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Reinkens hielt in Luzern, Bern, Solothurn, Rheinfelden und Basel Vorträge. In rascher Aufeinanderfolge bildeten sich altkatholische Gemeinden in Olsberg, Olten, Trimbach, Zürich, Rheinfelden, Möhlin, Bern u. a. O.
Nicht religiös-kirchliche Erwägungen, sondern hauptsächlich kirchenpolitische Ereignisse führten zur Bildung romfreier Gemeinden in den Kantonen Bern und Genf. Die Berner Regierung, die während des Kulturkampfes 69 römisch-katholische Geistliche abgesetzt hatte, suchte die katholische Kirche im Gegensatz zur Kurie zu organisieren und die erledigten Pfarreien mit französischen Geistlichen zu besetzen. Durch das Kirchengesetz vom sollten die kirchlichen Verhältnisse geordnet werden.
Die Römisch-Katholiken beteiligten sich jedoch nicht an den Pfarrwahlen, da Pius IX. das Gesetz verworfen hatte. Die Folge war, dass etwa dreissig der genannten französischen Geistlichen gewählt wurden und ebenso viele romfreie Gemeinden entstanden, die sich der altkatholischen Bewegung anschlossen. Mit wenigen Ausnahmen waren alle zum Teil verschwindend kleine Minoritäten. Ihr Schicksal war besiegelt, sobald die Kurie die Anerkennung des Kirchengesetzes erlaubt und die Berner Regierung die verurteilten Geistlichen amnestiert hatte. Nur in vier Gemeinden besassen die Altkatholiken die Majorität. Auch in Genf hatten Konflikte mit der Kurie zu einer neuen kirchenpolitischen Gesetzgebung geführt. Der Papst verwarf sie ebenfalls, so dass sich die Römisch-Katholiken bei den Pfarrwahlen der Stimmabgabe enthielten. Da die freisinnigen Katholiken bereits den Widerstand wider das Vatikanum organisiert hatten, bildeten sich bald einige romfreie Gemeinden.
Unterdessen war im Schosse des Vereins freisinniger Katholiken der Zusammenschluss der altkatholischen Gemeinden eifrig besprochen und waren die Vorarbeiten zu einer Kirchenverfassung getroffen worden. Der Entwurf wurde in den Delegiertenversammlungen zu Bern und zu Olten durchberaten und als offizieller Name der Gemeinschaft der Titel «Christkatholische Kirche der Schweiz» gewählt. Die Vorschläge fanden die Anerkennung der bestehenden Gemeinden und Ortsvereine. Am trat in Olten die erste christkatholische Nationalsynode zusammen. Sie genehmigte die Verfassung. Die Organisation der Kirche fand ihren Abschluss mit der Wahl eines Bischofs, die am auf Eduard Herzog, Pfarrer und Professor an der katholisch-theologischen Fakultät in Bern, fiel. Die Bischofsweihe empfing der Gewählte am 18. September desselben Jahres durch den Bischof der deutschen Altkatholiken, Dr. J. H. Reinkens, in der Pfarrkirche zu Rheinfelden.
Die Organisation der Gemeinschaft ist folgende. Die Kirche beruht auf den Gemeinden. Jede Gemeinde ordnet ihre innern Angelegenheiten, wie Ernennung der Behörden, der Geistlichen, Verwaltung des Vermögens in selbständiger Weise. Das einheitliche, oberste und entscheidende Organ der Kirche ist die Nationalsynode. Zur Bewahrung der Einheit des kirchlichen Lebens versammelt sich diese alle Jahre. Ihr steht zu: Aufstellung allgemeiner Grundsätze über Kultus und Disziplin der Kirche, Wahl des Bischofs, Abnahme und Prüfung des Berichtes und der Jahresrechnung des Synodalrates, Wahl des Synodalrates.
Mitglieder der Synode sind der Bischof, sämtliche christkatholischen Geistlichen, die Mitglieder des Synodalrates und die Delegierten der Gemeinden. Auf 100 stimmfähige Bürger kommt ein, auf je 200 weitere ein weiterer Delegierter. Der Synodalrat ist die vorberatende, vollziehende und verwaltende Behörde. Er besteht aus 9 Mitgliedern, 5 Laien und 4 Geistlichen, mit Einschluss des Bischofs. Der Bischof hat innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Grenzen alle Rechte und Pflichten, die nach altem katholischem Begriff dem Episkopat beigelegt werden. An Reformen hat die Synode eingeführt: Anwendung der Landessprache und der einfachsten und würdigsten Formen im Gottesdienst und bei kirchlichen Funktionen, Aufhebung der Verpflichtung zur Ohrenbeichte und zum Zölibat.
