadischen Goldrute (Solidago serotina), die im Ufergebiet von Thur und Murg allmälig die heimische Flora verdrängen, selbst Weidenkulturen ersticken und den Streueertrag bedenklich mindern, so dass der Eindringling bereits den Namen «Streuepest» erhalten hat. Als Streue und Futter ist die Goldrute fast wertlos, als Bienenpflanze dagegen nicht ohne Bedeutung. In ihrer Gesellschaft finden sich, auch herdenweise, doch bedeutend bescheidener auftretend, noch einige weitere, ebenfalls aus Nordamerika stammende Gartenflüchtlinge, wie Solidago graminifolia, Aster salicifolius, A. Novi Belgii und A. parviflorus etc. Die Kryptogamenflora ist noch wenig erforscht. Boltshauser hat in der Umgebung von Amriswil 130 Arten Laubmoose konstatiert. Die Algenflora des Bodensees machten Schroeter und Kirchner bekannt. Die Speisepilze werden selten gesammelt, obschon Keulenschwämme, Reizker, Pfifferling, Brätling und Champignon häufig
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sind. Längs der Thur und Murg finden sich Morcheln, und im Laubwald Steinpilze und Parasolschwamm.
[Prof. H. Wegelin.]
8. Landwirtschaft.
Wenn auch Landbau in Verbindung mit Viehhaltung und Milchwirtschaft immer noch einen Haupterwerbszweig bildet, kann doch der Thurgau heute nicht mehr zu den vorwiegend Landbau treibenden Kantonen gezählt werden. Die Landwirtschaft beschäftigt nicht mehr die meisten Personen; die Zahl der in den verschiedenen Industrien und im Kleingewerbe Tätigen ist grösser geworden. Nach der eidg. Betriebszählung vom beschäftigten im Thurgau: die Urproduktion (inkl. Fischerei, Jagd und Forstwirtschaft) 31495, die Industrie 32212, der Handel 5911 und der Verkehr 2401 Personen.
Die gleiche Zählung ergab das Vorhandensein von 11874 Betrieben der Urproduktion, 9590 industriellen und gewerblichen Betrieben, 3602 Handels- und 550 Verkehrsbetrieben. Auch hier hat sich in den meisten Gemeinden mit rein oder vorherrschend agrikolen Verhältnissen die Gesamtbevölkerung zum Teil stark reduziert. Die jungen Leute werden eben von den industriellen Ortschaften immer mehr angezogen, nicht zuletzt von der Stickmaschine, trotz zeitweiliger Krisen.
Das Verlockende besteht in kurzer Lehrzeit, baldigem Tagesverdienst, freiem Sonntag und Arbeit auch bei ungünstigem Wetter. Sodann kann man in Zeiten der Krisis immer noch oder wieder zu einem andern Beruf übergehen. Man sollte nun meinen, die Verminderung der Zahl der Konkurrenten würde den der Landwirtschaft treu Gebliebenen eine schöne ökonomische Lage zu verschaffen vermögen. Dies trifft aber vielerorts nicht zu. Vielmehr ist unter den thurgauischen Bauern ziemlich allgemein die Klage verbreitet, dass bei der Landwirtschaft nur noch sein Auskommen finden könne, wer nicht oder nicht erheblich verschuldet sei und mit eigenen Arbeitskräften, d. h. ohne die mit Bezug auf Lohn und Verpflegung anspruchsvoll gewordenen Knechte, Mägde und Taglöhner, die Arbeit zu bewältigen vermöge.
Uebrigens sind ja fremde Hilfskräfte fast nicht zu bekommen. Die Dienstboten- und Taglöhnerfrage ist eine brennende. Es ist nicht zu übersehen, dass im Thurgau vorläufig noch die Klein- und Schuldenbauern (Viehzahl 3-5 Stück) die Mehrzahl ausmachen, sowie dass viele derselben einen Rebberg ihr eigen nennen, auf welchem Konto seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts fast alljährlich mit einem Betriebsdefizit abgeschlossen werden musste. Der einst so lohnende Thurgauer Weinbau scheint leider dem Untergang geweiht zu sein.
Pflanzliche und tierische Parasiten (falscher und echter Mehltau, am Immenberg die Reblaus), dann auch Nachtfröste, Hagel, der erhöhte Bierkonsum und die Abstinenzbewegung fügen ihm empfindlichen Schaden zu. Auch die ausländische Konkurrenz macht sich in dieser Hinsicht besonders fühlbar. Die festesten Pfeiler der Existenz unserer Bauern sind Viehzucht und Milchwirtschaft, sowie der Obstbau. Gestalt und geologische Beschaffenheit des Bodens, Klima und ausländische Konkurrenz zwingen den Bauern, sich immer mehr auf Kultur von Gras und andern Futterpflanzen, auf Vermehrung des Viehstandes und auf Obstbau zu werfen. In der Produktion von Gras, Heu, Emd und andern Futterpflanzen kann unsere Gegend sowohl hinsichtlich Qualität als Quantität noch am ehesten konkurrieren. Es nimmt denn auch unter den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft der Wiesenbau und der Anbau von Kunstfutter seit geraumer Zeit weitaus den ersten Rang ein.
Das Land ist grün, und die im Sommer das landschaftliche Bild so angenehm unterbrechenden goldgelben Getreidefelder sind spärlich geworden. In welchem Masse das Ackerland gegenüber dem Wiesland zurückgegangen, mögen die nachfolgenden Zahlen und Angaben aus der letzten thurgauischen Agrarstatistik von 1890 lehren, wobei zu bemerken ist, dass seither wiederum eine bedeutende Verschiebung im Bestand des Areals zu Gunsten des Wieslandes eingetreten ist.
Während im Jahr 1852 das produktive Areal zu 46% auf Ackerland, zu 29,2% auf Wiesland, zu 22,2% auf Wald und zu 2,6% auf Reben entfielen, hatten sich 1890 diese Verhältnisse wie folgt verschoben:
ha | oder % | |
---|---|---|
Ackerland | 23719 | 28.0 |
Wiesland | 37019 | 43.4 |
Wald | 20111 | 23.8 |
Reben | 1812 | 2.2 |
Rietland | 1946 | 2.5 |
Allmend | 105 | 0.1 |
Produktives Land: | 84712 | 100,0% |
Es ist also im Verlauf von etwa 4 Dezennien das Ackerland um 39% zurückgegangen, während das Wiesland um 49% zugenommen hat!
An Naturfutter erntete der Kanton 1890 (auf das Trockengewicht zurückgeführt):
Meterzentner | Wert Fr. | Durchschnittspreis pro q | |
---|---|---|---|
Heu | 1312577 | 6619027 | 5.- |
Emd | 640273 | 3774099 | 5.90 |
Herbstgras | 111872 | 594020 | 5.30 |
Total | 2064722 | 10987146 |
Streng genommen ist zu der Kategorie «Wiesenbau» noch zu schlagen und vom «Ackerbau» abzuziehen das Areal und der Ertrag des Kunstfutterbaues (5769 ha), weil dieses auch im Dienst der Ernährung des Viehs steht. Also:
Meterzentner | Geldwert Fr. | |
---|---|---|
Klee | 191585 | 865319 |
Luzerne | 47996 | 233151 |
Esparsette | 51062 | 223960 |
Kleegrasmischung | 47181 | 216938 |
Uebrige Futterpflanzen | 21032 | 97536 |
: | 358859 | 1636904 |
Unter den kultivierten Ackerpflanzen nahm 1890 das Getreide noch eine hervorragende Stelle ein. 54,8% des gesamten Ackerlandes waren dem Körnerbau gewidmet. Von den verschiedenen Getreidearten dominierte bis ums Jahr 1870 der Spelz oder Dinkel («Korn» geheissen), musste dann aber den Rang dem Weizen abtreten und ist mancherorts gänzlich durch diesen verdrängt worden.
Areal und Ertrag des Getreidebaus 1890.
ha | Körner q | Geldwert Fr. | Durchschnittspreis per q | Stroh q | Wert Fr. | Durchschnittspreis per q | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Weizen | 5029.6 | 65857 | 1272099 | 19.30 | 132821 | 628969 | 4.75 |
Hafer | 4750.9 | 51764 | 865602 | 16.75 | 91832 | 371610 | 4.04 |
Korn | 1560.3 | 24177 | 354907 | 14.65 | 40761 | 191820 | 4.70 |
Roggen | 718.7 | 9353 | 161026 | 17.20 | 22121 | 112484 | 5.00 |
Gerste | 541.2 | 8080 | 127058 | 15.70 | 10331 | 39785 | 3.85 |
: | 159231 | 2780692 | 297866 | 1344668 |
Das Getreide verkaufen die Bauern, soweit sie es nicht für die Viehfütterung und -mast benötigen, den Müllern und Fruchthändlern. Sie holen sich jetzt das Brot beim Bäcker, während früher jede Bauernfamilie sich ihr Korn in Kundenmühlen mahlen liess und ihr Hausbrot selbst gebacken hat.
