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eines Priesters zusammen, gelobten ewige Keuschheit und widmeten sich einem intensiven geistlichen Leben. Es sind dies die sog. Begharden und Beghinen, eine Art Freischärler der grossen mönchischen Armee.
Das 11. Jahrhundert zeigt sich uns als eine Zeit, da sich viele Werte umzugestalten und neu zu formen beginnen, und zwar sowohl auf dem Gebiete von Sitte und Brauch, wie auch auf demjenigen der Kunst. Individualistische Tendenzen machen sich geltend, die in der Architektur zur Herausbildung von neuen Baustilen führten. So entstanden der romanische und der gotische Stil, die zwei verschiedenen Zeitabschnitten entsprechen. Der Uebergang von jenem zu diesem vollzieht sich ganz allmählig, ist doch der Spitzbogen- oder gotische Stil nur das letzte Glied einer Entwicklung, für die der Rundbogen- oder romanische Stil eine Etappe bedeutete.
Ein besonderer Anteil an der Verbreitung des Spitzbogens in unserm Land kommt dem Orden der Zisterzienser zu, der schon im 12. Jahrhundert zu hoher Blüte gelangt war. Zu dieser Zeit spielte auch die Malerei eine grosse Rolle, und es gab kaum eine, wenn sonst noch so bescheidene Kirche, die nicht ihren Farbenschmuck aufgewiesen hätte. Der Rundbogen des romanischen Stiles erforderte starke Stützmauern. «Mit verhältnismässig einfachen Mitteln hatte die romanische Kunst einen malerischen Eindruck zu erzielen gewusst. Ihre Kirchen sind nicht hoch und kühn emporragend, sondern breit, massiv und gedrungen; sie sind einfach ausgestattet, aber doch nicht kahl; sie sind ernst und würdevoll und entbehren doch nicht anmutiger Zierde.» Beim Spitzbogenstil ruht das Gewicht des Gewölbes auf dem durch die Kreuzung der Gurten (Rippen) gebildeten festen Gerüste, während den Gurten selbst wieder starke Pfeiler als Stütze dienen.
Gegenüber den Gurten treten hier die Wölbungen zurück. Durch diese Lösung des statischen Problemes wurde es möglich, den dem Gottesdienst dienenden Bauwerken viel umfassendere Dimensionen zu geben. Der Uebergang vom romanischen zum gotischen Stil vollzog sich gerade zu jener Zeit, da die Weltgeistlichkeit sich von der Uebermacht der Klostergeistlichen frei zu machen wusste und die Städte für ihre Gemeindebedürfnisse Rathäuser, sowie die Bischöfe prachtvolle Kathedralen zu bauen begannen, um darin der steigenden Zahl der Gläubigen die Segnungen der Religion bieten zu können.
Die Entwicklung der Architektur war in gewisser Hinsicht von den geistlichen Gebietsgrenzen abhängig, indem in einer bestimmten Diözese oder auch in einer ganzen Gruppe von solchen gerne ein und dasselbe Kunstgefühl sich geltend machte. Die künstlerischen Strömungen fliessen gerade umgekehrt wie die Flüsse; sie steigen von unten nach oben in die Thäler hinauf, so dass man die Stätte des Ursprunges dieses oder jenes Stiles, der in bestimmten Thalschaften vorherrscht, in den vor den Thalausgängen liegenden Städten suchen muss. Eine kartographische Darstellung würde uns zeigen, dass der romanische Baustil in den rheinischen Bistümern (Basel, Konstanz und Chur) länger zu Ehren gezogen worden ist als in den Bistümern um die Rhone (Genf, Lausanne und Sitten).
