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nicht zu hindern, dass die durch stetes Anwachsen der Lebensbedürfnisse immer weniger einträglich sich gestaltende Alpwirtschaft nach und nach verlassen werden wird.
[L. Courthion.]
VII. Staat und Verwaltung.
A. POLITISCHE ORGANISATION DES BUNDES.
1. Verfassung.
Das revolutionäre Frankreich hatte im Jahr 1798 der Eidgenossenschaft der XIII alten Orte mit ihren zugewandten Orten und Untertanenländern eine einheitliche Verfassung aufgezwungen, welche aus einer Eidgenossenschaft ohne Homogeneität und innerm Zusammenhang die nach dem Muster der französischen Direktorialverfassung vom Jahr III eingerichtete «eine und unteilbare» Helvetische Republik schuf. Diese durchaus künstliche Schöpfung brach trotz der hingebenden Tätigkeit einiger ausgezeichneter Männer zusammen, sobald ihr Frankreich den Schutz seiner Waffen entzog.
Inmitten des Gezänkes der politischen Parteien und von nahezu anarchistischen Zuständen richteten sich die frühern kantonalen Regierungen wieder auf: die unter dem Vorsitz und der tätigen Mitwirkung des ersten Konsuls ausgearbeitete Mediationsakte von 1803 stellte die Souveränität der Kantone, deren Anzahl durch Angliederung der ehemaligen Verbündeten oder Untertanen St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt auf 19 erhoben wurde, wieder her.
Genf, Wallis und Neuenburg blieben vom Körper des helvetischen Staatsgebietes ausgeschlossen. Zur Mediationszeit bildete die Schweiz also eine Eidgenossenschaft von 19 selbstherrlichen Ständen, deren gemeinsame Angelegenheiten von einem Zentralorgan, der Tagsatzung mit dem Landammann der Schweiz, verwaltet wurden. Der ganze Tenor der damaligen Bundesverfassung, sowie die politische und militärische Lage des Landes zielten darauf hin, die Schweiz unter das Protektorat Frankreichs zu stellen, als dessen gefügiges Werkzeug sie sich erwies.
Mit Napoleons Sturz brach auch das von ihm errichtete politische Gebäude zusammen. Die Abgeordneten der einzelnen Kantone arbeiteten, nicht ohne Mühe, den vom datierten Bundesvertrag aus. Dieser neue Bund umfasste die heutigen 22 Kantone. Die Zentralgewalt, bestehend aus Tagsatzung und Vorort, erhielt nur geringe Kompetenzen. Vorortskantone waren abwechselnd und der Reihe nach Zürich, Bern und Luzern. Den einzelnen Kantonen stand es frei, über weitere Gegenstände gemeinschaftliche Grundsätze aufzustellen, was sie in Form von Konkordaten auch mehreremale getan haben.
Nach aussen hin war die Schweiz allerdings dem erdrückenden Protektorat Frankreichs entgangen, doch gab sie die Ohnmacht der Bundesregierung allen Reklamationen der grossen Nachbarstaaten preis. Solche Einsprachen fanden namentlich häufig und in immer schärferem Tone statt, seitdem die Kantone (seit 1830) begonnen hatten, sich freisinnige Verfassungen zu geben und damit als natürliche Verbündete aller in der Schweiz Schutz suchender Revolutionäre zu gelten. Diese Ohnmacht der Zentralgewalt war einer der hauptsächlichsten Gründe zur politischen Neugestaltung der Schweiz im Jahr 1848, deren Einleitung der Sieg der freisinnigen und reformierten Mehrheit über die katholischen Kantone im Sonderbund bildete.
