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nur in ganz ungenügender Weise. Eine traurige Berühmtheit haben die Jahre 1816 und 1817 durch die Hungersnot erlangt, die damals ganz Zentraleuropa heimsuchte. Um dem Elend zu steuern, mussten besondere Massnahmen getroffen werden. So kauften die Regierungen der Kantone Waadt, Freiburg, Basel, Graubünden etc. mit Hilfe von öffentlichen Subskriptionen beträchtliche Mengen von Korn im Ausland an, welche Operationen durch die Beihilfe einiger Grosskapitalisten erleichtert wurde, indem z. B. Theodor Rivier dem Kanton Waadt die Summe von 300000 alten Franken (= 450000 Franken heutiger Währung) lieh.
Die schwierige Lage, in der sich die Schweiz befand, veranlassten tausende von Personen zur Auswanderung nach Amerika. In den Nachbarstaaten machten sich schutzzöllnerische Anwandlungen geltend. Während das lombardisch-venetische Königreich, Piemont und Oesterreich ihre Zollansätze erhöhten, behielt auch das monarchische Regiment in Frankreich das von Napoleon eingeführte Prohibitivsystem bei. Ein Glück war es daher, dass sich das Grossherzogtum Baden entgegenkommender zeigte und durch Aufhebung der Durchgangsgebühren den Erzeugnissen der schweizerischen industriellen und gewerblichen Tätigkeit eine Absatzpforte öffnete. Da Frankreich auf seinem starren Prohibitivsystem beharrte, schlossen sich Baiern, Württemberg, Baden, Hessen und die Schweiz zum gemeinsamen Vorgehen gegen den französischen Zolltarif zusammen. Am beschloss die Tagsatzung mit 13½ gegen 8½ Stimmen einen Kampftarif, der aber nur in den annehmenden Kantonen in Wirksamkeit trat, sodass sein Erfolg kein durchgreifender war.
Aus dieser Sackgasse kam die Schweiz nur dank dem guten Willen Württembergs und Badens heraus, welche Staaten durch Vertrag von 1826 ihren Durchgangsverkehr nach Norddeutschland, Holland, Russland und Amerika erleichterten, wofür sie ihrerseits Massnahmen zur Erleichterung des Durchgangsverkehrs von Deutschland Italien traf. Nach der Vollendung der Strasse über den Splügen begann Oesterreich, sich entgegenkommender zu zeigen, und auch Frankreich änderte nach dem Sturz der Bourbonen seine ablehnende Haltung.
Die kantonalen Zölle legten dem Binnenhandel der Schweiz selbst erhebliche Schwierigkeiten in den Weg, denen ein von 14 Kantonen im Jahr 1830 abgeschlossenes Konkordat teilweise abzuhelfen versuchte.
Alter Ueberlieferung getreu, beeilten sich die meisten Kantone, mit den fremden Staaten Militärkapitulationen einzugehen. So verpflichtete sich Neuenburg am zur Stellung eines Jägerbataillones an den König von Preussen und Bern am zur Stellung eines Regimentes von 2000 Mann an die Niederlande. Auch Zürich, Graubünden, Schwyz, Appenzell, Tessin, Unterwalden, Solothurn und Luzern unterzeichneten 1816 mit den Niederlanden Kapitulationen für drei Regimenter. Im selben Jahre schlossen 17 Kantone mit Frankreich eine Kapitulation für die Rekrutierung von sechs Regimentern.
Einzig Basel und Glarus beteiligten sich nicht an solchen Militärverträgen. 1825 und 1829 schlossen 10 Kantone Kapitulationen mit dem Königreich beider Sizilien, und 1832 schuf der h. Stuhl zwei Fremdenregimenter, die zum grössern Teil aus Schweizern bestanden. Mit Berücksichtigung der ältern, aber immer noch giltigen Kapitulationen mit Spanien und Piemont, sowie der im Solde Englands stehenden Schweizer Soldaten, kann gesagt werden, dass zu einer gegebenen Zeit mehr als 30000 Schweizer unter fremden Fahnen standen, während die Bevölkerung der Schweiz sich damals auf bloss 1700000 Seelen, d. h. also die Hälfte der heutigen Volkszahl belief. Diese Verträge mit den fremden Mächten fanden sowohl in der Schweiz als im Auslande bald Widerspruch, sodass die Kapitulationen mit den Niederlanden 1828, mit Frankreich 1830 und mit Neapel 1859 nicht mehr erneuert wurden, bezw. erloschen.
