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Sprachen ausser dem Rumänischen, die Berührung mit en Germanen von grosser Bedeutung 1). [1) Ueber die Aussprache der im Folgenden angeführten romanischen Wörter siehe die Vorbemerkung zu den Sprachproben.] Die älteste Schicht germanischer Lehnwörter drang schon in vulgärlateinischer Zeit ein, z. B. werra, woraus italienisch guerra, rätoroman. ujarra «Krieg». Die germanischen Wörter, die das Rätoromanische speziell mit dem Italienischen gemein hat, stammen zu meist aus langobardischer Zelt, z. B. staffa «Steigbügel».
Von Norden her mag schon früh der alemannische Einfluss begonnen haben, erreichte aber seinen Höhepunkt erst in der Zeit der Feudalherrschaften etwa vom 12. bis 14. Jahrhundert, indem die Feudalherren selbst und ihr Gefolge meistens Deutsche waren. Auch fiel etwa ins 13. Jahrhundert die Ansiedlung der deutschen Walser (wahrscheinlich = Walliser) in vielen Gegenden Graubündens, wie Davos, Prätigau, Langwies, Obersaxen. Vals, Avers, Rheinwald. Aus diesen Jahrhunderten wird in der Hauptsache die ältere gut nationalisierte Schicht der alemannischen (schweizerdeutschen) Lehnwörter stammen, wie oberländisch huccla, Kugel, ruoc, Krug, baghegiar, bauen, s'anriclar, bereuen, giavifchar, wünschen, schuber, sauber, glieut, Leute; ferner z. T. die präpositionalen Germanismen wie parter ora, «austeilen», dir giu, «absagen», und Uebersetzungen wie essec avon maun «vorhanden sein», vegnir pella vitta «ums Leben kommen».
Eine neue Welle deutschen Einflusses warf die Reformation ins Land mit ihren Uebersetzungen religiöser
Schriften, daher Wörter wie vandligiar, «wandeln». Doch drangen diese
nicht so tief in die eigentliche Volkssprache. Eine Masse deutscher Wörter brachte endlich die Neuzeit, namentlich das 19. Jahrhundert,
mit all den neuen Einrichtungen, Erfindungen usw. Einen Fall für sich bildet die Rechtssprache: diese war
zu allen Zeiten sehr stark mit deutschen Elementen dur
chsetzt. Jedes romanische Gemeindestatut legt hievon Zeugnis ab. Entlehnungen
aus dem Italienischen (Lombardischen) sind im Oberländischen selten, häufiger im
Engadin. In engad. tschappér neben clappér
«fassen» steht das Lehnwort neben dem alteinheimischen Ausdruck.
4. Einteilung der romanischen Dialekte.
Wir können zwei grosse Gruppen unterscheiden: die Dialekte des Rheingebietes und das Engadinische (mit dem Münsterthalischen). Die ersteren nennt man oft «Romansch» im engeren Sinne, das Engadinische im Gegensatz hiezu «Ladinisch». Doch heisst auch das Engadinische gewöhnlich «Romansch». Die Engadiner bezeichnen das Rheinische als «Schalover», von tschell' ova = das andere Wasser, d. h. der Rhein. Die beiden Hauptgruppen zerfallen wieder in Unterabteilungen: das Rheinische ins Oberländische (Sursilvanische), Hinterrheinische, Oberhalbsteinische, Filisur-Bergünische usw., das Engadinische ins Oberengadinische, Unterengadinische und Münsterthalische. Diese Unterabteilungen bestehen aber ihrerseits wieder aus kleineren Lokaldialekten mit oft recht ausgeprägten Besonderheiten. In früherer Zeit waren diese lokalen Dialekte, deren fast jede grössere Ortschaft ihren eigenen hatte, stärker unter sich verschieden als heute, wo die Unterschiede infolge der modernen Verhältnisse (Freizügigkeit, Verkehr, Schule usw.) sich vielfach ausgleichen.
Einige Hauptcharakteristika des Oberländischen (I) gegenüber dem Engadinischen (II) sind: I i, e, II ü aus lateinischem
ū, z, B. I dir, fem, II dür, füm aus lat. durus
«hart»,
fumus «Rauch»;
I iə, II ö aus lat. ŏ, z. B. I piəvəl, II pövəl aus populus «Volk»;
I tg, II t aus lat. ct, z. B. I notg, latg, II not, lat aus lat. nocte «Nacht», lacte «Milch»;
I els ein, II els sun «sie sind»;
I giè, II schi «ja»; I anflar, II chatar «finden»; I el ei biais (mit dem sog. prädikativen -s),
II el ais bel «er ist schön». Nur orthographisch ist der Unterschied von I tg und II ch, z. B. I tgaun, II chaun «Hund». Dem Oberhalbsteinischen eigen sind Formen wie liír, liía = oberländ. ligiar, ligiau «binden, gebunden», paer = oberl. pagar «zahlen». Das Filisurisch-Bergünische hat viele z, z. B. laz (lats) = oberländ. latg, engad. lat «Milch», zuven (dzuven) = oberländ. und engad. giuven «jung». Dem Oberhalbsteinischen, Filisurisch-Bergünischen und Oberengadinischen gemeinsam ist die Entwicklung eines k, g in Fällen wie cokr aus cour Herz, bokf aus bouf Ochs, ugra aus ura Stunde, ikr aus ir gehen, legvra aus leivra Hase (das k, g wird jedoch nur gesprochen, nicht geschrieben).
