Titel
Sitten
(Bistum). Das heutige Bistum Sitten umfasst das Einzugsgebiet der Rhone oberhalb des Genfersees, d. h. den gesamten Kanton Wallis und vom Kanton Waadt den dem Rhonethal angehörenden Abschnitt bis zur Eau Froide zwischen Roche und Villeneuve (katholische Pfarreien Bex und Aigle).
Die Katholiken von schweizerisch Saint Gingolph, die mit denjenigen des französischen Saint Gingolph eine gemeinsame Pfarrei bilden, deren Kirche links der Morge auf savoyischem Boden steht, sind dem Bischof von Annecy unterstellt. Die 1906 angeordnete Inventarisation der Kirchengüter in Frankreich musste in der Pfarrei Saint Gingolph aufgeschoben werden, weil hier Franzosen und Schweizer gleichzeitig Eigentümer derselben sind, was der Geistlichkeit und den Gläubigen gestattete, einen Teil der Kirchengeräte in die rechts der Morge auf Schweizer Boden stehende Kapelle hinüber zu retten. Die an der S.-Flanke des Simplonpasses gelegene kleine Pfarrei Gondo gehörte ursprünglich zur Diözese Novara und wurde unter Papst Pius VII. ums Jahr 1820 dem Bistum Sitten angegliedert.
Zur Zeit der Einführung des Christentums bildete das Wallis einen Teil der römischen Provinz Rätien. Der Kirchenhistoriker Sebastian Briguet, Domherr zu Sitten, erzählt in seiner Valesia Christiana, dass nach den Archiven des Klosters Saint Maurice ein Bischof Oggerius im Jahr 300 vom h. Stuhl nach Octodurum gesandt worden sei. Doch datiert die erste wirklich beglaubigte Nachricht von einem Bistum Octodurum (Martinach) erst aus dem Jahr 381, in welchem Theodorus episcopus Octodurensis am Konzil von Aquileia teilnahm.
Eine der ersten Massnahmen dieses Theodorus war die Errichtung eines Tempels in Agaunum (Saint Maurice) zum Andenken an den Märtyrertod des h. Moritz und seiner Gefährten, den diese hier 302 auf Befehl des Kaisers Maximian erlitten hatten (vergl. den Art. Saint Maurice). Die in der Gegend niedergelassenen Einsiedler, die sich an den aufstrebenden Felswänden ihre Hütten erbaut hatten, wurden vom Bischof zu einer christlichen Gemeinde vereinigt. Derart soll die Abtei Saint Maurice entstanden sein, die jetzt das älteste Kloster nördlich der Alpen darstellt. Da unter Kaiser Maximian auch die schon im 3. Jahrhundert n. Chr. bestehenden christlichen Kirchen in Sitten zerstört worden waren, übernahm unter Kaiser Gratian im Jahr 377 der dortige römische Statthalter Pontius Asclepiodotus unter dem Einfluss des Bischofes Theodorus den Wiederaufbau dieser Tempel.
Dies geht aus einer der im Korridor des Rathauses zu Sitten eingemauerten römischen Inschriften aufs deutlichste hervor. Der erste historisch beglaubigte Bischof des Wallis war demnach zugleich der Gründer des Bistumes Sitten und der mächtigen Abtei Saint Maurice, deren Aebte während des ganzen Mittelalters den Bischöfen von Sitten als gefährliche Rivalen gegenüberstanden. Theodorus starb um 391, nachdem er 381 am Konzil von Aquileia und 390 an demjenigen von Mailand teilgenommen hatte.
Unter der Regierung Mark Aurels wurde das Wallis von Rätien abgetrennt und der Provinz Gallien angegliedert. Damit kamen die ersten Bischöfe des Wallis unter die Oberherrschaft des Erzbischofs von Vienne und später unter diejenige des Bischofes der Tarentaise zu stehen. Der als Nachfolger des Theodorus genannte h. Florentin, der 407 von den Vandalen getötet worden sein soll, ist von der neuern Forschung von der Liste der Walliser Bischöfe gestrichen worden. Der Bischofssitz blieb bis zum Ende des 6. Jahrhunderts in Octodurum, obwohl die Hochwasserverheerungen der Dranse die Bischöfe öfters nötigten, in Agaunum Zuflucht zu suchen.