Laut dem Bundesvertrag war nicht, wie heute, jeder Schweizerbürger zugleich auch wehrpflichtig, indem sich die Kantone bloss verpflichtet sahen, zum gemeinsamen Bundesheer ein Kontingent im Verhältnis von 2% ihrer Einwohnerzahl zu stellen, was eine Gesamtstärke des eidgenössischen Heeres von 33758 Mann ausmachte. Diesem ersten Aufgebot hatte die Tagsatzung von 1816 noch eine gleich starke Reserve angegliedert, so dass das eidgenössische Heer 67516 Mann mit 104 Kanonen und 3127 Pferden zählte. Im Jahr 1818 schuf man einen eidgenössischen Generalstab, an dessen Spitze ein Generalmajor, ein Artillerieinspektor und ein Kriegskommissar standen, während ihm ausserdem noch 29 Obersten und Oberstleutnants, sowie 24 Offiziere von geringerem Grad angehörten.
Die militärische Ausbildung lag in den Händen der Kantone. Die Bewaffnung der Infanterie und Kavallerie, sowie die Ausrüstung sämtlicher Milizen fiel jedem einzelnen Mann zur Last, der hierin im Falle des Unvermögens von seiner Gemeinde unterstützt wurde. In mehr als einem Kanton war aber allen denjenigen die Heirat verboten, die die ihnen gemachten Vorschüsse noch nicht zurückbezahlt hatten. Die Notwendigkeit, die Ausbildung der Offiziere zu vereinheitlichen, führte die Tagsatzung 1819 zur Schaffung einer Zentralmilitärschule, die unter die Leitung des Obersten Göldlin von Tiefenau gestellt wurde, welchem G. H. Dufour und Sal. Hirzel als Instruktoren für die Genietruppen, bezw. die Artillerie zur Seite standen. In diese Zentralschule wurden 300 Offiziere und 150 Unteroffiziere einberufen. 1820 fand in Wohlen im Aargau ein eidgenössisches «Uebungslager» statt, an dem sich 2500 Mann aus verschiedenen Kantonen beteiligten und das vom Obersten Giuguer de Prangins befehligt war. Seither folgten sich diese Truppenzusammenzüge, die als Vorläufer unserer heutigen Manöver gelten können, alle zwei Jahre (Bière, Schwarzenbach, Thun etc.). Dazu arbeitete man auch einheitliche Exerzierreglemente aus.
Im Jahr 1821 legte Oberst Dufour den Plan zu einer Befestigung der strategisch wichtigen Stellung von Saint Maurice vor, mit der aber erst 10 Jahre später Ernst gemacht wurde. 1822 begann man mit den ersten Triangulationsarbeiten, die der später nach General Dufour benannten eidgenössischen Karte als Grundlage dienten.
Das Jahr 1831 bot der Schweiz Gelegenheit, die Fortschritte, die sie in ihrer Militärorganisation gemacht, zu verwerten. Als sich nämlich damals im Mailändischen, in Piemont und in Frankreich Truppenbewegungen ¶
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vollzogen, beschloss die Tagsatzung am 29. Dezember, alle kantonalen Kontingente auf Piket zu stellen und in fünf Divisionen zu je vier Brigaden zu vereinigen.
Ausserordentlich beschränkt waren die finanziellen Mittel der Eidgenossenschaft. Sie bestanden in Geldbeiträgen der Kantone, die sich im Jahr 1821 auf 61950 Fr. alter Währung beliefen und zur Deckung der Kosten für die Bundeskanzlei und die eidgenössischen Gesandten an fremden Höfen bestimmt waren. Die eidgenössischen Militärauslagen bestritt eine besondere Kasse, der aus den von den Grenzkantonen bezogenen Einfuhrzöllen jährlich 90000 alte Franken zuflossen. Daneben bestanden noch eine Kriegskasse, eine Sparkasse und eine Inspektionskasse, die mit der von Frankreich 1815 bezahlten Kriegsentschädigung von 3 Millionen Franken geäufnet worden waren.
