mehr
4. Bergbau und Steinbrüche.
Das Bergland des Tessin liefert die mannigfaltigsten Sorten von Hausteinen, deren Gewinnung und Ausfuhr namentlich seit der Eröffnung der Gotthardbahn einen gänzlich unerwarteten Aufschwung genommen haben. Man hatte schon seit sehr langer Zeit in den Hügeln w. Mendrisio, ganz nahe der Dörfer Besazio, Arzo und Tremona, einen wertvollen Marmor gebrochen, der nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Italien und sogar in S.-Amerika zur Herstellung von Altarplatten, Standbildern, Brüstungen, Kamineinfassungen etc. verwendet wurde.
Diesen Marmorbrüchen entstammen u. a. die aus dem 16. Jahrhundert datierenden berühmten Reliefs, welche den kostbarsten Fassadenschmuck der San Lorenzo Kathedrale in Lugano bilden. Während dieser Marmor gewöhnlich hellgrau mit einem Stich ins gelbliche ist, zeigen seine besten Sorten ein gelb und weiss geädertes oder geflammtes, mehr oder weniger dunkles Rot. Das je nach seiner Färbung macchia vecchia oder broccatello genannte Gestein enthält verschiedene Versteinerungen wie Terebrateln (von den Arbeitern «castagne», d. h. Kastanien geheissen), Ammoniten und Belemniten.
Die Erfindung des unter Verwendung von Zement hergestellten Kunststeins, der jegliche Art von Marmor nachzuahmen vermag, hat diesen Marmorbrüchen alle Bedeutung genommen. Dafür ist in letzter Zeit die Gneis- und Granitindustrie in unerwarteten Aufschwung gekommen. Diese sehr harten Hausteine kommen zwar im ganzen Sopra Ceneri vor, doch finden sich die schönsten Brüche im Verzascathal, sowie in der Leventina und Riviera längs der Gotthardbahn von Lavorgo bis Bellinzona. Im Verzascathal finden trotz der dortigen Transportschwierigkeiten vom Frühjahr bis in den Herbst mehrere hunderte von Steinhauern Arbeit und Verdienst, während die Brüche an der Gotthardbahn mächtige rohe und zugehauene Granitblöcke exportieren. Mit Hilfe von besondern Schleifmaschinen vermag man jetzt wie Marmor geschliffene Blöcke zu erhalten.
Das Maggiathal exportiert einen bevola genannten gräulichen Gneis, der besonders zu Treppenstufen, Balkon-, Dach- und Terrassen platten, sowie zu jenen überaus widerstandsfähigen Pfeilern Verwendung findet, welche um Locarno und im Tessinthal von Giornico bis Bellinzona so häufig den Weinlauben als Stützen dienen. Im obersten Maggiathal und namentlich auch im Val Peccia hat man früher Ofen- oder Lavezstein von besserer Qualität als der von Plinius erwähnte ähnliche Stein von Chiavenna gebrochen.
Die feinsten Sorten verwendete man zur Herstellung der laveggi geheissenen und in den Dörfern heute noch da und dort anzutreffenden Steintöpfe, während die auch im Bedrettothal und in der Leventina vorkommenden geringem Sorten zum Bau von Oefen dienten. Im Sotto Ceneri beutet man an den Ufern des Luganersees (Riva San Vitale, Melide, Caslano, um die Bucht von Agno) einen Kalkstein aus, der ausgezeichneten gelöschten Kalk liefert. Im Sopra Ceneri, wo wenig Kalkfels ansteht, findet man dagegen nur selten Kalkbrennereien, obwohl hier seit einigen Jahren die alten Kalköfen von Castione, 3 km n. Bellinzona, wieder in Betrieb gesetzt worden sind und ein vorzügliches Fabrikat liefern. Seit 1903 wurden in den Bezirken Bellinzona (Val Morobbia und Sementina) und Locarno (Ponta Brolla und Ascona), sowie an einigen Stellen des Maggiathales mehrere Kaolinlager aufgefunden, was zur Entstehung der keramischen Industrie in Sementina, 2 km sw. Bellinzona, Veranlassung gab. Beträchtliche Tonlager im Sotto Ceneri (namentlich im Mendrisiotto) liefern den in dieser Landschaft häufigen Ziegeleien und Backsteinfabriken das Rohmaterial.