Im Hackfruchtbau kommt die erste Stelle dem Kartoffelbau zu. Frühkartoffeln (Rosenkartoffeln) werden exportiert, speziell aus der Umgebung von Konstanz. 1890 weist diese Kultur von Knollen- und Wurzelgewächsen folgende Zahlen auf:
ha | q | Wert Fr. | Durchschnittspreis per q | |
---|---|---|---|---|
Kartoffeln | 3112 | 187251 | 1101263 | 5.90 |
Runkelrüben | 858 | 186706 | 320207 | 1.70 |
Gelbe Rüben | 83 | 9247 | 30169 | 3.25 |
Räben | ? | 14720 | 20456 | 1.40 |
Unverdrossen sind unsere Landwirte darin, zu untersuchen und zu probieren, welche Art der Düngung die vorteilhafteste sei. Die Stallmistdüngung wird vielfach ersetzt oder ergänzt durch künstlichen Dünger, wie Superphosphat, Knochenmehl, Thomasmehl, Chilisalpeter
Landwirtschaft und Bodenerzeugnisse des Kantons Thurgau
Lief. 245.
GEOGRAPHISCHES LEXIKON DER SCHWEIZ
Verlag von Gebrüder Attinger, Neuenburg.
^[Karte: 6° 40’ O; 47° 30’ N; 1:300000]
▴ 50 Pferde
● 100 Rinder
❙ 100 Schweine
v 100 Ziegen
⥾ 100 Schafe
^ 100 Bienenst.
⤚ Fischerei
░ Weinbau
▒ Ackerland
▓ Weide
▐ Wald
▒ Torfmoos
⌂ Ziegelerde
Stück Rindvieh auf 100 Einw.
░ 31-40
▒ 41-50
▓ 51-60
▐ 61-65
Mce. Borel & Cie. - Neuchâtel.
V. Attinger sc.
LANDWIRTSCHAFT UND BODENERZEUGNISSE DES KANTONS THURGAU.
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und Kainit. Es bestehen einige Stationen für Wiesendüngungsversuche. Die Resultate der interessanten Versuche sprechen sehr zu Gunsten der Thomasmehl-Kainitdüngung. Eine Kunstdüngerfabrik existiert in Märstetten, doch wird eine Menge Kunstdünger importiert, und zwar meist genossenschaftlich. Auch in der Fütterungslehre sind neue Bahnen betreten. Heu, Emd und andere Futterstoffe werden ergänzt durch sog. Kraftfutter (Kleien, Erdnuss und Sesam, Malzkeime, Mais, Treber, Abfallprodukte der Mehlmüllerei).
Den bessern landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen ist man sehr zugänglich. Ueberhaupt zeigen sich die Bauern seit ihrer Organisation und seit Errichtung einer landwirtschaftlichen Winterschule (mit drei Hauptlehrern) ungemein regsam für Förderung ihrer Interessen. Zentralstelle ist der thurgauische landwirtschaftliche Verein. Gegründet 1835 von Seminardirektor Wehrli, zählte er im Jahr 1906 in 50 Sektionen beinahe 3000 Mitglieder und über 200 Einzelmitglieder. Der Zweck des Vereins ist Förderung von Land- und Volkswirtschaft in technischer und wirtschaftspolitischer Richtung. Er sucht ihn zu erfüllen:
1) Durch Veranstaltung und Unterstützung von Kursen und Wandervorträgen über land- und volkswirtschaftliche Fragen. - 2) Durch Herausgabe eines Vereinsblattes und Unterhaltung einer landwirtschaftlichen Bibliothek. - 3) Durch Förderung des Genossenschaftswesens, insbesondere durch Anhandnahme der Vermittlung landwirtschaftlicher Bedarfsartikel und Verwertung landwirtschaftlicher Produkte bezw. Verbesserung des Absatzes derselben. Zu diesem Zwecke bildet der Hauptverein die Sonderabteilung Genossenschaftswesen. - 4) Durch die Abhaltung und Unterstützung landwirtschaftlicher Ausstellungen und Produktenmärkte, Geräteproben und Kulturversuchen. - 5) Durch Unterstützung der dem Hauptverein beigetretenen Zweigvereine, wie der Bestrebungen des schweizerischen landwirtschaftlichen Vereins und des schweizerischen Bauernverbandes.
Die Menge der durch den Genossenschaftsverband des thurgauischen landwirtschaftlichen Vereins im Jahre 1904/05 an dessen Sektionen gelieferten Düngemittel beträgt 2584355 kg, an Futtermitteln 42000 kg, der Wert der Düngemittel Fr. 198100. Die landwirtschaftliche Winterschule war zwei Winter über provisorisch in der Kaserne Frauenfeld untergebracht und hat seit dem Winter 1906/07 ein nach Lage und Einrichtung ausgezeichnetes Heim in Arenenberg gefunden, welches Schlossgut von der Exkaiserin Eugenie im Frühjahr 1906 dem Kanton geschenkt worden ist. Der Schule ist jetzt auch eine milchwirtschaftliche Versuchsstation angegliedert. Neuestens sucht der landwirtschaftliche Verein den Getreidebau wieder zu heben durch Abhaltung von Samenmärkten mit Prämierung für vorzügliches Saatgut. Es existiert auch ein kantonaler Obstbauverein.
Der Weinbau ist zur Zeit noch in allen Bezirken vertreten; in den Bezirken Arbon, Diessenhofen, Bischofszell und Münchwilen allerdings nur in geringem Umfange. Höchstgelegene Lagen sind die bei Bettwiesen und Eschlikon (620 m). Berühmtere Thurgauer Weine sind diejenigen von Ittingen (Karthäusler), Ottenberg (Bachtobler), Bissegg, Götighofen, Stettfurt (Sonnenberger), Herdern, Steinegg und Katharinenthal. Die Qualität des Traubensaftes wird durch sorgfältige Absonderung des weissen Gewächses vom roten und durch Vor- und Nachlese des letztem in zwei bis drei Qualitäten gehoben.
Die für das Jahr 1906 aufgenommene Statistik der Weinernte ergibt folgende Zahlen:
Bezirke | Fläche des Reblandes | Quantität in Hektolitern | Geldwert (Mittl. Preis) per Hektoliter in Franken | ||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
ha | Rotes Gewächs hl | Weisses Gewächs hl | Gemischtes Gewächs hl | Rotes Gewächs Fr. | Weisses Gewächs Fr. | Gem. Gewächs Fr. | |
Arbon | 8.21 | 42.00 | - | 8.80 | 73.33 | - | 70.- |
Bischofszell | 36.25 | 83.35 | - | - | 66.- | - | - |
Diessenhofen | 55.00 | 25.00 | 330.00 | 30.00 | 50.- | 30.33 | 40.- |
Frauenfeld | 324.82 | 765.10 | 2463.30 | 362.65 | 50.94 | 31.44 | 36.25 |
Kreuzlingen | 113.69 | 234.00 | 884.00 | 75.80 | 43.60 | 25.80 | 36.- |
Münchwilen | 47.34 | 47.00 | 38.00 | 25.00 | 53.33 | 35.- | 40.- |
Steckborn | 317.07 | 679.20 | 3615.30 | 189.80 | 47.85 | 29.97 | 29.25 |
Weinfelden | 176.90 | 1532.50 | 516.00 | 305.40 | 44.33 | 32.62 | 31.75 |
Total | 1079.28 | 3408.15 | 7846.93 | 997.45 | 53.67 | 30.86 | 40.46 |
Geldwert Fr. | 182895.41 | 242146.07 | 40266.82 |
Ein zuverlässiger buchführender Winzer am Untersee berechnete das Durchschnittsergebnis einer Juchart Reben von 5000 Stöcken (wovon ⅔ weisses und ⅓ rotes Gewächs) in den 20 Jahren von 1881 bis 1901 und erhielt:
Fr. | |
---|---|
Brutto-Ertrag pro Juchart | 401.20 |
Unkosten | 378.- |
Bleiben | 23.20 |
Hieraus folgt, dass bei Annahme einer Verzinsung von 4% die Juchart Reben dort bloss noch 580 Fr. und die Hektare 1580 Fr. wert ist. Daneben gibt es aber Weinlagen im Kanton (besonders an steilen Halden), die nicht mehr als einen Taglohn von 20-30 Rappen rentieren, also völlig wertlos sind. Es ist daher wohl begreiflich, wenn bei Abstimmungen über ein Gesetz von finanzieller Tragweite die Weinbauern des Thurgaues gerne negieren.
