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man vor dem Baden, da die Johannisnacht ihr Opfer forciere. Aus dem gleichen Grunde soll man an diesem Tage nicht auf die Kirschbäume steigen, da man leicht zu Tode fallen kann. In Fuldera hat die Dorfjugend am Johannisabend das Recht, sämtliche Ziegen zu melken und über die Milch zu verfügen. Wenn der Geisshirt mit dem Horn seine Ankunft verkündet, eilen Knaben und Mädchen ihm vor das Dorf hinaus entgegen, gehen mit ihren Eimern von Ziege zu Ziege und melken sie aus. Aus dem Erlös der verkauften Milch wird abends ein Tanzvergnügen veranstaltet (nach Herzog). Auf den Alpen Bohl und Aellgäu (Kanton Bern) wird der Milchertrag vom 4. Juli (Johannistag alten Stils) für die Armen verarbeitet.
Peter und Paul (29. Juni) ist mancherorts ein Zauber- und Unglückstag.
Jacobus der Aeltere (25. Juli) ist der Tag der Aelplerkirchweih auf dem Stoss und auf der Berra (Freiburg). Im Kanton Bern sollen die Sennen brennende, mit Werg umwickelte und in Pech getränkte Pfeile und Speere über die Felswände herabfliegen lassen. (Nach J. J. Frickart.) Früher wurden im Kanton Bern an diesem Abend Höhenfeuer angezündet.
Lorenz (10. August). Wer an Lorenzen in der Erde gräbt, findet Kohlen (Glarus, Luzern, Zollikon bei Zürich, Stein a./Rhein).
Mariae Himmelfahrt (15. August) ist in allen katholischen Gegenden ein hoher kirchlicher Festtag («Muttergottesfest»). Im Aargau fiel ehedem auf diesen Tag die Weihe der Kräuter, mit denen man sich vor Gespenstern, Zauber und Blitzstrahl schützt.
Bartholomäus (24. August) ist grosser Lostag. Am Bartholomäus-Sonntag wird der Alpertrag des Flumserberges (St. Gallen), der Alp Aï (Waadt) und der Alpen von Gsteig (bei Saanen) an die Armen verteilt. Auf denselben Tag findet die Käseabgabe der Eifischthaler Sennen an den Pfarrer von Vissoye statt (nach Herzog).
Auf Ende August fällt der Aarauer «Bachfischet». Um diese Zeit wird der Stadtbach behufs Reinigung abgeleitet, und die darin befindlichen Fische dürfen von der Schuljugend gefangen werden. Wenn der Bach Abends wieder in sein altes Bette geleitet wird, holen ihn die Kinder mit Kürbislaternen, grünen Zweigen und Fackeln unter Trommel- und Musikbegleitung und Absingung des Bachfischet-Liedes in Suhr ab.
Verena (1. September) Im Surbthal (Aargau) lassen die Müller die Mühlsteine schärfen und die Mühlbäche putzen; denn die Heilige war nach der Legende auf einem Mühlstein die Aare hinuntergefahren. Am Verenatag wurden in der alten Grafschaft Baden die Kinder festlich frisch gekleidet, ihnen besonders die Köpfe gewaschen und die Haare schön gekämmt.
Michaëlis (29. September) ist bedeutender Los- und Termintag. Im Kanton Schwyz ist der h. Michaël, ähnlich wie andernorts St. Niklaus oder das Weihnachtskind, Gabenspender. Während der Vesper fliegt der Erzengel in den Häusern umher, um die in der Kirche weilenden Kinder zu beschenken. In Beromünster wurde an diesem Tage ein grossartiges Stiftungs- und Kirchweihfest veranstaltet, an dem eine besondere Münze («Michaelspfennig») geschlagen und ein besonderes Brot («Michaelsbrödli») verteilt wurde.
Am Dionysiustage (9. Oktober) «gingen im Ormontsthal die geheimen Polizeiwächter vermummt und von ländlicher Musik begleitet von Tür zu Tür, boten den Männern possenhafte Grüsse, den Mädchen Thymiansträusse und einen hübscheren dem Pfarrer an, und legten dann bei einem fröhlichen Schmause ihr Amt in die Hände der neuen Flurschützen („Messeliers“) nieder.» (Nach Herzog).
Das Rosenkranzfest fällt auf den ersten Sonntag im Oktober und ist ein Festtag ausschliesslich kirchlichen Charakters in der katholischen Schweiz.
Gallus (16. Oktober) ist wichtiger landwirtschaftlicher Termintag.
Am Lukastag (18. Oktober) werden in Basel die bedürftigen Schüler, angeblich in Erinnerung an das Erdbeben vom Lukastag 1356, mit Tuch zu Kleidern («Schülertuch») beschenkt.
An Crispini (25. Oktober) wurden in Chur auf den Zunftstuben grosse Schmausereien abgehalten; in Winterthur veranstalteten die Schuster einen militärischen Umzug.
Allerheiligen (1. November) und Allerseelen (2. November) weisen ausschliesslich kirchliche Festbräuche auf.
Bedeutungsvoll sind dagegen die Fronfastenzeiten, namentlich im Aberglauben. Dieselben fallen jeweilen auf Mittwoch, Freitag, Samstag nach Aschermittwoch, Pfingsten, Kreuzeserhöhung (14. September) und Lucia (13. Dezember). Am Vorabend vor Fronfasten muss aufgesponnen sein (Kt. Schwyz); Fronfastenkinder sehen Gespenster oder können weissagen (allgemein);
an Fronfasten darf man nicht «zöpflen» (Zöpfe flechten), sonst geht Einem das Haar aus (Neerach);
wenn man an Fronfasten und den beiden folgenden Tagen das Obst abliest, so tragen die Bäume mehrere Jahre nicht mehr (aargauisches Siggenthal).
Um die Zeit der Dezemberfronfasten geht ein Gespenst um: die «Frau Faste», auch «Fraufaste-Wibli» oder «-Müeterli» genannt. Auch fahren die Hexen in den Fronfasten-Nächten zum Hexensabbat (Heiden im Appenzell).
