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überlegen, welche Erscheinung in der Auswanderung begründet liegt. Schwyz ist auch nicht so abgeschlossen, wie man gewöhnlich annimmt, sondern hat sogar 21% sogenannte «Fremde». Fremdsprachige gibt es nur 3%, Reformierte 3½%. Wenn sich auch die Bevölkerung innert der letzten 150 Jahre verdoppelt hat, so ist diese Vermehrung doch weniger schnell vor sich gegangen als in andern Kantonen und beteiligen sich daran bloss die verkehrs- und industriereichen Orte. Wohl hat sich die auf die Bodenerzeugnisse angewiesene Bevölkerung am stärksten vermehrt; da aber diese Erzeugnisse nicht ausreichten, wanderten Hunderte, ja Tausende nach den Industriezentren und ins Ausland aus, wo sie durch Solidität und Energie ihrer alten Heimat meist Ehre machen.
Die Körpergestalt der Schwyzer des «alten Landes», d. h. des Bezirkes Schwyz zeichnet sich durch einen starken, kräftigen Bau aus, ist mehr untersetzt als schlank; das gewöhnlich blaue oder ins Graue spielende Auge ist heiter, die Stirne schön gewölbt und offen, das Haar stark und dunkelblond, die Brust breit, die Schenkel muskulös. Vieles von dem Gesagten dürfte auch für das Frauengeschlecht zutreffend sein. Es zeichnet die Frauen aus ein lebensfroher Blick, ein gesundes und glühendes Rot, eine stets freundliche Miene und eine ausdauernde, wenn auch nicht prangende Schönheit. Zarte, bleiche und schmächtige Wesen, wie wir sie in den Industriezentren so oft antreffen, sind im Bezirk Schwyz selten. Auch das Volk der übrigen Bezirke ist von gesundem, kräftigem Schlag; selbst bei den Armen, die meist Kartoffeln und Milchkaffee geniessen, ist das Aussehen immer noch gut, die Haltung rüstig und lebhaft.
Zur Zeit der alten Eidgenossenschaft offenbarte sich in den Volksverhältnissen eine grosse politische und bürgerliche Verschiedenheit. Der herrschende Teil, d. h. die Bürger des «altgefryten Landes Schwyz", , war als einer der auf seine Freiheit eifersüchtigsten Volksstämme bekannt. Die Bewohner der March, von Einsiedeln, Küssnacht und der Höfe wurden damals «Angehörige» genannt. Wohl besassen sie eigene Gerichte und Rechte, doch mussten sie jährlich Boten an die Landsgemeinde zu Schwyz senden, die die Bestätigung ihrer Freiheiten nachzusuchen hatten.
Zwei Abgeordnete von Schwyz, sog. Gesandte, prüften die Verwaltung dieser Landschaften, um das Volk vor deren Willkür zu schützen, «gar oft aber nahmen sie, weil keine Wolle mehr vorhanden war, noch das geschorene Fell». «Beisassen» nannte man diejenigen Einwohner, die teils schon seit vielen Jahrhunderten, teils erst in spätern Zeiten aus andern schweizerischen Gegenden sich hier niedergelassen hatten. Zu gewissen Kriegszeiten oder beim Mangel an Berufsleuten waren solche «Fremde» willkommen, während sie sonst gar oft geplagt und einer strengen und weitläufigen Beisassen-Verordnung unterstellt wurden. Obwohl gesagt werden muss, dass diese Verordnung von den Behörden meistens nicht streng gehandhabt ward, schwebte sie doch als scharfes Damoklesschwert stets über den Beisassen. Die französische Revolution brachte endlich den angehörigen Landschaften und 648 Beisassen von 73 Geschlechtern das volle Landrecht. Immerhin wird letzteren heute noch die Gleichberechtigung in Benutzung der Allmeinden nicht zugestanden.