Für das Pflanzen und Pflegen von Obstbäumen, namentlich Kernobstbäumen, haben die Thurgauer von jeher eine grosse Vorliebe gehabt, was nicht Wunder nehmen muss in einer Gegend, wo der Boden und das Klima für die Entwicklung kräftiger, mächtiger Obstbäume und für reichen Ertrag an gutem Wirtschafts- und Tafelobst so günstig sind. Seitdem für Absatz gesorgt und Aepfel, sowie Apfelwein und Birnensaft ein reger Handelsartikel geworden sind, wird der Obstkultur noch vermehrte Beachtung geschenkt. In zahlreichen Vorträgen und Kursen (teils im Kanton, teils an der Schule zu Wädenswil) über Zucht und Wartung des Obstbaumes, Sortenkunde, Bekämpfung der Schädlinge, Verpackung und Versand von Obst, sowie über Mostbereitung und Kelterung sucht man den Obstbau zu heben. Die Thurgauer Bauern sind erklärte Pomologen und Freunde des Obstbaumes.
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Namentlich das thurgauische Mostobst erfreut sich eines ausgezeichneten Rufes. Eine Obstbaustatistik mit Zählung sämtlicher Obstbäume ist im Jahr 1884 aufgenommen worden. Darnach betrug die Zahl sämtlicher Obstbäume im Acker- und Wiesland 968839, die der Gartenobstbäume 30093, zusammen 998932 Stück. Davon waren 806356 Kernobstbäume und 147491 Steinobstbäume. Es entfielen: pro ha Gesamtfläche 11,5 und pro ha Obstbauareal 16,1 Bäume, sowie auf je 1 Ew. rund 10 Bäume.
Von 1859 bis 1884 vermehrte sich die Zahl der Obstbäume um 91229 Stück. 1884 war der Prozentanteil der Apfelbäume 50,4%, der Birnbäume 32,9%, der Kirschbäume 3,0%, der Zwetschgen- und Pflaumenbäume 12,3% und der Nussbäume 1,4%. Der Hauptexport geht immer noch nach Stuttgart, wohin innert 11 Jahren 16379 Wagenladungen aus Oesterreich und 16375 solcher aus der Schweiz (meist aus dem Thurgau) gegangen sind. Erst in grossen Abständen von 1800-4700 Wagenladungen folgen Holland, Belgien, Hessen, Frankreich und Baden.
In neuerer Zeit haben sich Genossenschaften für Obstexport, sowie für rationelle Herstellung und Kelterung des Obstweins gebildet; so in Egnach, Bischofszell, Märstetten, Oberaach etc. Die Obstverwertungsgenossenschaft Bischofszell zählt z. B. etwa 60 Landwirte aus Bischofszell und den Nachbargemeinden als Mitglieder. Es wird laut Statuten zunächst das verfügbare Obst der Genossenschafter und, je nach Bedarf, nachher auch dasjenige anderer Bauern verarbeitet und abgesetzt.
Grosse, von Motoren getriebene Obstmühlen in der obern Etage des Gebäudes mahlen täglich 500-600 Meterzentner Obst; dieses fällt in die im Parterre befindlichen Pressen-Beete (auf Rollwagen), wird hier mittels hydraulischer Pressen ausgepresst und der Saft durch Schläuche in die prächtigen ovalen (bis 5 m hohen und 100-120 hl fassenden) Lagerfässer im Keller geleitet. Nach aussen ist der Verkehr sehr kulant. Hunderte von Transportfässern in allen möglichen Grössen werden den Konsumenten leihweise zur Verfügung gestellt.
Egnach besitzt eine Dampfzentralheizung in den Kellern, um durch gleichmässige Temperatur einen raschen Gährungsprozess und damit glanzhelle, haltbare Produkte zu erzielen. Eine selbsttätige Wasserdruckpumpe befördert die Säfte in die Lagerfässer. Die Genossenschaft Egnach hat 1905/06 nicht weniger als 800000 Liter Saft und Most verkauft. Das Jahr 1906 hatte bisher im Thurgau wahrscheinlich den stärksten Handel in Obst und Obstsäften aufzuweisen. Die Zufahrtsstrassen zu den Obstmärkten, zu den Genossenschaftsmostereien und den Eisenbahnstationen waren zeitweise von Obstfuhrwerken förmlich gesperrt. Der Export über Romanshorn und Singen dürfte 1500 Eisenbahnwagenladungen betragen haben (in Romanshorn allein während 14 Tagen täglich 100-120 Wagenladungen).
[F. Ribi.]
Die Hauptobstgegend ist das Egnach mit seinen riesigen Birnbäumen; hier allein gedeiht auch noch der Kirschbaum in grösseren Mengen auf Kalkboden im sog. «Chriesichratten» Obstbaumwälder haben auch die Seeufer von Horn bis unterhalb Steckborn, der flache O.-Teil des Seerückens und der Bezirk Bischofszell. Das Thurthal mit seinem Kiesboden ist dem Obstbaum weniger günstig. Leider werden noch immer viel zu viele Sorten gepflanzt (nach Schwyzer-Reber 264 Aepfel- und 172 Birnensorten), weshalb keine Gleichmässigkeit in der Handelsware und im Obstwein vorhanden ist.
Als beste Mostobstsorten erfreuen sich weiter Verbreitung: unter den Aepfeln Waldhöfler, Uttwiler oder Spätlauber, Gelbjoggler, Rotenhauser Holzapfel, Palmoder Nägeliapfel, Hessenreuter, Salomonsapfel etc.;
unter den Birnen: Sülibirne, Bergler, Gelbmöstler, Grünmöstler, Guntershauser, Knollbirne, Spätweinbirne und.
Wasser- oder Kugelbirne. Als Tafeläpfel erzielen hohe Preise: Fraurotacher, Baumanns und Kasseler Reinette, Gravensteiner, Goldparmaine, Breitacher, Pariser Rambour, Lederapfel, Sommerer (roter Sommerkalvill) u. a. Unter den Birnen spielt fast nur die Pastorenbirne eine Rolle als Lagerfrucht; der Baum ist sehr tragbar. Einige wertvolle alte Sorten gehen immer mehr zurück: Fraurotacher- und Gelbjogglerbäume wollen nicht mehr recht gedeihen, und auch die Langstieler- oder Chriesibirne wird nur noch selten angetroffen. Beim Steinobst spielt die Zwetschge die wichtigste Rolle; einzelne Gemeinden führen in günstigen Jahren 1200-1500 Zentner aus, meist zum Brennen. Als Dörrfrucht kann sie mit den billigen Balkanzwetschgen nicht konkurrieren. Die Hauptsorte ist die gewöhnliche Hauszwetschge, doch sind auch die
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italienische oder welsche und die Fellenbergzwetschge allgemein verbreitet und beliebt. Die früher häufigen Nussbäume sind überall selten geworden.
Im eingehagten Krautgarten pflanzt die Bäuerin nicht mehr wie vor Zeiten ausschliesslich Kraut, d. h. Mangold (Beta cicla). Die Ansprüche an ihre Küche sind bedeutend gestiegen. Sie zieht Bohnen (Höckerli und Stangenbohnen), Zuckererbsen, gelbe Rüben und Spinat, Kohlarten, Zwiebeln, Salat und Rettig, Lauch und Sellerie, Petersilie und Schnittlauch. In neuerer Zeit bürgert sich auch der im Frühling ein Obstgemüse liefernde Rhabarber ein, während das Butterkraut (Gartenmelde) verschwunden und die Wegluege (Cichorium intybus) durch käufliche Kaffeesurrogate verdrängt ist.
