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Verwaltungseinheiten zu der Zeit, da das Bistum in der Grafschaft Wallis auch die weltliche Macht erlangte, schon ziemlich weit vorgerückt. Während z. B. dem Bischof die Herrschaft Martinach gehörte, besass andrerseits die Abtei mitten in der Grafschaft ausgedehnten Grundbesitz, wie z. B. die Enklaven Vétroz-Conthey und Nendaz, sowie später Bagnes und zeitweise sogar noch Leuk und Naters. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Herrschaftsrechte gestaltete sich auf dem Wege von Erbschaft und Austausch, sowie durch die Ansprüche und Uebergriffe des Hauses Savoyen, auf welches sich die Abtei Saint Maurice in gleicher Weise stützte wie der Bischof aufs Reich, allmählig zu einem tatsächlichen Wirrwarr, der unzählige Streitigkeiten und blutige Zwiste zur Folge hatte.
Als dann mit dem Aufkommen der Zehnten auch noch das Landvolk auf den Plan trat und sowohl dem Bischof als dem Hause Savoyen weitere Rechte und Freiheiten abzutrotzen sich anschickte, gestaltete sich der Kampf gefährlicher als je zuvor. Um die Mitte dieser langen Periode von Wirren sehen wir auf dem Mons Jovis das gastliche Kloster der Mönche vom Grossen St. Bernhard entstehen. Während der letzten Jahrhunderte des Mittelalters trug der vom Domkapitel erwählte Bischof den Titel eines Reichsgrafen, als welchem ihm die Rechte und Befugnisse eines Reichsfürsten zustanden. Als tatsächliches Staatsoberhaupt leitete er die Ständeversammlungen, zu denen er die Vertreter der Zehnten von sich aus berief. Die damaligen sieben Zehnten lagen in dem ö. der Morge von Conthey befindlichen Abschnitt des Rhonethales und seiner Verzweigungen.
Die Emanzipation der Gemeinden (Zehnten) führte auch hier zu einem allmähligen Rückgang der landesherrlichen Rechte. Nach dem Sturz der mächtigen Familie derer von Raron, die den Hochadel des Wallis verkörpert hatte, wurde Wilhelm VI., der letzte Bischof aus diesem Geschlecht, am auf seiner Burg zu Naters zur Unterschrift der berühmten sog. Naterser Artikel gezwungen, durch welche er auf einen Teil seiner Rechte, besonders auf die eigene Ausübung der Zivil- und Strafrechtspflege, Verzicht leistete.
Als Wilhelms Nachfolger den bischöflichen Stuhl nur mit dem ausdrücklichen Vorbehalt bestieg, dass diese Konzession als null und nichtig dahinfalle, entbrannte der Kampf zwischen den Patrioten und dem Fürstbischof aufs neue, sodass jene von nun alle jede Gelegenheit zur Einschränkung der weltlichen Macht ihres Oberherrn sich zu nutze machten. Mächtigen Vorschub leisteten dieser Bewegung der endgiltige Bruch der Eidgenossen mit Savoyen, die Burgunderkriege und die Eroberung des Unter Wallis im Jahr 1475. So wurden die Bischöfe Jost von Silenen und Matthäus Schinner ihrer Umtriebe zu gunsten Frankreichs und des Papstes wegen durch das Volksgericht der Mazze aus dem Lande verbannt und später der von einer Romreise zurückkehrende Bischof Hildebrand Jost auf dem Grossen St. Bernhard gefangen genommen und 1630 gezwungen, auf die Karolina, d. h. die den Bischöfen angeblich von Karl dem Grossen verliehene weltliche Macht, zu verzichten.
Von diesem Zeitpunkt an sah sich die bischöfliche Autorität mehr und mehr auf das geistliche Gebiet eingeschränkt, während die Machtfülle des Landeshauptmanns, des ehemaligen weltlichen Statthalters der Bischöfe, aufs Höchste stieg. Trotz alledem waren aber dem Bischof bis zu der Zeit der Revolution, die alle alten Einrichtungen des Landes wegfegte, eine Reihe von Rechten geblieben, wie z. B. das Begnadigungsrecht, das Recht auf die konfiszierten Güter, Münzrecht, Bezug zahlreicher Bussen etc. Er erhob die Zölle, ernannte die Notare, legitimierte die ausserehelichen Kinder, war der natürliche Erbe aller nicht von anderer Seite her beanspruchten Verlassenschaften etc. Er war ferner Gerichtsherr über eine Reihe von Gemeinden geblieben, die der Zehntenverwaltung nicht unterstanden, wie Martinach, Ardon, Chamoson, Isérables, das Eringer- und das Eifischthal, Ayent, Grimisuat, Saint ¶
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Léonard, Simpeln, Massongex u. a. Dem der Abtei Saint Maurice gehörenden Bagnesthal stand er als weltlicher Oberherr vor. Ihm standen das Fisch- und Jagdrecht zu, sowie das Recht auf sämtliche Zungen der in Sitten geschlachteten Ochsen und Kälber. Er unterhielt, kleidete und bezahlte den Scharfrichter und gegenzeichnete sämtliche Todesurteile. In der Periode nach der Franzosenherrschaft (1799-1813) wurden die Beziehungen zwischen dem Bischof von Sitten und der weltlichen Landesverwaltung durch Verfassungsbestimmungen geregelt.