Gebräuche und Feste, deren Datum je nach dem Ort ein verschiedenes ist, sind die Kirchweihen und die Märkte. Die Kirchweih (meist «Kilbi», in Freiburg «Bénichon», im katholischen Genf «Vogue») war ursprünglich, wie das Wort besagt, das Weihefest einer neuerrichteten Kirche und gleichzeitig oft Patronatsfest. Da aber bei dieser Gelegenheit immer viel Landvolk zusammenströmte, entwickelten sich daraus schon im Ausgang des Mittelalters eigentliche Volksfeste, die schliesslich mit der Kirche in keiner Berührung mehr standen.
Die gewöhnliche Kirchweih nimmt in der ganzen Schweiz so ziemlich denselben Verlauf wie im übrigen Europa. Daneben gibt es aber auch mancherlei besondere Kirchweihsitten. Die gegenseitigen Besuche ganzer Orte haben wir bei Anlass der Fastnacht schon berührt; ebenso sind die «Feckerkilbe» von Gersau und die «Aelplerkilbenen» bereits erwähnt worden. «In Klein-Solothurn wird die Vorstädtler-Kilbi von den Hausbesitzern am Margaretentage gefeiert und mit der Erinnerung an die Schlacht bei Dornach verknüpft, wornach die waffenfähige Mannschaft eben von der Kirchweih zum Entsatz von Dornach abberufen worden sei und nach der Rückkehr die Lustbarkeit fortgesetzt habe. Nach dem Gottesdienst versammeln sich Männer und Frauen im Gasthof zum Festmahl. Dort wird der Kilbe-Tanz versteigert. Der Meistbieter erhält das Recht und die Pflicht, denselben zu eröffnen, mit seiner Tänzerin allein, mitten auf der Aarebrücke. Berusste Knaben kreisen um die Gruppe, um ihr im Gedränge Luft zu machen. Vom Festmahl werden Nüsse und Backwerk für die Jugend massenhaft auf die Gasse geworfen.» (L. Tobler).
Besonders reich an originellen Kilbenen ist der Kanton Graubünden. Hier haben wir die «Knödel-Kilbi» in Sagens (il «litgun» de Sagoign),
deren Name von der Sitte herrührt, dass die Knaben sich «angeblich zur Verherrlichung des Sagenser Wappens, eines Kolbens, den man witzig den grossen Knödel nannte, durch die Mädchen einen Riesenknödel bereiten liessen und denselben bei Wein und witzigen Reden verspeisten.» Merkwürdig ist die «Käsfastnacht» (scheiver de caschiel) in Lumbrein an Sonntag Invocavit. Es wird eine Prozession abgehalten, an welcher drei als Nonnen verkleidete Mädchen («die drei Marien») voranschreiten.
Als Kopfputz tragen sie den «Stuorz», ein Zeichen der Trauer, zwei davon auch Totenköpfe in den Händen, während die mittlere als «schmerzhafte Mutter» sieben Schwerter auf der Brust hat. In der Mitte der Prozession wandelt ein Knabe in weitem schwarzen Gewande, ein schwarzes Kreuz tragend. Er heisst «nelli» (Lamm) und soll Christus als Opferlamm darstellen. Von weiteren Graubündner Kirchweihen seien nur kurz angeführt: der «Honigsonntag» von Vals, die «Knöpfli-Kilbi» (Domengia da bizocals) von Lenz, die «Ziger-» und «Erdäpfel-Kilbenen» im Schanfigg, die «Kraut-Kilbi» in Haldenstein u. a. m. Es scheint, dass in diesem Kanton das Wort «Kilbi» oft ganz allgemein für «Volksfest» gebraucht wird.
Die Märkte und Messen geben zu keiner eingehenden Erörterung Anlass, da sie sich, unwesentliche lokale Abweichungen abgerechnet, fast überall gleich abspielen. Berühmt war ehedem die Zurzacher Messe.
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Literatur.
Eine zusammenfassende Darstellung der schweizerischen Volksbräuche existiert noch nicht. Ansänge hiezu sind gemacht in der Serie Gemälde der Schweiz (Kantone Aargau 1844, Appenzell 1835, Basel 1841, Freiburg 1834, Glarus 1846, Graubünden 1838, Luzern 1858, Schaffhausen 1840, Schwyz 1835, Solothurn 1836, Tessin 1835, Thurgau 1837, Unterwalden 1836, Uri 1834, Waadt 1847, Zürich 1844); ferner von E. Osenbrüggen in seinen Büchern: Kulturhistorische Bilder aus der Schweiz (Leipzig 1863), Neue Kulturhistorische Bilder aus der Schweiz (Leipzig 1864), Wanderstudien aus der Schweiz (Schaffhausen u. Basel 1867-81). - W. Senn: Charakterbilder schweizerischen Landes, Lebens und Strebens. Glarus 1870/71. - H. A. Berlepsch: Schweizerkunde. 2. Aufl. Braunschweig 1875. - H. Herzog: Schweizerische Volksfeste, Sitten und Gebräuche. Aarau 1884. - X. Fischer: Ursprung, Wesen, Werth und spätere Entwicklung der alten schweizerischen Volksfeste (in der Schweizer. Zeitschrift f. Gemeinnützigkeit. 23, 1884). - Ludw. Tobler: Altschweizerische Gemeindefeste (1894) und Die Mordnächte und ihre Gedenktage (1883) (in Ludwig Tobler: Kleine Schriften zur Volks- und Sprachkunde; herausgegeben von J. Baechtold und A. Bachmann. Frauenfeld 1897).
Die Hauptquellen für unsere Darstellung waren natürlich das «Schweizerische Idiotikon» und das «Schweizerische Archiv für Volkskunde».