Den verheerenden Naturgewalten, wie Ueberschwemmungen und Bergstürzen, reihten sich feindliche Einfälle und auch bürgerliche Zwistigkeiten an, indem z. B. die Mönche von Agaunum im Jahr 565 den Bischof Agricola samt seinen Geistlichen und Anhängern zu töten suchten. Man sieht darin ein Beispiel jener im Mittelalter häufigen Kämpfe der auf ihre Freiheiten und Vorrechte eifersüchtigen Klöster gegen die Bischöfe, die jene unter ihre Gewalt zu bringen trachteten. Um vor den Einfällen der raubend und sengend über den Grossen St. Bernhard ziehenden Longobarden sicherer zu sein, verlegte dann der h. Heliodorus im Jahr 585 seinen Bischofssitz von Octodurum (Martinach) nach Sedunum (Sitten).
Trotzdem sehen wir aber in der Folge zahlreiche Bischöfe sich zugleich noch den Titel eines Abtes von Agaunum (Saint Maurice) beilegen, wie z. B. Vultcharius (753), den h. Althaeus, der 780 vom Papst eine Exemtionsbulle zugunsten dieses Klosters auswirkte, Abdalong (um 825), Heimenius (830) und Haymon II., Sohn Humberts von Savoyen, dem der Papst Leo IX. im Jahr 1049 zusammen mit den Bischöfen von Lyon, Besançon und Genf in Saint Maurice einen feierlichen Besuch abstattete.
Dem Tod Karls des Grossen, der das grosse abendländische Reich dieses Herrschers zur Auflösung brachte, folgte auch im Wallis Zank und Streit. Um den Besitz des Landes stritten sich das Bistum, das von Rudolf III., dem letzten König des transjuranischen Burgund, im Jahr 999 die Gaugrafenwürde des Wallis verliehen erhalten hatte, und das Haus Savoyen, das seine Besitzansprüche von einer Vergabung Konrads des Saliers zugunsten des Grafen Humbert des Weisshändigen herleitete.
Dem Abt von Saint Maurice, der bei der Teilung des ungeheuern Reiches auch seinen Anteil haben wollte, war die von Martinach bis Vevey reichende Grafschaft des Vieux Chablais zugefallen. Seither standen sich Ansprüche und Interessen des Bistums und Savoyens, welch letzterm die Abtei Saint Maurice bei seinen Uebergriffen aufs Wallis stets behilflich war, feindselig gegenüber. Daraus entsprang dann die lange Reihe der Bürgerkriege, die das Land fast ohne Unterbruch entzweiten.
Die Schenkung Rudolf III. begründete die weltliche Macht der Bischöfe von Sitten und gestaltete diese Stadt von einer rein religiösen Metropole auch zum politischen Schwerpunkt des Landes um, sodass sich hier geistliches und weltliches Schwert auf mehrere Jahrhunderte hinaus in einer Hand, der der Bischöfe, vereinigt sahen. Aus dem Bischofsstaat hat sich in der Folge der Freistaat und die Republik Wallis entwickelt. Während die Grenzen der Grafschaft Wallis und des Bistums Sitten sich zur Zeit des Zusammenbruches des Römerreiches noch deckten, war dies beim Tod Rudolfs III. weitaus nicht mehr der Fall. So umfasste das Bistum, das innerhalb der Grenzen der ehemaligen civitas geblieben war, genau das Sammelgebiet der obern Rhone, die Grafschaft dagegen bloss den obern Abschnitt des Rhonethales bis zur Einmündung des Thales des Trient. Die weltliche Macht der Abtei Saint Maurice im untern Thalabschnitt bildete einen jeder Ausdehnung der Grafschaft gegen diese Seite hin machtvoll sich entgegenstemmenden Wall. Zudem war der Zerfall der ehemaligen ¶
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Verwaltungseinheiten zu der Zeit, da das Bistum in der Grafschaft Wallis auch die weltliche Macht erlangte, schon ziemlich weit vorgerückt. Während z. B. dem Bischof die Herrschaft Martinach gehörte, besass andrerseits die Abtei mitten in der Grafschaft ausgedehnten Grundbesitz, wie z. B. die Enklaven Vétroz-Conthey und Nendaz, sowie später Bagnes und zeitweise sogar noch Leuk und Naters. Das Ineinandergreifen der verschiedenen Herrschaftsrechte gestaltete sich auf dem Wege von Erbschaft und Austausch, sowie durch die Ansprüche und Uebergriffe des Hauses Savoyen, auf welches sich die Abtei Saint Maurice in gleicher Weise stützte wie der Bischof aufs Reich, allmählig zu einem tatsächlichen Wirrwarr, der unzählige Streitigkeiten und blutige Zwiste zur Folge hatte.
