zwischen 45 und 50° hervorbrachen. Ihre Gesamtwassermenge ist allmählig bis auf etwa 300 Sekundenliter angewachsen. Während
schon das kalte
Wasser auf der
S.-Seite durch seine grosse Menge und die Heftigkeit der einbrechenden Strahlen vielfache Schwierigkeiten
verursacht hat, erwies sich das heisse
Wasser in der Tunnelmitte noch unerwünschter, weil es die Lufttemperatur
erhöhte. Die Felswärme im Innern des
Tunnels ist höher gestiegen, als man geglaubt hatte.
Während sie allgemein auf 38-39° mit einer Unsicherheit von 3° und von Stapff, dem Ingenieur-Geologen des Gotthardtunnels,
auf 47° geschätzt worden war, hat sie in Wirklichkeit bei km 8,500 vom N.-Portal ein Maximum von 54°
erreicht und sich auf einer Strecke von mehr als 2 km Länge (km 7,250-9,400) stets über 50° gehalten. Dazu lag diese ausserordentlich
heisse Zone nicht einmal, wie man hätte vermuten dürfen, unter den höchsten Teilen des Gebirges, sondern unter dem NW.-Gehänge
der Kette des
Wasenhorns.
Diese Erscheinung erklärt sich aus einer Erhöhung der Oberflächentemperatur um 5°, aus der Trockenheit
des Gesteins und aus der Anordnung der Schichten, die hier im Sinne des Gehänges einfallen und so einen Isolierpanzer bilden.
Alle diese Umstände haben zusammengewirkt, um die Temperaturkurven in die
Höhe zu treiben. Im Gegensatz dazu bewirkten die
starken Kaltwasserquellen der
S.-Seite zwischen km 3,800 und 4,500 eine beträchtliche Erniedrigung der
Temperatur um 10-20°.
Nach oben zu gabelt sich das Val Sinestra in komplizierter Weise. Von der
O.-Seite her kommtValmains und
von N. her als längster Zweig
Val Chöglias, dessen östl. Quellthälchen das
Val Tiatscha
(Griosch),
Val Trammas und
ValBolschèras
sind und das sich zu oberst wieder in
Val Roz und
Val da Storta Gronda gabelt; von W. her mündet das mit freundlichen
Alpen
belegte
Val Lavèr ein, dessen oberster Abschnitt Tiral heisst. Diese Gabelung des Val Sinestra beginnt
nahe dem schön gelegenen
HofZuort (1719 m). Der vereinigte
Thalbach ist die Brancla oder
Lavranca, in die sich weiter unten
die Wildwasser der schauerlich zerrissenen Felsentöbel
Val da
Ruinas und
Vallatscha von der rechten Gebirgsseite her ergiessen.
Die Länge des vereinigten
Thalbaches beträgt 6,3 km und das Gefälle auf dieser Strecke 570 m oder 90‰.
Zusammen mit dem Bach des
Val Chöglias hat das Thalgewässer eine Länge von 10,7
km und ein Gesamtgefälle von 950 m oder
88‰. Berechnet man die Wasserkraft für ein Gesamtgefälle von 2050-1226 = 824 m, so ergibt sich nach
Lauterburg für die Brancla eine gesamte Bruttokraft von 1329 PS und eine produktive Kraft von 146 PS. Unterhalb der prachtvollen
Schlucht bei der Burgruine
Tschanüff hat sich der Bach tief in die eigenen Ablagerungen und die Schuttmassen des
Inn, sowie
in die Moräne der Terrasse von
Lads (am Thalfluss unter
Remüs) eingeschnitten (Erdpfeiler im Moränenmaterial).
Das Val Sinestra ist bis zum
HofeZuort hinauf beiderseits stark bewaldet, und der
Wald reicht auch noch eine Strecke weit in
die obern Verzweigungen hinan. Das Hauptthal erscheint tief und wild durchschluchtet, so dass die
Wege der beiden Thalseiten
hoch über den Schluchtenrissen über plateauartige Flächen hinführen. Auf der
W.-Seite steigt ein neues Fahrsträsschen
(im Sommer mit Postwagenverbindung
Schuls-Postablage Val Sinestra) von
Sent (1440 m) durch fruchtbares Ackerland auf das aussichtsreiche
Plateau von
Tschern hinauf, um dann in das Bergthal einzubiegen und durch Lärchen- und Tannenwald über das kleine
Plateau von Chavrids
Pitschen nach der grössern, waldumrahmten Wiesenterrasse von Chavrids
Grond (1611 m) zu leiten, die einen
prächtigen Ueberblick über das Thal gewährt.
