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welcher Fortschritt in materieller und geistiger Hinsicht eingetreten ist. Man kleidete und schmückte sich nach römischer Weise, Geräte und Werkzeug wurden nach italischer Art verfertigt. Man bezog neue Obstsorten und Gemüse aus Italien, und am Genfersee wurde die Rebe gepflanzt. Der Handel nahm einen neuen Aufschwung. Man schickte Pelze, Käse, Wachs, Honig, Rheinfische und wohl auch Sklaven nach dem Süden, um dafür die feinen Produkte dieses Landes zu erhalten.
Wie überall im Römerreich, wurde auch in der Schweiz die lateinische Sprache herrschend und die römische Schrift benutzt. Römische Gottheiten wurden verehrt, den alten Göttern gab ruan römische Namen. Selbst die Gräber zeigen das römische Wesen: die Leichen werden nicht mehr, in trockene Mäuerchen eingefasst, in die Erde versenkt, sondern verbrannt. Kunst und Wissenschaft sind römisch geworden. In allen Villen finden sich Bronzestatuetten, in den öffentlichen Gebäuden sah man Säulen und herrliche Marmorfiguren.
Die Städte, von denen einige Veteranenkolonien erhielten, andere mit dem lateinischen Stadtrecht bedacht wurden, bauten Theater, Amphitheater, Tempel, Ehrenbogen. Längs der Strassen befanden sich Meilensteine, über Flüsse wurden steinerne Brücken gebaut. Wasserleitungen entstanden. In Aventicum bestand sogar eine hohe Schule. Aus dieser dürfte jener Claudius Cossus hervorgegangen sein, der nach dem Aufstand der Helvetier im Jahr 69 die Soldaten Caecina's, die den Tod der Empörer forderten, mit seiner hinreissenden Beredsamkeit so zu gewinnen wusste, dass sie, von Mitleid bewegt, selbst die Barmherzigkeit ihres Feldherrn anriefen.
Vergleicht man nun die in unsern Museen liegenden Reste aus der Zeit der römischen Okkupation, deren Zahl sich fast täglich mehrt, so erkennt man die damaligen Zentren des Landes. Im Westen nimmt unbedingt Aventicum die erste Stelle ein, die Stadt, in der der Kaiser Traian einen Teil seiner Jugend verlebte, die mit dem ganzen Luxus einer reichen Provinzialstadt ausgestattet gewesen zu sein scheint und in deren Ruinen heute durch die Gesellschaft Pro Aventico mit Hilfe des Bundes Jahr für Jahr neue interessante Funde, besonders auch Inschriften und Gräber, zutage gefördert werden. In der deutschen Schweiz steht in erster Linie das am Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat gelegene Standlager der Legion: Vindonissa, eine befestigte Stadt mit Amphitheater, Kasernen, Thermen, Tempeln, Ehrenbogen etc., wo ebenfalls eine Gesellschaft mit Hilfe der Eidgenossenschaft und mit grossem Erfolg seit Jahren ihre Nachforschungen betreibt.
c) Geschichte Helvetiens in spätrömischer Zeit. Die Blüte des römischen Helvetien sollte einen jähen Abbruch erfahren durch die Germanen. Diese drängten immer mehr nach Süden, und am Limes musste oft genug gekämpft werden. Nach dem Tode des Kaisers Maximin durchbrach der germanische Stamm der Alemannen jene Grenzwehr, und im Jahr 264 verwüsteten diese blondlockigen Söhne des Nordens auch Helvetien. Aventicum sank in Trümmer. Wenn auch die Grenzlinie des Limes noch einige Zeit nachher gehalten werden konnte, so war doch keine Sicherheit mehr, und die Ueber- und Einfälle mehrten sich.
Nach dem Tode des Kaisers Probus musste ums Jahr 280 der Limes ganz aufgegeben werden. Wieder wurde der Rhein zur Grenze und die Schweiz ein Grenzland. Nun galt es, die Kastelle und Warten am Rhein wieder herzustellen, die in Trümmer gesunkenen festen Werke neu aufzubauen. An Stelle von Baselaugst erhob sich Kaiseraugst (Castrum Rauricense), an der Stelle von Vindonissa das Castrum Vindonissense (Altenburg). Stein a. Rh. und Oberwinterthur wurden neu befestigt, wie Inschriften uns lehren.
Noch Valentinian errichtete neue Kastelle am Rhein. Um 370 entstand Basilea (Basel). Trotzdem muss eine grosse Unsicherheit in den Grenzländern Platz gegriffen haben. Das beweisen die zahlreichen Münztöpfe, die im 4. Jahrhundert vergraben wurden. Gar nicht selten stösst man nämlich bei Ausgrabungen auf Töpfe voller römischer Münzen, die der Mehrzahl nach zu Ende des 3. und im Anfang des 4. Jahrhunderts geborgen wurden und deren Besitzer diese Schätze später nicht mehr heben konnten, vielleicht, weil sie plötzlich fliehen mussten und nie mehr zurückkehrten.