Von Monographien über die Volksbräuche einzelner Kantone wüsste ich nur zu nennen: M. A. Feierabend: Ueber Volksfeste und Volksspiele im Kanton Luzern (in den Verhandlungen der Gesellschaft für Vaterländische Kultur. 1843, S. 85 ff.). - G. Leonhardi: Rhätische Sitten und Gebräuche. St. Gallen 1844. - Manches auch in A. Lütolf: Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten. Luzern 1862. - J. A. v. Sprecher: Geschichte der Republik der drei Bünde. Band II. Chur 1875. - Anna Ithen: Volkstümliches aus dem Kanton Zug (im Schweiz. Archiv für Volkskunde. I). - J. C. Muoth: Nachrichten über bündnerische Volksfeste und Bräuche. (ib. II). - E. Buss: Die religiösen und weltlichen Festgebräuche im Kanton Glarus. (ib. IV). - G. Baumberger: St. Galler Land - St. Galler Volk. Einsiedeln 1903. - Mario***: Le génie des Alpes valaisannes. Neuchâtel 1893.
d) Spiele.
An den Schluss dieses Abschnittes haben wir die Spiele gestellt. Auf eine Beschreibung der einzelnen Spiele können wir uns hier nicht einlassen; namentlich müssen wir uns die Behandlung des so vielgestaltigen Kinderspiels versagen und uns begnügen, auf die Werke von E. L. Rochholz: Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz (Leipzig 1857) und G. Züricher: Kinderlied und Kinderspiel im Kanton Bern (Zürich 1902) hingewiesen zu haben.
Von Spielen Erwachsener ist speziell schweizerisch das Schwingen, das früher nur gelegentlich ausgeübt wurde, heute aber sich zu einem bestimmt geregelten Ringkampf ausgebildet hat; ferner das Steinstossen, das in dem Weitwurf eines schweren Steins besteht; das Plattenschiessen ist das Werfen einer Steinplatte nach einem Ziele. Nahe verwandt sind das Matzeschlagen und das Hornussen, beides kricketartige Kugelspiele. Von Kugelroll-Spielen nennen wir das «Kugelitrölen» (Weitwurf) und namentlich das bei den Tessinern so beliebte Bocciaspiel (Zielwurf),
während das «Muttelen» eine Art Roulette darstellt. Ein bei Sennenkilbenen nicht selten ausgeübtes und eine grosse Geschicklichkeit erforderndes Spiel ist das Fahnenschwingen, dessen Hauptkunst darin besteht, dass eine an kurzer Stange befestigte Fahne in rascher Bewegung nach den verschiedensten Richtungen um den Körper geschwungen wird, ohne dass das Tuch aus seiner straffen Haltung kommt. Ein berühmtes Fingerspiel der Tessiner ist das Morraspiel, das aber wohl, (wie auch das Boccia) italienischer Herkunft ist.
Die alten Kartenspiele haben heutzutage fast überall dem «Jass», einem holländischen Spiele, weichen müssen, und in nicht langer Zeit wird vielleicht der «Skat» dessen Stelle einnehmen. Aeltere Kartenspiele der Schweiz sind das «Kaiseren», «Binoggel», «Grad oder Ungrad», «Pandur», «Trock» (Tarock),
«Trenten», «Beet», «Proper», «Hops», «Neun-Hops», «Fifeli-Mörli», «Rams», «Schwarzpeter», «Klopfpeter», «Mariage», «Erstlen», «Schnippschnapp schnurr», «Schnappöpperlen», «Schnabix», «Piff-paff-puff», «Tapen», «Bataille», «seul», «quadrette», «manille», «tresette» (ital.) u. a. m.
Zu den Spielen bezw. Volksbelustigungen der Erwachsenen kann auch gerechnet werden der «Käszännet» (Grimassenschneiden),
«Kässtechet» (mit verbundenen Augen einen Käse treffen),
«Sackgumpet» (Wetthüpfen in Säcken),
Grännet, Gänseköpfet, Weggli-Esset usw.
e) Von ältern Tänzen
nennen wir, ohne dieselben im einzelnen zu beschreiben: «Gäuerlen», «Allemander» oder «Allewander», «Deutsch», «Hopser», «Langaus», «Dreher», «Muotathaler», «Drei-Allein», «Selbander», «Ländler», «Altmättler», «Vögeli-Schottisch», «Schicktanz», «Balbierertanz», «Hauptseer-Jauchzer», «Garibaldi», «Rond», «Greulette», «Grebatanue», «Fribourgeoise», «Longue», «Ajoulotte», «Mouferine», u. a. m.
2. Volksdichtung: Sagen; Märchen, Schwänke, Legenden, Volkslieder.
An eine Wiedergabe auch nur der allerinteressantesten und schönsten Sagen und Lieder des Schweizervolkes kann an diesem Orte nicht gedacht werden. Wir müssen uns hier mit einer Zusammenstellung der wichtigsten Litteratur begnügen. Weitaus am zahlreichsten sind die Sagensammlungen, während die Märchen, Volks-Legenden und Schwänke - wohl wegen ihres weniger häufigen Vorkommens - nicht dieselbe Beachtung gefunden haben. Auch auf dem Gebiete des Volksliedes ist noch viel zu wenig geschehen. Besonders fehlt es an Melodienaufzeichnungen. Die Sammlungen von Rossat, Alfred Tobler und Gassmann sind darin vorbildlich geworden, und es ist Aussicht vorhanden, dass in nächster Zeit viel Versäumtes nachgeholt werden wird.
a) Sagen. Deutsche Schweiz im allgemeinen: J. R. Wyss: Idyllen, Volkssagen, Legenden und Erzählungen aus der Schweiz. Bern 1815. - J. A. Henne von Sargans: Lieder und Sagen aus der Schweiz. Basel 1827. - Otte: Schweizer-Sagen. Basel 1842. - R. Müller: Bilder und Sagen aus der Schweiz. Glarus 1842. - J. J. Reithardt: Geschichten und Sagen aus der Schweiz. Frankfurt a. M. 1853. - C. Kohlrusch: Schweizer. Sagenbuch. Leipzig 1854. - E. L. Rochholz: Naturmythen: neue Schweizersagen. Leipzig 1862. - H. Herzog: Schweizersagen; erste Sammlung. 1. Aufl. Aarau 1870, 2. Aufl. Aarau 1887; Zweite Sammlung. Aarau 1882. - A. Frey: Schweizersagen. Leipzig 1881.