Jeder Garten hat eine Abteilung für Blumen, und wie schon vor Jahrhunderten schmücken ihn vorzüglich weisse und gelbe Narzissen und Tulpen, Grasnelken (Dianthus plumarius), Goldlack und Levkojen, Ringelblume, Rittersporn und Resede, Händscheli (Primula acaulis und P. elatior), Salbei und Lavendel. Häufig enthalten die Blumenbeete auch Hyazinthen, Kaiserkrone, weisse Lilie, Pfingstrose, Stockrose (Althaea rosea), Bartnelke, Nachtviole und Winteraster (Chrysanthemum indicum), - alles durch Zwiebel, Knolle oder Wurzelstock im Freien ausdauernde oder durch Selbstaussaat sich erhaltende einjährige Pflanzen.
Mehr Sorgfalt erfordern Majoran, Dahlie, Aster und Balsamine. Nirgends fehlen einige Rosen; häufig sind Zimmtröschen (Philadelphus coronarius), spanischer Flieder und der Blütenschmuck des Balusters (Cydonia japonica); da und dort wird auch ein Hollunderstrauch (Sambucus nigra) der Latwerge liefernden Beeren wegen geduldet. Mehr und mehr aber beansprucht in den Hausgärten edles Spalierobst den verfügbaren Raum, und die Hauswände überziehen sich mit «Trüetern» von feinen Trauben, Pfirsichen, Aprikosen und Birnen. Schönheitssinn und Bedürfnis für gedeckte Ausschau schmücken überall die Fenster mit Pelargonien, Fuchsien, Nelken, Blattkaktus, Primeln u. a.
Die Villengärten haben kein dem Thurgau eigenes Gepräge. Sie zeigen Spalierobst, Ziersträucher, Bäume und Blumen, wie es die Mode mit sich bringt und das Klima es erlaubt.
Die Obstbäume leiden unter dem Schorf, der die Entwicklung der Blätter beeinträchtigt und die Früchte unansehnlich und minderwertig macht; ferner unter den Fäulepilzen, die Apfelbäume speziell unter dem Krebs. Der früher so häufige Gitterrost des Birnbaums ist fast völlig verschwunden, seit dem Sevistrauch (Juniperus Sabina) der Gärten zielbewusst der Krieg erklärt ist. Das Getreide wird häufig von Rost, Stein- und Flugbrand, die Kohlarten von Zeit zu Zeit durch die Hernie heimgesucht. Der Kartoffelkrankheit steuert man durch Einführung widerstandsfähiger Sorten.
[Prof. H. Wegelin.]
9. Wald und Waldwirtschaft.
Die Waldungen nehmen noch etwa 1/5 des produktiven Areals ein. Wie die Mitteilungen über die geologische Beschaffenheit gezeigt, ist der Boden auch für diese Kultur geeignet, stellenweise sogar in hohem Grade. Die Waldungen bekleiden hauptsächlich die Kuppen und Rücken der Hügel; weniger dagegen die Gehänge, es sei denn, dass diese gegen N. liegen. Die stolzesten und ausgedehntesten Waldbestände treffen wir im Gebiet bezw. Besitz der Gemeinden Tägerwilen, Neuwilen, Ermatingen, Güttingen, Bischofszell und Frauenfeld, sodann in den Staatswald-Revieren Feldbach, Kreuzlingen-Münsterlingen, Kalchrain-Steinegg und Katharinenthal, endlich im Hinterthurgau.
Der stark parzellierte Wald ist vorherrschend Nadelwald, während noch vor 200 Jahren das Laubholz überwog, und zwar dominiert die Rottanne. Die Weisstanne bildet selten ausgedehnte Bestände, und die Föhre ist an trockene, sandige S.-Hänge und auf Kiesböden beschränkt. Nach P. Vogler sind an der N.-Abdachung des Wellenbergzuges und des Seerückens, sowie im Hinterthurgau noch zahlreiche Eiben vorhanden. Nur längs des Unter- und Bodensees finden sich ausgedehnte, in Mittelwaldbetrieb stehende Laubholzwaldungen. Einen prächtigen Buchenwald hat Ittingen. Die Auenwälder längs der Flüsse sind vorzugsweise aus Weiden, Pappeln, Erlen und Eschen zusammengesetzt.
Dem Wald sind verderblich der Hallimasch (Agaricus melleus) und der Fichtennadelrost (Chrysomyxa Abietis). Melampsorella Caryophyllacearum erzeugt die sehr häufigen Hexenbesen der Weisstanne, und die Föhrennadelschütte vernichtet ganze, selbst noch 8-10 jährige Saaten.
Auf die schweizerische landwirtschaftliche Ausstellung in Frauenfeld 1903 hin wurden Erhebungen über die thurgauischen Waldungen gemacht, denen Folgendes entnommen sei:
Gesamtfläche ha | Betriebsart Hochwald ha | Mittelwald und Niederwald ha | Wert Fr. | |
---|---|---|---|---|
I. Staatswaldungen | 1159.71 | 1091.04 | 68.67 | 1874250 |
II. Bürgergemeinde-Waldungen | 5166.85 | 2791.87 | 2368.98 | 7290182 |
III. Korporationswaldungen | 667.66 | 61.79 | 605.87 | 1162568 |
IV. Pfrund- und Kirchgemeinde-Wald | 211.09 | 196.04 | 15.05 | 304564 |
V. Grössere Privatwaldungen | 499.85 | 418.77 | 81.08 | 580734 |
VI. Waldungen auswärtiger Besitzer | 485.63 | 404.21 | 81.42 | 753693 |
: | 8190.79 | 4963.72 | 3221.07 | 11965991 |
Uebrige (meist stark parzellierte) Privatwaldungen | 11062.00 | 12522783 | ||
Total | 19252.79 | 24488774 |
Im allgemeinen stehen Waldbau und Waldnutzung unter der Oberaufsicht des Staates bezw. des Finanzdepartements, dem zu diesem Zweck 3 Kreisförster zur Seite stehen. Ihren Wohnsitz haben sie möglichst in der Mitte ihres Kreises zu nehmen. Es liegt ihnen die Verwaltung der Staatswaldungen, sowie die Überwachung der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom und der kantonalen Vollziehungs-Verordung vom mit Bezug auf die öffentlichen und Privatwaldungen ob. In den Bürgerwaldungen verwalten Gemeindeförster und Bürgerausschüsse den Waldbesitz; in den Staatswaldungen wird der Wirtschaftsbetrieb seit mehr als 50 Jahren durch technisch gebildetes Personal geleitet.
Ueber den Wirtschaftsbetrieb und die Nutzungsverhältnisse in den Gemeinde-Waldungen sagt der Rechenschaftsbericht des Regierungsrates pro 1904 u. a.: «Vom Gemeindewaldareal stehen zirka 50% im Mittel- und Niederwaldsbetrieb, und 50% gehören dem Hochwald an dieses Verhältnis ändert sich aber fortwährend zu Gunsten des Hochwaldes, da in den grössern Waldungen am Untersee und im Bezirk Diessenhofen mit den Umwandlungen schon seit einiger Zeit begonnen worden ist und dieselben von Jahr zu Jahr zunehmen. Die Umtriebszeit beträgt für den Mittelwald 30-40 Jahre, für die Buschholzwaldungen an der Thur 6-15 Jahre; im Hochwald wird durchgehends an einem 70-90jährigen Umtrieb festgehalten.
Die Waldpflege, bestehend in Säuberungshieben und Durchforstungen, lässt noch zu wünschen übrig; doch wird seit zirka 10 Jahren hierin mehr als früher geleistet, namentlich weil jetzt das geringe Material besser verwertet werden kann.
Hinsichtlich des Kulturbetriebes ergibt sich aus den eingegangenen Berichten, dass in den Gemeinde- und Korporationswaldungen zirka 260480 Nadel- und Laubholzpflanzen gesetzt und 32 kg Samen ausgesät wurden. Die Pflanzgärten haben einen Umfang von 640 a.
Die Holznutzungen der Bürger- und Kirchgemeinden betragen 25537 m3 und in den Waldungen der Privatkorporationen 4063 m3 also zusammen 29600 m3. Davon fallen auf die Zwischennutzungen
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(Durchforstungserträge) 5020 m3 = 17% der Gesamtnutzung. Diese Angaben basieren grösstenteils auf Schatzungen, da das Material nur in 25 von den 66 Gemeinden aufgearbeitet und gemessen zur Abgabe an die Nutzungsberechtigten oder zum Verkauf kommt."
In den Staatswaldungen war der Materialertrag der Hiebe 8577 m3 Holz (nämlich Hauptnutzung 6354 m3 und Durchforstungserträge 2223 m3), was auf 1 ha 6,81 m3 ausmacht.
