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Bellinzona-Langensee gliedern lässt, von denen namentlich der letzte eine breite Alluvialebene darstellt. In der Leventina sieht man noch zahlreiche seitliche Terrassenleisten, die bald auf kurze Strecken wieder verwischt erscheinen, bald aber sich stundenweit hinziehen und durch die vielen auf ihnen stehenden weissen, weithin schimmernden Kapellen dem Wanderer sofort auffallen. Wo diese Terrassen zum Flusslauf niedergebrochen sind, was jedesmal zu wirklichen Katastrophen geführt hat, erscheinen die Thalflanken gleichmässig steil geneigt.
Die am besten erhaltene Terrasse ist diejenige, die dem Niveau des Bedrettothales entspricht, bei Madrano aus dem heutigen Thalboden aufsteigt und die Dörfer Altanca (1392 m), Ronco (1373 m), Deggio (1214 m) und Catto (1244 m) trägt. Trotz den zerstörenden Einwirkungen der Glazialzeiten hat sich diese selbe Terrasse auch noch in der Umgebung des Monte Piottino erhalten, worauf sie sich unterhalb desselben als breites Band fortsetzt, auf dem die Dörfer Osco (1164 m), Mairengo (923 m), Primadengo (975 m), Rossura (1050 m), Calonico (987 m), Cavagnago (1021 m) und Sobrio (1095 m) stehen.
Während sich diese Terrasse von Altanca bis Sobrio um bloss 300 m senkt, beträgt der Niveauunterschied der heutigen Thalsohle auf der nämlichen Strecke volle 900 m. Weniger gut ist der Terrassenbau an der rechten Thalflanke erhalten geblieben. Ueber einer die Dörfer Nante (1426 m), Prato (1050 m) und Chironico (799 m) tragenden untern Terrasse sieht man s. vom Monte Piottino noch eine obere, auf welcher aber keine Dörfer mehr, sondern bloss noch zerstreute Einzelsiedelungen sich befinden. In einigen der höchsten Anrisse der rechtsseitigen Thalflanke lässt sich auch noch die obere Grenze der einstigen Vergletscherung feststellen, während die niedrigere linksseitige Flanke solche Spuren nicht mehr zeigt.
Das untere Niveau des einstigen Thalgletschers ist dagegen gut markiert durch den Beginn der Schlucht von Dazio Grando, die ihrerseits wieder der sägenden Wirkung des fliessenden Wassers ihre Entstehung verdankt. Unterhalb Chironico schneidet sich der Tessin nicht mehr ein, sondern füllt im Gegenteil seine Thalsohle immer mehr auf. Spuren seiner einstigen erosiven Tätigkeit sieht man aber noch an den in einer Höhe von etwa 50 m über dem heutigen Flussbett vorhandenen Hohlformen in den beiderseitigen Thalwandungen. Von diesen durch Flusserosion geschaffenen konkaven Formen lassen sich leicht die charakteristisch konvexen Gletscherschliffe unterscheiden, die man im Thal des Tessin wie in dem der Reuss an den Einmündungen der Seitenthäler von den Kastanienselven von Osogna, Cresciano, Lodrino und Moleno bis zu den Weinbergen von Bellinzona und den Zypressen- und Oelbaumhainen im Bezirk Locarno häufig beobachten kann.
Der Unterschied zwischen den durch geologisches Alter und Bau so nahe verwandten Thälern der Reuss und des Tessin findet seinen auffallendsten Ausdruck in der Verschiedenartigkeit des Pflanzenkleides. Während die das Sammelgebiet der Reuss bedeckenden grossen Koniferenwaldungen thalauswärts allmählig vom Buchenwald und einigen sporadisch zerstreuten Gruppen von Kastanien abgelöst werden, machen im Tessinthal die letzten Koniferengruppen schon bei Lavorgo halt.
