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Die Schlacht von Marignano hatte für die Schweiz einschneidende Folgen. Die Tagsatzung freilich liess sich nicht entmutigen, sondern beschloss, ein neues Heer von 22000 Mann aufzubieten, um die in den vorangegangenen Feldzügen gemachten Eroberungen dem Lande zu erhalten. Doch waren die westschweizerischen Orte eines Kampfes müde, der nur dem Papst, dem Kaiser und dem Könige von Spanien Früchte trug und alle Lasten einzig der Eidgenossenschaft auflud. Franz I. verstand es, die gegebene Lage geschickt auszunutzen.
Voller Bewunderung für die Tapferkeit der Schweizer, beschloss er, deren Freundschaft zu suchen. Am 7. November begannen in Genf die darauf bezüglichen Verhandlungen. Während sämtliche Orte zum Friedensschluss geneigt waren, erklärten sich Uri, Schwyz, Zürich, Basel und Schaffhausen gegen ein Bündnis mit Frankreich. Nach einjährigen Unterhandlungen kam endlich eine Verständigung zu stande. Der Vertrag von Freiburg vom sicherte den Eidgenossen mit Ausnahme von Domo d'Ossola und des Eschenthales alle ihre Eroberungen in Oberitalien zu, gab ihnen kommerzielle Vorteile und brachte ihnen eine Kriegsentschädigung von 700000 Kronen ein.
«Jede Partei verpflichtete sich, Feinde der andern nicht zu unterstützen, also bei Kriegen, an denen die andere beteiligt war, neutral sich zu verhalten.» Sechs Jahre später, am wurde dieser ewige Frieden zu einer Offensiv- und Defensivallianz erweitert, die dem französischen König die Anwerbung von 6000-16000 Schweizer Söldnern erlaubte. Diese Verträge sind dann 1663, 1715 und 1777 in ihren Hauptbestimmungen erneuert worden. Der Vertrag von 1516 bezeichnet den Beginn des Unterganges der schweizerischen Machtstellung.
Ueber die Zeit der italienischen Feldzüge gibt Hermann Escher folgendes Gesamturteil ab: «Die Periode der Mailänderkriege ist nicht nur der machtvollste Abschnitt der Schweizergeschichte, sondern auch der am meisten dramatische. Es ist eine Zeit voll stürmischer Bewegung, starken Ausdehnungstriebes, trotzigen Auftretens, Überwallenden Kraftgefühles und äussern Glanzes. Aber daneben her geht ebensoviel Zuchtlosigkeit, Selbstsucht, wilde Gier, Zersplitterung und Zerfahrenheit. In stürmischer Bewegung werden grosse Erfolge erzielt; aber es fehlt die Kraft, sie festzuhalten. Am Eingange des Dramas stehen gleichsam zur Vorbereitung des Kommenden die Ereignisse, die zur Gefangenschaft Ludovico Moros führen. Nach längerer, höchst ungleichmässiger Entwicklung wird zuletzt in raschem Anlauf und stolzer Aufwallung der Höhepunkt erreicht. Den Abschluss bildet der jähe Zusammenbruch der kaum erst errungenen Grossmachtstellung, eine Katastrophe freilich, die trotz alledem auf Zeitgenossen und spätere Geschlechter einen tiefen Eindruck, wenigstens von der militärischen Kraft des Volkes, gemacht hat.»
III. Zeitalter der Reformation.
1. Die Renaissance.
Vier Ereignisse von allererster Bedeutung sind es, die das Ende des Mittelalters bezeichnen und der europäischen Geschichte neue Wege vorgezeichnet haben: die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Entdeckung Amerikas, die sog. Renaissance und die kirchliche Reform. Die Erfindung der Buchdruckerkunst machte das Wissen, das bisher nur Wenigen zugänglich gewesen, zum gemeinsamen Gut der Allgemeinheit. Die aussereuropäischen Entdeckungen bahnten in den wirtschaftlichen Verhältnissen von Europa eine Umwälzung an, an der auch die Schweiz ihren Anteil haben sollte, trotzdem ihr Gebiet nirgends an ein Meer stösst. Die Renaissance bedeutet eine geistige Wiedergeburt, die zwar von Italien ausgegangen ist, deren Folgen jedoch den Ländern des Nordens wohl mehr als denen des Südens zugute gekommen sind. Die Reformation endlich besteht nicht bloss in einer Scheidung auf dem Gebiete der kirchlichen Lehren, sondern hat sich zu einer Bewegung von weit umfassenderem Charakter ausgewachsen, von dem ihre Vorkämpfer zunächst keine Ahnung haben konnten.