Zwar versuchten einige Kaiser, das rechtsrheinische Land wieder zu erobern. Julian gelangte 359 sogar bis zum Limes, aber es war an keine dauernde Besetzung mehr zu denken. Der letzte römische Kaiser, der siegreich den Boden Germaniens betrat, war Gratian. Zu den steten Kriegen in den Grenzbezirken kam noch die Neueinteilung des Landes unter Diokletian, wodurch Helvetien zur Maxima Sequanorum geschlagen wurde. Seit dem ¶
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Tode des Kaisers Theodosius I. (395) griffen die Alemannen ihre Feinde immer wuchtiger an und warfen sie schliesslich über die Alpen zurück. Auf den Trümmern der römischen Kultur setzten sich vom Jahr 407 an Germanen fest. Deutsches Wesen, deutsche Sprache machten sich geltend, und nur in Rätien vermochten sich die römischen Sitten etwas länger zu halten.
III. Alemannisch-burgundisch-fränkische Periode. (Die Zeit der Völkerwanderung).
a) Historische Nachrichten. Als im Anfang des 5. Jahrhunderts die Alemannen in die Nordschweiz eindrangen und dieselbe bleibend in Besitz nahmen, waren sie nicht die einzigen Germanen, welche gegen Rom anstürmten. Mit ihnen fluteten eine ganze Anzahl anderer Stämme über den Rhein nach Gallien und selbst über die Alpen nach Italien so die Vandalen, Sueven, Juthungen, Burgundionen. Diese Völkerbewegung dauerte Jahrhunderte, und erst nach und nach kamen die einzelnen Stämme zur Ruhe. In Gallien trat «der letzte grosse Römer», Aëtius, der Germanenflut entgegen. Er schlug die Juthungen, die sich später mit den Alemannen verschmolzen.
Aëtius und kurze Zeit nach ihm die Hunnen unter Attila vernichteten 435 und 437 das Burgundionenreich um Worms. Die deutsche Heldensage hat die furchtbaren Kämpfe, die sich dort abgespielt, im Nibelungenlied poetisch verklärt und umgedichtet der Nachwelt erhalten. Die Reste der Burgundionen siedelten sich 443 in Ostfrankreich (Savoyen) und der Westschweiz zwischen den Römern an und verschmolzen mit ihnen. Dadurch entstand das burgundische Reich, das später von seinem grossen Gesetzgeber Gundobad ein festes Gefüge erhielt.
Unterdessen hatte sich der Alemannenstamm in der heutigen deutschen Schweiz fest angesiedelt, und manche Fehde entstand um die Grenze gegen die Burgundionen. Im Jahr 496 aber ereilte auch die Alemannen ihr Schicksal. Sie waren mit den Franken in Streit geraten und wurden besiegt. Ihr Land fiel dem Sieger anheim. Anno 532 eroberten die Enkel Chlodwigs, des Siegers über die Alemannen, auch das Burgundionenland, und 536 kam Rätien durch Vertrag an das Frankenreich, so dass nun wieder die ganze heutige Schweiz unter demselben Herrscherstab vereinigt war.
Noch einmal schien es, als sollte das Alemannenreich selbständig werden. Unter den immer schwächer werdenden Merowingern wurde der Herzog von Alemannien fast so mächtig wie sein Oberherr. Zäh hing auch das kraftvolle Volk an seinen Sitten und Gebräuchen, die in der Lex Alamannorum schon im 6. Jahrhundert wenigstens teilweise gesammelt wurden. Herzog Gotefrid, der 709 starb, und sein Sohn Lantfrid († 730) regierten als selbständige Fürsten in Alemannien. Freilich mussten sich ihre Nachfolger unter die Gewalt der fränkischen Hausmeier beugen, aber immer noch bewahrten sich die Alemannen einen Teil ihrer Rechte.
Hildegard, die Tochter einer Urenkelin Gotefrids, schenkte Karl dem Grossen den Tronfolger; ihr Bruder Gerold war ein gewaltiger Kriegsmann. Nach dem Tode des grossen Karl mussten die Alemannen von neuem bezwungen werden. Ludwig der Deutsche endlich, der die Alemannen besiegt hatte, machte ihr Land zum Mittelpunkt seines Reiches, womit nun definitive Ruhe eintrat. Die alten Sitten hatten sich zum Teil geändert, neue Verhältnisse heischten eine neue Ordnung. Unter Karl dem Grossen war auch eine andere Landeseinteilung vorgenommen worden, aber bis heute haben sich in einigen Teilen der Schweiz altgermanische Einrichtungen erhalten.
b) Die Kultur in frühgermanischer Zeit. Bei der Eroberung unseres Landes durch die Alemannen ging das gesamte Grundeigentum in die Hände der neuen Ansiedler über, während die Burgundionen infolge der zwangsweisen Niederlassung sich anfänglich mit etwa einem Drittel des Bodens begnügen mussten. Wir finden also die ursprünglichen, d. h. altgermanischen Besitzverhältnisse bei den Alemannen in voller Klarheit. Aller Grund und Boden war Gemeinbesitz: Allmende.