Die verschiedene Abstammung lässt sich auch in der Mundart der einzelnen Landschaften erkennen. So ist eine scharfe Dialektgrenze zwischen Schwyz und Einsiedeln zu konstatieren und finden sich etwelche Differenzen in den einzelnen Thalschaften von Schwyz. Auch Arth, Küssnacht und Gersau weichen oft, wenn auch nicht sehr auffallend, ab. Die Einsiedler sprechen eine rasche, aber aussergewöhnlich rauhe Mundart, die sich vielfach als ein Konglomerat der schweizerischen, elsässischen und süddeutschen Dialekte darstellt, entsprechend der Herkunft der dortigen Einwohner. Der Dialekt der Bewohner der Höfe ähnelt dem der Zürcher, derjenige der Märchler dem der Leute im Gaster und Kanton Glarus.
Nahrung. Während in den grösseren Ortschaften mehr oder weniger moderner Luxus in der Ernährungsweise sich zeigt, ist man auf dem Lande meist beim alten Herkommen geblieben. Zur Winterzeit werden da täglich drei Mahlzeiten als genügend erachtet, während es zur Sommerzeit deren fünf bedarf. Zudem hat überall eine kräftigere Ernährung Platz gegriffen. Vor 4 Jahrzehnten waren noch Kartoffeln, Milch und Mehlbrühe die Hauptnahrungsmittel des ärmeren Volkes und war das Brot selten.
Heutzutage ist überall genügend Brot vorhanden. Fleisch kommt freilich selten auf den Tisch, wobei hohe Festtage und ausserordentlich strenge Arbeit in Feld und Wald Ausnahmen bilden. Das selbstgezüchtete Schwein wird geschlachtet, dessen Fleisch gedörrt und sukzessive verspeist. Ein Hauptübel ist leider, besonders in etlichen Alpenthälern, der mit Schnaps vermischte schwarze Kaffee. In Obstgegenden bildet ein vorzüglicher Apfelwein oder auch Birnenmost das Hauptgetränk. Zudem werden noch allerlei Getränke, hauptsächlich Bier, produziert und fremde Weine importiert.
Die alten Schwyzer waren einfach in ihrer Kleidung und bedienten sich gewöhnlich selbstverfertigter Zeuge aus Wolle, Flachs und Hanf. Doch erliess der Landrat wiederholt scharfe Verordnungen gegen Kleiderluxus. Kurze Beinkleider waren so allgemein, dass der Gebrauch der langen vom Volk verabscheut und von der Landsgemeinde verboten wurde. Selbst den Frauen erkannte man die «Tuppe» und hohen Hüte weg. Der Stoff der kurzen Hosen war gegerbtes schwarzes Kalbfell; dazu kamen eine zierliche Weste (Lender) von Scharlach, darüber eine lange braune oder blaue Jacke, ferner rote Strümpfe und Schnallenschuhe.
Diese Tracht erhielt sich da und dort bis 1848. Die Kantons- und Bezirksläufer, sowie die Weibel tragen heute noch eine höchst originelle Kleidung nach Art der Liktoren im alten Rom. Bei kirchlichen Feierlichkeiten tragen die Herren vom Rat und Gericht immer noch den langen schwarzen Kirchenmantel und hohen Zylinderhut; dagegen gehen die Leute des alten Landes vielfach heute noch hemdärmelig zur Kirche. Das beliebteste, weil bequemste Kleidungsstück der Bauern ist die dem Oberleibe angepasste, selbstverfertigte wollene Jacke.
Eigenartig war die ehedem niedere, dann hohe Kopfbedeckung der Frauen, die weder Kappe noch Haube darstellte. Zwei Flügel von Spitzen liefen vom Nacken aus in mässiger Entfernung parallel mitten über den Kopf bis zur Stirne, wo sie in einer Spitze zusammentrafen. Bei den Mädchen waren die Haare zwischen beiden Haubenflügeln in Zöpfe geflochten, aufgewunden und mit einer silbervergoldeten Haarnadel von Rosenknospenform befestigt. Bei den Frauen hingegen zeigte sich das aufgewundene Haar mit einer Gupfe von Seidenstickerei und Blumen bedeckt. Dieser Schmetterlingshut ist nun auch verschwunden, wie die sogenannten «Höfner-» und «Schwaben-» Hauben. Auch den selbstgewobenen wollenen Frauenrock sieht man immer seltener, indem jetzt selbst die Bauernmädchen eifrigst der neuen Mode huldigen.
