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Gegenrevolution aus: 8000 Ober Walliser überraschten die Stadt Sitten und veranlassten die liberalen Vertreter im Grossen Rat zum Rückzug. Damit war der Beitritt des Wallis zum Sonderbund vorbereitet, welchem dieser Kanton als letzte Stütze diente, bis Sitten am sich dem Obersten Rilliet ergab.
Neben der Kriegsfurie haben im Laufe der Jahrhunderte auch andere schwere Plagen die unglückliche Stadt oft heimgesucht. So herrschte 1349, 1616, 1629 und 1639 die Pest. Ferner sah sich die Stadt sozusagen periodisch den Ueberschwemmungen durch die Hochwasser der Sionne ausgesetzt, die z. B. 1778 die meisten Keller unter Wasser setzten, mehrere Häuser zum Einsturz brachten und eine solche Masse von Schutt aufschwemmten, dass dessen Forträumen die Stadtverwaltung 60000 alte Taler kostete.
Ein am ausgebrochener Kaminbrand pflanzte sich mit erschreckender Schnelligkeit fort und zerstörte 126 Wohnhäuser und etwa 100 andere Gebäulichkeiten, darunter die bischöflichen Schlösser Majoria und Tourbillon samt deren Archiven und der Porträtsammlung aller Walliser Bischöfe. Das im Schloss Majoria untergebrachte Staatsarchiv konnte durch die eben in Sitten anwesenden Abgeordneten der Zehnten gerettet werden. Dreihundert Familien sahen sich des Obdaches beraubt. Um der Not zu steuern, sandten Genf 5557 alte Taler, Neuenburg 25 Louis, Appenzell 15 Louis, Freiburg 200 Louis und Solothurn 100 Louis. Der Staat Wallis bewilligte eine Gabe von 1000 Talern. Zum Wiederaufbau der Stadt verausgabte die Bürgergemeinde für Holz und andere Materialien über 100000 Taler, während man zugleich noch beim Fürstabt von Einsiedeln ein Anleihen von 4000 Louis d'or aufnahm, von denen den Bürgern Vorschüsse geleistet wurden.
«Trotz all dieser Heimsuchungen erstand Sitten immer wieder neu verjüngt aus seiner Asche; nicht allein wegen seiner günstigen und fruchtbaren Lage, sondern auch, weil es der Sitz des Bischofs und seines Domkapitels und insbesondere noch, weil die freie Reichsstadt durch ihre Verfassung zu einer andauernden Entwicklung lebensfähig war. Jeder Bürger war Freiherr. Die Obrigkeit hatte seit undenklichen Zeiten die Befugnis, alle Kriminalurteile, die in den mehr als 30 Freigerichten des Landes gefällt wurden, als geborne Richter und Freiherren zu durchgehen und zu bestätigen. Die Regierung ist aristokratisch gewesen. Demzufolge hatte Sitten unter dem Vorsitz eines Bürgermeisters 24 Ratsglieder, die auf Lebenszeit gewählt waren. An den Platz eines Abgehenden wurde ein gewesener Syndik gewählt. Dem Zehnengericht sass ein Grosskastlan vor, der alle zwei Jahre neu gewählt wurde. Der Bannerherr und der Zehnenhauptmann, die im Kriegsrat den Vorsitz hatten, waren lebenslänglich im Amte. Die Milde der Richter in Sitten war sprichwörtlich, und heute noch lesen wir den Wahlspruch derselben: „Facite judicium et justitiam, Et Dominus dabit pacem in finibus vestris“ ob dem Eingange des altehrwürdigen Rathauses» (F. O. Wolf und Furrer).
Altertümer.
