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bei einer solchen Zerstückelung von Grund und Boden von einer rationellen Landwirtschaft keine Rede sein kann, versteht sich wohl von selbst. Die Zusammenlegung dieser kleinen, oft nur 4-10 m2 haltenden Parzellen stösst aber auf grosse Schwierigkeiten, ist doch das vorzügliche Gesetz betr. die Güterzusammenlegung bis Ende 1905 noch in keinem Falle zur Anwendung gekommen. Als grosser Fortschritt wäre es schon zu bezeichnen, wenn das Verbot respektiert würde, Grundstücke nicht mehr zu teilen, wenn die Parzellen nach erfolgter Teilung bereits weniger als 700 m2 Fläche erhalten haben. In der Tessinebene, sowie in den Bezirken Lugano und Mendrisio trifft man häufig noch grosse zusammenhängende Landkomplexe mit eigenen Oekonomiegebäuden, während sonst die landwirtschaftliche Bevölkerung nicht auf ihrem Gute, sondern vereint in Dörfern oder Weilern wohnt.
Schon seit einigen Jahren wird die Gründung einer landwirtschaftlichen Schule angestrebt; allein Sparsamkeitsrücksichten und die Befürchtung einer zu schwachen Frequenz liessen das Projekt bis jetzt noch nicht zur Verwirklichung kommen. Als Ersatz dafür wurde das Institut eines landwirtschaftlichen Wanderlehrers eingeführt, dem schon viele schöne Fortschritte zu verdanken sind, so dass in nächster Zeit eine landwirtschaftliche Schule entstehen dürfte.
Der wichtigste Zweig der Tessiner Landwirtschaft ist die Viehhaltung mit Futterbau und Alpwirtschaft. Im Jahr 1833 existierten nach Aufzeichnungen von Franscini 1500 und im Jahr 1859 nach Lavizzari 1045 Pferde. Laut den eidgenössischen Viehzählungen betrug die Anzahl der Pferde im Jahre 1866: 1067;
1876: 1222;
1886: 973;
1896: 1543;
1901: 1853;
1906: 2502. Man glaubte seiner Zeit, dass nach der Eröffnung der Gotthardbahn (1882) die Pferdezahl bedeutend abnehmen würde.
Diese Reduktion im Pferdebestand hielt aber nur kurze Zeit an, und in den letzten Jahren konstatiert man, wohl infolge des zunehmenden Fremdenverkehrs und der Einführung vieler Industrien, eine stetige Zunahme der Pferde. Pferdezucht wird hier nicht getrieben, dagegen werden noch häufig Maultiere als Kreuzungsprodukt von Esel und Pferd aufgezogen. Im Jahr 1901 existierten im Kanton Tessin 230 (1906: 231) Maultiere und 448 (1906: 409) Esel, deren Zahl seit 50 Jahren ziemlich konstant geblieben ist.
An Rindvieh sollen in den Jahren 1833 und 1859 52600 bezw. 33366 Stück existiert haben, während die erste eidgenössische Viehzählung vom Jahr 1866 deren 45020 Stück ergab, welche 1886 auf 50475 Stück stiegen und 1901 auf 42651, sowie 1906 auf 43654 zurückgingen. Im Sopra Ceneri und ganz speziell in der Leventina hat die Viehzucht in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht infolge Bildung von Viehzuchtgenossenschaften und alljährlichem Ankauf vorzüglichen Zuchtmaterials aus dem Kanton Schwyz. Demzufolge sind auch die Viehpreise beträchtlich gestiegen; während früher für ein Stück Vieh kaum mehr als 400 Fr. bezahlt wurden, ist jetzt ein Preis von 700-750 Fr. keine Seltenheit mehr. Der Wert des gesamten Rindviehbestandes wird auf etwa 11 Mill. Franken geschätzt.
Bund und Kanton werfen für Viehprämierungen jedes Jahr etwa 30000 Fr. aus; hievon kamen im Jahr 1906:
Fr. 18030 auf 129 Zuchtstiere,
Fr. 5960 auf 517 Kühe und Rinder,
Fr. 4790 auf 34 Viehzuchtgenossenschaften,
Fr. 1950 auf 33 Zuchteber.
Die obligatorische Viehversicherung gewinnt allmählig an Boden; es bestehen bereits 20 Viehversicherungsgenossenschaften mit 1200 Besitzern und 2800 Stück Vieh im Gesamtwert von rund 600000 Fr.