Geldertrag: Einnahmen für versteigertes Bau- und Sägholz, sowie Verkauf von Setzlingen, Flechtweiden etc. Fr. 157856.40. Ausgaben für Hauerlöhne, Strassen, Pflanzungen, Besoldungen und Reiseauslagen Fr. 57377.86. Ueberschuss der Einnahmen Fr. 100478.54.
Für die Aufforstung von 12,15 ha Schlagflächen und Nachbesserung in frühern Pflanzungen sind 52628 Setzlinge verschiedener Nadel- und Laubhölzer, sowie 1 kg Föhrensamen verwendet worden. Im ganzen Kanton hat man 1901 zu Aufforstungen 155020 Fichten, 26200 Weisstannen, 8800 Lärchen, 20550 Buchen und etwa 100000 andere Pflanzen verwendet.
[H. Wegelin und F. Ribi.]
10. Liegenschaften.
Zufolge Annahme des neuen Steuergesetzes vom durch das Volk ist für den Steuerkataster eine neue Einschätzung der Liegenschaften, und zwar nach dem Ertragswert (immerhin unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse) für sämtliche Munizipalgemeinden vorgenommen worden. Nach den Ergebnissen derselben beträgt der Wert der Liegenschaften Fr. 112372705. Fügen wir hier gleich bei, dass die Gebäulichkeiten des Kantons auf brandversichert waren für Fr. 305787900.
[F. Ribi.]
11. Fauna.
Die thurgauische Tierwelt weicht kaum ab von der des übrigen schweizerischen Mittellandes. Von Raubtieren sind es ausser dem ziemlich häufigen Fuchs nur Mitglieder der Marderfamilie, die sich den Nachstellungen der zahlreichen Jäger und der immer mehr überhandnehmenden intensiven Boden- und Waldkultur erwehren können. Der Edelmarder ist nicht sehr selten, fällt aber mehr den Fallen der Schleichjäger als dem Blei des patentierten Schützen zum Opfer. Steinmarder und Hermelin sind überall verbreitet, während Iltis und Mauswiesel zu den selteneren Vorkommnissen gehören.
Auch Dachs und Fischotter sind noch nicht ausgerottet. Die Fledermäuse sind bis jetzt in 5 Arten (Ohr-, Mops-, Zwerg-, Bart- und gemeine Fledermaus), die Spitzmäuse in 3 Arten (Wasser-, Wald- und Haus-Spitzmaus) nachgewiesen. Gemein sind Igel und Maulwurf. Unter den Nagern, die sich durch rasche Vermehrung ihrer vielen Feinde erwehren, ist der Hase noch häufig, ebenso das Eichhorn. Die zierlichen Schlafmäuse (Haselmaus und Siebenschläfer) scheinen im stärker bewaldeten Hinterthurgau mehr als in den übrigen Teilen aufzutreten.
Unter den Mäusen ist die schwarze Hausratte nicht seltener als die braune Wanderratte, die erstmals 1812 beobachtet wurde und die erstere völlig zu verdrängen schien; Wald- und Hausmaus sind überall gemein. Im Aufwerfen der Erdhaufen wetteifert die Schärmaus (Arvicola amphibius) mit dem Maulwurf; nicht selten sind auch Rötelmaus (Hypudaeus glareolus), Feldmaus (Arvicola arvalis) und Erdmaus (Arvicola agrestis). Die Wiederkäuer sind auf wenige Rehe beschränkt; der Hirsch ist nur noch fossil in Torfmooren, sowie in Orts- und Flurnamen erhalten.
Beschränkt sich so die Zahl der wildlebenden Säuger auf etwa 30, so ist diejenige der Vögel bedeutend grösser (gegen 200 Arten), da nicht nur zahlreiche Nistvögel, sondern auch sehr viele Durchzügler und Wintergäste in Betracht kommen, die besonders auf Boden- und Untersee die Wasserfläche beleben. Allüberall treiben sich die frechen Spatzen und die Rabenkrähen herum; vor der Amsel sind in den Gärten weder die Zierbeeren, noch Erdbeere und Traube sicher, und die Staare und Drosseln brandschatzen im Herbst in grossen Scharen die Weinberge.
Buchfink und Goldammer, Kohl-, Sumpf- und Blaumeise, oft auch Berg-, Grün- und Graufink kommen im Winter an die Futterplätze, Garten- und Hausrötel, Rot- und Braunkehlchen, Mönchs- und Dorngrasmücke, Goldhähnchen, Tann-, Hauben- und Schwanzmeise, Zaunkönig, Spechtmeise und Baumläufer, Bachstelze, Feldlerche und rotrückiger Würger, Dohle, Elster, Eichelhäher und Ringeltaube sind überall häufig. Der schöne Pirol nistet in den Auenwäldern an der Thur.
Dagegen ist der prächtige Seidenschwanz nur eine ausnahmsweise Erscheinung. Der Wiedehopf kommt noch da und dort, jedoch nur in vereinzelten Paaren vor, hauptsächlich in den mit Weiden bewachsenen Niederungen. Die Rauch- und Stadtschwalben haben abgenommen - die modernen Häuser scheinen ihnen nicht mehr zuzusagen -, und die in Uferwänden und Kiesgruben nistenden Uferschwalben sind sogar selten geworden. Die Klettervögel sind hauptsächlich vertreten durch den grossen und kleinen Buntspecht, den Grau- und Grünspecht, den Wendehals und den Kuckuck. In den grösseren Waldpartien kann man noch als grosse Seltenheit den Schwarzspecht an der Arbeit sehen. Die grössten Raubvögel sind Gabelweihe (Milvus regalis) und Bussard
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(Buteo vulgaris und B. lagopus), die häufigsten Sperber und Turmfalke. Der Uhu ist fast ausgerottet, die Schleiereule selten, dagegen hört man im nächtlichen Walde den Ruf des Steinkäuzchens und des Waldkauz. Im Streue- und Wiesland längs der Thur ist die Sumpfeule häufig.
Von Hühnervögeln nisten Wachtel und Rebhuhn, dagegen ist das Haselhuhn selten.
Der Storch hat eine Ansiedelung in Frauenfeld; in Fluss und See fischen die grauen Reiher, schwimmen die Wildenten und Blässhühner (am Untersee als «Belechen» gejagt und gegessen); im Röhricht brüten grosser und kleiner Steissfuss und das grünfüssige Teichhuhn. Ferner sind Rohrdommel und Zwergreiher hie und da zu treffen. Speziell auf Unter- und Bodensee stellen sich alljährlich zahlreiche Entenarten und Möven als Wintergäste ein, zwischen ihnen ausnahmsweise Schwan, Gans, Kormoran und Seetaucher. Auch der Fischadler kommt vor. An Flüssen oder Bächen sind Eisvogel, Wasseramsel und gelbe Bachstelze noch ziemlich häufig.
An Reptilien ist der Thurgau arm. Er besitzt nur die gemeine Eidechse, die Blindschleiche, die Ringel- und die glatte Natter. Letztere wird meistenorts für die dem Gebiet fehlende Kreuzotter gehalten, weil sie beim Ergreifen zischt und (ganz ungefährlich!) beisst. Wenn hie und da Sumpfschildkröten beobachtet werden, so handelt es sich wohl stets um importierte, ihren Besitzern entlaufene Exemplare.
Der grüne Wasserfrosch verschönt durch seinen Gesang die Idylle der lauen Sommernächte. Häufig sind auch der braune Grasfrosch, der Laubfrosch, die Unke und die Feldkröte, selten der Fessier. Von Schwanzlurchen trifft man in Gräben und Teichen häufig die Wassermolche (Triton palmatus und T. cristatus), während der auch nicht seltene Feuersalamander durch sein nächtliches Leben weniger auffällt.
Ueber die Fische des Bodensees siehe den Artikel Bodensee. Nach E. Wehrli (Fischleben der kleinen thurg. Gewässer in den Mitteil. der thurg. Nat. Ges. X) bergen die Thur und ihre Zuflüsse 27 Arten. Stachlelflosser: Der Barsch (Kretzer, Egli) ist zahlreich im Hüttwiler- und Bichelsee, vereinzelt in der Thur. Die Groppe wird der Fischbrut gefährlich. An Weichflossern (namentlich im Hüttwiler- und Bichelsee) finden sich: Karpfen, Schleihe, Brachsen, Blicke, Laugeli, Rotfeder und Rotauge;
in Thur und Murg Barbe, Alet, Strömer, Nase.