Die oberste Staatsgewalt lag in den Händen der Tagsatzung, die eher einer Versammlung von mit Instruktionen ausgerüsteten Gesandten als einem Nationalparlament im modernen Sinne glich. Den Vorsitz führte der amtierende Bürgermeister oder Schultheiss des jeweiligen Vorortes. Dieser Tagsatzung standen mehrere Befugnisse zu, die heute der obersten Exekutive zugewiesen sind, wie z. B. die Ernennung der drei diplomatischen Vertreter (in Paris, Wien und Mailand) und die Wahl der Offiziere des allgemeinen Armeestabes.
Wenn die Tagsatzung nicht versammelt war, führte der Regierungsrat des jeweiligen Vorortkantones die eidgenössischen Geschäfte, zu deren Erledigung ein Bundeskanzler, ein Staatssekretär, ein Staatsarchivar und ein eidgenössischer Kriegssekretär bestellt waren. Es bestanden auch eine eidgenössische Militärkommission, der ein Teil der heute vom eidg. Militärdepartement besorgten Geschäfte zufiel, sowie verschiedene andere Kommissionen (wie z. B. eine Zollkommission). In Anbetracht der geringen Befugnisse der eidgenössischen Behörden sahen sich die Kantone veranlasst, eine Reihe von Fragen betr. Niederlassungsrecht, Glaubensänderungen, Heimatlose, Erbschafts- und Vormundschaftsgebühren, zivil- und strafrechtliche Untersuchungen und Urteile, Bankrott, Ausweisungen, polizeiliche Beziehungen etc. auf dem Wege des Konkordates zu regeln.
Die eidgenössische Zentralgewalt, die alle zwei Jahre wechselte und von Zürich nach Bern, sowie von da nach Luzern übersiedelte, ermangelte der strengen Konsequenz und der wünschenswerten Stabilität und war leicht geneigt, fremden Einflüssen Gehör zu schenken. So wurde die Schweiz im Jahr 1817 dahin geführt, den Grundsätzen der zwischen dem Kaiser von Russland, dem Kaiser von Oesterreich und dem König von Preussen geschlossenen «Heiligen Allianz», der in der Folge alle europäischen Staaten mit Ausnahme Englands, des Papstes und des Sultans sich anschlossen, beizustimmen.
Es machte sich in Europa eine immer stärker anschwellende rückgängige Strömung bemerkbar, die einen stets wieder unterdrückten Kampf zwischen den Monarchen und ihren Untertanen heraufbeschwor. Als sich freisinnige Elemente aus Deutschland und Italien in die Schweiz flüchteten, verlangten die auswärtigen Regierungen deren Ausweisung, sowie die Unterdrückung der freiheitlichen Auslassungen der schweizerischen Presse. Durch das «Conclusum» vom dem alle Stände beigestimmt hatten, lud die Tagsatzung die kantonalen Regierungen ein, geeignete Massregeln zu treffen, um die Schweiz vor den unangenehmen Folgen zu bewahren, die sich aus der den Fremden gewährten Gastfreundschaft und den Uebergriffen der Presse ergeben könnten. Die zur Erreichung dieses Zweckes dem jeweiligen Vorort eingeräumten Machtbefugnisse wurden bis 1827 alljährlich erneuert, in welchem Jahre sich eine Majorität von 12 Kantonen für deren Abschaffung erklärte.
Mit der Wiedererweckung des politischen Lebens vollzog sich in der Schweiz, wie übrigens in ganz Europa, auch eine solche der religiösen Ideen. Die von Deutschland und England ausgegangene protestantische religiöse Bewegung pflanzte sich nach Frankreich und der Schweiz fort und wurde hauptsächlich gefördert durch die Pietisten und mährischen Brüder einerseits, sowie die Methodisten und Baptisten andrerseits. Unter dem Einfluss dieser Sekten sahen sich die Landeskirchen veranlasst, ihre Organisation und selbst ihre Dogmen allmählig abzuändern.
Die reformierte Geistlichkeit, die sich lange Zeit sozusagen als den Inhaber eines Monopoles betrachtet hatte, musste die Aufnahme von Laien in die kirchlichen Behörden zugeben. Von den die religiöse Erweckung besonders fördernden Männern seien genannt Ami Bost, Felix Naeff, Olivier, Merle d'Aubigné und besonders César Malan in Genf, sowie Chavannes, Auguste Rochat und, später, Vinet im Kanton Waadt. Diese Männer, deren Eifer vor keinem Opfer zurückschreckte, gaben ihre amtlichen Stellungen auf und begründeten dissidente Gemeinschaften, aus denen sich später die freien (evangelischen) Kirchen entwickelten.