Diese Verhältnisse haben sich in den Kantonen Schwyz und Uri im grossen und ganzen bis heute erhalten. Jetzt noch besitzt die Oberallmend-Genossenschaft in Schwyz fast alles Land zwischen dem Rossberg und dem Pragel; heute noch bildet Urseren eine eigentliche Markgenossenschaft, und die Bestrebungen der 16 Gemeinden des alten Bezirkes Uri, den Allgemeinbesitz an Weide und Wald, Alp und Feld in Einzeleigentum aufzulösen, haben noch wenig Erfolg gehabt. In der Urschweiz finden sich also noch Abbilder der alten alemannischen Markgenossenschaften mit ihrem Allgemeinbesitz an Feldern, Weiden, Alpen, Wäldern.
Schon zur Römerzeit waren in der heutigen Schweiz Privatgüter an ausgediente Soldaten verteilt worden. Nach dem Siege der Franken griff im Flachland auch bei den Alemannen der Eigenbesitz immer weiter um sich. Die Agrarverfassung trat an Stelle der alten Verhältnisse. Die Hofstätte wurde jetzt die Einheit. Benachbarte Hofstätten bildeten das Dorf, das durch einen Zaun, das «Etter», von der Feldmark getrennt war und aus welchem sich im Lauf der Zeit eine neue politische Einheit entwickelte: die Gemeinde.
Die Felder wurden bis in die Frankenzeit hinein von den Sippen gemeinsam bebaut. Ein regelmässiger Wechsel zwischen Winterfrucht, Sommerfrucht und Brache verhinderte die übermässige Ausnutzung derselben. Diese sog. Dreifelderwirtschaft dauerte noch lange, nachdem das Ackerland schon teilweise oder ganz in Privatbesitz übergegangen war. Wald, Weide und Wasser blieben aber auch da noch Gemeineigentum, und noch heute erinnert der in der deutschen Schweiz überall vorkommende Name Allmend an diese einstigen Besitzverhältnisse.
An der Allmend hatte jeder einzelne Bürger sein Nutzungsrecht; ja sogar an Orten, wo Feld und Weide schon in private Hände übergegangen waren, mussten im Herbst alle Zäune geöffnet werden, damit der Weidgang für das Vieh ein allgemeiner sei. Erst im Lauf vieler Jahrhunderte ist es dem Privatbesitz gelungen, sich des Grundes und Bodens zu bemächtigen und damit die bezüglichen altgermanischen Rechtsverhältnisse umzustossen. Wer die Namen unserer Ortschaften an Hand von Urkunden durchmustert, ist erstaunt, so wenig römische und so viele alemannisch-burgundionische zu finden.
Um so auffallender ist es, dass der Archäologe so selten Reste von frühgermanischen Ansiedlungen antrifft. Aber das ist begreiflich. Aus zwei Gründen:
1) sind an Stelle der ersten Bauten im Lauf der Zeit neue entstanden und 2) bestanden die ältern Häuser nur aus Holz oder es waren sehr einfache Steinbauten, deren Reste kaum mehr auffindbar sind. Indessen kennen wir zahlreiche Urkunden des 6.-8. Jahrhunderts, welche uns von solchen Heimstätten berichten, wenigstens ihre Namen nennen.
Um so zahlreicher sind die frühgermanischen Gräber in der Schweiz. Fast bei jeder grössern Ortschaft sind sie nachzuweisen, wie ein Blick auf eine archäologische Karte lehrt. Manchmal sind es eigentliche Nekropolen, wie z. B. diejenigen von Belair bei Cheseaux oberhalb Lausanne, von Fétigny im Kanton Freiburg, Elisried im Kanton Bern, von Bern, von Oberbuchsiten im Kanton Solothurn, Kaiseraugst an der aargauisch-baslerischen Grenze, Zürich, Schleitheim im Kanton Schaffhausen etc. Dabei ist ein merkbarer Unterschied im Grabinventar wahrzunehmen, sodass der Kenner in den meisten Fällen mit Sicherheit entscheiden kann, ob er Burgundionen, Franken, Alemannen oder Langobarden vor sich hat. Zwar finden sich in allen diesen Gräbern Skelette, die in mehr oder weniger gutgeordneten Reihen liegen. Die Krieger haben ¶