Aus den Bergen der Leventina stammen die viele fremden Museen zierenden Kristalle, denen man hier schon seit alter Zeit nachspürt. Die meisten liefert das Gotthardmassiv. Man findet: im Val Canaria Bergkristalle von oft gewaltigem Umfang und einem Gewicht bis zu 70 kg, Rutil und Sphen;
im Val Piora schwarzen Turmalin, Cyanit, Adular, Sphen, Granaten, Staurolith etc.;
an der Fibbia und im Sellathal gelben Adular, Apatit, Eisenglanz in Gestalt von sog. Eisenrosen, Stilbit, Feldspat, Sphen und Bergkristall;
am Pizzo Lucendro prachtvolle Eisenrosen, Adular und wasserhellen Bergkristall.
Der Pizzo Campolungo zwischen Rodi-Fiesso an der Gotthardbahn und Fusio im Lavizzarathal ist durch seinen Dolomit berühmt geworden, dessen Kristallreichtum von ¶
mehr
verschiedenen Naturforschern beschrieben wurde: farbloser oder schön smaragdgrüner Turmalin, roter und bläulicher Korund, Tremolit, Rutil, Pyrit, Eisenglanz, grüner oder weisslicher Talk. Zuckerkörniger Dolomit ist hier in einer Schicht von vielleicht 200 m Mächtigkeit entwickelt, deren Oberfläche so leicht verwittert, dass der Fuss wie in Stampfzucker einsinkt. Auch der Pizzo Forno (2909 m) hat den Mineralogen reiche Schätze geliefert, wie Cyanit, Staurolith, Granaten, schwarzen Turmalin etc.
Das Eisenoxyd ist im Tessiner Bergland ziemlich verbreitet, liegt aber an so ungünstigen Stellen, dass an seine Verwertung nicht gedacht werden kann, zumal auch das zur billigen Verhüttung notwendige Brennmaterial fehlt. Immerhin hat man dieses Mineral im Morobbiathal, nahe dem Dorf Carena am Fuss des San Joriopasses, noch um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts abgebaut. Die Ueberreste der 1831 durch eine Feuersbrunst zerstörten Hochöfen und die zerfallenen, langen Stollen zeigen, dass die Industrie zu ihrer Zeit von einer gewissen Bedeutung gewesen sein musste.
Gold und Silber treten in Gestalt verschiedener Erze an mehreren Stellen des Kantons, allerdings nur in geringen Mengen, auf und sind im Verzasca- und Maggiathal, bei Isone, an der Magliasina und im Tessinsand bei Sesto Calende unterhalb des Ausflusses aus dem Langensee gefunden worden. Reich an wertvollen Metallen erscheinen die Berge des Malcantone, besonders in der Umgebung von Astano, Novaggio und Miglieglia. Zwischen den Bänken des Glimmerschiefers stösst man hier nicht selten auf Erzgänge, die stellenweise bis zu 2 m mächtig sein können: Pyrit (Eisenkies), Galenit (Bleiglanz), Antimon, Misspickel mit Silber und Gold (13-20 gr Gold, 42-130 gr Silber und einige Gramm Wismut auf eine Tonne Erz).
Aus einer Tonne Pyrit mit Misspickel, Galenit und Blende hat man sogar 60 gr Gold und 150 gr Silber gewonnen. Ganz nahe Astano sieht man noch Reste der durch Wasser getriebenen Mühlen, in denen man im 18. Jahrhundert das Erz gemahlen hat. Das Gold wurde mit Hilfe von Quecksilber ausgezogen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte eine französische Gesellschaft unterhalb Astano und 200 m ö. der Strasse Luino-Ponte Tresa grosse Hochöfen und Fabrikgebäude zu einem rationellen Bergwerksbetrieb erstellt, musste aber wegen ungenügender Leitung nach wenigen Jahren die Arbeiten wieder einstellen.
Heute zeugen einzig noch die in Ruinen stehenden Bauten und die halb zerfallenen Stollen von dieser Industrie, die gute Resultate hätte zeitigen können, wenn sie von einer kapitalkräftigen und ernsthaften Unternehmung an band genommen worden wäre. Auch links vom Langensee findet man zwischen Vira Gambarogno und Alabardia reiche Adern von Silber- und kupferschüssigem Pyrit, die noch einer nähern Untersuchung harren. Am Ufer des Luganersees, auf Boden der Gemeinde Arogno und unterhalb Morbio Inferiore am Ausgang des Muggiothales tritt ferner Lignit auf, der trotz mehrfacher Versuche leider noch nicht zu einem regelrechten Abbau Veranlassung gegeben hat.