Der Pflege des religiösen Lebens, dem Ausbau des Gemeindegottesdienstes, der Organisation von Wohlfahrtseinrichtungen, der finanziellen Erstarkung der Gemeinden und der Kirche schenken Synode und Synodalrat stets alle Aufmerksamkeit. Mit den altkatholischen und den romfreien Kirchen anderer Länder werden freundschaftliche Beziehungen gepflegt. Diesem Zweck dienen die internationalen Altkatholiken-Kongresse und die in Bern unter der Leitung von Prof. Dr. Michaud erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift «Revue internationale de Théologie», die im 14. Jahrgang steht. Zwei Kongresse wurden in der Schweiz abgehalten: 1892 in Luzern und 1904 in Olten. Die christkatholischen Geistlichen erhalten an der katholisch-theologischen Fakultät der Hochschule Bern ihre wissenschaftliche Ausbildung. Sie wurde auf Grund des Kirchengesetzes durch Dekret des bernischen Grossen Rates vom errichtet. Die Zahl der Dozenten beträgt fünf; zwei davon lehren zugleich an der philosophischen Fakultät.
Das Bistum hat durch den Bundesrat und die Regierungen der Kantone Aargau, Basel Land, Basel Stadt, Bern, Genf, Neuenburg, Schaffhausen, Solothurn und Zürich formell die staatliche Anerkennung erhalten. Mit Ausnahme von Luzern sind die Gemeinden in allen Kantonen, wo es solche gibt, entweder als katholische oder aber neben der römisch-katholischen als christkatholische Landeskirche staatlich anerkannt. Sie haben von Anfang an Anspruch auf das Vermögen und die Benutzung der Kirchen der katholischen Kirchgemeinden erhoben mit der Begründung, dass sie als Vertreter der nationalen Richtung, die seit jeher neben der päpstlichen in der katholischen Kirche der Schweiz existiert hatte und mit ihr bis jetzt im gemeinsamen Besitz des Kirchengutes gewesen war, nach vollzogener Trennung den entsprechenden Anteil verlangen dürfen.
Durch die Bundesverfassung werden diese Ansprüche geschützt. In vielen Gemeinden wurde auf dem Prozessweg die Ausscheidung vollzogen und das Mitbenutzungsrecht der Kirchen ausgesprochen. Da die Kurie die Ausübung dieses Rechtes verbot, verliessen die Römisch-Katholiken die betreffenden Kirchen. An einigen Orten kam eine gütliche Vereinbarung zu stande, indem die eine Partei gegen eine Abfindungssumme auf ihr Recht verzichtete. So sind z. B. die Christkatholiken in Olten im ausschliesslichen Besitz der dortigen Pfarrkirche, während diejenigen von Grenchen und Biel eigene Kirchen gebaut haben.
Aus eigenen Mitteln haben sich die Gemeinden Luzern, St. Gallen und die Genossenschaft Oerlikon Kirchen errichtet oder erworben. Gemeinden und kleinere Genossenschaften gibt es in den Kantonen Aargau 9 (Aarau, Kaiseraugst, Lenzburg, Magden, Möhlin, Obermumpf-Wallbach, Olsberg, Rheinfelden, Wegenstetten-Hellikon-Zuzgen), Basel Stadt 1, Basel Land 2 (Allschwil, Binningen), Bern 8 (Bern, Biel, Burgdorf, Delsberg, Laufen, Münster, St. Immer, Thun), Genf 10 (Aire la Ville-La Plaine, Carouge, Chêne Bourg, Collex-Bossy, Corsier-Anières, Genf französische und deutsche Gemeinde, Lancy, Meyrin, Versoix), Luzern 1 (Luzern), Neuenburg 1 (Chaux de Fonds), Schaffhausen 1 (Schaffhausen), Solothurn 7 (Grenchen, Olten, Schönenwerd, Nieder Gösgen, Solothurn, Starrkirch-Dulliken, Trimbach), St. Gallen 1 (St. Gallen) und Zürich 3 (Zürich, Oerlikon, Winterthur) mit zusammen etwa 32000 bis 34000 Seelen. Den Religionsunterricht besuchen 4772 Kinder. Das Verzeichnis des Klerus zählt 56 Namen; im aktiven Kirchendienst stehen 47 Geistliche.
In den Kantonen Basel, Genf und Neuenburg werden sämtliche Kultuskosten aus der Staatskasse und in einigen aargauischen Gemeinden aus dem Erträgnis der Zinsen des Pfrundvermögens bestritten. In den übrigen Gemeinden, wo die Zinsen nicht ausreichen, das Kirchengut klein oder gar keines vorhanden ist, werden Steuern erhoben oder freiwillige Beiträge eingesammelt. Die finanziellen Leistungen für Kultuszwecke betrugen im Jahr 1904 in 26 Gemeinden rund 60000 Fr. An die Synodalratskasse wurden 11603 Fr. abgeliefert, wovon die Hälfte in jener Summe inbegriffen ist.
Aus dieser Kasse werden die allgemeinen Auslagen der Kirche, Subventionen an einige Gemeinden und für die Pastoration der Diaspora, sowie ein jährlicher Beitrag von 4000 Fr. an die katholisch-theologische Fakultät in Bern bezahlt. Der Synodalrat verwaltet einen Stammgutfonds mit einem Kapital von 40534 Fr. und einen Stipendienfonds mit 52400 Fr. Der Bischofsfonds beträgt 16344 Fr. und das Kapital der im Jahr 1899 gegründeten Hilfskasse der Geistlichen 18110 Fr. Um die Fakultät in Bern finanziell sicher zu stellen, haben die ¶
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Christkatholiken einen Fakultätsfonds aus Legaten, Geschenken und Kollekten gestiftet, der in wenigen Jahren auf 112000 Fr. angewachsen ist. Er befindet sich in der Verwaltung des Staates Bern, ebenso ein zweiter Stipendienfonds von 52000 Fr.