Auch der Schweinezucht scheint man immer mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Seit dem Jahr 1876 ist die Zahl der Schweine von 8793 auf 13241 gestiegen. Die Schafe haben dagegen bedeutend abgenommen: im Jahr 1866 existierten deren 25028 und 1906 deren nur noch 9503. Auch die Zahl der Ziegen, deren im Jahr 1866 63461 gehalten wurden, ist etwas zurückgegangen (1906: 53106); in einigen Gemeinden sind sie gänzlich abgeschafft worden, weil man die hirtenlose Ziegenweide, welche namentlich dem Obstbau und dem jungen Wald grossen Schaden zufügt, in mancher Gegend nicht mehr dulden will.
Die Bienenzucht findet immer mehr Freunde, obwohl ihr noch lange nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt wird; im Jahr 1876 existierten 3342 Bienenstöcke und 1901 deren 6656. In jüngster Zeit hat sich ein kleiner Verein zur Hebung der Bienenzucht gebildet, wie auch zur Verbesserung der Geflügelzucht ein rühriger Verein seit einigen Jahren besteht und recht schöne Erfolge aufzuweisen hat. Vor etwa 20 Jahren hat der kantonale landwirtschaftliche Verein die Genossenschaftskäsereien im Kanton Tessin eingeführt; es sind deren gegenwärtig etwa 50 im Betrieb, namentlich in der Leventina und im Sotto Ceneri.
Von den 265 Gemeinden des Kantons besitzen 145 Alpen, deren im Ganzen 465 existieren. Auf ihnen weiden 23000 Stück Gross- und 45000 Stück Kleinvieh. Der jährliche Ertrag an Käse und Butter beträgt rund 1200000 Fr.
Ein Hauptproduktionszweig ist auch der Weinbau mit einem jährlichen Ertrag von 1-1½ Mill. Franken, wovon bisher fast die Hälfte auf die amerikanische Rebe fiel. Immer mehr sucht man aber die amerikanische durch die einheimische Rebe zu ersetzen und die gegen die Phylloxera widerstandsfähigen Reben einzuführen, auf welche dann die einheimischen guten Qualitäten gepfropft werden.
Die Seidenraupenzucht hat heute nicht mehr die Bedeutung wie in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, in welchen der Jahresertrag an Kokons 1 Mill. Franken überstieg, während er in den letzten Jahren kaum mehr 200000 Fr. erreichte. Ursache dieses Rückganges ist das Sinken der Kokonspreise, sowie die jetzt allgemein verbreitete Krankheit (Diaspis) der Maulbeerbäume.
Tabak wird nur im Sotto Ceneri angebaut mit einer Jahresproduktion von etwa 1200 Kilozentnern im Wert von 65000 Fr.
Die Waldungen haben einen Flächeninhalt von etwa 600 km2 und bedecken etwa ⅓ der produktiven Fläche von 1870 km2. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde in den Waldungen des Tessin übel gehaust, indem man es damals auf eine eigentliche Waldzerstörung abgesehen hatte. Statt die Zinsen des Kapitals, d. h. den jährlichen Holzzuwachs von etwa 200000 Festmeter zu nutzen, wurde das 2-3 fache Quantum geschlagen und alljährlich für 2-3 Mill. Franken Holz exportiert. Holzmangel und Ueberschwemmungen waren die Folgen dieses Raubsystems. Das im Jahr 1870 eingesetzte Forstinspektorat hatte einen schweren Stand, diesen Uebernutzungen so wie dem zügellosen ¶
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Weidgang von etwa 60000 Ziegen entgegenzutreten und die des Waldschmuckes entblössten Thäler wieder aufzuforsten.
In den letzten 15 Jahren wurden mit rund 12 Millionen Pflanzen 1500 ha kahle Flächen aufgeforstet und 45 Wildbäche und Rüfen mit über 60000 m3 Mauerwerk nebst vielen Flechtwerken und Entwässerungsgräben verbaut. Durch das Forstinspektorat wurden auch 24 gefährliche Lawinenzüge mittels Erstellung von über 54000 m3 Trockenmauerwerk und unzähligen Pfahlreihen unschädlich gemacht.
Diese Aufforstungen, Lawinen- und Wildbachverbauungen, welche etwa 1600000 Fr. gekostet haben, finden bei Behörden und Bevölkerung immer mehr Anerkennung; ihre Ausführung allerdings wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung von Seite der Eidgenossenschaft und des Kantons.