Bis 1840 behielt der Bischof den Ehrenplatz an der Ständeversammlung und das Vorrecht bei, über vier Stimmen zu verfügen, was bedeutete, dass seine Stimme ebensoviel zählte als die 4 Stimmen jedes einzelnen Zehntens. Dieses Vorrecht kam den eine geringe Einwohnerzahl aufweisenden obern Zehnten zugute, indem sie damit die die doppelte Bevölkerung zählenden Zehnten des Unter Wallis zu majorisieren vermochten, und war mit eine der Ursachen der blutigen Bürgerzwiste, die den Kanton von 1839 bis 1848 in zwei Lager spalteten.
Mit dem Ausgang des Sonderbundskrieges fielen dann auch die letzten weltlichen Privilegien des Bistums endgiltig dahin. Der h. Stuhl war seinerseits bemüht, jeglichen Anlass zur Rivalität unter der Walliser Geistlichkeit möglichst zu beseitigen, und regelte daher 1840 die gegenseitigen Beziehungen von Bistum Sitten und Abtei Saint Maurice in dem Sinne, dass er dem Abt dieses Klosters den Titel eines Bischofes von Bethlehem in partibus infidelium verlieh und die Priester seines Kapitels zum Range von Domherren erhob. Seither sind unter der direkten Hoheit des Abtes und Bischofes von Bethlehem sämtliche Pfarreien der ehemaligen Herrschaften Choëx und Salvan verblieben. Daher sind denn auch die Pfarreien Choëx, Salvan, Finhaut und Vernayaz, sowie die Kaplanei Lavey heute noch nullius diocesis.
Der Bischofsstuhl zu Sitten hat sich zu keiner Zeit eine besondere Kathedrale erbaut, indem als Kathedralkirchen zuerst die Notre Dame auf Valeria und dann die in der Ebene gelegene alte Notre Dame du Glarier (die heutige Kathedrale) dienten. Der bischöfliche Palast befand sich seit 1218 südl. von der Kathedrale und wurde nach der Erwerbung des Schlosses Majoria dem Domkapitel überlassen. Sein Turm ist durch den grossen Brand von 1788 vollständig zerstört worden.
Von 1373 bis 1788 residierten die Bischöfe auf den Schlössern Majoria und Tourbillon. 1840 bezogen sie ihren heutigen Palast, ein in der Unterstadt gelegenes geräumiges Gebäude. Zu den Zeiten ihrer weltlichen Machtfülle hielten die Bischöfe einen glänzenden Hofstaat mit der ganzen Stufenfolge der an Fürstenhöfen üblichen Aemterfülle. Heute besteht der bischöfliche Hof nur noch aus dem Domkapitel, dem ein besonderes Gebäude eingeräumt ist. Das Bistum Sitten zeigt noch die Eigentümlichkeit, dass der Bischof vom Grossen Rat des Kantons Wallis gewählt wird. Es ist dies die Folge der allmähligen Ersetzung der ehemaligen Reichsgewalt und der Oberhoheit des Herzogtums Savoyen durch die Volksrechte.
Nach dem Tod des Bischofes Andreas von Gualdo im Jahr 1437 erlangten die Walliser, die die Verwaltung ihres Landes dem Einfluss des Hauses Savoyen und seiner Anhänger zu entziehen trachteten, das Recht, sich an der Bischofswahl mitbeteiligen zu dürfen. Heute wählt der Grosse Rat den Bischof unter vier Kandidaten, die ihm vom Domkapitel vorgeschlagen werden. Jede Wahl wird dann vom h. Stuhl, der sich damit seine Rechte vorbehalten will, jeweilen als ungiltig erklärt, worauf dann der Papst von sich aus den vom Grossen Rat Gewählten ebenfalls bestätigt, 1875 gelang es den Vertretern des Unter Wallis zum erstenmal, einen Angehörigen, des westlichen Kantonsteiles auf den Bischofssitz zu erheben, welcher Fall sich 1895 wiederholt hat. Trotzdem wacht das Domkapitel, von dessen 10 Angehörigen bloss drei französischer Zunge sind, eifersüchtig über die Wahrung der Vorrechte der alten Zehnten des Ober Wallis, indem es darauf sieht, dass sich unter den vier von ihm für den vakanten Bischofssitz vorzuschlagenden Kandidaten bloss ein einziger Unter Walliser oder französischer Name befinde.
