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Cur cha l' vin ais a cuccun, | |
ils amis sun a mantun, | |
cur cha 'l vin stalîva sü, | |
schi amis nu's vezza pü. | |
= Ist das Weinfass voll einmal, | |
Gibt es Freunde ohne Zahl, | |
Geht zur Neige dann der Wein, | |
Bleibt man ohne Freund, allein. |
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Il pur suveran.
Von A. Huonder.
Quei ei miu grepp, quei ei miu crapp, | |
Cheu tschentel jeu miu pei, | |
Artau hai jeu vus da miu bab, | |
Sai a negin marschei. | |
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Quei ei miu prau, quei miu clavau, | |
Quei miu regress e dretg, | |
Sai a negin perquei d'engrau, | |
Sun cheu jeu mez il retg. | |
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Quei mes affons, miu ágien saun, | |
Da miu car Diu schenghetg, | |
Nutreschel els cun ágien paun, | |
Els dorman sut min tetg. | |
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O libra, libra paupradat, | |
Artada da mes vegls, | |
Defender vi cun taffradat, | |
Sco poppa da mes egls. | |
- | |
Gié libers sundel jeu naschius, | |
Ruasseivels vi dormir, | |
E libers sundel si carschius, | |
E libers vi morir. |
Der freie Bauer.
Von A. Huonder.
Das ist mein Fels, das ist mein Stein, hierhin setz' ich meinen Fuss, geerbt hab' ich euch von meinem Vater, weiss niemand Dank dafür.
Das ist meine Wiese, das meine Scheune, das mein Besitz und Recht, weiss niemand dafür Dank, hier bin ich selbst der König.
Das sind meine Kinder, mein eigen Blut, meines lieben Gottes Geschenk, ich nähre sie mit eignem Brot, sie schlafen unter meinem Dache.
O freie, freie Armut, geerbt von meinen Vätern, verteidigen will ich dich mit Tapferkeit, wie meinen Augapfel.
Ja, frei bin ich geboren, ruhig will ich schlafen, und frei bin ich aufgewachsen, und frei will ich sterben.
6. Überblick über die Literaturgeschichte.
I. Engadin. Zweifellos hat es in Graubünden schon romanische Volkslieder aller Art gegeben, lange ehe die erhaltene rätoromanische Literatur beginnt. Das rege politische Leben, das im Bündnervolke nach dem Niedergang des Feudalwesens sich entwickelte, namentlich im 15. Jahrhundert, mag schon damals auch Anlass zu politischen und patriotischen Liedern gegeben haben. So ist auch das erste uns erhaltene Denkmal der rätoromanischen Literatur, das umfangreiche Gedicht des Reformators Joh. Travers über den Müsserkrieg (entstanden 1527, d. h. zwei Jahre nach dem Krieg) die Antwort auf ein bergellisches Schmähgedicht.
Bald darauf begann Travers deutsche Dramen über biblische Stoffe in's Engadinische zu übersetzen (Joseph in Aegypten 1534, Joseph und Potiphar, Der verlorene Sohn), und Andere folgten ihm (Champell's Judith 1554; Stuppauns Zehn Alter; von Unbekannten: Der reiche Mann und der arme Lazarus, Susanna, Hiob, Die drei Jünglinge im Feuerofen, Die Geburt Christi etc.). Die meisten Dramen sind in neuerer Zeit wieder aufgefunden worden; gedruckt wurden damals keine, so wenig als der «Müsserkrieg».
Diese Dramen zeigen eine urkräftige, oft derbe Sprache, teilweise auch poetisches Talent. Sie wurden während des 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts vielfach und unter grossem Aufwand und Zulauf aufgeführt, und ihr Besuch galt für ein Gott wohlgefälliges Werk, bis sie dann durch die strengen Anschauungen des 17. Jahrhunderts in Verruf kamen und den langweiligen «Singspielen» Platz machen mussten. Ausser den Traversischen Schriften ist aus der Zeit vor 1550 nur vereinzeltes Romanisches in Urkunden erhalten.
Die Predigt war im Engadin gleich zu Beginn der Reformation romanisch geworden und trug wesentlich zum Erwachen des Sprachgefühles bei. Die tiefe religiöse Bewegung der Geister verlangte nun nach religiöser Lektüre in der eigenen Sprache und hat so den Anstoss zur Entstehung der romanischen Literatur im engeren Sinne (d. h. der gedruckten) gegeben. Ein Notar, Jakob Biffrun von Samaden, eröffnete 1552 die romanische Buchliteratur mit seiner Fuorma oder Taefla (Katechismus nebst Fibel); 1560 folgte seine Uebersetzung des Neuen Testaments.