Die Bundesverfassung vom wandelte die schweizerische Eidgenossenschaft aus einem Staatenbund, wie sie es bisher gewesen, in einen Bundesstaat um. Damit wurde sie zu einem zusammengesetzten Staat, der nicht mehr wie früher auf einer aus blossem freiem Willen eingegangenen und im Einverständnis Aller wieder auflösbaren Verbindung der Einzelstände beruhte, sondern sich auf eine eigentliche Verfassung stützte, d. h. auf einen Erlass, der, sobald er in Kraft getreten ist, Gesetzeskraft hat und der Zustimmung der einzelnen Stände nicht mehr bedarf. Die der Bundesbehörde durch die Bundesverfassung zugesprochene Gewalt ist daher auch nicht mehr eine von den Kantonen delegierte Gewalt, wie es diejenige der Tagsatzung und des Vorortes vor 1848 gewesen war, sondern eine auf selbständiger Grundlage ruhende, eigene Gewalt des Bundes.
Seither hat die Organisation der politischen Behörden der Eidgenossenschaft keine tief eingreifenden Veränderungen mehr erfahren; selbst die Totalrevision, aus der die heute geltende Bundesverfassung vom hervorging, liess die Fundamente des Gebäudes unangetastet. Eine wichtige Erweiterung erfuhr die Verfassung im Jahr 1891 durch eine Revision ihres dritten Kapitels, die dem Volk zum Referendum, das es schon hatte, auch noch das Recht der Verfassungsinitiative verlieh.
Als Neuerung zu erwähnen ist ferner noch das 1874 geschaffene Bundesgericht, ein ständiger Gerichtshof mit weitgehenden und seither noch erweiterten Kompetenzen. Die übrigen durch die Totalrevision von 1874 und zahlreiche spätere Teilrevisionen an der Verfassung vorgenommenen Aenderungen betreffen fast ausschliesslich die Erweiterung der Rechte des Bundes gegenüber denjenigen der Kantone und zielen auf die Vereinheitlichung und Zentralisation in Gebieten ab, die bisher rein kantonale Angelegenheiten gewesen waren. Die nach heutigem Recht geltende Ausscheidung der Kompetenzen zwischen. Bund und Kantonen kann nicht als eine definitive betrachtet werden.
2. Die Frage nach der juristischen Natur
der schweizerischen Eidgenossenschaft hat nahezu ausschliesslich theoretisches Interesse, so dass wir an dieser Stelle nicht näher darauf einzugehen brauchen. Es mögen folgende Angaben genügen. Die Schweiz ist ein Bundesstaat in dem bereits näher ausgeführten Sinn. Wenn man diejenige territoriale Körperschaft souverän nennt, deren Organe in letzter Instanz zu entscheiden haben, so muss man sowohl den Bund als die Kantone im Bereich ihrer jeweiligen Kompetenzen als souverän anerkennen, obwohl das Gebiet, innerhalb dessen die Kantone ohne irgendwelche Kontrole durch die Bundesbehörden endgiltig beschliessen, tatsächlich eng umgrenzt erscheint. Dieses Recht der Selbstbestimmung unterscheidet die Kantone von einfachen Provinzen.
Bevor wir auf die Besprechung der Organisation der Bundesbehörden im engern Sinn eingehen, müssen wir die Kompetenzen des Bundes im Gegensatz zu denjenigen der Kantone und das Verhältnis von Bund und Kantonen kurz darstellen.
3. Kompetenzen des Bundes.
Die wichtigsten Gebiete, innerhalb welcher der Bund kompetent ist, sind folgende:
a. Das ganze Gebiet des Zivil- und des Strafrechtes, seit 1898. Die Organisation der Gerichte, des gerichtlichen Verfahrens und die Rechtsprechung verbleiben - die Kompetenzen des Bundesgerichtes vorbehalten - den Kantonen. Der Bund ist zur Zeit damit beschäftigt, ein einheitliches Strafrecht auszuarbeiten und diejenigen Gebiete des Zivilrechtes gesetzlich festzulegen, die ihm 1898 zu diesem Zwecke zugewiesen worden sind, d. h. das Personen-, das Erb- und das Sachenrecht.