Französische Schweiz: (Dulex-Ansermoz): Traditions et légendes de la Suisse romande. Lausanne 1872.
Einzelne Kantone. Aargau: E. L. Rochholz: Schweizersagen aus dem Aargau. Aarau 1856. - Appenzell: J. B. Dähler: Volkssagen aus Appenzell I. R. Teufen 1854. - Basel: J. G. Lenggenhager: Volkssagen aus dem Kanton Baselland. Basel 1874. - Bern: A. Jahn: Emmenthaler Altertümer und Sagen. Bern 1865. - J. E. Rothenbach: Volkstümliches aus dem Kanton Bern. Zürich 1876. - D. Gempeler: Sagen und Sagengeschichten aus dem Simmenthal. Thun 1883. - A. Daucourt: Légendes jurassiennes. Porrentruy 1897. Freiburg: F. Kuenlin: Alpenblumen und Volkssagen aus dem Greierzerlande. Sursee 1834. - J. Genoud: Légendes fribourgeoises. Fribourg 1892. Graubünden: Bandlin: Rhätische Volkssagen aus dem Unterengadin. 1835. - A. v. Flugi: Volkssagen aus Graubünden. Chur und Leipzig 1843. - U. Senn: Bündnerische Volkssagen. 1854. - D. Jecklin: Volkstümliches aus Graubünden. Zürich 1874 und Chur 1876, 1878. - G. Luck: Rätische Alpensagen. Davos 1902. - C. Decurtins: Rätoromanische Chrestomathie. II, 142-160. - Luzern s. Urschweiz. - St. Gallen: J. Kuoni: Sagen des Kantons St. Gallen. St. Gallen 1903. - Schwyz s. Urschweiz. - Solothurn: F. J. Schild: D'r Grossätti us 'eng Leberberg. II. Band: Gedichte und Sagen. 2. Aufl. Burgdorf 1881. - Urschweiz nebst Zug und Luzern: A. Lütolf: Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten. Luzern 1865. - Waadt: A. Ceresole: Légendes des Alpes vaudoises. Lausanne 1885. - Wallis: (M. Tscheinen und P. J. Ruppen): Walliser Sagen. Sitten 1872. - L. Courthion: Veillées des Mayens. Genève (1897). - Zug siehe Urschweiz.; sowie Wikart: Zugerischer Sagenkreis (Zuger Neujahrsblätter 1882 bis 1889). - Zürich: R. Baur: Volkssagen aus der Umge-
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bung des Uetlibergs. Zürich 1843. - G. Meyer von Knonau: Zürcherische Volkssagen. Zürich 1853.
Die bis 1890 in den periodischen Publikationen erschienene Literatur ist verzeichnet bei J. L. Brandstetter. Repertorium ... Basel 1892 (S. 278 ff.), bis 1900 fortgeführt von Hans Barth (ib. 1906), wozu als Hauptquelle noch das «Schweiz. Archiv für Volkskunde» kommt. Ebenso finden sich meist Sagensammlungen in der Publikationsserie «Gemälde der Schweiz».
b) Märchen: S. Liechti: Zwölf Schweizer-Märchen. Frauenfeld 1865. - O. Sutermeister: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz. Aarau 1869. - C. Decurtins: Märchen aus dem Bündner Oberlande. Chur 1874. - C. Decurtins, in: Böhmer: Romanische Studien. II, 99-155. - C. Decurtins: Räto-roman. Chrestomathie, II. 1-128. - G. Bundi: Engadiner Märchen. 2 Bände. Zürich o. J. (Polygraph. Institut). - S. Singer: Schweizer Märchen; Anfang eines Kommentars zu der veröffentlichten Schweizer Märchenliteratur. Bern 1903 und 1906. - Auch manche der obigen Sagensammlungen enthalten Märchen.
c) Volks-Legenden sind ebenfalls in einzelnen Sagensammlungen zu finden. Ausserdem vergleiche man E. F. Gelpke: Die christliche Sagengeschichte der Schweiz. Bern 1862.
d) Schwänke namentlich in den Sammlungen von Jecklin und Herzog.
e) Volkslieder: Für die deutsche Schweiz siehe namentlich die reiche Bibliographie von John Meier im Grundriss der germanischen Philologie, hrsg. von Hermann Paul. 2. Band, 1. Abteilung (Strassburg 1893; Seite 768 ff.). Dazu kommen noch G. Züricher: Kinderlied und Kinderspiel im Kanton Bern. Zürich 1902. - A. Tobler: Das Volkslied im Appenzellerlande. Zürich 1903. - A. L. Gassmann: Das Volkslied im Luzerner Wiggerthal und Hinterland. (Schriften der schweizer. Gesellsch. f. Volkskunde. Bd. IV). - M. E. Marriage und J. Meier: Volkslieder aus dem Kanton Bern, im «Schweiz. Archiv für Volkskunde» (Bd. V, S. 1 ff.). Diese Zeitschrift enthält auch manche kleinere Sammlungen, sowie einzelne Lieder. - P. Fink: Kinder- und Volkslieder, Reime und Sprüche aus Stadt und Kanton Schaffhausen. (Programm des Gymn. Winterthur 1906). - Aus der französischen Schweiz. Kanton Bern: A. Rossat: Chants patois jurassiens, im Schweizer. Archiv für Volkskunde (III, 257 ff.; IV, 133 ff.; V, 81 ff., 201 ff.; VI, 161 ff., 257 ff.; VII, 81 ff., 241 ff.). - Kant. Freiburg: J. Reichlen: La Gruyère illustrée. IV, V, VIII. Leipzig 1894, 1903. - Chansons et coraules fribourgeoises; les chants du rond d'Estavayer. Fribourg 1894. - J. Cornut: Chants et contes populaires de la Gruyère, in der Romania. IV. - Kant. Genf: Blavignac: L'empro genevois. 2. éd. Genève 1875. - Kant. Neuenburg:
Les chansons de nos grand' mères;
recueillies par Alfr. Godet.