Die für die Thäler an der S.-Flanke der Alpen so charakteristischen Kastanienwälder beginnen links vom Tessin schon am Monte Piottino, um dann unterhalb Giornico, im Verein mit einigen eingesprengten Holzpflanzen und Kräutern südl. Herkunft (Quercus lanuginosa, Hippophaës rhamnoides, Prunus persica etc.), absolut vorzuherrschen. Von bezeichnenden Kulturpflanzen nennen wir die Taubenartig sich windende und durch Granit- und Gneispfeiler unterstützte Weinrebe, sowie Pfirsich, Feige und Mais. Die im obern Abschnitt noch den Typus des schweizerischen Alpenhauses aus Holz mit steinernem Unterbau zeigenden Wohnhäuser nehmen gegen die Flussmündung zu immer mehr italienischen Charakter an.
Verfolgen wir nun den Lauf des Tessin von Airolo an noch etwas eingehender. Als ersten Zufluss finden wir hier das von links aus dem tektonisch die Fortsetzung der Bedrettomulde bildenden, 8 km langen Val Canaria kommende Wildwasser. Val Canaria ist gleich dem Bedrettothal in jurassische Glanzschiefer und triadischen Gips und Dolomit eingeschnitten. In ihm ist im April 1846 vom Monte di Madrano ein grosser Bergsturz niedergegangen. Von rechts mündet oberhalb des Ponto Sordo die von den Alpweiden am Poncione di Sambuco (2586 m) herabkommende Calcaccia; linksseitig erhält der Tessin etwas unterhalb des Torfes Piotta die Wasser des dem Ritomsee entspringenden Foss, welche in Bälde zur Lieferung einer auf 3000 PS geschätzten Kraft bestimmt sind.
Indem wir mehrere andere Nebenadern von geringer Bedeutung beiseite lassen, erreichen wir Rodi, wo sich der Tessin um den Abfluss des rechts über der Leventina unter dem Passo di Campolungo gelegenen Lago Tremorgio (1828 m), eines 2,8 km2 umfassenden Alpensees von kreisrunder Gestalt und 5,5 km2 Sammelgebiet, vergrössert. Ebenfalls von Bedeutung ist die Piumogna, die gleichfalls einem kleinen Alpensee entspringt, sich mit einem prachtvollen Fall über die rechtsseitige Thalwand der Leventina stürzt und bei Faido den Tessin erreicht. Unterhalb Chironico fällt ein neuer Wasserfall von vollendeter Pracht auf: es ist derjenige des Ticinetto, dessen Sammelgebiet bis zur Alpe di Lago (1400 m) 23 km2 misst und von einem 11 km langen Felsenzirkus umrahmt wird, der vom Pizzo Forno (2909 m) bis zur Cima Bianca (2630 m) reicht. 1 km oberhalb Giornico vereinigen sich die am NO.-Hang der Cima ¶
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Bianca (2630 m) bezw. des Pizzo Mezzogiorno (2705 m) entspringenden Wildbäche der Thälchen von Osadigo und Folda zur Barolga, die auf eine Strecke von 2 km dem Tessin parallel fliesst und sich dann nahe der Sassi Grossi, wo 1478 die Schlacht von Giornico zwischen den Eidgenossen und den Truppen des Herzogs von Mailand stattfand, mit ihm vereinigt. Nahe Bodio kommen dem Tessin durch die Thälchen von Cramosina und Nadro die Wasser der S.-Flanke des Pizzo Mezzogiorno und der O.-Flanke des Madone Grosso (2726 m) und Pizzo Cramosino (2718 m), sowie weiter unten die Wildbäche von Marcri und Ambra zu, worauf sich bei Biasca von links das Bleniothal öffnet.