Von den unserer Aufmerksamkeit würdigen Bauwerken, bei denen die beiden Stile in im Einzelnen sehr verschiedenem Masse miteinander verschmelzen, nennen wir im Gebiet des ehemaligen Königreiches Burgund die Kirchen von Romainmôtier, Saint Pierre de Clage im Wallis, Saint Sulpice bei Lausanne und Saint Jean Baptiste in Grandson, die Abteikirchen von Payerne und Bonmont, den Kirchturm von Saint Maurice im Wallis, die Kirchen von Valeria ob Sitten, von Amsoldingen und von Spiez bei Thun, sowie endlich die schönen Kathedralen von Genf, Lausanne etc. Auf Boden des Herzogtums Schwaben oder Alemannien entstanden die Kathedrale von Chur, eine der seltenen mit einer Krypta ausgestatteten geistlichen Bauten der Schweiz, die Klosterkirchen von Muri und von Allerheiligen in Schaffhausen, die Münster von Zürich und Basel u. s. f.
8. Sitten und Lebensart im 11.-13. Jahrhundert.
Die langjährigen Kämpfe zwischen Thron und Altar hatten zu einer Schwächung der kaiserlichen Macht geführt. Herzogtümer, Grafschaften, Herrschaften, Bistümer und Städte hatten sich vielfach ihre Selbständigkeit zu erringen vermocht. Das Kindesalter der christlichen Völker stand unter dem Schutz der Kirche. Einzig die Angehörigen der Geistlichkeit waren damals genügend gebildet, um Gesetze redigieren und Anstände schlichten zu können, so dass sich Fürsten und Herren ihre Räte aus dem Priesterstand bestellten.
Ungeheure Fortschritte machte besonders das klösterliche Leben. Die tiefe Askese jener Zeiten fand in den Klöstern eine gegebene Stätte zu ihrer vollen und freien Entfaltung. Schenkungen und neue Ordensbrüder strömten in Masse herbei. Neben den aus freiem Antrieb sich dem Klosterdienste weihenden Erwachsenen nahm man in den Klöstern auch noch Kinder (sog. Oblaten), die von ihren Eltern Gott geweiht wurden, oder die jüngern Söhne adliger Familien auf, denen der Zutritt zu den weltlichen Würden und Aemtern nicht leicht war. Eine grosse Menge von Armen kamen an den Klostertüren ihr tägliches Brot holen.
Missbräuche und Ausschweifungen aber dauerten unbehindert fort. Manche Aebte und grosse Herren waren viel eher auf eine Mehrung ihrer Einkünfte als auf die Aufrechterhaltung der Klosterzucht bedacht. Kriegerische und weltlich gesinnte Bischöfe, die sich wenig um die von Rom ausgehenden Drohungen bekümmerten und von den Kaisern in ihren Bestrebungen gerne unterstützt wurden, dachten kaum an ihre geheiligte Mission. Die Vorgänger Gregors VII. hatten in ihrem Bestreben, das Gebot des kirchlichen Zölibates allgemein durchzuführen, nur einen geteilten Erfolg.
Mehr Kraft und Strenge zeigte der berühmte Papst Gregor VII., der nicht nur die Gebote seiner Vorgänger bestätigte, sondern dazu noch neue erliess. Unmöglich erschien es aber auch ihm, seinen Willen sofort und vollständig geltend zu machen, da die fortwährenden Klagen darauf schliessen lassen, dass immer noch Auflehnung dagegen herrschte. Das 12. allgemeine Konzil und verschiedene Synoden bedrohten die kirchlichen Obern, die sich aus selbstsüchtigen Beweggründen gegen die Misswirtschaft des Klerus nachsichtig zeigen sollten, mit schwerer Strafe.