Nouv. éd., ill. par Mile Lucie Attinger. Accompagnements de piano par J. Lauber. Neuchâtel 1890-1899. - Wallis: Mme Ceresole-de Loës: Chansons valaisannes im Schweizer. Archiv für Volkskunde. IV, 309 ff. -
Waadt hat keine Volksliedersammlung aufzuweisen. - Rätoromanische Schweiz: A. v. Flugi: Chanzuns popularas d'Engiadina, in Böhmer's Roman. Studien. I, 309 ff. -
A. v. Flugi: Die Volkslieder des Engadin. Strassburg 1873. - H. Caviezel: Litteratura veglia, in den Annalas della Societad Rhaeto-Ronsonscha. II, 267 ff. VIII, 140 ff.; IX, 187 ff. -
J. C. Muoth: Canzuns dil cont popular (ibidem III, 269 ff.). - P. J. Derin: Canzuns popularas engiadinaisas (ibidem VI, 34 ff.; VII, 45 ff.). - A. Vital: Chanzuns popularas ladinas (ibidem XI, 16111.; XII, 243 ff.; XIV, 201 ff.; XVII, 33 ff.). - Ferner in Decurtins' Chrestomathie II und III. Vergl. im übrigen die Register und Bibliographien im «Schweizer. Archiv für Volkskunde». Von Volksliedern der italienischen Schweiz gibt es zur Zeit keine gedruckten Sammlungen.
[Prof. Dr. E. Hoffmann-Krayer.]
II. Wohnung *).
[*) Die Illustrationen sind, mit Ausnahme der bündnerischen, dem im Erscheinen begriffenen Werk von J. Hunziker über Das Schweizerhaus entnommen, von dem bis jetzt vier Abteilungen vorliegen.] Man ist versucht, die Anlage des Wohnhauses und der Nebengebäude, Ställe, Scheunen und dergl., wenn auch nicht als etwas Zufälliges, so doch in erster Linie als abhängig von der Laune oder der Vorliebe des Besitzers oder seines Baumeisters zu betrachten. Das wird auch bei vielen neueren Bauten, namentlich in Städten und stadtähnlichen Orten zutreffen, wo wir ein bunt zusammengewürfeltes Durcheinander der heterogensten Bauweisen finden. Dieser kosmopolitische Schablonenbau findet insbesondere auf die zahllosen Hotels Anwendung, die in der Regel auf Umgebung und Landesart keinerlei Rücksicht nehmen und in Norderney oder Nizza gerade so gut stehen könnten wie in St. Moritz oder Luzern, in Zermatt oder Ouchy.
Die Städte sind in der Schweiz, wie anderswo, der gleichmachenden Modernisierung weit mehr ausgesetzt, als ländliche Gegenden. Namentlich die neueren Stadtteile tragen nirgends mehr etwas Charakteristisches an sich, wohl aber noch manche Altstadt. Wie imposant ist das alte Bern mit seinen breiten Strassen, den eigenartigen Türmen und den auf schattigen Arkaden ruhenden mächtigen Bürgerhäusern. Seine Bauart hat es auch den Städten des nahen Seelandes, die unter seinem Einfluss standen, aufgeprägt, und eine ähnliche, aber doch wieder eigene Bauart weist Thun auf mit seinen weit vorspringenden Dächern.
Anders geartet, von eigentümlich malerischem Reiz, ist Schaffhausen mit seinen zahlreichen Erkern und Fassadenmalereien, über die der Munoth wie eine Landwacht hoch hinausschaut. Und Luzern mit seinen mit Schildereien geschmückten Brücken und seinen alten Zunft- und Rathäusern, von den alten Ringmauern und Türmen überragt - wie glücklich liegt es am Ende des Sees zwischen grünende Hügel gebettet. Unvergleichlich ist das alte Stadtbild, das Freiburg dem Besucher noch heute bietet.
Und wer ein Städtchen des Mittelalters mit seinen engen Gassen, den oben überkragenden Häusern, mit seiner Verbindung von städtischem und ländlichem Wesen sehen will, der braucht sich nur etwa Werdenberg oder manch' anderes Landstädtchen anzuschauen. Auch den Rhein entlang oder um den Neuenburgersee, im Aargau oder im Tessin, sowie anderswo hat sich in kleineren oder grösseren Städten, die etwas auf ihre Eigenart halten, noch manches anmutige Städtebild erhalten, das sich in angenehmer Weise von den schablonenhaften Städten unterscheidet, die ihren Stolz darein zu setzen scheinen, wie «alle Welt» zu sein.
Wenn wir von der «Wohnung» reden wollen, sehen wir also besser von den zu einem grossen Teil modernisierten Städten ab und beschäftigen uns hauptsächlich mit den ländlichen Ortschaften, wo sich die alte Tradition seit Jahrhunderten noch mehr oder minder unverändert erhalten hat.