In dem grossen Kampf zwischen Tron und Altar war der Papst über den Kaiser Sieger geblieben. Das Kaisertum sollte sich von dem Schlage, der es getroffen, nicht wieder erholen. Nördlich der Alpen war eine Zeit wirklicher Anarchie eingebrochen. Die Päpste hatten sich entschlossen in die weltlichen Händel eingemischt. Auf ¶
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den Ruf Julius' II. waren die Eidgenossen nach Italien geeilt und zur wirksamen Stütze des heiligen Stuhles geworden. Die italienischen Feldzüge, in die sich die Schweizer mithereingerissen sahen und die mit der Katastrophe von Marignano ihren Abschluss fanden, wandten die Bewohner unserer Städte und Landschaften von einer ausdauernden und friedlichen Arbeit ab und übten auf die Sitten, wie auf die allgemeine Wohlfahrt einen verderblichen Einfluss aus.
Die auf die Befreiung der Geister vom dogmatischen Joche zielende Bewegung der Reformation ging Seite an Seite mit dem unter dem Namen der Renaissance bekannten Wiederaufleben von Kunst und Wissenschaft. Die Humanisten teilten sich aber in zwei Lager. Die einen, denen die moralische Idee das Hauptziel ihrer Tätigkeit war, unterstützten die Reformation, während sich die andern, denen das klassische Altertum als Ideal vorschwebte, zwar (wie Erasmus) zunächst der Reformation näherten, sie dann aber wieder verwarfen. Im kriegerisch gesinnten Volk der Eidgenossen, das lange Zeit die Pflege von Kunst und Wissenschaften vernachlässigt und verachtet hatte, hat die Renaissance den Geschmack an diesen geistigen Beschäftigungen des Friedens erweckt.
Den Balladen der deutschschweizerischen Minnesänger und Ottos von Grandson, den Volksliedern von Halbsuter u. a., den Annalen der Mönche von St. Gallen und den Chroniken des Johannes von Winterthur und anderer seiner Zeitgenossen reihten sich im 15. Jahrhundert einige poetische Erzeugnisse neuer Art an, deren Verfasser vielfach gewöhnliche Handwerker waren. Während bei den Deutschschweizern, einem zugleich energischen und sentimentalen Volk, Kriegslieder und lyrische Ergüsse auf der Tagesordnung standen, brachte das romanische Land, wo das Volk zu philosophieren liebt und zu gutmütigem Spott neigt, dramatische Versuche hervor.
Die Stätten der ersten theatralischen Aufführungen waren die Kirchen, in denen die Geistlichkeit im Verein mit den Chorknaben und einigen Gläubigen des Laienstandes Mysterien und Moralstücke agierten. Der Lausanner Beamte Jean Bugnion schrieb den Roman Fier à bras le Géant, und der Pfarrer Jacques de Bugnin veröffentlichte ein Poem unter dem Titel Congé pris du présent siècle. Neben diesen noch sehr naiven Erzeugnissen blühte die Chronikliteratur auf, die in Konrad Justinger, Johannes Fründ, Melchior Russ, Petermann Etterlin, Diebold Schilling von Luzern und Diebold Schilling von Bern, Albert von Bonstetten, Gerold Edlibach, Thüring Fricker, Felix Hemmerlin, Valerius Anshelm und dem streitbaren François Bonivard ihre berufensten Vertreter fand.
Ein Ereignis von weittragenden Folgen war dann für die Schweiz die im Jahr 1460 erfolgte Gründung der Universität Basel durch Papst Pius II. Ihr erster Rektor war der Jurist Andlau. An ihr wirkten als berühmte Lehrer der Jurist und Humanist Sebastian Brandt, die Humanisten Geiler von Kaisersberg, Johann Reuchlin, Utenheim, Amerbach u. a., der Philologe und Theologe Thomas Wittenbach, der vielseitige Glarner Heinrich Loriti oder Glarean, u. a. In Basel lebte seit 1513 auch der Holländer Erasmus, der König der Humanisten, der zwar nicht an der Universität lehrte, aber «Mittelpunkt des wissenschaftlichen und humanistischen Lebens und von grossem und bestimmendem Einfluss auf die Universität» wurde. Einer der hervorragendsten Männer jener Zeit ist ferner noch der Arzt und Naturforscher Theophrastus Paracelsus (1493-1541), Stadtarzt und Professor in Basel. Er wandte zuerst die Chemie auf die Medizin an und war ein Freund des Buchdruckers Frohen, der die Werke des Erasmus verlegte. Von weiteren Humanisten der damaligen Zeit seien noch genannt Johannes Heinlin von Stein (genannt a Lapide), Heinrich Wölflin (Lupulus), Oswald Mykonius und Thomas Plater.
Die Malerei war damals in der Schweiz vertreten durch Johannes Friess aus Freiburg, Hans Holbein den jüngern, der, aus Augsburg gebürtig, mehrere Jahre in Basel lebte, und den Berner Niklaus Manuel. Im 15. und 16. ¶