Durch diese Bücher wurde das Oberengadinische zu einer Schriftsprache mit ziemlich geregelter Orthographie (an welch' letzterer später einige Aenderungen vorgenommen wurden). Auf Biffrun's Neues Testament folgten 1562 die «Psalmen» von Champell, in unterengadinischer Sprache geschrieben. Eine Einigung auf Ober- oder Unterengadinisch als Schriftsprache fand nicht statt, auch in der Folgezeit hat sich das reich entwickelte religiöse Schrifttum des Engadinischen in die beiden Sprachformen geteilt. Die vollständige Bibelübersetzung von 1679 ist unterengadinisch, die Gesangbücher sind teils unterengadinisch (Philomela 1684), teils oberengadinisch (Wiezels Psalmen im 17., Frizzonis Gesangbuch im 18. Jahrhundert).
Nachdem durch Biffrun und Champell das Eis gebrochen war, trat das Romanische auch in den Urkunden und Gemeindestatuten immer mehr hervor; um 1680 waren diese wohl fast durchweg romanisch. Das 17. und 18. Jahrhundert hat ausser religiöser Literatur nur wenig hervorgebracht. Ein umfangreiches Gedicht über den Veltlinerkrieg von Wietzel und die «Rätische Chronik» von Vulpius blieben ungedruckt, im Druck erschien dagegen 1742 die Chronica Raetica von à Porta.
Hatte früher die religiöse Literatur durchaus dominiert, so begann nun im 19. Jahrhundert ein grosser Aufschwung der weltlichen Literatur. Die engadinische Poesie der neuern Zeit eröffnete 1845 Conradin von Flugi mit seinen Alchünas rimas romaunschas, ihm folgte der formgewandte Z. Pallioppi (der auch die Orthographie einer Neuregelung unterzog), der humoristische S. Carratsch, der sinnige und gefühlvolle Caderas, der echt volkstümliche Sandri und einige Andere. Novellen lieferte in neuerer Zeit namentlich G. Mathis, Dramen C. Bardola und F. Grond. Die erste engadinische Zeitung entstand 1843 (L'Aurora d'Engiadina), ging aber nach einem Jahr wieder ein. 1852-54 erschien eine Gazetta d'Inngiadina, seit 1857 dann das noch jetzt bestehende Fögl d'Engiadina (in neuerer Zeit mit einem Beiblatt: Dumengia Saira, d. h. «Sonntag-Abend»). Zeitenweise bestanden noch andere Zeitungen.
II. Oberland. Von handschriftlicher Literatur aus dem 16. Jahrhundert scheint nichts vorhanden zu sein. Die Buchliteratur beginnt im Anfang des 17. Jahrhunderts, ein halbes Jahrhundert später als im Engadin. Der erste Druck ist ein reformierter Katechismus (nebst Anstandsregeln etc.) von Bonifazi, Lehrer in Fürstenau, erschienen 1601. Dieses Büchlein und zwei katholische Büchlein von Calvenzano (Gurt Mussament 1611, Bref Apologetica 1612) sind im Domleschger Dialekt geschrieben, wie auch die Anatomia von Nauli 1618, eine Streitschrift gegen Stef.
Gabriel. Es schien also anfangs der Domleschger Dialekt zur Schriftsprache für das Rheingebiet werden zu wollen, doch schon 1612 gab Stef. Gabriel, Pfarrer in Ilanz, sein Sulaz da pievel giuvan (Ergötzung für junge Leute) in richtiger oberländischer Sprache heraus, welch' letzterer nun sehr bald die Alleinherrschaft zufiel. Gabriel erhob im Salaz seine mächtige Stimme zur Verteidigung der neuen Lehre gegen Rom und Spanien. Es war dies die Zeit, als durch die Anstrengungen der Gegenreformation das Verbleiben des Bündner Oberlandes bei der katholischen Religion sich entschied (ausser Ilanz etc.). Die Kapuziner und das Kloster Disentis waren die Hauptkämpfer auf katholischer Seite. Auf ¶
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protestantischer Seite erschien noch vom Sohne Stef. Gabriels, Luzi Gabriel, eine Uebersetzung des Neuen Testaments 1648 (1718 erst die vollständige Bibel) und 1665 von demselben der Chiet dils Grischuns (Hahn der Bündner), eine Sammlung von drei historisch-patriotischen Liedern. Doch die katholische Literatur überwog immer mehr. 1665 gab der Kapuziner Zacharias a Salò seinen Spieghel de devotiun und 1685 das Buch La glisch sin il candelier envidada, d. h. das auf dem Kerzenstock angezündete Licht, heraus; es folgten mehrere Kirchengesangbücher (Enzacontas canzuns spiritualas 1674, Consolaziun dell'olma devoziusa 1690 etc.), und, immer anwachsend, eine Menge von katholischen Andachts- und Erbauungsbüchern aller Art. Im Oberland wird sogar eine katholische und eine reformierte Varietät der Sprache unterschieden, doch handelt es sich nur um orthographische Dinge.