Wohnung. Gesslers strenge Worte an Stauffacher: «Ich will nicht, dass die Bauern so schöne Häuser bauen», würden sich heute auf die Gasthöfe der Kurorte und Flecken, sowie auf einzelne Herrensitze beziehen lassen, weit weniger dagegen auf die höchst primitiven Häuser des Bauernstandes. Diese haben ausser dem gemauerten Erdgeschoss meist nur ein, da und dort auch zwei Stockwerke mit Holzwänden, welche mit Rundschindeln eingeschuppt sind. Das Ziegeldach, das nun fast überall die ¶
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Schindeldächer verdrängt hat, ragt stark vor und bildet, bezw. deckt auf beiden Seiten luftige Vorlauben, die mit Brettern eingefestet sind. Unter einer der Vorlauben befindet sich das «Brüggli», auf welches vom Freien aus Treppen führen und das den vor Wind und Wetter geschützten Eingang ins Haus darstellt. In neuerer Zeit haben auch die gar zu viel Brennmaterial konsumierenden gewaltigen Kachelöfen und Rauchfänge modernen Heizeinrichtungen weichen müssen. Mehr und mehr verschwinden ferner die als Sitzbänke dienenden Wandkasten. Das alte Buffet, «Bofet» genannt, ein als Kommode, Glas- und Kleiderkasten dienender vielteiliger Schrank, weiss sich als zierliches und praktisches Möbel seinen Platz in einer Stubenecke und an zwei Wänden hin bis zu Türe und Fenster zu behaupten.
Der Kanton Schwyz zählt 7350 Wohnhäuser. Die grössten Ortschaften sind: Einsiedeln (1027 Häuser), Schwyz (854), Arth (514), Küssnacht (456), Lachen (250), Gersau (242), Steinen (224), Unter Iberg (223), Wollerau (183), Brunnen (157), Siebnen (134). Der Gesamteindruck der Ortschaften ist ein sehr verschiedener. Es imponiert das melancholisch in ödem Hochthal gelegene Einsiedeln mit seinem grossen Kloster, sowie den vielen Gasthöfen und Verkaufsläden als Wallfahrtsort und Sitz der grössten schweizerischen Buchdruckereien. Kantonshauptort ist der in einem der schönsten Thäler der Schweiz gelegene Flecken Schwyz mit seinen vielen Kirchen, Klöstern, Herrschaftssitzen und Villen. Brunnen, Gersau, Goldau sind Fremdenkurorte, Küssnacht, Lachen und Siebnen dagegen geschäftsreiche Industrieorte. Wollerau, Arth und Steinen liegen als wohlhabende Flecken in fruchtbarer Gegend, sowie Unter Iberg als aufblühendes Dorf am Fuss der Hochalpen etc.
Religion. Die statistischen Tabellen zeigen, dass 96,5% der Bevölkerung der römisch-katholischen und 3,5% der protestantischen Konfession angehören. Der Kanton Schwyz bildete früher einen Teil des Bistums Konstanz, ist nun aber seit des letztern Aufhebung dem Bistum Chur zugeteilt, in dessen Domkapitel je zwei Schwyzer gewählt werden. Die kirchliche Verwaltung teilt sich ins Kapitel Schwyz mit den Bezirken Schwyz, Gersau und Küssnacht und ins Kapitel March mit den Bezirken March, Einsiedeln und Höfe (sowie dem Kanton Glarus). Jedem Kapitel stehen neben dem bischöflichen Kommissar vor: 1 Dekan, 1 Kammerer, einige Sextare und 1 Sekretär. Die 31 Kirchgemeinden des Kantons werden pastorisiert von 78 Geistlichen, nämlich 31 Pfarrherren, 25 Kaplänen, 9 Pfarrhelfern, 6 Pfarrkuratoren und 7 Katecheten, von denen 65 der Weltgeistlichkeit angehören. Von Orden sind im Kanton niedergelassen: 1) die Benediktiner zu Einsiedeln (101 Kapitularen, von denen 26 als Professoren an der Stiftsschule, 13 auf kantonalen und viele auf ausserkantonalen und ausländischen Pfarreien, mehrere auch als Gutsverwalter wirken; das Stift zählt zudem 9 Kleriker und 34 Laienbrüder);