Einige Unterschiede des Oberengadinischen (OE) und Unterengadinischen (UE) sind: OE e gegenüber UE a, z. B. OE mel, der, UE mal, dar, aus malus «schlecht», dare «geben»;
Aussprache des un, aun im OE wie um, äm, z. B. bum = bun «gut», päm = paun «Brot»;
OE poch, UE pac «wenig»;
OE memma, UE massa «zu» (zu viel, zu gross etc.);
OE ieu (d')he, UE eu (n')ha «ich habe»;
Participia OE što, šteda UE štat, štatta «gewesen», OE purtô, UE purtâ «getragen», OE vendieu (gesprochen vendia),
UE vendit «verkauft».
Für das Münsterthalische charakteristisch sind die Infinitive mit zurückgezogenem Akzent, z. B. pórter für portár «tragen»; ferner jau «ich» und überhaupt viele au, daher der Uebername ils Jauers.
Litteratur. Ascoli: Saggi Ladini (im Archivio glottologico, Band I u. VII). - Gartner. Rätoromanische Grammatik. Heilbronn 1883. - Gartner in Gröbers Grundriss der romanischen Philologie. Band I. - Elementar-Grammatiken: für das Oberländische von Bühler (1864), Muoth (1890), da Rieti (1904), Simeon (1904), Conradi (1820);
für das Engadinische von Andeer (1880). - Wörterbücher: für das Oberländische von Carigiet (1882), Conradi (1823, deutsch-romanischer Teil 1828);
für das Engadinische von Pallioppi (1895, deutsch-romanischer Teil 1902). - Lieber die alemannischen Elemente siehe Renw. Brandstetter: Das schweizerdeutsche Lehngut im Romontschen. Luzern 1905.
5. Sprachproben
(In traditioneller Orthographie). 1) [1) Vergl. auch die Sprachproben (Gleichnis vom verlornen Sohn) im Abschnitt «Italienische Sprache».] Aussprache. Oberländisch tg und engadinisch ch (tχ,) ungefähr = deutschem tch in «Hütchen»;
ge, gi wie im Italienischen, doch mehr deutschem dj in «Landjäger» sich nähernd;
gh, gn(i), gl(i) wie im Italienischen;
st, sp wie scht, schp etc.;
z wie im Deutschen;
ſch wie französ. j;
oberländisch che, chi wie im Italienischen.
Sprichwörter etc. Oberländisch: tgi ca va per fiuc, piarda liuc; oberengadinisch: chi chi vo per fö, perda l'lö = Wer um Feuer geht, verliert den Platz. - Oberländisch: Da Sogn Gagl stat la vacca en nuegl;
obereng.: a San Giallum tuot il muvel sül pantum = am Sankt Gallustage alles Vieh im Stall (Bauernregel). - Oberländisch: um visaus, miez salvaus;
unterengadinisch: sudâ visâ, mez salvâ = gewarnt ist halb gerettet. - Oberländisch: aulta ſchgolada, bassa tschentada = hoher Flug, tiefer Fall;
loſchas matteuns, tschuffas vaneuns = putzsüchtige Mädchen, schmutzige Fleischhäfen;
nuot ughiau, nuot gudignau = nichts gewagt, nichts gewonnen;
oz en possa, dameun en fossa = heute rot, morgen tot;
prers e pluſcheins ein mai pleins = Priester und junge Hühner sind nie satt;
fatg si cun rida, va giu cun spida = mit Kreide aufgeschrieben, geht mit Speichel aus;
bia canéra pintga ſchgarméra, gronda baheida, pauca muneida = viel Lärm, kleine Rahmkelle, grosses Getue, wenig Geld;
bizóchels, maluns e capuns ein fargliuns, petta en pegna ei la madregna, bugliarsa ei la basatta, ina parentella sbuseratta = Pizokel, Maluns und Maisklöse sind Geschwister, Ofenkuchen ist die Stiefmutter, Schmalzmus ist die Urgrossmutter, eine verflixte Verwandtschaft. - Engadinisch (in unterengadinischer Form): bain stragliâ mez pavlâ = gut gestriegelt, halb gefüttert;
chi taidla a parai, taidla da sai = der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand;
chi bler crida, bod invlida = wer viel weint, vergisst bald;
chaun müt morda strett = ein stummer Hund beisst heftig;
chi sta bain, nu's mova, chi sta mal, as lova = wer's gut hat, bewegt sich nicht, wer's schlecht hat, rührt sich;
chi nun ha giallinas, nun mangla maſchun = wer keine Hühner hat, braucht keine Hühnerstange;
giallina chi va per cha, o ch'ella picla o ch'ella ha piclâ = eine Henne, die im Haus herumgeht, pickt entweder auf oder hat aufgepickt;
ils buns cussagls e las chavras zoppas vegnan davó = die guten Räte und lahmen Ziegen kommen hinterher. ¶
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Cur cha l' vin ais a cuccun, | |
ils amis sun a mantun, | |
cur cha 'l vin stalîva sü, | |
schi amis nu's vezza pü. | |
= Ist das Weinfass voll einmal, | |
Gibt es Freunde ohne Zahl, | |
Geht zur Neige dann der Wein, | |
Bleibt man ohne Freund, allein. |
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Il pur suveran.