Das 11. und 12. Jahrhundert weisen eigentümliche Gegensätze auf. Die Geschichte deckt zahlreiche Akte der Brutalität und Sittenlosigkeit auf und zeigt, dass zu dieser Zeit, wo sich geistliche und weltliche Macht grimmig befehdeten, Unregelmässigkeiten aller Art von der zu schwachen Obermacht kaum geahndet wurden. Andrerseits erscheint keine Zeit reicher an einzelnen Persönlichkeiten von tiefster Frömmigkeit und grösster moralischer und sittlicher Reinheit der Gesinnung, sowie an frommen Werken verschiedenster Art. Die mystische Geistesrichtung zeigte sich damals in Frankreich in zwei an edler Gesinnung und geistigem Schwung gleich ausgezeichneten, in ihrer Lebensanschauung dagegen voneinander grundverschiedenen Männern personifiziert. Einerseits in dem Asketen Bernhard von Clairvaux, dem folgsamen ¶
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Sohn der Kirche, und andrerseits indem stolzen Abälard, der offen für die geistige Freiheit in Glaubenssachen eintrat und dessen Lehren auf Begehren des h. Bernhard vom Konzil von Sens (1140) wie vom Papst Innozenz II. verdammt wurden. Doch nicht nur die Gelehrten damaliger Zeit waren unter sich uneinig. Auch im gemeinen Volk begann es im 12. Jahrhundert zu gähren. Es trat als «unerschrockener und heldenhafter Verfechter der Idee einer Reform der Kirche» Arnold von Brescia auf, der besonders gegen die weltliche Macht und den Reichtum der Kirche eiferte.
Von einer Synode 1139 verdammt, flüchtete er sich nach Frankreich und dann in die Schweiz, wo er einige Zeit in Zürich predigte (1142-1143). Obwohl er hier mächtige Freunde, wie u. a. den Grafen Ulrich von Lenzburg, gewann, wurde er vom Bischof von Konstanz und dem «Kreuzprediger» Bernhard von Clairvaux auch von hier vertrieben. Da er nicht nur als religiös, sondern auch als politisch gefährlicher Mann galt, lieferte ihn Friedrich Barbarossa dem Scharfrichter aus.
Während die Kreuzzüge in politischer Hinsicht nicht vom erwarteten Erfolg begleitet waren, öffneten sie doch dem Abendland neue Horizonte. Der von ihnen in sozialer Beziehung gezeitigte Fortschritt war, obwohl indirekter Natur, doch ein recht greifbarer: viele in Geldnöten steckende Herren verkauften vor ihrem Auszug ins heilige Land den Gemeinden Freiheiten und Rechte, und zahlreiche Hörige erlangten durch ihre Teilnahme an einem Kreuzzug die persönliche Freiheit. Damit erstarkte die Klasse der freien Leute, die durch das Rittertum unterdrückt worden war, aufs neue und bildet sich wiederum der Kleingrundbesitz aus.
Die Bewohner des Reiches schieden sich nach der hierarchischen Ordnung der Ritterzeit in folgende Klassen: Auf den an der Spitze stehenden König folgten zunächst die Fürsten und Bischöfe, dann die zum Tragen der Mitra berechtigten Aebte, die Herren, Vasallen, Ministerialen und endlich die freien Bauern. Fürsten (Herzoge und Grafen) und Herren (Freiherren, Barone) bildeten den hohen oder Reichsadel und genossen den Vorzug, nur unter der Gerichtsbarkeit des Königs und Kaisers oder eines aus Ihresgleichen zusammengesetzten Reichsgerichtes zu stehen.
Die Vasallen (Ritter, latein. miles) und die höhern Ministerialen (Dienstleute) bildeten den niedern oder Landadel. Hoher und niederer Adel zusammen galten als die erste Klasse der Freien, während zur zweiten Klasse die freien Bauern und freien Hintersassen gerechnet wurden. Es waren dies Leute, die von Alters her frei gewesen waren, sich aber in der Folge unter den Schutz eines weltlichen oder geistlichen Herren gestellt hatten, dem sie nun eine Abgabe entrichteten.