Sehr verbreitet war im Oberland in Abschriften eine Anzahl von «Volksbüchern» wie die h. Genoveva, Barlaam und Josaphat etc., sowie die Beschreibung einer Reise des Abtes Bundi nach Jerusalem. Von dramatischen Aufführungen sind zu erwähnen die Passionsspiele von Somvix und Lumbrein, die jedenfalls aus alter Zeit stammen, und die sog. Dertgiras nauschas, Aufführungen in Form eines Prozesses zwischen Junker Fastnacht und Frau Fastenzeit. In der 2. Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden eine Anzahl meist französischer Dramen ins Oberländische übersetzt, und zwar von Castelberg, Latour und A. Sie blieben jedoch ungedruckt. Als Sprache der Gemeindestatuten und Urkunden vermochte das Romanische im Oberland nicht so durchzudringen wie im Engadin.
Das 19. Jahrhundert brachte schon in den politisch bewegten 30er Jahren, also etwas früher als im Engadin, die Entstehung der oberländischen Zeitungsliteratur: 1836-39 Il Grischun Romonsch, 1840-41 und dann wieder von 1857 bis zur Gegenwart die noch bestehende konservative Gazetta Romonscha;
ausserdem bestanden zeitenweise die liberalen Blätter Il Amitg dil Pievel, La Ligia Grischa, Il Patriot, Il Sursilvan etc., neuestens ist Il Grischun wieder erstanden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwachte auch die Poesie an den Ufern des Vorderrheins.
Anfangs der sechziger Jahre entstanden die kraftvoll gedrungenen Gedichte von A. Huonder Il pur suveran und A Trun sut igl ischi, das erste vielleicht die Perle der gesamten rätoromanischen Literatur (vergl. die Sprachproben); das zweite ist in Heims Melodie zum Nationallied der Romanen geworden. Neben Huonder ist J. C. Muoth der originellste und bedeutendste Dichter des Oberlandes. Von ihm sind vor allem zu nennen die prächtige epische Dichtung Il Cumin d'Ursera (Die Landsgemeinde im Urserenthal) und einige Balladen und Idyllen.
Alfons Tuor hat sich ebenfalls durch einige treffliche Gedichte, ferner durch dramatische Arbeiten (meist Uebersetzungen) hervorgetan. Von neueren oberländischen Dichtern erwähnen wir noch den sehr produktiven F. Camathias. Die volkstümliche Prosa-Erzählung wurde namentlich von J. A. Bühler, A. Balletta und J. C. Muoth gepflegt, in neuester Zeit hat J. Nay einiges ganz vortreffliche geliefert (z. B. La vacca pugniera, Toni da Chischlatsch). Die meisten neueren Gedichte und Erzählungen sind in den noch zu erwähnenden Annalas erschienen.
In den 60er und 70er Jahren versuchte J. A. Bühler mit einigen Gleichgesinnten eine Fusion, d. h. Verschmelzung der verschiedenen romanischen Dialekte in eine einheitliche Schriftsprache. Er verwendete diese künstlich hergestellte Sprache in der Zeitschrift Il Novellist, die jedoch nur zwei Jahrgänge erlebte, und in zahlreichen in den Annalas erschienenen Novellen. Das Interesse an den Fusionsbestrebungen erkaltete aber bald, da dieses «Konfusions»-Romanisch Niemandem recht munden wollte. In neuester Zeit ist das entgegengesetzte Prinzip, der Individualismus, sogar soweit durchgedrungen, dass vier Sprachen, nämlich Oberländisch, Oberhalbsteinisch, Ober- und Unterengadinisch, alle ihre eigenen Schulbücher erhielten.