Einen einheitlichen schweizerischen Baustil gibt es nicht, wohl aber eine ganze Anzahl von mehr oder minder lokalen schweizerischen Baustilen. Ein Engadinerhaus und ein Bernerhaus, ein appenzellisches und ein jurassisches Haus weisen nicht nur in ihrem Aeusseren,
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sondern auch in der Konstruktion und der inneren Einrichtung wesentliche Unterschiede auf; es gibt wohl kaum ein örtlich so beschränktes Gebiet, auf dem eine solche Mannigfaltigkeit der alt hergebrachten Bauweisen zu finden wäre, wie in der Schweiz. Die wesentlichsten Bauarten sind, von Westen nach Osten geordnet, folgende:
1. Das Jurahaus, den Berner Jura, die Kantone Neuenburg, Waadt, Genf und den grössten Teil des Kantons Freiburg umfassend. Charakteristisch für dieses Jurahaus ist die eigentümliche Vereinigung von Haus und Scheune unter einem Dach, in der Weise, dass die Scheune (grange) die Mitte des Gebäudes einnimmt; sie ist oft auf beiden Seiten von Wohnräumlichkeiten umrahmt, die in Mauerwerk aufgeführt sind, während die Scheune in Ständerbau erstellt ist. Das jurassische Haus tritt in zwei Hauptformen auf:
a) dasjenige des Berner Jura; sein Wahrzeichen ist das Küchengewölbe (la vôte) aus Tuffstein, das die Küche überspannt (vergl. den Grundriss des Jurahauses).
b) das Haus der übrigen französischen Schweiz, dessen Hauptkennzeichen das grosse Bretterkamin ist, unten bis 5/7 m im Geviert messend, mit beweglichem Holzdeckel; dasselbe erstreckt sich übrigens auch noch in deutsches Gebiet bis nach Obwalden. Die Küche bildet den Mittelpunkt der Wohnung, und das Kamin ist oft ihre einzige Lichtquelle (vergl. die Abbildung des Freiburger Hauses.)
Den Eingang zu dem meist einstöckigen jurassischen Haus bildet eine Art Vorraum, ein Hausflur (le devant-huis) zwischen den Wohnräumen und vor der Scheune, oft ohne Tor, von wo aus man direkt in Stall und Scheune, aber auch in die Wohnräume gelangt: die Küche, die Stube («pelyo» oder «pelo»),
Kammer und Keller. Die Dächer sind meistens mit groben Schindeln eingedeckt, seltener mit Hohlziegeln oder, in den an deutsches Gebiet grenzenden Gegenden, mit Stroh.
Es ist, als ob der Häuserstil des Jura sich den Bergformen des Landes anschliesse: den geringen Erhebungen und der gleichförmig welligen Bodengestaltung entsprechend sind die Häuser meistens niedrig und schmucklos;
die Bauten scheinen von der harten Arbeit der Landhauern vor der Einführung der Industrie zu sprechen.
2. Oestlich schliesst sich diesem jurassischen Haus das sog. dreisässige Haus, das Haus des schweizerischen Mittellandes von Freiburg bis Weinfelden, von Thun bis Basel an. Es hat seinen Namen von der fast stereotypen Anordnung der drei hinter- (oder neben-) einander liegenden Gemache: Stube, Küche und Hinterstube (bisweilen heller). Scheuer und Stallung sind mit dem Wohntrakt gleichfalls zu einem Einheitsbau, mit Giebelfront, verbunden. Vielfach treffen wir noch das hohe steile Strohdach, welches erst bei abnehmendem Getreidebau durch ein Schindel- oder Ziegeldach ersetzt wird. Dieser Häusertypus variiert stark von Kanton zu Kanton. Seine wichtigsten Vertreter sind:
a) Das Bernerhaus, z. B. das des Emmenthales (siehe Abbildung und Grundriss des Hauses in Heimenschwand). Es ist ein gewaltiger Bau, der Obdach für Menschen, Vieh und Vorräte aller Art bietet, so recht geschaffen als Mittelpunkt eines stattlichen Bauerngutes. Das gewaltige, mit Ziegeln oder mit Strohgedeckte Dach reicht bis fast auf den Boden und umgibt den ganzen Bau wie eine schützende Hülle, unter der er sicher ruht. Lauben umgeben das Haus auf mehreren Seiten, geschützt durch das weit vorragende Dach.
b) Das sog. Stockhaus im Kanton Solothurn, Alt-Aargau bis an die Reuss und Luzerner Gäu, trägt meistens noch das alte Strohdach, das freilich allmählig dem Ziegeldach weichen muss. Die Dörfer, obwohl zusammengebaut, bilden keine Reihen. Das Haus, Wohnung und Scheune mit Stall umfassend, ist ein Ständerbau, nur das eine hintere Gemach, der «Stock», von dem das Haus seinen Namen erhalten hat, ist gemauert. Wir geben hier die Abbildung eines Stockhauses aus dem Aargau.
c) Im Kanton Zürich und den östlich angrenzenden Gebieten herrscht, je weiter östlich wir vordringen, immer mehr der Riegelbau vor, der einen ganz schmucken Eindruck macht (vgl. das Haus aus Tobel); damit harmoniert eine eigentümliche, oft wiederkehrende rautenförmige Verzierung an Tenntoren und dergl. Neben dem Riegelbau finden sich auch nicht selten noch hölzerne Häuser in Block- oder Ständerbau.
3) Das Länderhaus, das seinen Namen wohl von den Ländern (d. h. den zum Dach verwendeten Holzschindeln) erhalten hat, ist das eigentliche schweizerische Gebirgshaus auf der ganzen nördlichen Abdachung der Alpen und zwar vom waadtländischen Pays d'Enhaut durch das Berner Oberland und die drei Urkantone bis nach dem Toggenburg, Appenzell und St. Galler Rheinthal; auch der Kanton Glarus und die deutschen Gegenden Graubündens, ebenso wie das Oberwallis zeigen mehr oder weniger den gleichen Typus. Seine einfachste Form zeigt obiger Grundriss eines Hauses aus dem Muotathal. Eigentümlich ist dieser Bauart, mit einzelnen Ausnahmen, die Trennung der Scheune vom Haus oder die Verbindung beider durch Kreuzfirst, sowie der überall vorherrschende Blockbau, d. h. die Wände bestehen aus mehr oder minder behauenen, oft auch rund belassenen Stämmen. Stube (und Nebenstube) liegen in der Regel am Giebel des
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Hauses, der Hauseingang, seitlich, führt direkt in die Küche oder in einen kleinen Flur.
Hauptvertreter des Länderhauses sind:
Typen schweizerischer Bauart.
