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nördlich vom Bodensee gelegene Teil Schwabens den Staufern verbleiben sollte, während die Zäringer, die bereits Landgrafen des Thurgaues und auch im transjuranischen Burgund begütert waren, den Herzogtitel und die Oberhoheit über die Reichsvogtei Zürich erhielten. Dieser Vergleich führte zu einer dauernden Verschiebung der Machtverhältnisse: die helvetischen Lande wurden von Schwaben abgetrennt, die dieselben mit dem Reich verknüpfenden Bande lockerten sich, und als Folge davon ergab sich eine Steigerung der Macht der lokalen geistlichen und weltlichen Herren. Damit verloren in unserem Land auch die Bezeichnungen «Schwaben» (oder Alemannien) und «Burgund» alle und jegliche politische Bedeutung.
6. Die Zäringer.
Dieses Geschlecht hat seine Wiege in der etwa zwei Stunden nördlich von Freiburg im Breisgau am Fuss des Schwarzwaldes stehenden Burg, deren Ueberreste heute noch sichtbar sind. Die erste bedeutende Persönlichkeit des Geschlechtes ist Berthold I. (der Bärtige); er war ein einfacher freier Mann, wohnte auf dem Schloss Villingen (östlich von Freiburg), heiratete die reiche Erbin der Herzoge von Kärnten und nannte sich 1078 «von Zäringen». Einen zweiten wichtigen Markstein im Emporkommen des Geschlechtes bildete die Heirat Bertholds II. mit Agnes von Rheinfelden. Während des ganzen zwölften Jahrhunderts sollten die Zäringer dann eine durchaus vorherrschende Rolle spielen und eine Art von Königsmacht ausüben. Ihr Auftreten in unserm Land fiel in eine kritische Zeit. Sie gaben den erst schwachen Städten einen kräftigen Rückhalt, indem sie ihnen durch «Handfesten» ausgedehnte Freiheiten und Rechte verliehen. Zugleich gründeten sie eine beträchtliche Zahl von neuen Städten, die dazu bestimmt waren, den Uebergriffen der adeligen Herren vorzubeugen und ihrer eigenen Herrschaft selbst als feste Bollwerke zu dienen. Dem Beispiel Bertholds II., der Freiburg im Breisgau gegründet hatte, folgte Berthold IV. mit der Gründung von Freiburg im Uechtland auf einer festen Halbinsel der Saane (1178). Unter ihm und seinem Sohn Berthold V. entstanden die Mauern und Tore von Moudon, Yverdon, Laupen, Murten, Thun und Burgdorf.
Den würdigen Abschluss dieser Tätigkeit der Zäringer bildete die durch Berthold V. erfolgte Gründung von Bern im Jahr 1191. Konrad von Zäringen, Sohn Bertholds II., war vom Kaiser Lothar von Sachsen mit der Würde des «Rektors», d. h. des Statthalters beider Burgund beliehen worden. Als aber Rainald III., Graf des zisjuranischen Burgund, dem neuen Rektor seine Würde streitig machte, kam es zur Fehde, in welcher die vom Grafen von Savoyen befehligten Truppen Rainalds von Konrad von Zäringen 1133 bei Payerne geschlagen wurden.
Immerhin gelang es Rainald, das zisjuranische Burgund oder «Hochburgund» zu behaupten, das nun den Namen der Freigrafschaft (Franche-Comté) erhielt, während der Titel des Rektors von Burgund sich von Konrad von Zäringen auf seinen Sohn Berthold IV. und seinen Enkel Berthold V. forterbte. Dieser letztere erfreute sich einer so hohen Achtung, dass ihm in dem nach Heinrichs VI. Tod ausgebrochenen Kampf zwischen Ghibellinen und Welfen von diesen die Königswürde angetragen wurde, die er aber ablehnte.