Die Waadtländer und Genfer Regierung bemühte sich, die Bewegung durch Verordnungen und Gesetze zu unterdrücken. Besonders bekannt geworden ist in dieser Hinsicht das Waadtländer Gesetz vom Jahr 1834, das die Versammlungen der neugebildeten Sekte, der sog. «mômiers» (Frömmler), verbot. Aehnliche Bewegungen machten sich auch in Bern und Neuenburg geltend, während in der Ostschweiz (Zürich, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen und Appenzell) eine ausserordentliche religiöse Ueberreizung um sich griff, die stellenweise zu wirklichem Irrsinn führte (Greuelszenen in Wildisbuch 1823).
Lebhafter Opposition begegnete die Wiederzulassung der Redemptoristen in Freiburg 1818, der diejenige der Jesuiten auf dem Fusse folgte. Später wurden die Jesuiten auch nach Solothurn, ins Wallis, nach Luzern und Schwyz berufen. Gewisse Regierungen versuchten, die katholische Kirche ihres Kantones nach eigenem Gutfinden zu organisieren, was an verschiedenen Orten zu lebhaftem Kampf führte. Grosses Aufsehen erregten ferner namentlich auffallende Bekehrungen zum Katholizismus (Professor Karl L. von Haller in Bern und Pfarrer Hurter in Schaffhausen), die Frage der gemischten Ehen und die Umwandlung der Bistümer.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts teilten sich acht Bistümer in die Leitung der katholischen Geistlichkeit der Schweiz, nämlich diejenigen von Konstanz, Chur, Basel, Lausanne, Annecy-Genf, Sitten, Como und Mailand. Am umfangreichsten war das Bistum Konstanz, dessen Sitz ausserhalb der Grenzen der Schweiz lag. Der Umstand, dass fremde Bischöfe über Schweizerbürger die geistliche Gerichtsbarkeit ausüben konnten, erwies sich als anormal, so dass die kantonalen Regierungen eine Umwandlung der schweizerischen Bistumsverfassung wünschten.
Während sich der h. Stuhl zu einer Abänderung der Grenzen der Bistümer geneigt zeigte, ersehnten die schweizerischen Katholiken den Abschluss eines Konkordates. Eine Einigung kam nicht zu stande. Bern verlangte die Beibehaltung des Bistums Basel (1817), Luzern dagegen den Vorzug, Sitz eines eigenen Bistums zu werden; 1818 wünschten auch Solothurn, Aargau und Thurgau die Kreierung eines neuen Bistums, während Schwyz im selben Jahre die Absicht äusserte, ein Bistum Einsiedeln zu schaffen, welchem Plan die übrigen Urkantone jedoch nicht beistimmten.
Diese und ähnliche unerquicklichen Verhältnisse dauerten bis 1828. Der h. Stuhl sah sich ausser stande, die Regierungen zu befriedigen, die alle auch in kirchlichen Sachen die Oberhand haben wollten. Die langwierigen Unterhandlungen in dieser Angelegenheit führten endlich dazu, dass Genf dem Bistum Lausanne mit Sitz in Freiburg angegliedert (1819) und dann ein Doppelbistum St. Gallen-Chur (Kantone St. Gallen und Graubünden) geschaffen wurde, welches man aber schon 1832 wieder auflöste, um als eigenes Gebilde das Bistum St. Gallen zu schaffen. Dieses umfasst heute die Kantone St. Gallen und Appenzell. Das reorganisierte Bistum Basel erhielt seinen Sitz in Solothurn und als Diözesangebiet die Kantone Basel und Solothurn, den Berner Jura, sowie die vom Bistum Konstanz abgelösten Kantone (Luzern, Zug, Aargau, Thurgau und Schaffhausen) zugesprochen (Konkordat von 1828). Der Ober Elsass war schon 1802 vom Bistum Basel abgetrennt worden.
Die in den Jahren 1814 und 1815 an der staatlichen Organisation von Bund und Kantonen vorgenommenen Abänderungen sollten im Verein mit der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Beitritt zur «heiligen Allianz», den Angriffen auf die persönliche Freiheit und den religiösen ¶