2) die Kapuzinerklöster in Schwyz, Arth und auf dem Rigi (zusammen 14 Patres, 7 Kleriker und 8 Laienbrüder);
3) das Dominikanerinnenkloster St. Peter in Schwyz (27 Chorfrauen und 10 Laienschwestern);
4) Frauenstift St. Joseph in Muotathal (23 Franziskanerinnen und 5 Novizinnen);
5) Frauenkloster Au bei Einsiedeln (44 Benediktinerinnen);
6) die «Schwestern vom h. Kreuz» zu Ingenbohl widmen sich der Kranken- und Waisenpflege, sowie der Volksschule; sie zählen zu Tausenden und haben Niederlassungen in aller Welt. Die katholischen Gotteshäuser sind zum Teil uralt, so der «Kerchel» in Schwyz, die Kapelle auf dem Etzel, die Wolfgangkapelle in Einsiedeln und viele andere. Viele der Kirchen sind auch in Stil und Architektur wahre Kunst- und Prachtbauten. An manchen Orten, vorab in Einsiedeln, wird in religiöser Musik und Gesang Hervorragendes geleistet. Die Protestanten haben eigene Kirchen und Pfarrer zu Arth, Brunnen und Siebnen; auch in Einsiedeln wird zeitweise reformierter Religionsunterricht erteilt und Gottesdienst gehalten.
Ein Hauptzug im Charakter der Schwyzer ist der tiefe Freiheitssinn und die grosse Vaterlandsliebe; Offenheit, Gutmütigkeit, Biederkeit, Munterkeit sind vorherrschend. Der Schwyzer besitzt auch viele natürliche Fähigkeiten. In den einzelnen abgeschiedenen Teilen dieser kleinen alten Landschaften zeigen sich bei besonderen Verhältnissen auch auffallende Eigentümlichkeiten, dort ein trotziger Mut, hier Neigung zur Bequemlichkeit, da schlaue Verschlossenheit, drüben Munterkeit und Gastlichkeit, vielfach das stolze Gefühl der Selbstherrlichkeit, gar oft ein ausgeprägter Kunstsinn und Geschäftstrieb.
XII. Industrie.
Was das Einst gegenüber dem Jetzt charakterisiert, ist der Partikularismus. Damals wurde gar oft auf die Einengung der Institutionen und Zustände mehr Scharfsinn verwendet als auf deren Entwicklung. Man lebte behaglich. Bei wenig Bedürfnissen war mit wenig Arbeit auszukommen. Ja man dachte ehedem kaum daran, dem Boden etwas abzugewinnen, was er nicht freiwillig geben wollte. So musste die Landsgemeinde 1514 gebieten, dass jedermann seine Güter des Jahres wenigstens einmal heuen solle.
Auch die Handwerke blieben in unserer Gegend auf einer Stufe stehen, auf der sie buchstäblich nur vom täglichen Brote lebten. Ihre Erzeugnisse dienten bloss lokalen Bedürfnissen. Immerhin herrschte Handels- und Gewerbefreiheit, indem von 1676 an die Protokolle den Grundsatz bestätigen, dass jedermann frei kaufen und verkaufen dürfe. Weil es in Einsiedeln nach einem bekannten Volkswitz «sechs Monate Winter und drei Monate kalt» ist, entwickelte sich dort die Hafnerei. 1724 befasste sich die Regierung mit der Einführung einer Wolltuchfabrik im Kloster Einsiedeln, dessen zu diesem Zweck eingerichtete Abteilung heute noch das «Wollenhaus» heisst. Im 16. Jahrhundert wird eine Glashütte in Rotenturm, 1666 eine solche in Iberg und 1757 eine dritte in Alpthal erwähnt. Schon 1501 wurden die Steinbrüche in Bäch bei Wollerau und 1522 der Wetzsteinbruch im Wäggithal ausgebeutet. 1724 ¶