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a) Das Berneroberländer-Haus. Es zeichnet sich aus durch sein «läges», d. h. wenig steiles Dach aus dicken Schindeln, mit grossen Steinen beschwert, durch meistens gekoppelte Fenster und durch mancherlei Schmuck: Inschriften, verzierte Dachpfetten, Kerbschnitzereien und Konsolen. Vergl. die Abbildung des Hauses in Lauterbrunnen.
b) Das Haus der drei Urkantone zeigt keine so einheitliche Form;
es hat im allgemeinen steileres Dach;
hie und da sind die Blockwände mit kleinen Schindeln (im Dialekt «Schüepli» geheissen) verkleidet;
an einzelnen Häusern findet sich das grosse Bretterkamin des jurassischen Hauses.
c) Das Appenzellerhaus, mit einigen Modifikationen auch in den angrenzenden Landschaften vorhanden, wird gekennzeichnet durch die reich gekoppelten Fensterreihen mit Ziehladen und durch die Vorliebe für Schindelbekleidung; beides gibt dem Haus, verbunden mit der bekannten Sauberkeit, etwas ungemein Freundliches und Wohnliches. Da die Dächer nicht so weit vorragen, werden vielfach über den Fensterreihen kleine Schutzdächer angebracht Vergl. die Abbildung des Hauses in Urnäsch.
d) Das deutsch-bündnerische Gebirgshaus gleicht am meisten dem Berneroberländer-Haus, nur ist es im allgemeinen einfacher und weniger stattlich. Allein auch hier finden wir die Vorliebe für Inschriften, für Lauben, die manchmal zierlich geschnitzt sind, für allerlei Verzierungen am Balkenwerk und an den Dachpfetten. Den schönsten Schmuck des Hauses bildet aber der selten fehlende Blumenflor auf den Fensterbrettern. Ein höchst einfaches Beispiel bietet unsere Abbildung des Hauses aus dem Prätigau.
4. Ganz verschieden von diesem deutsch-bündnerischen, wie überhaupt von dem Länderhaus, ist das Engadinerhaus, das freilich nicht auf das Engadin allein beschränkt ist, sondern auch in andere Thäler hinübergreift, sich aber doch am ausgeprägtesten und stattlichsten im Engadin zeigt. Das Engadinerhaus ist, mit geringen Ausnahmen, aus Stein oder aus Blockwänden mit Mauerverkleidung erbaut. Charakteristisch ist für dasselbe das mit Steinen oder mit steinbeschwerten grossen Schindeln gedeckte, wenig geneigte Dach; häufig finden sich alte
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Typen schweizerischer Bauart.
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Sgraffitomalereien an den Mauern und schöngeschmiedete Gitter an Treppenaufgängen und Fenstern. Die letzteren sind auffallend klein und schiessschartenförmig nach aussen erweitert. Im Innern betreten wir zuerst einen mächtigen Hausgang (sulêr), der nicht selten den halben Raum des Stockwerkes einnimmt und zu dessen Seite die Stube, die Küche und die Vorratskammer angeordnet sind; darüber liegen Schlafzimmer usw. Vom Sulêr führt ein Zugang direkt zur Scheune und zur Stallung, die mit der Wohnung unter einem Dache vereinigt sind. Das Engadinerhaus, peinlich sauber gehalten, macht einen sehr behaglichen und zugleich stattlichen Eindruck und verbürgt auf den langen strengen Winter einen gemütlichen Aufenthalt. Man vergleiche die Ansicht und den Grundriss eines Hauses aus dem Engadin.
5. Das Tessin zeigt im Hausbau keinen einheitlichen Charakter; einzelne Thalschaften, wie z. B. das Verzascathal, haben z. T. höchst primitive Wohnhäuser: der gleiche Baum dient mancher Familie als Küche, Stube und Schlafzimmer, die Fenster sind ohne Glas, im Winter mit Papier oder leinenen Lappen gegen den Wind geschützt;
die Häuser sind ganz gemauert, die Dächer mit Steinplatten gedeckt.
Die Gebirgsdörfer der obern Thalschaften haben vieles mit dem deutsch-schweizerischen Alpenhaus gemein, während das Sotto Cenere einen dem Engadinerhaus ähnlichen Typus aufweist und andere südliche Teile des Kantons schon ausgesprochen italienischen Charakter zeigen. Man vergleiche die Abbildung des Hauses aus Arbedo.
6. Das Wallis bietet im französischen und im deutschen Teil keine wesentlichen Verschiedenheiten; nur tritt, je höher die Lage, der Holzbau gegenüber dem Steinbau mehr in den Vordergrund; doch sind Keller und Saalstock regelmässig gemauert, ebenso die Küche im Wohnstock und Oberstock. Die Anlage stellt sich im allgemeinen zum Länderhaus, doch hat sie ihre Eigentümlichkeiten in der vertikalen Einteilung: Keller, «Saal» (Vorratskammer, auch wohl Schlafzimmer), Wohnstock, Oberstock und Estrich. Der Wohnstock ragt gewöhnlich über das Erdgeschoss vor; die Fenster sind in älteren Häusern meist gekoppelt. An hölzernen Häusern finden sich vielfach Verzierungen. Die Scheune ist in der Regel vom Hause getrennt. Vergl. die Abbildung aus Naters.
7. Das schwäbische Haus der Kantone Schaffhausen und Thurgau zeigt zwar manche Aehnlichkeit mit dem dreisässigen Haus, hat aber doch einige unterscheidende Merkmale: es ist vorzugsweise in Riegelwerk aufgeführt, dessen Holzwerk mit Vorliebe rot bemalt wird;
unter dem Wohnstock befindet sich ein Erdgeschoss, das Keller und Stall umfasst.
Die Scheune ist z. T. mit dem Wohnhaus unter gleicher First verbunden, z. T. freistehend davon getrennt. Als Beispiel geben wir die Abbildung eines Hauses aus Rüdlingen.