Ellritze und Grundel bewohnen selbst die kleinsten Wassergräben, sofern diese nicht austrocknen. Die Forelle erreicht in den Bächen ein Gewicht von bis ½ kg, in der Thur bis 1½ kg. Lachse sind selten, doch werden in der Thur alljährlich einige Stück (zu 3-10 kg) gefangen. Im stehenden und fliessenden Wasser ist der Hecht gemein, der Aal nicht gerade eine Seltenheit. Der Vertreter der Rundmäuler, das Bachneunauge, entzieht sich der Beobachtung durch die Gewohnheit, im tiefen Sand und Schlamm eingewühlt das Leben zu fristen. Beim Säubern der Fabrikkanäle kommt es oft in grosser Menge zum Vorschein, wird dann aber meist als junger Aal oder grosser Wurm angesehen.
Die Molluskenfauna ist durch A. Ulrich (Mitteil. d. thurg. Nat. Ges. XII) bekannt geworden. Sie umfasst 77 Arten Landschnecken, 31 Wasserschnecken und 12 Muscheln. Die Weinbergschnecke (Helix pomatia) wird hie und da gezüchtet; die graue Salatschnecke (Limax agrestis) ist in den Gärten eine allgemeine Plage, und nicht minder auch die weniger beachtete, weil während des Tages im Boden verborgene, dickhäutige Gartennacktschnecke (Arion hortensis). An trockenen Halden bei Diessenhofen findet sich neben der Heideschnecke (Helix ericetorum) die jurassische weisse Turmschnecke (Zebrina detrita). Die zahlreichen Teichmuscheln in den Giessen der Thur werden vom Volke «Austern» genannt.
Die Welt der Insekten ist erst zum kleinen Teil bekannt. In den Gärten schaden dem Gemüse die Raupen der beiden Kohlweisslinge und der Kohleule, sowie die Erdflöhe, Engerlinge und Werren. Der Obstbaum leidet unter dem Frass der Gespinnst- und Miniermotten, des Apfelwicklers (Apfelwurm), des Blütenstechers, des grossen und des kleinen Frostspanners, des ungleichen Borkenkäfers, der Blattlaus u. s. f. Die Waldkultur verzeichnet als Schädling namentlich die Lärchennadelmotte (Tinea laricinella), deren nadelnminierende Raupe die Lärchenbestände schon im Frühling entfärbt; ferner den Engerling als Geissel der Pflanzgärten, den Stockrüssler (Hylobius abietis), welcher zusammen mit dem Fichtenbuchdrucker (Bostrychus typographus) und dem noch schädlicheren 4äugigen Bastkäfer (Polygraphus pubescens) die Rottannen verdirbt.
Die Maikäfer befolgen im obern Thurgau das Urner (1901, 1904, 1907 etc.), im untern das Berner Flugjahr (1900, 1903, 1906 etc.). Der Käfer selbst tritt selten in solchen Mengen auf, dass er gesammelt werden muss; um so mehr leiden Garten, Wiese, Feld und Wald vom Engerling. Die Reblaus (erstmals 1897 bemerkt) hat bereits etwa 300000 Stöcke vernichtet (Immenberg, Landschlacht, Gerlikon, Aadorf). In den Wohnungen ist die ehemals häufige Hausgrille verschwunden, die Bettwanze sehr selten geworden. Die Kopflaus, welche noch vor 50 Jahren vielerorts als etwas selbstverständliches angesehen wurde, ächtet heute den Träger, dagegen sind die «Schwabenkäfer» (Blatta germanica und B. orientalis) in Bäckereien und alten Bauernhäusern noch
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häufig, sowie Kleidermotte und Floh allgemein verbreitet. Von den übrigen menschlichen Schmarotzern ist die Krätzmilbe bei Einheimischen kaum mehr zu finden, der Bandwurm (Taenia saginata) nicht häufig, dagegen Spulwurm (Ascaris lumbricoides) und Madenwurm (Oxyuris vermicularis) eine allgemeine Plage, besonders bei Kindern. Der Flusskrebs ist noch ziemlich zahlreich in den Bächen, im Tägelbach z. B. in wahren Riesenexemplaren; Flohkrebse und Wasserasseln beleben Sümpfe und Wassergräben, und in Fluss und See bilden die Planktonkrebse aus den Familien der Blatt- und Spaltfüssler, der Wasserflöhe und Muschelkrebse die Grundlage für die Existenz der Fischwelt.
[H. Wegelin.]
12. Jagd und Fischerei.
Das Jagdregal gehört ausschliesslich dem Staate. Laut gegenwärtigem Gesetz gilt bei der Jagd des Patentsystem. Die Frage einer Aenderung in diesen Dingen ist aber sozusagen permanent auf der Tagesordnung. Am meisten steht einer Revision entgegen, dass die Jäger selber nicht einig sind. Einzelne Jäger pachten Reviere im benachbarten Badischen, wo die Jagd noch lohnender ist. Im Uebrigen hat sich im Thurgau das Jagdwesen nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz vom der bundesrätlichen und kantonalen Vollziehungsverordnung zu demselben, sowie nach dem jeweiligen Jagderöffnungs-Beschluss des Regierungsrates zu richten. Die Ausstellung der Jagd- und Fischereipatente ist Sache der Bezirksstatthalter.
Die offene Jagdzeit wird in der Regel wie folgt festgesetzt: a) für die Flugjagd auf 2 Wochen im September (1906: 17.-29. September) und b) für die ordentliche Jagd auf 15. Oktober bis 30. November. Die Patenttaxe beträgt 70 Fr. für Flug- und allgemeine Jagd zusammen, Fr. 50 für die allgemeine Jagd allein. Für die Flugjagd allein werden keine Patente abgegeben. Für die Monate Januar und Februar ist die Jagd auf Enten und andere Schwimmvögel auf dem thurgauischen Anteil des Bodensees gegen Lösung einer Bewilligung bei den Statthaltern der Bezirke Kreuzlingen und Arbon und eine Taxe von 20 Fr. gestattet.
Ueber das jagdbare Wild ist bereits im Abschnitt «Fauna» näheres mitgeteilt worden. Die Beteiligung an der Jagd und den Ertrag mögen folgende Zahlen erläutern: Für die allgemeine Jagd wurden im Jahr 1905 269 Patente (damals noch zu 35 Fr.) gelöst;
die Einnahme des Staates im selben Jahr betrug Fr. 9415. Für Abschuss von Raubwild bezahlt der Staat an patentierte Jäger Prämien bis auf Fr. 30 (für Fischotter).
Die gleiche Prämie musste 1905 auch für die Erlegung eines Wildschweins bei Güttingen entrichtet werden.
Das Fischereiregal trug 1905 Fr. 1171 an Patenttaxen und Fr. 700 an Pachtzinsen ein. Der Reichtum der Gewässer an Fischen hat zwar abgenommen, aber die Fischerei spielt doch immer noch eine Rolle, namentlich in Ermatingen, Gottlieben, Landschlacht, Romanshorn und Horn. Damit die Gewässer nicht fischarm werden, bestehen zur Zeit 6 Fischzuchtanstalten (in Ermatingen, Romanshorn, Arbon, Münchwilen, Bischofszell und Langgreut), die sowohl hinsichtlich der Zahl der eingesetzten Eier (Brutperiode 1903/04: 14172100) als der Zahl der ausgebrüteten Fischchen (9857800; Felchen, Aeschen, Bach- und Flussforellen, Hechte) die Leistungen der Fischbrutanstalten aller andern Kantone übertreffen. Im Uebrigen wird auf den Artikel Bodensee, sowie den vorhergehenden Abschnitt über die Fauna verwiesen.
[F. Ribi.]
13. Viehzucht.
Welche Aenderung sich in der Tierwelt vollzogen, erhellt vielleicht am besten aus der Tatsache, dass vor 100-200 Jahren (als noch keine Durchforstung der Wälder Platz gegriffen und Hecken die Grundstücke umgaben) die Vogelwelt so zahlreich war, dass viele Leute aus dem Fang der Vögel sich einen Beruf machten und Joh. Escher, der damalige Herr auf Schloss Wellenberg, im Jahr 1671 folgendes berichtete: «Die Wölfe sind in letzter Zeit auf Pistolenschussweite ans Schloss herangekommen. Sie haben in der Herrschaft zwei Jungpferde und einige Stück Vieh niedergerissen. Allen Anzeichen nach haben sie im Schlosstobel Junge gesetzt.» Seither ist die wilde Tierwelt in steter Abnahme begriffen; dagegen hat die zahme, d. h. die Haustiere aller Art, zugenommen. Das ist der Gang der steigenden Kultur.
