(Kt. Wallis,
Bez. Monthey).
Sagenhaftes
Schloss, das an der
Porte du Sex 5 km oberhalb des
Genfersees gestanden und so
den Eingang ins
Rhonethal gehütet haben soll. Später soll dann dieses Castrum Tauretunum (oder Tauredunum) zusammen mit
dem der Ueberlieferung nach am Fuss der
Suche stehenden Dorf Saveuroz durch einen
Bergsturz zerstört worden sein. Von dieser
Katastrophe, die sich im Jahr 563 im Unter Wallis
ereignet hätte, berichten Gregor von
Tours und Marius von
Avenches, welch letzterer schreibt: Hoc anno mons Tauredunensis ... ita subito ruit ... et lacum ... ita totum movit.
Nach der von Gregor von
Tours gegebenen Schilderung hat man den
Bergsturz von der
Cime de l'Est der
Dents du Midi in die
Schlucht
von
Saint Barthélemy niederbrechen lassen wollen, wodurch das
Wasser der
Rhone zu einem
See aufgestaut worden
sei, dessen plötzlicher Ausbruch dann die grosse Flutwelle im
Genfersee verursacht habe, die alle Uferorte verheerend überzog.
Hingegen lässt sich in der Rhoneebene zwischen dem Berghang und den
Dörfern
Crébelley und
Noville das Vorhandensein eines
im Mittel 4 m hohen Schuttwalles feststellen, der als ein Ueberrest eines in der Richtung gegen den
Mont Arvel
ziemlich weit hinausbrandenden
Bergsturzes gedeutet werden muss.
Ferner findet man in der Umgebung von
Les Esserts und
Crébelley zerstreut gelegene Blöcke, von denen einige, wie z. B. der
sog. Châtellon, von ziemlich bedeutendem Umfang sind und die ihrer petrographischen Beschaffenheit nach
vom
Grammont herstammen müssen. Endlich ist auch zu beachten, dass alle Ortsnamen unterhalb
Chessel neueren
Ursprungs sind
als diejenigen der oberhalb gelegenen Siedelungen:
Les Esserts,
Crébelley,
Noville,
Rennaz, Clion da
Vaux und
Villeneuve unterhalb,
dagegen
Illarsaz, Islaz,
Yvorne (als Evurnum in pago capitis laci, d. h. nahe dem Seeshaupt gelegen bezeichnet)
oberhalb des genannten
Ortes. Es erscheint daher
als sehr wahrscheinlich, dass der
Bergsturz vom
Grammont durch das steile Thälchen
von La Dérochiaz niedergebrochen sei, den bis zur
Porte du Sex hinaufreichenden obersten Abschnitt des
Genfersees zugeschüttet
und so die von Marius von
Avenches erwähnte Flutwelle verursacht habe. (Vergl. die bezügl. Artikel von
Béraneck,
Combe und Lombard im Écho des
Alpes 1876 und 1885, sowie F. A.
Forel: Le
Léman. III, 496). Die bisherigen Ausführungen
liefern uns zur Lösung der Frage einen geschichtlichen und einen geologischen Anhaltspunkt, nämlich die Existenz eines
einstigen römischen Castrum in der Nähe von
Port Valais einerseits und andrerseits das Vorhandensein
von eckigen Felsblöcken, die aus den Alluvionen der Rhoneebene zwischen
Crébelley und
Noville herausragen, petrographisch
unter sich übereinstimmen und unzweifelhaft vom
Grammont her durch die Runse der Dérochiaz herniedergebrochen sind.
Wie und wann dies geschehen, kann nur durch eine gründliche Untersuchung an
Ort und Stelle festgestellt
werden. Während der Name La Dérochiaz für die vom Gipfel des
Grammont gegen
Les Évouettes hinabreichende Runse auf einen
Bergsturz hinweist, sieht Venetz in dem erwähnten Haufwerk von Blöcken eine Rückzugsmoräne des diluvialen
Rhonegletschers,
obwohl er anerkennt, dass hier aus dem Ober Wallis
stammende Gesteine vollständig fehlen. Moränenablagerungen
des
Rhonegletschers, wo solche vorhanden, sind aber von den vom
Grammont stammenden Blöcken durchaus verschieden.
Dieser Blockhaufen ist durch die
Rhone, eine ziemlich breite Fläche sumpfiger
Ebene und den Schuttkegel des
Wildbaches von
Les Évouettes vom Bergfuss geschieden. Hoch oberhalb des letztern findet sich im untern Abschnitt
der Runse von La Dérochiaz ein anderer, durchaus analoger Blockhaufen. Man darf wohl annehmen, dass beide
Haufen unter dem
Schuttkegel und der Alluvialebene hindurch miteinander in Verbindung stehen und somit schon vor deren Ablagerung hier gelegen
haben müssen.
Aus der Anordnung der rechts der
Rhone liegenden Hügel, in denen die Blöcke stecken, geht ferner hervor,
dass diese in einem Kreisbogen angeordnet sind, dessen Mittelpunkt nahe dem Dorf
Crébelley, d. h. am Fuss der Wildbachrunse,
liegt. Diese Anordnung spricht zu gunsten eines plötzlichen Absturzes, der die Blöcke weit ins Thal hinausgeschleudert
und dort angehäuft hat, während der Landstrich zwischen dem Bergfuss und dem frontalen Blockhaufen
weniger aufgefüllt wurde. In diesem
Falle wäre aber der
Bergsturz sehr alten Datums und jedenfalls prähistorisch, so dass
ihm die Zerstörung des Castrum Tauretunum nicht zugeschrieben werden kann. Da die Berichte die Zerstörung der
Feste und
des Dorfes Saveuroz einer Ueberschwemmung zuschreiben, die sich auch an andern Uferorten des
Genfersees
fühlbar gemacht haben soll, hat F. A.
Forel an die Möglichkeit einer durch ein Erdbeben verursachten Flutwelle gedacht.
Doch wird diese Hypothese durch keinerlei anderes entsprechendes Ereignis gestützt. Auch von einem Erdbeben zu dieser Zeit
wissen wir nichts. Es bleibt also wohl einzig übrig, die Flutwelle des
Genfersees durch einen andrerorts
direkt in den
See hernieder gegangenen
Bergsturz zu erklären. Eine neue Schwierigkeit ergibt sich aber daraus, dass sich diese
Katastrophe in der historischen Zeit ereignet haben soll, zu welcher der verschüttete oberste Seeabschnitt sicherlich schon
viel zu seicht war, um eine alles zerstörende Flutwelle erzeugen zu können.
Anders erschiene die Sachlage, wenn der
Bergsturz sich in einen tiefen Seeabschnitt geworfen hätte. Um diesem Standpunkt
gerecht zu werden, hat Alph.
Favre an die Möglichkeit eines zwischen dem
Rocher de Mémise und dem
Rocher du Blanchard zwischen
Saint Gingolph und Meillerie abgebrochenen Sturzes gedacht, der sich zwischen
Locon und dem
Weiler
Bret, 3 km
w.
Saint Gingolph, in den hier sehr tiefen obern
Genfersee geworfen hätte. In der Tat sieht man an dieser Stelle an einem
stark geneigten Gehänge einen
Haufen von Sturztrümmern, die der Moräne des
Rhonegletschers auflagern. Ein solcher Sturz
kann sehr wohl derart rezent und so mächtig gewesen sein, dass man ihn ins Jahr 563 verlegen und ihm
die dem Sturz von Tauretunum zugeschriebenen verheerenden Wirkungen zumuten dürfte.
[Dr H.
Schardt.]
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