Ein unter dem Namen Pierre des Druides oder Druidenaltar bekannter Felshügel auf Valeria ist ein sog. Schalenstein mit leicht erkenntlichem Opfertisch und Blutschalen, wie man einen andern, auch auf dem Mont d'Orge gefunden hat. Ebenfalls auf Valeria liegt der erratische Bloc Venetz oder das Venetzdenkmal mit der Inschrift I. Venetz 1821 zum Andenken an den ersten Verfechter der Gletschertheorie. Auf Tourbillon hat man Gräber aus der Steinzeit aufgedeckt. Zwischen Tourbillon und Valeria sieht man Ueberreste einer Ansiedlung und von Gräbern aus der Bronzezeit.
Gräber aus der Bronzezeit sind ferner auf der Plata und bei Château Neuf gefunden worden. In der Rue de Lausanne deckte man ein gemeinsam der Bronze- und der Eisenzeit angehörendes Gräberfeld auf. Gräber aus der Hallstattperiode hinter dem Haus Ambüel und solche aus der La Tènezeit in Clavoz, Château Neuf und auf dem Mont d'Orge. Einzelfunde aus der Bronze- und der Eisenzeit sind in Sitten häufig gemacht worden, wie man auch zu wiederholten Malen auf Inschriften und Gräber aus der Römerzeit gestossen ist.
Eine solche Inschrift datiert aus der Zeit des Tiberius, eine andere auf einem Meilenstein aus derjenigen der Kaiser Volusianus und Gallus; eine dritte erinnert an Campanus und eine vierte an Pontius Asclepiodotus, zwei römische Statthalter auf Valeria, von denen der letztere im Jahr 377 die zerstörten Tempel wieder aufbauen liess. Anlässlich einer Restauration in der Wallfahrtskirche auf Valeria kam eine Marmorsäule des ehemaligen römischen Tempels zum Vorschein. Sitten war schon zum Beginn der Zeit der Germaneneinfälle eine bedeutende Siedelung, namentlich als Sitz der Walliser Bischöfe. Dies zeigen Germanengräber und Inschriften aus frühchristlicher Zeit.
Verdiente Männer.
Die Geschlechter Ambüel, Kalbermatten, von Riedmatten, Roten, von Platea, de Preux, de Torrenté, de Sepibus, de Montheolo, de Rivaz, Allet etc. haben der Stadt manchen verdienten Magistraten und dem Lande mehr als einen Bischof geschenkt. Ferner sind namentlich hervorzuheben: der gegen 1500 gestorbene ausgezeichnete Arzt Kaspar Collinus (Ambüel), Freund Konrad Gessners und Verfasser einer lateinisch geschriebenen Abhandlung über die Heilbäder des Wallis, die Josias Simlers Vallesiae descriptio beigedruckt ist;
Bürgermeister Philippe de Torrenté, Geschichtsforscher und Jurist;
der 1812 gestorbene Dichter Peter Joseph von Riedmatten;
der 1905 jung gestorbene Dichter Louis de Courten.
Von längere oder kürzere Zeit in Sitten lebenden Persönlichkeiten von Ruf erwähnen wir den Landeshauptmann Georg Supersaxo, den mächtigen Gegner des Kardinals Schinner, die zeitgenössischen Geschichtsschreiber Furrer, Louis Ribordy und Domherr Grenat, den Ingenieur Ignaz Venetz, den Musiker und Naturforscher Ferdinand Otto Wolf (1838-1906), Verfasser einer Reihe von das Wallis betreffenden Heften der Europäischen Wanderbilder. Auch Jules Verne, der bekannte französische Schriftsteller (Voyages extraordinaires), weilte 1871 einige Monate in dieser Stadt.
Bibliographie:
Gay, Hilaire. Les franchises de Sion (in den Mélanges d'histoire valaisanne). Genève 1891. - Wolf, F. O. Sitten und Umgegend. (Europ. Wanderbilder. 138-140). Zürich 1888. - Monod, Jules. Sion, les Mayens etc. Sion 1903. Vergl. auch die bibliographische Liste zum Art. Wallis.