Nach der eidg. Viehzählung vom Jahr 1906 hatte der Thurgau neben 6 Eseln 5619 Pferde. Seit 1896 hat sich deren Zahl um 1743 Stück vermehrt. An Rindvieh besass er 63439 Stück (6647 mehr als im Jahr 1896), darunter waren 5928 Kälber, 13966 Stück Jungvieh (d. h. Rinder von ½-2 Jahren), 38064 Kühe, 1643 Zuchtstiere und 3838 Ochsen. Die Zahl der Schweine belief sich auf 23453, (6147 mehr als im Jahr 1896), darunter 52 Zuchteber und 998 Mutterschweine zur Zucht. Ferner 6788 Ziegen, 709 Schafe und 10190 Bienenstöcke (letztere im Jahr 1901).
Vor allem möchte in dieser Statistik die seit 1896 um volle 1743 Stück vermehrte Zahl der Pferde auffallen, während man doch angesichts der Eisenbahnen, der
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Automobile und sonstiger Verkehrsmittel auf deren Verminderung dächte schliessen zu müssen. Allein es zeigt sich da deutlich, wie der Verkehr im grossen (mit der Eisenbahn etc.) den Verkehr im kleinen nicht bloss fördert, sondern eigentlich zu seiner Ernährung bedarf. In Weinfelden besitzt der Kanton eine Fohlenweide, die jährlich durchschnittlich mit etwa 40 Fohlen beschickt wird. In der Rindviehzucht des Kantons sind beide Hauptrassen vertreten, das Braun- und das Fleckvieh, jenes vorwiegend im obern und hintern Kantonsteil. In der Seegegend und im Unterthurgau sorgen die Juden von Wangen, Gailingen und Konstanz durch Import von schwäbischem Vieh für den nötigen Ersatz an Kühen.
Durch Kreuzung mit den vielfach auch nicht reinen Zuchtstieren entstehen dann zahlreiche Abarten. Vorherrschend sind die Rotschecken und Gelbschecken. Im hintern Teil des Landes wird die Gebirgsrasse des Toggenburgs und von Graubünden eingeführt. Grosse Verdienste um die Pflege des Rassenviehs haben besonders die Gutsverwaltungen des Staates in Kalchrain, Tobel und Münsterlingen, die von den aufgehobenen Klöstern herrühren und den dortigen Staatsanstalten (Zwangsarbeitsanstalt in Kalchrain, Zuchthaus in Tobel und Spital in Münsterlingen) angegliedert worden sind, sowie die thurgauischen Tierärzte grosse Verdienste.
Tobel und Münsterlingen züchten ausschliesslich Braunvieh. Für ihr Jungvieh haben sie in Ottenegg hinter Fischingen, am Ostabhang des Hörnli, eine Sommerweide, die ebenfalls Eigentum des Kantons ist und wo jede der beiden Gutsverwaltungen an die 20 Stück sömmert. Kalchrain hat seine eigenen Weiden auf dem Seerücken. Es gibt auch Gemeinden (wie Eschlikon), die ihre eigene Jungviehweide haben. Im obern und hintern Thurgau sodann ist kaum ein Gehöft, das nicht abwechselnd einen Wiesenkomplex einzäunt und während des ganzen Sommers als Viehweide benutzt.
Die Idee der Gründung von Viehzuchtgenossenschaften, sowie der Anschaffung und Zucht von reinem Rassenvieh (vorab Simmenthaler) gewinnt an Boden. Bereits sind über ein Dutzend solcher Genossenschaften entstanden. Anspornend wirken dabei die Bundes- und kantonalen Prämien anlässlich der Viehschauen. Im Uebrigen sind die Viehbesitzer der 212 thurgauischen Ortsgemeinden in 155 Viehversicherungskorporationen organisiert. Daneben bestehen freiwillige Assekuranzen für Ziegen, Schweine, Pferde.
Die Zahl der versicherten Tiere betrug im Jahr 1906: 61349 Stück. Bei der Zählung vom Jahr 1906 wurden zum Schlachten 2166, zur Aufzucht 3762 Kälber mit Milch ernährt. Der Schweinehaltung (Mastung und Zucht) und dem Schweinehandel liegen in neuerer Zeit vornehmlich die Käsereien ob, von denen einige bis zu 150 und mehr Schweine halten. Die Zahl der Bienenstöcke steigt und fällt zum Teil je nach den günstigen oder ungünstigen Jahren. Gegen 1896 zählte man im Jahr 1901 3181 Bienenstöcke weniger.
Nach guten Honigjahren dürfte ein Steigen ihrer Zahl eintreten. Indessen ist zu bemerken, dass vielen Landwirten die für die Wartung der Bienenvölker nötige freie Zeit abgeht. Die meisten und die Hauptimker finden sich denn auch nicht unter den Landwirten, sondern in andern Ständen. Der heutige Stand der thurgauischen Bienenzucht ist immerhin ein schöner. Am meisten Bienenstöcke zählt man in Wellhausen, Engwang, Bischofszell, Bichelsee, Hüttwilen, Eschenz und am Nollen.
[a. Pfarrer Wælli.]
Die angeführten Zahlen zeigen, dass die Bauern das Hauptgewicht auf Milchproduktion und Milchindustrie legen. Sie sind organisiert im Verband thurgauischer Käsereigesellschaften und Milchproduzenten, von dem verschiedene Sektionen der nordostschweizerischen Käserei- und Milchgenossenschaft angehören. Eine Hauptaufgabe dieser Organisationen ist die Regulierung der Milchpreise für die Winter- und Sommermilch. Dabei setzt es oft harte Kämpfe ab mit dem gegnerischen Lager, dem Verein der Käser, Käsehändler et Milchhändler. Um die wichtige Rolle zu zeigen, welche die Milchwirtschaft im wirtschaftlichen Leben des Kantons spielt, lassen sich leider einige Zahlen wieder nicht umgehen.
Setzen wir als Durchschnittsertrag per Kuh und per Tag nur 7 Liter Milch an, so erhalten wir von den 38064 Kühen 266448 Liter im Tag; setzen wir ferner den von den Produzenten für die Wintermilch 1907/08 erkämpften schönen Preis von 15½ Rappen per Liter an, so resultiert der Betrag von Fr. 41299 per Tag. Für das ganze Jahr stellen sich die Ziffern auf etwa 97 Mill. Liter Milch mit einem Erlös von Fr. 15035000. Benutzt wird die Milch zunächst für die Selbstversorgung, ferner zum direkten Verbrauch in Familien, die kein Vieh halten.
Letztere Milch wird entweder von den Käsereien abgegeben (1902: 14027 Liter täglich) oder von Produzenten und Milchhändlern in die städtischen und industriellen Ortschaften geführt. Dann ist die Milch auch Exportartikel, indem täglich etwa 7000 Liter nach Konstanz verkauft und ferner ab etlichen Stationen (z. B. Felben, Märstetten) je mit dem letzten Abend- und dem ersten Morgenzug ein grösseres Quantum Milch in die Städte Zürich und Winterthur geliefert wird.
Sämtliche Milch von Schlattingen kommt nach Schaffhausen. Ein gewisser Prozentsatz dient zur Aufzucht von Kälbern. Weitaus der grösste Teil, mehr als die Hälfte aller Milch, wandert aber in die Sennereien und wird dort zu Käse oder Butter verarbeitet. Die Käseindustrie hat im Thurgau noch eine sehr hohe Bedeutung, während sie z. B. im Nachbarkanton Zürich im Verschwinden begriffen ist. Die Käsereien sind teils Eigentum von Käsereigesellschaften, teils Privateigentum.
Der Käse wird vorzugsweise nach Emmenthaler Art fabriziert; da und dort widmet man sich aber auch der Herstellung anderer Käsesorten, wie Tilsiter, Zentrifugen-Käse, Magerkäse, Zieger, Romadurkäse. 47 von den 156 Käsereien und Molkereien, welche im Jahr 1902 gezählt wurden, sind mit Zentrifugen eingerichtet und verwenden sämtliche oder einen Teil der Milch zur Erzeugung feiner Butter. In den Bauernfamilien selber ist infolge des modernen Molkereiwesens der Butterkonsum selten geworden, während ehedem, als noch die Bereitung eigener Butter (das «Rühren») ein regelmässig wiederkehrendes Geschäft im Hause war, auch das «Schmalzbrot» häufiger auf dem Tisch erschien.