Ein Wort noch über Sammlung und Herausgabe von alter Literatur und Folklore. Den Anfang machte A. v. Flugi mit den Volksliedern des Engadins (1873), den Zwei historischen Gedichten (1865) und vielen Zeitschrift-Aufsätzen. Die grössten Verdienste aber hat C. Decurtins. Das Resultat seines unermüdlichen jahrzehntelangen Sammelfleisses liegt vor in seiner Rätoromanischen Chrestomathie, wovon erschienen sind: Band I: Surselvisch, Subselvisch (Buchliteratur etc.), Band II: Surselvisch, Subselvisch (mündliche Literatur: Märchen, Novellen, Sagen, Sprichwörter, Landwirtschaftsregeln, Rätsel, Kinderlieder, Kinderspiele, Volksbräuche, Sprüche, Zaubersprüche, Volkslieder, Aberglaube), Band III: die Melodien zu den Volksliedern, Band V: Engadin, 16. Jahrh., Band VI: Engadin, 17. Jahrh., Band VII: Engadin, 18. Jahrh.; Band VIII: Engadin, 19. Jahrh. Auch A. Vital hat eine verdienstliche Sammlung engadinischer Volkslieder, Kinderreime, Bauernregeln, Sprichwörter etc. herausgegeben (in den Annalas XII-XIV, XVII). J. Ulrich in Zürich hat sich durch eine Chrestomathie mit Anmerkungen und Glossar (I: Oberländisch; II. Engadinisch. - Halle 1882 f.) und durch Herausgabe vieler meist altoberengadinischer Texte, gewöhnlich mit Glossar, verdient gemacht.
Mitte der 80er Jahre entstand die Societad Retoromanscha, die seit 1886 jährlich einen Band Annalas herausgibt. In diesen bisher 21 Bänden ist auch viel altes Sprachmaterial publiziert, überwiegend jedoch neue literarische Produktion, auch historische und sprachwissenschaftliche Arbeiten. Dasselbe gilt von dem von Decurtins seit 1897 jährlich herausgegebenen Ischi (d. h. Ahorn), dem Organ des oberländischen Vereins Romnania. In jüngster Zeit hat die Societad Retoromanscha mit kantonaler und Bundes-Subvention die Arbeiten zur Sammlung und Herausgabe des rätoromanischen Idiotikons in Angriff nehmen lassen.
Bibliographie. Hauptdarstellung ist C. Decurtins' Geschichte der rätoromanischen Literatur (1901, in Gröber's Grundriss der roman. Philologie. Band II, 3. Abteilung, S. 218-261). - Ferner F. Rausch: Geschichte der Literatur des rätoroman. Volkes (1870). - M. Carnot: Im Lande der Rätoromanen (1898). - A. Mohr: Survista della litteratura ladina (Annalas. XVI 13-152). - E. Böhmer: Rätoromanische Bibliographie (in Böhmer's Roman. Studien. Heft XX und XXI, 1883 und 1885; berücksichtigt auch das tirolische und friaulische Romanisch).
[R. P.]
E. GEISTIGE KULTUR.
Die kleine Schweiz darf sich rühmen, im geistigen Leben der europäischen Völker eine sehr grosse Rolle gespielt zu haben und noch zu spielen. Seine öffentlichen Unterrichtsanstalten, Bibliotheken und Museen, seine Zeitungen und Zeitschriften, seine Schriftsteller, Künstler und Gelehrten haben unserm Land eine um so bemerkenswertere Stellung in der Welt erobert, als sich diesen Bestrebungen die politische Dezentralisation, sowie die Unterschiede in Rasse, Sprache und Konfession hindernd in den Weg zu stellen schienen.
1. Schulwesen.
Volksschulen bestanden vor der Reformation meist nur in den Städten und fanden auf dem Land bis zu Ende des 18. Jahrhunderts bloss in wenigen Kantonen (Zürich, Basel etc.) Eingang. Eigene Schulhäuser waren selten; in den Landgemeinden wirkten in der Regel Wanderlehrer. Ein Zürcher Gesetz von 1719 organisierte oder reorganisierte vielmehr den Primarunterricht in diesem eidgenössischen Stand. Ein allgemeiner Fortschritt mit Bezug auf das Volksschulwesen lässt sich aber erst zur Zeit der helvetischen Republik feststellen.
Weder die Mediationsakte noch der Bundesvertrag von 1815 berücksichtigten das Unterrichtswesen, das ausschliesslich der Kompetenz der einzelnen Kantone überlassen blieb. Das gleiche gilt auch von den Verfassungsprojekten von 1832 und 1833. Die Verfassung von 1848 enthielt in ihrem Artikel 28 bloss folgende Bestimmung: «Dem Bund steht das Recht zu, eine schweizerische Universität und eine polytechnische Schule zu errichten.» Der Artikel 27 der Bundesverfassung von 1874 überlässt zwar das Schulwesen der Souveränetät der Kantone, stellt aber das Prinzip der obligatorischen, unentgeltlichen und konfessionslosen Volksschule auf. Ein vom Schweizervolk am angenommener Art. 27bis bestätigte den Grundsatz der Unterstützung der Volksschule durch den Bund (vergl. das Ausführungsgesetz vom das die Verteilung der jährlich mehr als 2 Millionen Fr. betragenden Unterstützungen regelt). Der jetzige Stand des Unterrichtswesens auf der Volksschulstufe lässt sich in Kürze folgendermassen zusammenfassen: Ende 1905 bestanden in der ¶