b. Der Bund stellt gewisse Bedingungen auf, deren Erfüllung zur Naturalisation eines Ausländers nötig ist. Er verpflichtet jedoch keinen Kanton zur Aufnahme eines Ausländers in sein Bürgerrecht. Zugleich stellt der Bund allein die Bedingungen auf, unter welchen ein Schweizerbürger auf sein schweizerisches Bürgerrecht verzichten kann (Gesetz vom
c. Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Militärwesens ist Sache des Bundes. Ihm steht auch z. T. die Ausführung der Gesetze und die Militärverwaltung zu. Für das Uebrige bleiben die Kantone unter der Kontrole des Bundes zuständig.
d. Der Bund hat das Recht, öffentliche Arbeiten, die einem beträchtlichen Teil des Landes zugute kommen, entweder auf eigene Kosten selbst auszuführen oder deren Ausführung durch die Kantone zu unterstützen. Letzteres bildet die Regel. Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens hat der Bund nicht bloss die Gesetzgebung; er erteilt den Privatbahnunternehmungen die Konzessionen und kann, seit 1897, die Eisenbahnen auch selbst betreiben; in den Jahren 1901-1903 hat er 4 von 5 Hauptprivatnetzen erworben.
Ferner hat der Bund das Recht der Oberaufsicht über die Wasser- und Forstpolizei, die den Zweck verfolgt, Ueberschwemmungen zu verhüten und den Waldbestand zu erhalten. Arbeiten, die zu diesem Behufe unternommen werden, subventioniert er.
In allen diesen Fällen kann das eidgenössische Expropriationsgesetz zur Anwendung kommen. ¶
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e. Der Bund unterhält eine polytechnische Schule und unterstützt zahlreiche Unterrichtsanstalten mit Spezialzwecken: Industrie-, Handels-, landwirtschaftliche und Gewerbeschulen, Kunstschulen, Frauenarbeitsschulen etc. Die Primarschule ist bis jetzt Sache der Kantone geblieben; der Bund, der bis 1903 bloss verlangen konnte, dass sie genügend und unentgeltlich sei, sowie unter der Leitung der weltlichen Behörde stehe, lässt ihr jetzt jährlich bedeutende Subventionen zukommen, und zwar im Betrag von 60 Rappen (in den Bergkantonen 80 Rappen) auf den Kopf der Bevölkerung (Gesetz vom
f. Auf konfessionellem Gebiet gewährleistet die Bundesverfassung die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sowie die Kultusfreiheit; sie verbietet die Aufnahme des Jesuitenordens und der ihm affiliierten Gesellschaften in der Schweiz, untersagt die Errichtung neuer Klöster und religiöser Orden und behält den Bundesbehörden das Recht vor, die Errichtung von Bistümern in der Schweiz zu genehmigen.
g. Der Bund besitzt folgende Regalien: Zölle, Post, Telegraph und Telephon;
das Münzrecht;
die Ausgabe von Banknoten, die durch Gesetz vom der als besondere Anstalt organisierten Nationalbank zugewiesen worden ist;
Herstellung und Verkauf von Schiesspulver;
Grossverkauf des Alkoholes, von dem etwa der vierte Teil durch konzessionierte Brennereien in der Schweiz selbst hergestellt wird.
h. Der Bund hat endlich eine ganze Reihe von Gewerbepolizeigesetzen erlassen und deren Anwendung zu überwachen. Solche sind z. B. das Gesetz betreffend die Fabrikarbeit (vom das den Normalarbeitstag auf 11 Stunden festsetzt und die Arbeit der Frauen und Kinder, sowie die Sonntagsarbeit regelt; das Gesetz betr. die elektrischen Anlagen (vom das Gesetz betreffend die Kontrole von Gold- und Silberwaren (vom und dasjenige betr. den Handel mit Gold- und Silberabfällen (vom das Gesetz betr. das Verbot der Herstellung und des Verkaufes von gelben Phosphorzündhölzchen (vom das Gesetz betr. die Patenttaxen der Handelsreisenden (vom das Gesetz betr. die Freizügigkeit des Medizinalpersonales (vom und welches für Aerzte, Zahnärzte und Tierärzte wissenschaftliche Fähigkeitsausweise aufstellt; die Gesetze, welche dem Bund die Kontrole über die Auswanderungsagenturen (vom die Versicherungsgesellschaften (vom und die Emissionsbanken (vom zuweisen; die Gesetze betreffend Epidemien und Viehseuchen (vom und diejenigen betreffend die Jagd (vom und die Fischerei (vom das Gesetz betreffend Mass und Gewicht (vom Jüngstens (1906) hat der Bund auch das Recht der Lebensmittelpolizei zugesprochen erhalten (Gesetz betr. den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom dessen Ausführungsgesetz gegenwärtig in Arbeit steht. Trotz der zahlreichen Spezialgesetze des Bundes bleibt es doch Grundsatz, dass die Gesetzgebung und die Vollziehung auf dem Gebiete der Gewerbepolizei Sache der Kantone ist. Gegenwärtig beantragt der Bundesrat der Bundesversammlung, nach dem Vorbild des Deutschen Reiches auch diese Kompetenzen noch dem Bund zu übertragen.