Nun tritt mit den Grafen von Savoyen ein neues Geschlecht auf den Plan, das aus der Maurienne stammte und sich bereits das Chablais, das Unterwallis und das rechte Ufer des Genfersees bis zur Vevevse zu eigen gemacht hatte. Auf den Ruf des Grafen Thomas I. von Savoyen bemächtigten sich die welschen Edelherren des Schlosses Chillon, sowie der Städte Moudon und Romont, wo nun der zäringische Adler und Löwe dem ¶
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Savoyer Kreuz weichen musste. Am Abend seines Lebens versuchte der alte Herzog Berthold V. noch einmal das Glück der Waffen und drang über die Grimsel ins Wallis vor, wo er aber bei Ulrichen im Jahr 1211 geschlagen wurde. Des Kampfes müde, schloss er mit dem Grafen von Savoyen Frieden und zog sich auf seine Burg Zäringen zurück, wo er als letzter seines Geschlechtes im Jahr 1218 starb.
Das Haus Zäringen war den Städten in ihren Kämpfen gegen den Adel ein fester Rückhalt gewesen. Wenn es sich forterhalten hätte, wäre zwischen Alpen, Rhein und Jura wahrscheinlich ein monarchischer Staat wie Savoyen oder Baiern entstanden. So kam denn das Erlöschen des Geschlechtes gerade recht, um die Weiterentwicklung der helvetischen Freiheiten zu begünstigen.
7. Staatliche und gesellschaftliche Ordnung zur Ritterzeit.
Nach der alten germanischen Anschauung, die in dieser Hinsicht vom romanischen Standpunkt stark abweicht, bestand die Aufgabe des Staates einzig darin, den Frieden und die öffentliche Sicherheit zu wahren, während die Sorge um die Nationalwohlfahrt und die Hebung der geistigen Kultur nicht seines Amtes war. Daher erscheint denn auch im Mittelalter der soziale Fortschritt sozusagen der grössern oder geringern Gunst der Umstände anheimgestellt. Er fällt damit ins Gebiet des Wirkungskreises der Kirche, des Handelsstandes und einiger Fürsten, wie der Zäringer und des Hauses Savoyen.
Ein Uebergreifen des obersten Landesherrn auf dieses Tätigkeitsfeld lässt sich mit Ausnahme der Regierung von Karl dem Grossen zu keiner Zeit erkennen. Nachdem der grosse Frankenkaiser gleich den römischen Kaisern während der Blütezeit Roms eine feste politische Organisation geschaffen, wurde diese zu Ende des 9. Jahrhunderts vom aufkommenden Rittertum beseitigt. Die Herzoge, Grafen, Markgrafen etc. sind nun keine Beamte im römischen oder modernen Sinne des Wortes, d. h. keine Organe der obersten Macht mehr, sondern werden zu Vasallen, die dem König den Treueid leisten und zu Kriegszeiten ins Feld folgen. Mit der Zeit wurden alle Lehen erblich und vererbten sich gleich den Gütern auch die Aemter, Titel und Rechte vom Vater auf den Sohn.
Die politische Macht zerstückelte sich, indem die grossen Kronvasallen selbst wieder besondere Unter- oder Aftervasallen sich verpflichteten. Die Teilungen zwischen den einzelnen Gliedern der gräflichen Geschlechter und die Immunität, d. h. Befreiung von der gräflichen Gerichtsbarkeit, die sich die Kirche und zahlreiche Gemeinden zu verschaffen wussten, führten zu einer stufenweisen Machteinschränkung der grossen Kronvasallen. Der Graf durfte die Klöster und geistlichen Bezirke nicht betreten und musste «für Ausübung einer Amtsgewalt innerhalb dieses Territoriums der Vermittlung des mit Immunität ausgestatteten geistlichen Herrn sich bedienen.» Daraus ergab sich, dass diese geistlichen Herren innerhalb ihres Gebietes nach und nach selbst diejenigen staatlichen Befugnisse auszuüben begannen, die sonst in der Regel der weltlichen Macht zukamen. Da aber Bischöfe und Aebte die Gerichtsbarkeit nicht in Person auszuüben pflegten, betrauten sie mit derselben weltliche Herren, die nun den Titel von Kast- oder Schirmvögten (lat. advocati; französ. avoués) erhielten. Diese nahmen dann die weltlichen Interessen ihrer geistlichen Oberherren wahr. Kastvogteien wurden ¶