Auch die land- und alpwirtschaftlichen Bodenverbesserungen finden hier immer mehr Eingang. So wurden in den 14 Jahren 1891-1904 ausgeführt:
Anzahl | Kosten Fr. | Bundesunterstützung Fr. | |
---|---|---|---|
Entwässerungen | 1 | 1414 | 492 |
Bewässerungen | 11 | 113781 | 27741 |
Urbarisierungen | 3 | 33812 | 6859 |
Alpsäuberungen | 17 | 58565 | 16704 |
Stallbauten auf den Alpen | 23 | 115554 | 25577 |
Wasserversorgungen | 20 | 76858 | 20638 |
Alpwege und Brücken | 38 | 200514 | 66933 |
Total | 113 | 600498 | 164944 |
Die Bundesssubvention betrug mithin durchschnittlich 27% der Kosten, die Unterstützung seitens des Kantons durchweg 20% oder im ganzen rund 120000 Fr.
An forstlichen und landwirtschaftlichen Bodenverbesserungen wurden mithin in den letzten 15 Jahren Arbeiten im Gesamtbetrag von 2200000 Fr. ausgeführt.
[Kantonsforstinspektor Merz.]
Ergebnisse der eidg. Viehzählung vom für den Kanton Tessin:
a) Pferde, Maultiere und Esel.
Bezirke | Pferde | Maultiere | Esel |
---|---|---|---|
1. Bellinzona | 323 | 63 | 21 |
2. Blenio | 72 | 2 | 56 |
3. Leventina | 113 | - | 8 |
4. Locarno | 419 | 27 | 46 |
5. Lugano | 920 | 37 | 170 |
6. Mendrisio | 463 | 101 | 97 |
7. Riviera | 106 | - | 6 |
8. Valle Maggia | 86 | 1 | 5 |
Kanton Tessin: | 2502 | 231 | 409 |
b) Rindvieh.
Bezirke | Kälber, Jungvieh und Rinder | Kühe | Zuchtstiere und Ochsen | Total |
---|---|---|---|---|
1. Bellinzona | 2968 | 2946 | 171 | 6085 |
2. Blenio | 2327 | 2113 | 196 | 4636 |
3. Leventina | 2678 | 2859 | 41 | 5578 |
4. Locarno | 3188 | 4450 | 75 | 7713 |
5. Lugano | 3323 | 5796 | 380 | 9499 |
6. Mendrisio | 1176 | 2158 | 959 | 4293 |
7. Riviera | 1022 | 1025 | 35 | 2082 |
8. Valle Maggia | 1911 | 1830 | 27 | 3768 |
Kanton Tessin: | 18593 | 23177 | 1884 | 43654 |
c) Kleinvieh.
Bezirke | Schweine | Schafe | Ziegen |
---|---|---|---|
1. Bellinzona | 2193 | 520 | 6646 |
2. Blenio | 1125 | 1094 | 5804 |
3. Leventina | 1135 | 1696 | 5888 |
4. Locarno | 1239 | 1472 | 13127 |
5. Lugano | 5073 | 1860 | 4615 |
6. Mendrisio | 972 | 871 | 1252 |
7. Riviera | 733 | 709 | 4551 |
8. Valle Maggia | 771 | 1281 | 11223 |
Kanton Tessin: | 13241 | 9503 | 53106 |
Es gab damals im Kanton Tessin: 1897 Besitzer von Tieren des Pferdegeschlechtes, 13592 Rindviehbesitzer und 11699 Kleinviehbesitzer.
[H. Brunner.]
11. Jagd und Fischerei.
Wie die Land- und Forstwirtschaft ist auch die Jagd je nach der Höhenlage eine ganz verschiedene. Die Hochwildjagd beschränkt sich auf Gemsen, Murmeltiere, Auer- und Birkhähne und Steinhühner. Nachdem aber die Eidgenossenschaft Vetterli- und Peabodygewehre zum Preise von 5 Fr. per Stück abgegeben, sind fast alle Alpen mit guten Schusswaffen versehen und ist der Wildstand, namentlich derjenige der Gemsen, in den meisten Thälern arg zurückgegangen, wenn nicht ganz vernichtet worden.