Von A. Huonder.
Quei ei miu grepp, quei ei miu crapp, | |
Cheu tschentel jeu miu pei, | |
Artau hai jeu vus da miu bab, | |
Sai a negin marschei. | |
- | |
Quei ei miu prau, quei miu clavau, | |
Quei miu regress e dretg, | |
Sai a negin perquei d'engrau, | |
Sun cheu jeu mez il retg. | |
- | |
Quei mes affons, miu ágien saun, | |
Da miu car Diu schenghetg, | |
Nutreschel els cun ágien paun, | |
Els dorman sut min tetg. | |
- | |
O libra, libra paupradat, | |
Artada da mes vegls, | |
Defender vi cun taffradat, | |
Sco poppa da mes egls. | |
- | |
Gié libers sundel jeu naschius, | |
Ruasseivels vi dormir, | |
E libers sundel si carschius, | |
E libers vi morir. |
Der freie Bauer.
Von A. Huonder.
Das ist mein Fels, das ist mein Stein, hierhin setz' ich meinen Fuss, geerbt hab' ich euch von meinem Vater, weiss niemand Dank dafür.
Das ist meine Wiese, das meine Scheune, das mein Besitz und Recht, weiss niemand dafür Dank, hier bin ich selbst der König.
Das sind meine Kinder, mein eigen Blut, meines lieben Gottes Geschenk, ich nähre sie mit eignem Brot, sie schlafen unter meinem Dache.
O freie, freie Armut, geerbt von meinen Vätern, verteidigen will ich dich mit Tapferkeit, wie meinen Augapfel.
Ja, frei bin ich geboren, ruhig will ich schlafen, und frei bin ich aufgewachsen, und frei will ich sterben.
6. Überblick über die Literaturgeschichte.
I. Engadin. Zweifellos hat es in Graubünden schon romanische Volkslieder aller Art gegeben, lange ehe die erhaltene rätoromanische Literatur beginnt. Das rege politische Leben, das im Bündnervolke nach dem Niedergang des Feudalwesens sich entwickelte, namentlich im 15. Jahrhundert, mag schon damals auch Anlass zu politischen und patriotischen Liedern gegeben haben. So ist auch das erste uns erhaltene Denkmal der rätoromanischen Literatur, das umfangreiche Gedicht des Reformators Joh. Travers über den Müsserkrieg (entstanden 1527, d. h. zwei Jahre nach dem Krieg) die Antwort auf ein bergellisches Schmähgedicht.
Bald darauf begann Travers deutsche Dramen über biblische Stoffe in's Engadinische zu übersetzen (Joseph in Aegypten 1534, Joseph und Potiphar, Der verlorene Sohn), und Andere folgten ihm (Champell's Judith 1554; Stuppauns Zehn Alter; von Unbekannten: Der reiche Mann und der arme Lazarus, Susanna, Hiob, Die drei Jünglinge im Feuerofen, Die Geburt Christi etc.). Die meisten Dramen sind in neuerer Zeit wieder aufgefunden worden; gedruckt wurden damals keine, so wenig als der «Müsserkrieg».
Diese Dramen zeigen eine urkräftige, oft derbe Sprache, teilweise auch poetisches Talent. Sie wurden während des 16. und
im Anfang des 17. Jahrhunderts vielfach und unter grossem Aufwand und Zulauf aufgeführt, und ihr Besuch galt für ein Gott
wohlgefälliges Werk, bis sie dann
durch
die strengen Anschauungen des 17. Jahrhunderts in Verruf kamen
und den langweiligen «Singspielen» Platz machen mussten. Ausser den Traversischen Schriften ist aus der Zeit vor 1550 nur
vereinzeltes Romanisches in Urkunden erhalten.