[L. Courthion.] ¶
Titel
Sitten
(Bistum). Das heutige Bistum Sitten umfasst das Einzugsgebiet der Rhone oberhalb des Genfersees, d. h. den gesamten Kanton Wallis und vom Kanton Waadt den dem Rhonethal angehörenden Abschnitt bis zur Eau Froide zwischen Roche und Villeneuve (katholische Pfarreien Bex und Aigle).
Die Katholiken von schweizerisch Saint Gingolph, die mit denjenigen des französischen Saint Gingolph eine gemeinsame Pfarrei bilden, deren Kirche links der Morge auf savoyischem Boden steht, sind dem Bischof von Annecy unterstellt. Die 1906 angeordnete Inventarisation der Kirchengüter in Frankreich musste in der Pfarrei Saint Gingolph aufgeschoben werden, weil hier Franzosen und Schweizer gleichzeitig Eigentümer derselben sind, was der Geistlichkeit und den Gläubigen gestattete, einen Teil der Kirchengeräte in die rechts der Morge auf Schweizer Boden stehende Kapelle hinüber zu retten. Die an der S.-Flanke des Simplonpasses gelegene kleine Pfarrei Gondo gehörte ursprünglich zur Diözese Novara und wurde unter Papst Pius VII. ums Jahr 1820 dem Bistum Sitten angegliedert.
Zur Zeit der Einführung des Christentums bildete das Wallis einen Teil der römischen Provinz Rätien. Der Kirchenhistoriker Sebastian Briguet, Domherr zu Sitten, erzählt in seiner Valesia Christiana, dass nach den Archiven des Klosters Saint Maurice ein Bischof Oggerius im Jahr 300 vom h. Stuhl nach Octodurum gesandt worden sei. Doch datiert die erste wirklich beglaubigte Nachricht von einem Bistum Octodurum (Martinach) erst aus dem Jahr 381, in welchem Theodorus episcopus Octodurensis am Konzil von Aquileia teilnahm.
Eine der ersten Massnahmen dieses Theodorus war die Errichtung eines Tempels in Agaunum (Saint Maurice) zum Andenken an den Märtyrertod des h. Moritz und seiner Gefährten, den diese hier 302 auf Befehl des Kaisers Maximian erlitten hatten (vergl. den Art. Saint Maurice). Die in der Gegend niedergelassenen Einsiedler, die sich an den aufstrebenden Felswänden ihre Hütten erbaut hatten, wurden vom Bischof zu einer christlichen Gemeinde vereinigt. Derart soll die Abtei Saint Maurice entstanden sein, die jetzt das älteste Kloster nördlich der Alpen darstellt. Da unter Kaiser Maximian auch die schon im 3. Jahrhundert n. Chr. bestehenden christlichen Kirchen in Sitten zerstört worden waren, übernahm unter Kaiser Gratian im Jahr 377 der dortige römische Statthalter Pontius Asclepiodotus unter dem Einfluss des Bischofes Theodorus den Wiederaufbau dieser Tempel.
Dies geht aus einer der im Korridor des Rathauses zu Sitten eingemauerten römischen Inschriften aufs deutlichste hervor. Der erste historisch beglaubigte Bischof des Wallis war demnach zugleich der Gründer des Bistumes Sitten und der mächtigen Abtei Saint Maurice, deren Aebte während des ganzen Mittelalters den Bischöfen von Sitten als gefährliche Rivalen gegenüberstanden. Theodorus starb um 391, nachdem er 381 am Konzil von Aquileia und 390 an demjenigen von Mailand teilgenommen hatte.
Unter der Regierung Mark Aurels wurde das Wallis von Rätien abgetrennt und der Provinz Gallien angegliedert. Damit kamen die ersten Bischöfe des Wallis unter die Oberherrschaft des Erzbischofs von Vienne und später unter diejenige des Bischofes der Tarentaise zu stehen. Der als Nachfolger des Theodorus genannte h. Florentin, der 407 von den Vandalen getötet worden sein soll, ist von der neuern Forschung von der Liste der Walliser Bischöfe gestrichen worden. Der Bischofssitz blieb bis zum Ende des 6. Jahrhunderts in Octodurum, obwohl die Hochwasserverheerungen der Dranse die Bischöfe öfters nötigten, in Agaunum Zuflucht zu suchen.