5. Mineralquellen.
Der Kanton Tessin besitzt eine Reihe von Mineralquellen, deren eine subthermal ist. Eine der bedeutendsten ist das Schwefelwasser von Stabio, das speziell gegen Hautkrankheiten Verwendung findet. Bei Acquarossa im Bleniothal entspringen links vom Brenno drei Quellen eines subthermalen (20° C.) Eisensäuerlings mit Gehalt an Arsenik, dessen am Ursprung sehr klares Wasser bald in reichlichem Masse rotes Eisenoxydul niederschlägt, nach welchem Quelle und Dorf den Namen erhalten haben.
Ganz nahe Locarno sprudelt im Bett der Navegna ein demjenigen von San Bernardino ähnlicher Säuerling, der ein gelblich-rotes Sediment niederschlägt. Am Ufer des Langensees finden sich zwischen Magadino und Vira einige bis jetzt noch nicht benutzte Schwefelquellen. Aus dem Fels der Madonna del Sacro Monte über Brissago entspringt eine Mineralquelle, die Eisen- und Magnesiumverbindungen enthält. Endlich findet sich im Bedrettothal ganz nahe Ossasco und 5/4 Stunden oberhalb Airolo eine salzige Eisen- und Magnesiumquelle, die an das berühmte Wasser von Sedlitz in Böhmen erinnert.
[G. Mariani.]
6. Hydrographie.
In hydrographischer Beziehung gehört der Kanton Tessin durch den Po dem Sammelgebiet des Adriatischen Meeres an. Da der Kanton politisch auf die N.-Flanke des Gotthardpasses übergreift, entspringt auf seinem Boden noch die Gotthardreuss, einer der grossen Quellarme der Reuss, der erst nach seinem Austritt aus dem von den Schmelzwassern des Lucendrogletschers genährten schönen Lucendrosee (2083 m) auf Urner Boden übertritt. Das Val Cadlimo endlich gehört dem Rheingebiet an und besitzt im Lago Scuro den Quellsee des Mittel- oder Medelserrheins.
Die nachfolgende Tabelle enthält einige angenäherte Zahlenwerte für die wichtigsten Flussläufe im Kanton Tessin:
Flusslauf | Fläche des Einzugsgebietes km2 | Lauflänge km | Wasserführung in m3 per Sek. | Bemerkungen | |
---|---|---|---|---|---|
Minimum | Maximum | ||||
Sopra Ceneri | Die Tessinkorrektion ist für ein Maximum von 2200 m3 berechnet. Das Hochwasser von 1868 hat ein Maximum von 2400-2500 m3 ergeben. | ||||
Tessin | 1650 | 88 | 16.000 | 1600 | |
Brenno | 405 | 37 | 3.500 | 400 | |
Moesa | 465 | 45 | 4.000 | 500 | |
Morobbia | 40 | 12 | 0.400 | 43 | |
Verzasca | 232 | 34 | 1.000 | 250 | |
Maggia | 920 | 60 | 6.000 | 1000 | |
Isorno | 145 | 25 | 1.200 | 150 | |
Melezza | 175 | 35 | 1.900 | 200 | |
Sotto Ceneri | |||||
Vedeggio | 102 | 32 | 0.600 | 120 | |
Cassarate | 70 | 18 | 0.400 | 80 | |
Magliasina | 30 | 17 | 0.300 | 50 | |
Breggia | 46 | 18 | 0.250 | 50 |
Wie sein Name besagt, wird der Kanton in der Hauptsache durch den Tessin und seine Nebenadern entwässert; eine Ausnahme bilden das Muggiothal und die Ebene von Chiasso, deren Wasser durch die Breggia und die Faloppia in den Comersee fliessen und damit dem Po durch das Einzugsgebiet der Adda zugehen. Die beiden hauptsächlichsten Nebenflüsse des Tessin sind der seine Quellen vom Lukmanier, der Greina und dem Rheinwaldhorn her sammelnde Brenno, der das Bleniothal durchfliesst und bei Biasca von links mündet, sowie die am St. Bernhardin ¶