Die Predigt war im Engadin gleich zu Beginn der Reformation romanisch geworden und trug wesentlich zum Erwachen des Sprachgefühles bei. Die tiefe religiöse Bewegung der Geister verlangte nun nach religiöser Lektüre in der eigenen Sprache und hat so den Anstoss zur Entstehung der romanischen Literatur im engeren Sinne (d. h. der gedruckten) gegeben. Ein Notar, Jakob Biffrun von Samaden, eröffnete 1552 die romanische Buchliteratur mit seiner Fuorma oder Taefla (Katechismus nebst Fibel); 1560 folgte seine Uebersetzung des Neuen Testaments.
Durch
diese Bücher wurde das Oberengadinische zu einer Schriftsprache mit ziemlich geregelter Orthographie (an welch' letzterer
später einige Aenderungen vorgenommen wurden). Auf Biffrun's Neues Testament folgten 1562 die «Psalmen»
von Champell, in unterengadinischer Sprache geschrieben. Eine Einigung auf Ober- oder Unterengadinisch
als Schriftsprache fand nicht statt, auch in der Folgezeit hat sich das reich entwickelte religiöse Schrifttum des Engadinischen
in die beiden Sprachformen geteilt. Die vollständige Bibelübersetzung von 1679 ist unterengadinisch, die Gesangbücher
sind teils unterengadinisch (Philomela 1684), teils oberengadinisch (Wiezels Psalmen im 17., Frizzonis
Gesangbuch im 18. Jahrhundert).
Nachdem durch
Biffrun und Champell das Eis gebrochen war, trat das Romanische auch in den Urkunden und Gemeindestatuten immer
mehr hervor; um 1680 waren diese wohl fast dur
chweg romanisch. Das 17. und 18. Jahrhundert hat ausser religiöser Literatur
nur wenig hervorgebracht. Ein umfangreiches Gedicht über den Veltlinerkrieg von Wietzel und die «Rätische
Chronik» von Vulpius blieben ungedruckt, im Druck erschien dagegen 1742 die Chronica Raetica von à Porta.
Hatte früher die religiöse Literatur dur
chaus dominiert, so begann nun im 19. Jahrhundert ein grosser Aufschwung der weltlichen
Literatur. Die engadinische Poesie der neuern Zeit eröffnete 1845 Conradin von Flugi mit seinen Alchünas
rimas romaunschas, ihm folgte der formgewandte Z. Pallioppi (der auch die Orthographie einer Neuregelung unterzog), der humoristische
S. Carratsch, der sinnige und gefühlvolle Caderas, der echt volkstümliche Sandri und einige Andere. Novellen lieferte in
neuerer Zeit namentlich G. Mathis, Dramen C. Bardola und F. Grond. Die erste engadinische Zeitung entstand 1843 (L'Aurora
d'Engiadina), ging aber nach einem Jahr wieder ein. 1852-54 erschien eine Gazetta d'Inngiadina, seit 1857 dann das noch jetzt
bestehende Fögl d'Engiadina (in neuerer Zeit mit einem Beiblatt: Dumengia Saira, d. h. «Sonntag-Abend»). Zeitenweise bestanden
noch andere Zeitungen.
II. Oberland. Von handschriftlicher Literatur aus dem 16. Jahrhundert scheint nichts vorhanden zu sein. Die Buchliteratur beginnt im Anfang des 17. Jahrhunderts, ein halbes Jahrhundert später als im Engadin. Der erste Druck ist ein reformierter Katechismus (nebst Anstandsregeln etc.) von Bonifazi, Lehrer in Fürstenau, erschienen 1601. Dieses Büchlein und zwei katholische Büchlein von Calvenzano (Gurt Mussament 1611, Bref Apologetica 1612) sind im Domleschger Dialekt geschrieben, wie auch die Anatomia von Nauli 1618, eine Streitschrift gegen Stef.
Gabriel. Es schien also anfangs der Domleschger Dialekt zur Schriftsprache für das Rheingebiet werden zu wollen, doch schon 1612 gab
Stef. Gabriel, Pfarrer in Ilanz, sein Sulaz da pievel giuvan (Ergötzung für junge Leute) in richtiger
oberländischer Sprache heraus, welch' letzterer nun sehr bald die Alleinherrschaft zufiel. Gabriel erhob im Salaz seine mächtige
Stimme zur Verteidigung der neuen Lehre gegen Rom und Spanien. Es war dies die Zeit, als durch
die Anstrengungen der Gegenreformation
das Verbleiben des Bündner Oberlandes bei der katholischen Religion sich entschied (ausser Ilanz etc.).
Die Kapuziner und das Kloster Disentis waren die Hauptkämpfer auf katholischer Seite. Auf
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