Von der gegenüberliegenden Thalseite grüsst aus sonniger
Berghalde das kornreiche Dörfchen
Manas (1613 m), und aus dem Thalhintergrund
leuchtet das weisse Gast- und
Zollhaus desHofesZuort (1719 m) zu uns hernieder, ein wahrhaft freundliches
und liebliches
Bild, dessen würdigen Abschluss die prächtige Pyramide des
Stammerspitz bildet. Oberhalb Chavrids
Grond biegt
der Weg durch das schauerlich-wilde Vallatschatobel und über die Terrasse von
PlanParpan durch
Wald stärker nach N. aus,
worauf er in
Kehren den Steilhang hinab in die Bachschlucht steigt, wo die den Ruhm des
Thales begründenden
arsenhaltigen Eisensäuerlinge der
«Aua Forta» rinnen.
Sie entspringen in einer
Höhe von 1471 m hart am
Bache und können längs der linken Thalseite auf der Strasse von
Remüs über
Manas und von hier auf einem
Waldweg, oder auch von
Remüs und der Burgruine
Tschanüff aus auf neuem
Wege
der
Tiefe dieser Thalseite entlang
(in ¾ Stunden) erreicht werden.
Sent-Sinestraquellen 1½-2 Stunden,
Remüs-Manas-Sinestraquellen
1½ Stunden. Die 1898-1900 neu gefassten Quellen liefern nun in 4 (statt der frühem 19) Strängen 162 Minutenliter, ein
genügendes Quantum, um täglich mehr als 1200
Bäder zu speisen.
Bei den Quellen steht ein kleines
Badhaus. Man geht mit dem Gedanken um, auf dem
Plateau von
Tschern bei
Sent für den Gebrauch
der Heilquellen ein Kur- und Badehotel im grossen Stil zu errichten. Die
Mineralquellen von Val Sinestra zeichnen sich durch
ihren erheblichen Gehalt an arseniger Säure und Borsäure aus, den sie im übrigen mit einer Mannigfaltigkeit
in ihrer Mineralisation verbinden, wie sie von schweizerischen und ausländischen
Mineralquellen von hervorragender therapeutischer
Bedeutung nur selten erreicht und nicht übertroffen wird.
Die vier Quellen heissen
Ulrich-, Thomas-, Johannes- und Konradinquelle. Die Ulrichquelle, die bei einem Gehalt an festen
Bestandteilen von 41,45 gr in 10000 gr
Wasser 0,0453 gr arsenige Säure (As O3) enthält, steht nach
Nussberger hinsichtlich
ihrer Zusammensetzung unter den bündnerischen Heilquellen geradezu einzig da. Der allgemeine chemische Charakter der Sinestraquellen
ist im übrigen der von eisenhaltigen, alkalisch-muriatischen Mineralwässern mit grosser Menge gelöster Kohlensäure. Ein
anlässlich der neuen Grabarbeiten 1898 bei der obersten und stärksten Quelle gefundener Topf gehört
¶
mehr
nach Form und Bearbeitung dem 14.-15. Jahrhundert an und beweist, dass die Sinestraquellen schon früh bekannt gewesen sind.
Doch bekümmerte man sich erst in den 50er-60er Jahren des 19. Jahrhunderts ernstlich um deren Verwertung.
Wenden wir uns von den Quellen wieder auf das Plateau der rechten Thalseite der Brancla, so führt uns
der alte Weg zunächst über das schreckliche, oben und seitwärts in wilde Felsenrisse sich verzweigende Tobel des Val da
Ruinas, dessen Lawinen und reissende Wasserfluten früher den obern Teil der Sinestraquellen des öftern verschüttet
haben. Dann gelangt man in n. Richtung nach dem einsamen, romantisch gelegenen HofeZuort (1719 m), von
wo auch Muttler und Stammerspitz erstiegen werden können.
Gegenüber befinden sich auf der andern Bachseite die Erdpyramiden unter PraSan Peder. Schon haben Valmains und Val Lavèr sich
mit dem Hauptthal vereinigt. Weiter nordwärts erreichen wir die Berghütten von Griosch (1818 m), wo wir uns bereits im
Val Chöglias, dem längsten Quellthal des Val Sinestra, befinden. Val Lavèr und Val Chöglias haben Bergwiesen und mehrere
Alpen (Muranza, PraSan Florin, Patschai und Chöglias), die der Gemeinde Sent gehören, während die AlpenPradatsch und Pradgiant
am W.- und NW.-Fuss des Piz Arina, sowie eine Alp Chöglias Eigentum von Remüs sind.
Ueber dem Gebirgskamm des Fimberpasses drüben im österreichischen Fimberthal, wo die Heidelbergerhütte des Deutschen und
Oesterreichischen Alpenvereins (2265 m) steht, befinden sich noch die AlpenFenga und Kleinfenga, von denen jene Sent, diese
Remüs gehört und die beide verpachtet werden. Das ganze rechtsseitige Gehänge des Val Sinestra ist
auf Gebiet von Sent gelegen, und der reiche Wald dieser Gegend schliesst sich den weitern grossen Beständen an, welche diese
Gemeinde im Uinathal und seiner Umgebung auf der rechten Seite des Inn besitzt. Die linke Thalseite von Val Sinestra und am
Bache aufwärts durch Val Chöglias bis auf den Grat über der Alpe Chöglias samt den ö. Nebenthälern
ist Eigentum der Gemeinde Remüs.