Der Ausübung der christlichen Nächstenliebe widmen sich Frauen- und Hilfsvereine, sowie Organisationen der Gemeindekrankenpflege. Ein besonderes Komitee lässt Krankenpflegerinnen ausbilden und sendet sie in die Gemeinden. Im Jahr 1904 haben 22 Frauen- und Hilfsvereine für wohltätige Zwecke 22161 Fr. aufgebracht. Kirchenchöre machen sich die Verschönerung des Gemeindegottesdienstes zur Aufgabe. Diejenigen der deutschen Schweiz bilden einen Verband mit 22 Chören und 1416 Mitgliedern (im Jahr 1904). Die Jungmannschaft wird durch die Vereine junger Christkatholiken gesammelt, die sich ebenfalls zu einem Verband mit 18 Sektionen und 1183 Mitgliedern zusammengetan haben. Die Förderung der katholischen Reform im allgemeinen bezwecken die Vereine freisinniger Katholiken, wie sie in einigen grössern Gemeinden bestehen. Alle die genannten Vereine haben im Jahr 1904 laut Berichten aus 23 Gemeinden 42000 Fr. zusammengelegt.
In Genf und Schönenwerd bestehen Bureaux zur Stellenvermittlung und Versorgung von Kindern. Für Verbreitung der christkatholischen Literatur und der Presse arbeiten das Presskomitee, das Schriftenlager in Basel, ferner Gemeinde- und Vereinsbibliotheken. Die beiden Organe der Christkatholiken sind der Katholik für die deutsche und der Catholique national für die welsche Schweiz. Beide erscheinen in Bern. Offiziellen Charakter haben sie nicht. Im Jahr 1905 ist ein Verein für die Diaspora gegründet worden, der die Aufgabe hat, die Angehörigen der Kirche in der Diaspora zu sammeln und die nötigen Mittel aufzubringen, um eine regelmässige Pastoration durchzuführen.
Von besonderer Wichtigkeit ist diese Organisation, weil den Gemeinden durch Wegzug in die Diaspora jährlich eine verhältnismässig grosse Zahl von Mitgliedern verloren geht. Unterrichtsstationen sind schon organisiert. In 20 Ortschaften, die ausserhalb der Pfarrgemeinden und Genossenschaften liegen, wurde 1905 regelmässig Religionsunterricht erteilt. Im ersten Vereinsjahr traten dem Verein 3000 Mitglieder bei, die 8700 Fr. aufbrachten.
[Pfarrer Adolf Küry.]
V. Israelitischer Kultus.
Nach den Ergebnissen der eidgenössischen Volkszählung von 1900 betrug die Anzahl der in der Schweiz niedergelassenen Israeliten 12264 Seelen, die sich auf die einzelnen Kantone folgendermassen verteilen:
1. Zürich | 2933 | 14. Thurgau | 113 |
2. Basel Stadt | 1897 | 15. Appenzell A. R. | 31 |
3. Bern | 1543 | 16. Wallis | 25 |
4. Genf | 1119 | 17. Schaffhausen | 22 |
5. Waadt | 1076 | 18. Zug | 19 |
6. Neuenburg | 1020 | 19. Tessin | 18 |
7. Aargau | 990 | 20. Schwyz | 9 |
8. St. Gallen | 556 | 21. Glarus | 3 |
9. Luzern | 319 | 22. Uri | 1 |
10. Freiburg | 167 | 23. Obwalden | - |
11. Solothurn | 159 | 24. Nidwalden | - |
12. Basel Land | 130 | 25. Appenzell I. R. | - |
13. Graubünden | 114 | Schweiz | 12264 |
Heute kann man die Anzahl der im Land wohnenden Juden auf etwas mehr als 15000 schätzen, womit sie ungefähr 1/200 der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die jüdische Religion ist in der Schweiz durch die Bundesverfassung von 1874, die allen Bürgern Freiheit des Gewissens und Glaubens gewährleistete, anerkannt worden. Die Niederlassung von Angehörigen der israelitischen Konfession wird seither durch nichts mehr gehindert, und auch der Zutritt zu den öffentlichen Aemtern ist den Juden wie jedem andern Schweizerbürger freigestellt.
Die seit Jahrhunderten den beiden Aargauer Dörfern Endingen und Lengnau zugeteilten Juden erhielten ihre vollen bürgerlichen Rechte und hörten damit auf, «Heimatlose» zu sein. Sie wurden 1874 in zwei Zivilgemeinden, Neu Endingen und Neu Lengnau, organisiert. Seither sind aber die jüdischen Bürger dieser beiden Gemeinden nach Baden, Zürich, Luzern und in andere Ortschaften der deutschen und der welschen Schweiz ausgewandert und zwar in solchem Masse, dass sich die beiden Muttergemeinden heute bereits entvölkern. ¶