Die Diözese Sitten umfasst zur Zeit die 11 Dekanate Sitten, Siders, Leuk, Raron, Visp, Brig. Aernen, Ardon, Vex, Martinach und Monthey. Der bischöflichen Hoheit unterstehen 135 und derjenigen des Abtes von Saint Maurice und Bischofes von Bethlehem 4 Pfarreien. Eine Walliser Pfarrei (Saint Gingolph) ist dem Bistum Annecy angegliedert. Die Ernennung der Pfarrer und übrigen geistlichen Würdenträger unterliegt noch einigen eigentümlichen, aus den alten Zeiten herstammenden Bedingungen. So werden z. B. die Pfarrer von Monthey und Troistorrents zwar aus der Zahl der im bischöflichen Priesterseminar ausgebildeten Weltgeistlichen erwählt, aber von der Abtei Saint Maurice ernannt.
Die Pfarrer von Port Valais, Vionnaz und Collombey ernennt der Grosse Rat aus je drei ihm vom Bischof vorgeschlagenen Kandidaten. In bestimmten Pfarreien des mittlern und obern Wallis steht die Pfarrwahl dem Domkapitel zu. Die Abtei Saint Maurice und das Kloster auf dem Grossen St. Bernhard verfügen noch über die Pfarrwahl und Kirchengüter der ihnen früher gehörenden Herrschaften. So besetzt der Abt von Saint Maurice ausser den Pfarreien Salvan, Finhaut, Vernayaz und Choëx, die ihm direkt unterstellt sind, noch diejenigen von Bagnes, Vollèges, Saint Maurice, Évionnaz, Outre Rhone, Aigle, Vérossaz und Vétroz mit Mönchen aus seinem eigenen Kloster.
Die Augustiner auf dem Grossen St. Bernhard verfügen über die Pfarreien oder Propsteien von Bourg Saint Pierre, Liddes, Orsières, Sembrancher, Bovernier, Martinach, Trient, Lens und Vouvry. Alle Wahlen werden vom Oberhaupt der beiden Klöster getroffen und vom Bischof von Sitten bestätigt. Das Bistum Sitten zählt etwa 115000 Gläubige und, nach dem Status cleri von 1902, 205 Weltgeistliche, 134 Klostergeistliche vom Orden des h. Augustin (Saint Maurice und Grosser St. Bernhard) und des h. Franciscus (Kapuzinerkloster Saint Maurice und Sitten), 12 Seminaristen und 15 Laienbrüder, d. h. im ganzen 366 Geistliche.
Das Domkapitel besteht aus 10 Domherren. Nach dem Katalog von Boccard sollen im ganzen 92 Bischöfe auf dem Stuhle von Sitten gesessen haben, von denen 1 unter dem Erzbischof von Mailand, 7 unter demjenigen von Lyon, 10 unter dem von Vienne und 52 unter dem der Tarentaise standen, während 22 direkt dem h. Stuhl untergeordnet waren. Der gegenwärtige Bischof ist seit 1895 als Koadjutor seines Vorgängers und seit 1900 als Bischof im Amte. Im folgenden wollen wir noch einige der hervorragendsten der Bischöfe von Sitten besonders namhaft machen: Herminfried, der als Legat des Papstes Viktor II. im Jahr 1055 das Konzil von Lisieux und als Legat des Papstes Alexander II. 1070 das Konzil von Winchester leitete, wo er den König Wilhelm von England krönte und den Erzbischof Stigand von Canterbury seines Amtes entsetzte;
der mit wunderwirkender Heilkraft begabte h. Garin, zuerst Abt von Saint Jean d'Aulph und seit 1138 Bischof;
Ludwig, Führer der Ghibellinen im Wallis (1150);
Witschard Tavelli, Sohn eines ersten Bürgermeisters von Genf und Parteigänger des Hauses von Savoyen, der 1375 von Anhängern des Anton Im Thurn aus den Fenstern des Schlosses La Soie geworfen wurde;
Walter Supersaxo, unter dessen Episkopat der savoyische Einfluss im Rhonethal vollkommen aus dem Felde geräumt ward;
Jost oder Jodocus von Silenen, der 1475 vom Bischofssitz Grenoble auf den von Sitten versetzt wurde und dessen Bemühungen die Versöhnung der Eidgenossen mit Herzog Sigismund von Oesterreich (Ewige Richtung 1474) zu verdanken ist;
Matthäus Schinner (1500-1522), der berühmte nachmalige Kardinal.
Bibliographie:
Briquet, Séb. Vallesia christiana seu Diocesis Sedunensis historia sacra. Seduni 1744. - Rameau, B. Le Vallais historique. Sion 1891. - Mélanges d'histoire et d'archéologie; publ. par la Société helvétique de Saint Maurice. Fribourg 1901. - Bourban, Pierre. L'archevêque Saint Vultchaire. (Fouilles de Saint Maurice). 2. éd. Fribourg 1900. - Besson, Marius. Recherches sur les origines des évêchés de Genève, Lausanne, Sion ... Fribourg et Paris 1906. - Berchem, V. van. Guichard Tavel, évêque de Sion. (Études sur le Vallais an XIVe siècle). Zurich 1899. - Status ven. cleri diocesis Sedunensis. Seduni 1902. Vergl. ferner alle das Wallis im allgemeinen betreffenden geschichtlichen Werke.
[L. Courthion.]