i. Dem Bund steht das Recht zu, die Kranken- und Unfallversicherung einzurichten. Er hat versucht, von diesem Rechte durch das Gesetz vom Gebrauch zu machen, das aber vom Volk verworfen worden ist.
k. Endlich ist der Hinweis noch von Bedeutung, dass einzig der Bund befugt ist, mit andern Staaten zu verkehren und dass er es ist, der ausschliesslich mit den Regierungen fremder Staaten unterhandelt, und zwar auch in solchen Fällen, wo es sich um kantonale Interessen handelt oder um Verträge, die von einem Kanton geschlossen werden. Der Bund hat das Recht, im Namen der Eidgenossenschaft jede Art von Verträgen zu schliessen, selbst auf die Gefahr hin, dass diese in das Recht der Kantone eingreifen sollten. Solange er jedoch von diesem Recht keinen Gebrauch macht, steht es den Kantonen frei, durch Vermittlung des Bundesrates über Gegenstände ihres Kompetenzkreises Verträge zu schliessen. Einige Kantone haben davon z. B. auf dem Gebiete des Gerichts- und Steuerwesens Gebrauch gemacht. Dieses dem Bund zustehende Recht der Vertragsschliessung verleiht ihm tatsächlich ein unbestreitbares Uebergewicht über die Kantone.
Aehnliche Ueberlegungen haben dazu geführt, dem Bund auch das Recht zur Ausweisung solcher Ausländer zu erteilen, die die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden.
Auf allen den genannten Gebieten steht dem Bund auch das Recht der Gesetzgebung zu; die Ausführung der Gesetze und Beschlüsse, namentlich auf dem Gebiet der Verwaltungspolizei, wird aber zu einem grossen Teil den Kantonen überlassen.
4. Beziehungen zwischen Bund und Kantonen.
Unsere bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der Bund in der Schweiz kein Staatswesen ist, das - wie dies für die Vereinigten Staaten von Amerika und für das Deutsche Reich zutrifft - in seiner Organisation und in der Ausübung seiner Befugnisse von den Einzelstaaten scharf getrennt wäre. Nicht nur ist im Verfassungsrecht die Scheidelinie zwischen den Kompetenzen des Bundes und denen der Kantone schwierig zu ziehen, sondern der Bund macht selbst nicht immer vollständigen Gebrauch von seinen Kompetenzen und überlässt einen Teil davon, z. B. die Ausführung, den Kantonen.
Bund und Kantone müssen sich deshalb oft gegenseitig unterstützen, und daher greifen auch die Kompetenzen, wie sie tatsächlich ausgestaltet sind, vielfach ineinander. Dies trifft z. B. zu beim Militärwesen, bei der Wasser- und Forstpolizei, der Sanitätspolizei, bei der Fremdenpolizei etc. Es ist dies das Ergebnis der stufenweise fortschreitenden Entwicklung unseres Verfassungsrechtes. Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Kantonen können vor das Bundesgericht gezogen werden.
Abgesehen von dieser Ausscheidung der Kompetenzen ¶