Geben wir im weitern noch dem Bericht der Käsereiinspektoren pro 1902 (im Amtsblatt des Kantons Thurgau pro 1903) das Wort:
«Das täglich in die Käsereien gelieferte Milchquantum beträgt 154320 kg oder jährlich 56326800 kg, welches zu dem Durchschnittspreis von 13¾ Rp. per kg einen Wert von 7744935 Fr. ausmacht. Im Kanton stehen im Betrieb: 2 Käsereien mit täglich über 3000, 3 mit über 2000, 59 mit über 1000, 8 mit 1000, 72 mit 500-1000 und 12 mit täglich unter 500 kg. In weitaus den meisten Käsereien wird ein tägliches Milchquantum von 800-1200 kg verarbeitet.
In 126 Käsereien sind Hochdruckleitungen vorhanden, während im Jahre 1896/97 erst 47 zu finden waren; mit Kraftanlagen sind 116 Käsereien versehen mit einer Gesamtstärke von 350 HP, gegenüber 10 solchen Anlagen vor fünf Jahren. 49 Käsereien haben seither an den Feuerungsanlagen treffliche Verbesserungen vorgenommen, so dass das System „fester Kessel“ mit „beweglichem Feuer“ an 130 Orten vorhanden ist. In verschiedenen Käsereien sind auch sog. „Rührwerke“ vorhanden, welche das
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Rühren im Kessel auf mechanischem Wege vornehmen. In Bezug auf die Neubauten für die Schweinestallungen ist ebenfalls ein grosser Fortschritt zu verzeichnen, indem an die Stelle der üblichen Holzställe fast überall massive, geräumige und gut ventilierbare Anlagen getreten sind. Die in sämtlichen Käsereien des Kantons gehaltenen Schweine belaufen sich auf 12196 Stück und repräsentieren, zu 80 Fr. gerechnet, einen Wert von 975680 Fr.; seit 1896/97 hat sich die Stückzahl um über 3600 vermehrt.
Was die Käsefabrikation anbelangt, so gelangen die Inspektoren zu dem Schlusse, dass dieselbe in den letzten Dezennien erfreuliche Fortschritte gemacht hat, wenn auch noch viele und zum Teil bedeutende Mängel im Interesse eines gesunden Gedeihens dieser Industrie beseitigt werden müssen."
Wir können beifügen, dass die anlässlich der schweizerischen landwirtschaftlichen Ausstellung in Frauenfeld 1903 eingerichteten Musterkäsereien mit ihren modernsten Maschinen, Geräten, Feuerungen, Boden- und Wandverkleidungen jedenfalls gute Früchte zeitigen werden.
[F. Ribi.]
14. Bevölkerung.
Die einheimischen Bewohner des Kantons sind alemannischen Ursprungs. Sie stammen von den Einwanderern, die nach der Verdrängung der römischen Herrschaft von Schwaben her ins Land kamen und es bevölkerten. Ihr ungebundener Freiheitssinn hasste die Städte und ihre Mauern. Darum zerstörten sie, was von solchen aus der Römerzeit vorhanden war. Sie selbst bauten sich ihre Gehöfte zerstreut und vereinzelt im Lande, also dass Jeder der unbeschränkte Gebieter in dem ihm zustehenden Gebiete war.
Infolge dieser Art der Besiedelung hat der Thurgau ursprünglich nirgends grössere Dörfer und Ortschaften gehabt und bis auf den heutigen Tag eine grosse Menge von Weilern und Dörfchen beibehalten, die aus den Gehöften der alten Zeit herausgewachsen sind. Für die Landwirtschaft, die ausschliessliche Beschäftigung der frühere Zeiten, war das die passendste Art der Besiedelung. Erst die neuere Zeit mit ihrer Industrie und ihren veränderten Zuständen und Bedürfnissen hat die Leute mehr zusammengeführt und damit die Entwicklung von grössern Dörfern und Flecken gefördert.
Diese sind alle neuern Datums und reichen kaum mehr denn 50-80 Jahre zurück. Wir nennen nur Sirnach, Münchwilen und Wängi, dann wieder Romanshorn, Amriswil und Kreuzlingen, in neuester Zeit Arbon und Bürglen. Bis 1798 schieden sich die Bewohner des Thurgaues in Adelige und Leibeigene. Nur wenige Geschlechter gehörten dem erstern, die weit überwiegende Mehrzahl dem letztern Stand an. Ein grosser Teil der Inhaber von Herrschaften und Gerichtsherrlichkeiten war ausländischer Herkunft: die Landenberg aus Zürich; die Eglin, Muntprat, Blarer etc. aus Konstanz;
die von Ulm und Mötteli aus Ravensburg;
die Montfort, Fürstenberg, Gemmingen, Fugger u. a. aus Deutschland.
Sie haben sich nie dem Volke assimiliert, sondern sind nach Anschauungen, Sitten und Gebräuchen ein isolierter Teil der Bevölkerung geblieben.
Die vorwiegend landwirtschaftliche Beschäftigung, am See verbunden mit Fischfang und Schiffahrt, übte auf die körperliche und geistige Entwicklung des Volkes einen günstigen Einfluss. Die männliche Bevölkerung ist von mittlerer Grösse, mager und sehnicht, ein ausdauerndes Soldatenmaterial und schon zur Zeit des Reislaufens allezeit willkommene Söldner. Sie ist geistig geweckt und für vernünftige Neuerungen stets empfänglich. Zur Zeit des Untertanenverhältnisses standen die Thurgauer längere Zeit im Rufe schlauer und verschmitzter Leute.
Aber nicht ihre natürlichen Geistesanlagen haben sie in diesen Ruf gebracht, sondern die ungünstigen politischen und sozialen Zustände, in denen sie sich Jahrhunderte hindurch zurechtzufinden hatten und in denen alles darauf angelegt war, sie auszusaugen und zu missbrauchen. Die neuere Geschichte der Eidgenossenschaft zeigt, dass das thurgauische Volk in Einsicht, Freiheits- und Vaterlandsliebe und in charaktervollem Gebahren hinter keinem andern Volksstamm zurücksteht.
Einen üblen Einfluss übten namentlich im 17. und 18. Jahrhundert die konfessionellen Unterschiede und die daraus entstehenden Wirren. In der Reformation hatte sich nahezu die ganze Landgrafschaft der evangelischen Lehre zugewandt. In der Folge waren die 5 katholischen unter den 7 regierenden Orten bemüht, diesen Zustand zu ändern und möglichst viele Gemeinden dem katholischen Bekenntnis zurückzuerobern, während Zürich mit ebenso viel Eifer diesem Treiben entgegentrat.
Das brachte harte Kämpfe mit sich, und einmal ums andere drohte darob der Ausbruch des Krieges. Das Resultat war, dass in einer Menge von Gemeinden die Kirchen paritätisch wurden. Das brachte viel Anstand und gegenseitige Reiberei, bis der Vertrag von Diessenhofen vom Jahr 1728 die Anstände hob und jeder der beiden Konfessionen das Ihre zuteilte. Seitdem haben beide gelernt, sich gegenseitig zu vertragen, und konfessionelle Streitigkeiten in den Gemeinden gehören zu den grössten Seltenheiten.
Von den Thurgauerinnen sagt der Bürgermeister Vadian von St. Gallen, ein Zeitgenosse und Freund Zwinglis, dass sie zart und wohlgebildet, zuweilen selbst durch Schönheit ausgezeichnet seien. Was vor 380 Jahren der Fall war, dürfte auch heute noch zutreffen. Kretinismus und Missgeburten sind im Lande nahezu unbekannte Dinge. Der Gesundheitszustand war von je ein günstiger. Dazu haben Beschäftigung, Nahrung, Wohnung und Kleidung das Ihrige beigetragen. Die Beschäftigung war vorwiegend die Landwirtschaft, die sich in einigen Gegenden mit der Leinwandfabrikation verband. Arbon war der hauptsächlichste Sitz der letztern. Die Nahrung war einfach und ergab sich aus den Erzeugnissen des Landes, unter denen Obst und Obstwein schon in vergangenen Jahrhunderten ihre grosse Bedeutung hatten. Die Wohnungen des