Den verheerenden Naturgewalten, wie Ueberschwemmungen und Bergstürzen, reihten sich feindliche Einfälle und auch bürgerliche Zwistigkeiten an, indem z. B. die Mönche von Agaunum im Jahr 565 den Bischof Agricola samt seinen Geistlichen und Anhängern zu töten suchten. Man sieht darin ein Beispiel jener im Mittelalter häufigen Kämpfe der auf ihre Freiheiten und Vorrechte eifersüchtigen Klöster gegen die Bischöfe, die jene unter ihre Gewalt zu bringen trachteten. Um vor den Einfällen der raubend und sengend über den Grossen St. Bernhard ziehenden Longobarden sicherer zu sein, verlegte dann der h. Heliodorus im Jahr 585 seinen Bischofssitz von Octodurum (Martinach) nach Sedunum (Sitten).
Trotzdem sehen wir aber in der Folge zahlreiche Bischöfe sich zugleich noch den Titel eines Abtes von Agaunum (Saint Maurice) beilegen, wie z. B. Vultcharius (753), den h. Althaeus, der 780 vom Papst eine Exemtionsbulle zugunsten dieses Klosters auswirkte, Abdalong (um 825), Heimenius (830) und Haymon II., Sohn Humberts von Savoyen, dem der Papst Leo IX. im Jahr 1049 zusammen mit den Bischöfen von Lyon, Besançon und Genf in Saint Maurice einen feierlichen Besuch abstattete.
Dem Tod Karls des Grossen, der das grosse abendländische Reich dieses Herrschers zur Auflösung brachte, folgte auch im Wallis Zank und Streit. Um den Besitz des Landes stritten sich das Bistum, das von Rudolf III., dem letzten König des transjuranischen Burgund, im Jahr 999 die Gaugrafenwürde des Wallis verliehen erhalten hatte, und das Haus Savoyen, das seine Besitzansprüche von einer Vergabung Konrads des Saliers zugunsten des Grafen Humbert des Weisshändigen herleitete.
Dem Abt von Saint Maurice, der bei der Teilung des ungeheuern Reiches auch seinen Anteil haben wollte, war die von Martinach bis Vevey reichende Grafschaft des Vieux Chablais zugefallen. Seither standen sich Ansprüche und Interessen des Bistums und Savoyens, welch letzterm die Abtei Saint Maurice bei seinen Uebergriffen aufs Wallis stets behilflich war, feindselig gegenüber. Daraus entsprang dann die lange Reihe der Bürgerkriege, die das Land fast ohne Unterbruch entzweiten.
Die Schenkung Rudolf III. begründete die weltliche Macht der Bischöfe von Sitten und gestaltete diese Stadt von einer rein religiösen Metropole auch zum politischen Schwerpunkt des Landes um, sodass sich hier geistliches und weltliches Schwert auf mehrere Jahrhunderte hinaus in einer Hand, der der Bischöfe, vereinigt sahen. Aus dem Bischofsstaat hat sich in der Folge der Freistaat und die Republik Wallis entwickelt. Während die Grenzen der Grafschaft Wallis und des Bistums Sitten sich zur Zeit des Zusammenbruches des Römerreiches noch deckten, war dies beim Tod Rudolfs III. weitaus nicht mehr der Fall. So umfasste das Bistum, das innerhalb der Grenzen der ehemaligen civitas geblieben war, genau das Sammelgebiet der obern Rhone, die Grafschaft dagegen bloss den obern Abschnitt des Rhonethales bis zur Einmündung des Thales des Trient. Die weltliche Macht der Abtei Saint Maurice im untern Thalabschnitt bildete einen jeder Ausdehnung der Grafschaft gegen diese Seite hin machtvoll sich entgegenstemmenden Wall. Zudem war der Zerfall der ehemaligen ¶