Bodengrundlage des Thales sind versteinerungsleere Engadinerschiefer unbestimmten Alters, denen in den grössern Höhen mesozoische
Schiefer, Lias- oder Allgäuschiefer und Kreideflysch, aufgesetzt erscheinen. Auch die Quellthäler des Hintergrundes verlaufen
im Wesentlichen in diesen aus Tonschiefern, Kalktonschiefern und Kalksandsteinen bestehenden Komplexen,
und nur die höchsten Gipfel im N., sowie die Kämme und Hörner im W. gegen das Fluchthorn hin zeigen grosse Veränderungen
in der Schieferserie, und zwar durch das Auftreten von Grünschiefern, sowie am Piz Nair und Piz Champatsch durch Einschaltungen
von Serpentin und Diabas (Variolit-)gesteinen. Im ganzen sind die beiden Schieferserien etwa 1000 m mächtig,
was durch weitgehende Auffaltung und Zusammenstauchung sich erklären lässt.
Bei den Mineralquellen von Val Sinestra - im Vallatschatobel und am Ausgang des Val Lavèr finden sich übrigens noch Eisensäuerlinge
- ist der Engadinerschiefer durchaus phyllitisch. Er enthält hier zahlreiche Glimmer- und Serizitblättchen, sowie
in Menge eingesprengten Schwefelkies, dessen intensive Verwitterung die Bildung von freier Schwefelsäure zulässt. Deren
letztern Angriff auf Karbonatgesteine schreibt Dr. Nussberger den Kohlensäuregehalt der Quellen zu. Die starke Verwitterbarkeit
der Schiefer bedingt zusammen mit dem verhältnismässig recht milden Klima die Fruchtbarkeit der Gegend, den reichen Waldwuchs
im Thal, sowie die mit üppigem Pflanzenwuchs ausgestatteten grünen Weiden, Gründe und Hänge der Alpen.
Als besonders bemerkenswert möge erwähnt werden, dass beim HofeZuort (1719 m) noch Gartengemüse, Roggen und Flachs mit Erfolg
gezogen werden. Dagegen ergehen sich aus der grossen Veränderlichkeit der Schiefergesteine unter dem Einfluss der Atmosphärilien,
sowie aus den Rutschungen in den Gebieten mit tonig-blätterigen, weichen Schichten schreckliche Bilder
der Zerstörung und Zerrissenheit, besonders im mittlern und im rechtsseitigen vordern Thalabschnitt.
Die Sohle des Val Sinestra ist an zahlreichen Stellen auf weite Strecken hin mit enormen Geschiebe- und Schuttmassen aufgefüllt
(Chavrids Grond und Chavrids Pitschen, PlanParpan, Thalboden von Zuort und Ausgänge der
Quellthäler). Nicht
selten bedecken Schutt und Geröll auch Lager eines mitunter vorzüglichen Lehmes, so z. B. über den Mineralquellen, wo ein
blaues, bildsames Produkt, von Flusskiesen überlagert, am Gehänge zu treffen ist. Im Vallatschatobel stehen auf der linken
Bachseite aus den Schuttmassen herausmodellierte, ansehnliche Erdpyramiden, ebenso in der Rüfe unter
PlanParpan; unter PraSan Peder gegenüber Zuort erreichen diese Bildungen eine imposante Grösse, so dass sie eine Sehenswürdigkeit
des Thales bilden.
Durch das ganze Gebiet von Val Sinestra sind zahlreiche erratische Blöcke verstreut. Die Grundmoränen mit Geschiebelehm
am Ausgang des Thales am Inn haben wir bereits erwähnt. In der Gegend des Piz Tasna, Piz Nair und Piz Champatsch,
d. h. rings um den tiefen Kessel von Val Tiral, eines Seitenthales des Val Lavèr, tritt Serpentin auf. Tiral erscheint dadurch
als eine wahre «Totalp», deren Vegetationslosigkeit und trostlose Wildheit
nicht leicht von einer andern Gegend übertroffen werden dürfte. Von Mineralien findet man im Gebiete
des Val Sinestra: Kalkspat, Doppelspat, Bergkristall, Schwefelkies (Pyrit), Serpentinasbest, Realgar und Auripigment, welche
beiden letztern Arsenmineralien auf Chavrids Pitschen entdeckt worden sind.
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1863. - Steinmann,
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Aug., und Ed. Killias. Die arsenhaltigen Eisensäuerlinge von Val Sinestra beiSent. Chur 1876. Lardelli, A. Die kohlensäurereichenArsen-Eisenquellen des Val Sinestra.Chur 1900.