Als dann mit dem Aufkommen der Zehnten auch noch das Landvolk auf den Plan trat und sowohl dem Bischof als dem Hause Savoyen weitere Rechte und Freiheiten abzutrotzen sich anschickte, gestaltete sich der Kampf gefährlicher als je zuvor. Um die Mitte dieser langen Periode von Wirren sehen wir auf dem Mons Jovis das gastliche Kloster der Mönche vom Grossen St. Bernhard entstehen. Während der letzten Jahrhunderte des Mittelalters trug der vom Domkapitel erwählte Bischof den Titel eines Reichsgrafen, als welchem ihm die Rechte und Befugnisse eines Reichsfürsten zustanden. Als tatsächliches Staatsoberhaupt leitete er die Ständeversammlungen, zu denen er die Vertreter der Zehnten von sich aus berief. Die damaligen sieben Zehnten lagen in dem ö. der Morge von Conthey befindlichen Abschnitt des Rhonethales und seiner Verzweigungen.
Die Emanzipation der Gemeinden (Zehnten) führte auch hier zu einem allmähligen Rückgang der landesherrlichen Rechte. Nach dem Sturz der mächtigen Familie derer von Raron, die den Hochadel des Wallis verkörpert hatte, wurde Wilhelm VI., der letzte Bischof aus diesem Geschlecht, am auf seiner Burg zu Naters zur Unterschrift der berühmten sog. Naterser Artikel gezwungen, durch welche er auf einen Teil seiner Rechte, besonders auf die eigene Ausübung der Zivil- und Strafrechtspflege, Verzicht leistete.
Als Wilhelms Nachfolger den bischöflichen Stuhl nur mit dem ausdrücklichen Vorbehalt bestieg, dass diese Konzession als null und nichtig dahinfalle, entbrannte der Kampf zwischen den Patrioten und dem Fürstbischof aufs neue, sodass jene von nun alle jede Gelegenheit zur Einschränkung der weltlichen Macht ihres Oberherrn sich zu nutze machten. Mächtigen Vorschub leisteten dieser Bewegung der endgiltige Bruch der Eidgenossen mit Savoyen, die Burgunderkriege und die Eroberung des Unter Wallis im Jahr 1475. So wurden die Bischöfe Jost von Silenen und Matthäus Schinner ihrer Umtriebe zu gunsten Frankreichs und des Papstes wegen durch das Volksgericht der Mazze aus dem Lande verbannt und später der von einer Romreise zurückkehrende Bischof Hildebrand Jost auf dem Grossen St. Bernhard gefangen genommen und 1630 gezwungen, auf die Karolina, d. h. die den Bischöfen angeblich von Karl dem Grossen verliehene weltliche Macht, zu verzichten.
Von diesem Zeitpunkt an sah sich die bischöfliche Autorität mehr und mehr auf das geistliche Gebiet eingeschränkt, während die Machtfülle des Landeshauptmanns, des ehemaligen weltlichen Statthalters der Bischöfe, aufs Höchste stieg. Trotz alledem waren aber dem Bischof bis zu der Zeit der Revolution, die alle alten Einrichtungen des Landes wegfegte, eine Reihe von Rechten geblieben, wie z. B. das Begnadigungsrecht, das Recht auf die konfiszierten Güter, Münzrecht, Bezug zahlreicher Bussen etc. Er erhob die Zölle, ernannte die Notare, legitimierte die ausserehelichen Kinder, war der natürliche Erbe aller nicht von anderer Seite her beanspruchten Verlassenschaften etc. Er war ferner Gerichtsherr über eine Reihe von Gemeinden geblieben, die der Zehntenverwaltung nicht unterstanden, wie Martinach, Ardon, Chamoson, Isérables, das Eringer- und das Eifischthal, Ayent, Grimisuat, Saint ¶