Die dritte Klasse bildeten die Hörigen und die vierte endlich die Leibeigenen. Mit dem Aufkommen der Städte im 13. Jahrhundert entstand eine neue Klasse, der Bürgerstand, der sich dem Range nach zwischen die Ritter und die freien Dauern stellte. Die Bürger schieden sich dann selbst wieder in verschiedene Klassen: an der Spitze standen die Rittergeschlechter, die in die Stadt gezogenen Edelleute und die Vasallen des Stadtherrn, die weder Gewerbe noch Handel trieben, sowie die freien Bürger, die von Landwirtschaft oder ihrem Vermögen lebten. Dann folgten die Handwerker, Arbeiter und Gewerbsleute, die sich wie die erstgenannte Klasse zu Zünften vereinigten und gewisser Rechte erfreuten, auf Grund welcher sie sich über den freien Bauer stellten. Zur Bekleidung öffentlicher Aemter zugelassen, d. h. regimentsfähig war aber nur die Klasse der Edelleute und freien Bürger, die sich vom 14. Jahrhundert an zum städtischen Patriziat entwickelten.
Geld war im Mittelalter ein seltener Artikel, indem meist nur Tauschhandel mit Naturprodukten getrieben wurde. Der Zinsfuss war mindestens dreimal höher als heute, und Zinse, Steuern und Bussen zahlte man in Naturalien. Nachdem Kirche und weltlicher Herr von der Ernte ihren Anteil bezogen hatten, blieb dem Bauer nur noch ein geringer Teil, sodass auf Misswachs regelmässig Hungersnot und Teuerung zu folgen pflegte. Auch hielt es bis zum Aufkommen der Städte schwer, überschüssige Naturprodukte an den Mann zu bringen.
Ein eigentlicher Handel existierte noch nicht, indem ihm die zur gedeihlichen Entfaltung notwendige Sicherheit der Strassen und Wege fehlte. Arbeitsteilung war unbekannt; jede Familie besorgte sich ihre Kleidung und Geräte selbst und musste sozusagen ihr eigener Handwerker sein. Laufläden und Warenhändler gab es in den Dörfern noch keine. Von Zeit zu Zeit tauchte ein Krämer, meist ein Jude, auf, der den Leuten Salz, Spezereien, Schmuck, Stoffe und andere fremde Artikel zum Kaufe anbot. Von Briefverkehr war keine Rede, indem die Kunst des Schreibens nur von wenigen geübt wurde. Ein Austausch von Briefen war nur den vornehmen Herren möglich, die ihre Mitteilungen von Geistlichen verfassen und durch besondere Boten an den Bestimmungsort gelangen liessen. In den Dörfern vernahm man Neuigkeiten bloss aus dem Mund von Durchreisenden oder durch fahrende Spielleute, die der Zufall des Weges führte.
Trat eine Hungersnot oder Seuche auf, so stand für die unglücklichen Landbewohner nichts als Elend oder jämmerlicher Tod in Aussicht, da die Zufuhr von Nahrungsmitteln schwierig und ärztliche Hilfe vollkommen unmöglich war. Daraus erklärt sich die grosse Sterblichkeit und die äusserst geringe Zunahme der Bevölkerung während des Mittelalters.
Diese Ungleichheiten der wirtschaftlichen Lage der verschiedenen Stände war nun aber in den Thälern Helvetiens weniger scharf ausgeprägt als im übrigen Europa. Die auf ihren abgelegenen Höfen sitzenden freien Bauern erfreuten sich hier einer gewissen Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Sie blieben lange Zeit unter den Formen des alten, karolingischen, Rechtes und standen unmittelbar unter dem Grafen selbst. «Sie hatten ein aus ihrer Mitte bestelltes freies Gericht (Freigericht), dessen Vorsteher ein vom Grafen unter Mitwirkung der Freien gewählter, ebenfalls aus ihrer Mitte genommener, dem Stande der Freien angehöriger Amtsmann (Ammann) war. Die Gewalt dieser Vorsteher war jedoch in bestimmter Weise begrenzt, und ausserdem wurden sorgfältig die Rechte und Freiheiten dieser Vollfreien gewahrt: sie ¶