Seit vielen Jahren bestehen hier allerdings zwei Bannbezirke, um den Wildstand zu schützen und zu mehren. Da aber die Aufsicht in diesen ausgedehnten Bannbezirken eine sehr schwierige ist, werden sie häufig von Wildern abgesucht, so dass ihr Nutzeffekt in der Tat von ganz untergeordneter Bedeutung ist. In jüngster Zeit werden auch für die Niederjagd (Hasen, Rebhühner etc.) Schonreviere geschaffen, welche wegen der leichtern Aufsicht jedenfalls bedeutend bessere Resultate liefern werden.
Die früher namentlich im Sotto Ceneri gebräuchlichen und in Italien jetzt noch massenhaft bestehenden Vogelherde, Roccoli genannt, sind durch das eidg. Jagdgesetz verboten worden und schon seit Jahrzehnten im Tessin nicht mehr im Gebrauch. Trotzdem hat sich die Zahl der gefiederten Bewohner nicht vermehrt; man scheibt dies dem Mangel an Lockvögeln zu, wodurch die Zugvögel nicht mehr angehalten werden, sondern durchziehen, ohne sich hier aufzuhalten und zu nisten. Durch das massenhafte Abfangen der Zugvögel in den zahlreichen Netzen Italiens nimmt aber die Anzahl der Vögelchen immer mehr ab, und diejenigen, die sich hier niederlassen, finden in den vielen Jägern ihre Verfolger.
In keinem Kanton der Schweiz werden so viele Jagdpatente erlassen wie hier. Im Jahr 1905 wurden 2163 Patente zu 10 Fr. abgegeben; es traf daher einen patentierten Jäger auf je 65 Einwohner, die häufigen Wilderer nicht mitgerechnet, während es z. B. im Kanton Zürich einen Jäger auf je 1077, im Kanton Bern einen auf je 589 und im Kanton Waadt einen Jäger auf je 344 Einwohner trifft. Dass die Jagd im Kanton Tessin keine lohnende ist, braucht kaum betont zu werden; die grösste Zahl der Jäger betrachtet die Jagd als eine Erholung in freier Luft, verbunden mit dem Abschiessen einiger Vögelein welche, mit Polenta zubereitet, ein Lieblingsgericht der Südländer bedeutet. Um das Fangen von Vögeln mit verbotenen Fanggeräten einzuschränken, werden vom Bund und Kanton Prämien verabfolgt für die Zerstörung der Schlingen und anderer Geräte. Im Jahr 1905 wurden an die eidg. Zollwächter und die Landjäger für Zerstörung von 27901 verbotenen Fanggeräten Fr. 558 an Prämien ausbezahlt. Ueberdies wurden eine Anzahl Gemeinden gebüsst, auf deren Gebiet diese Geräte gefunden wurden.
Von weit grösserer Wichtigkeit als die Jagd ist die Fischerei, welche im Kanton Tessin mit seinen zahlreichen Bächen, Flüssen und Seen zu einem ganz bedeutenden Zweige des Nationaleinkommens erhoben werden könnte. Eigentliche Berufsfischer gab es bisher nur auf dem Luganer- und dem Langensee, aber auch hier war von rationeller Fischerei keine Rede. Sie wurde vielmehr als Raubwirtschaft betrieben, wobei sich die Fischer um die Erhaltung und Mehrung des Fischstandes nicht bekümmerten.
Während in den Gewässern des Kantons die Fischerei durch das eidgenössische bezw. kantonale Fischereigesetz geregelt wird, stehen die internationalen Gewässer wie die beiden Seen, die Tresa, Breggia etc. unter den Vorschriften einer italienischschweizerischen Konvention, welche in jüngster Zeit erneuert worden ist. In den Flüssen und Alpenseen beschränkt sich die Fischerei fast ausschliesslich auf die Forelle, welche jene Gewässer dank den ständigen Einsetzungen von etwa ½ Million kleiner Forellen per Jahr bevölkert.
Die Resultate dieser Einsetzungen können als sehr befriedigende bezeichnet werden, und hunderte von Angelfischern erhalten jetzt ihre Familien zum grössten Teil mit dem Ertrage der Fischerei. In den letzten Jahren waren etwa 15 Fischbrutanstalten im Betrieb, welche vom Bund und Kanton unterstützt werden. Neben den Forelleneiern werden in denselben jährlich etwa 300000 Blaufelcheneier ausgebrütet; die Felchen wie die Seeforellen werden im Luganer- und Langensee eingesetzt. Ausser der Forelle wird in den Flüssen auch die Aesche ¶