Dessen 34 km langes Wildwasser, der Brenno, entspringt am Lukmanier und an der Greina, fliesst südwärts und mündet zwischen Polleggio und Biasca. Oestl. über dem Eingang ins Bleniothal sieht man noch in aller Deutlichkeit die mächtige Abrissnische eines 1512 vom Monte Crenone niedergebrochenen Felssturzes, der das Wasser von Tessin und Brenno zu einem beträchtlichen See zurückstaute. Als dann zwei Jahre später der diese Wassermasse zurückhaltende mächtige Schutt- und Trümmerwall (die heute sog. Buzza di Biasca) dem Drucke wich und plötzlich brach, ergoss sich über das tiefer unten folgende Tessinthal ein alles verheerender Strom, der u. a. auch die Brücke von La Torretta und einen grossen Teil der sie an die Schlösser Bellinzonas anschliessenden Mauern mit sich riss. Diese Katastrophe gehört zu den verderblichsten Naturereignissen, von denen das Tessinthal in geschichtlicher Zeit heimgesucht worden ist. Das Einzugsgebiet des Brenno umfasst 430 km2; seine Wasserführung bei Niederwasser (in Biasca gemessen) beträgt 3,2 m3 per Sekunde.
Von Biasca an durchfliesst der Tessin in ungeregeltem Lauf die schon ziemlich breite alluviale Ebene der Riviera, an deren beiden Rändern (besonders im W.) sich zu Füssen der Thalwände die Dörfer mit reichem Feld- und Obstbau angesiedelt haben. Von den Zuflüssen des Tessin zwischen Biasca und Bellinzona sind hervorzuheben: rechts der Wildbach von Iragna, der von der N.-Flanke der Punta del Rosso (2510 m) herabkommt, der am Poncione dei Laghetti (2450 m) entspringende, ein hochinteressantes Alpenthälchen durchfliessende, zahlreiche Kaskaden bildende und endlich mit 30 m hohem Fall in die Riviera hinunterstürzende Wildbach von Lodrino, dann der Wildbach von Moleno vom Poncione di Piota (2446 m) und Madone (2401 m) her, der Wildbach von Gnosca mit schönem Wasserfall und endlich derjenige von Gorduno, der die Stadt Bellinzona zum Teil mit elektrischer Kraft versorgt; links die Wildbäche von Osogna vom Torrone d'Orza (2958 m) her und von Cresciano aus dem kleinen Lago Visagno.
3 km oberhalb Bellinzona erhält der Tessin von links her seinen grössten Zufluss, die 41 km lange Moesa, die das Misox (Mesocco oder Mesolcina) zuerst von N.-S. und dann in w. Richtung durchfliesst. Ihr Einzugsgebiet misst 460 km2 und ihre Wassermenge bei Niedrigwasser (bei Arbedo gemessen) 3,5 m3 per Sekunde. Kurz vor Bellinzona endlich kommt dem Tessin, ebenfalls von links, noch der Wildbach des Val di Arbedo zu.
Von Biasca bis Bellinzona hat der Tessin bei einer Länge von 22 km ein absolutes Gefälle von 70 m. Unterhalb Biasca erweitert sich sein Thal zu einem bis 2,5 km breiten Boden, den er durch seine Geschiebe aufgeschüttet und schon oft mit seinen Hochwassern überflutet hat. Um den beständigen Verheerungen zu wehren, erstellte man schon ums Jahr 1515 die unter dem Namen der Ripari tondi bekannten Schutzbauten, die für jene Zeit eine sehr grossartige Arbeit darstellten und mit wenigen Ausnahmen heute noch vollkommen erhalten und zweckentsprechend sind.
Auf der Strecke von Bellinzona bis zur Mündung in den Langensee (Verbano) verliert der Tessin sein Gefälle und wird zum langsam dahinziehenden grossen Fluss, dem von beiden Seiten her noch eine Reihe von Wildbächen zukommen. Zu nennen sind: links die alle Wasser des Gebietes zwischen dem Camoghè (2226 m), dem San Joriopass (1950 m) und dem Corno di Gesero (2225 m) sammelnde Morobbia, die die Stadt Bellinzona und die industriell aufblühende Ortschaft Giubiasco mit elektrischer Kraft versorgt, und der Wildbach von Trodo, der am NO.-Hang des Monte Tamaro (1967 m) entspringt; rechts die von der Cima dell' Uomo (2396 m) ¶