So verschieden nun diese Bauarten in der Schweiz sind, so sind doch auch mancherlei übereinstimmende Züge zu augenfällig, als dass sie übersehen werden dürften. So hat z. B. das jurassische Haus die Grundlage (Vereinigung von Wohnung und Scheune unter einer First) mit dem dreisässigen gemein; das letztere stellt sich in Konstruktion und Benennungen wieder zum schwäbischen Haus; dem Engadinerhaus ähnlich in der Anlage ist dasjenige des Sotto Cenere u. s. w.
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Typen schweizerischer Bauart.
Es ist nicht zu verkennen, dass ähnliche klimatische und sonst physikalische Ursachen zu Aehnlichkeiten in der Konstruktion führen mussten. Die Gegenden mit ausgedehntem Getreidebau begünstigen das steile Strohdach, solche mit reichen Wäldern das Schindeldach; der Blockbau ist nur in waldreichen Gegenden denkbar, wo hinwieder die Erfordernisse für den Mauerbau vielfach schwierig zu beschaffen sind. Die strengen Winter des Hochgebirgs zwingen zu besonders starker Dachanlage, zur Erstellung tüchtiger Wände und möglichst kleiner Taglichter.
Zieht man das alles in Betracht, übersieht man ferner auch nicht, dass die Grenzen zwischen den Bauarten keineswegs scharf zu ziehen sind, sondern dass vermittelnde Uebergänge dazwischen treten, und lässt man endlich auch der Individualität der Bauherrn und Baumeister ihr Recht wiederfahren, so bleibt doch noch die Frage offen - deren Lösung freilich noch abzuwarten ist - ob nicht in der Verschiedenheit der Hausanlage ein ethnographisches Kriterium zu finden sei. Es ist dabei auch in Betracht zu ziehen, dass die oben angeführten Haustypen nicht etwa auf das Gebiet der Schweiz beschränkt sind, sondern über dasselbe hinausgreifen und mit den Typen der Nachbarländer zusammenhängen. Das jurassische Haus setzt sich jenseits des Doubs in Frankreich fort, das dreisässige Haus in Solothurn geht über in das Bauernhaus des Grossherzogtums Baden, das thurgauische Haus hat seine Fortsetzung jenseits des Bodensees, das Länderhaus der Schweiz und das des Vorarlberg sind Brüder, und das Engadinerhaus wiederholt sich mit Modifikationen im angrenzenden Tirol.
Eigentümlich aber ist der Schweiz das Zusammentreffen so vieler Bauarten auf so kleinem Gebiete.
Bibliographie:
Gladbach, E. G. Der Schweizer Holzstil in seinen kantonalen und konstruktiven Verschiedenheiten. Zürich 1882 ff. -
Gladbach, E. G. Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19. Jahrhundert. Berlin 1893. - Bauwerke der Schweiz; herausgegeben vom Schweizer. Ingenieur- und Architektenverein. Zürich 1896 ff. -
Fatio, G., und G. Luck. Augen auf! Schweizer Bauart alter und neuer Zeit. Genf 1904. - Hunziker, J. Das Schweizerhaus nach seinen landschaftlichen Formen und seiner geschichtlichen Entwicklung. Aarau 1900 ff. (Bisher erschienen: I. Wallis; II. Tessin; III. Graubünden nebst Sargans, Gaster und Glarus; IV. Der Jura).
[Prof. Jecklin.]
III. Volkstrachten.
Ein sehr interessantes Kapitel in der allgemeinen Kostümkunde bilden die Volkstrachten. Es ist zu bedauern, dass denselben bis in jüngste Zeit keine grosse Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
Eine Volkstracht ist eine Kleidung, welche ihre speziell typischen Schnitte, Farben und Bestandteile aufweist, nur in gewissen Bezirken oder Landesteilen vorkommt und dadurch die Träger und Trägerinnen kennzeichnet. Die Volkstrachten haben sich aus den Patriziertrachten des 18. Jahrhunderts entwickelt. Als der pracht- und farbenliebende Hof Frankreichs seine Strahlen weit in die andern Länder hinaus sandte, fanden auch in der Schweiz die höhern Stände keinen Gefallen mehr an den nach steifen, strengen Regeln des 17. Jahrhunderts gemachten Kleidern.
Schon lange waren die Kleider-Mandate als eine lästige Institution empfunden worden. Da sie überdies sehr lax und willkürlich gehandhabt und noch weniger befolgt wurden, liess man sie eingehen. Lustig und frei flatterten die buntblumigen Stoffe herbei, und bauschig, leicht gestalteten sich die Kleider. Auch im Bauern regte sich der Nachahmungstrieb, auch er wollte Farben haben. Er behielt die alten Schnitte und die alten Formen der Patrizier bei und machte sie sich zurecht. Liebevoll behielt er auch noch manches Stück seiner frühern Kleidung unverändert bei; so entstanden die lokalen Trachten, die mancherorts wunderliche Blüten trieben.
Das eine hatten alle Trachten gemeinsam: sie waren farbenreich, was besonders bei den damaligen Hochzeits- und Tauffesten zu schönster Geltung kam.
Leider besitzen wir aus dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts nur ganz wenige und unvollständige Aufzeichnungen über die Trachten. Am lehrreichsten und besten sind die Bilder des Malers Freudenberger, der jedoch nur Bern und seine Trachten berücksichtigte, während sich Reinhardt, König und etwas später Ludwig Vogel mit ihren Bildern grosse Verdienste um die Trachtenkunde des ganzen Schweizerlandes erworben haben.
L. Vogel hat in der Blütezeit der Volkstrachten gelebt, und wir verdanken seinen Detailzeichnungen und Skizzen eine Reihe wertvoller Aufschlüsse über Eigentümlichkeiten, die sonst unverständlich wären. Die von ihm mehrmals angebrachte Notiz «Aeltere Tracht» bezeichnet das, was zu seiner Zeit (etwa 1800-1840) schon im Abgang war. Kurz nach ihm beginnt ein Verblassen, Verwelken der Trachten. Die leuchtenden Farben verschwinden, sie machen da und dort dunkeln Platz.
Statt der bunten Bänder werden Silberketten angebracht; der Silberschmuck wird stets reicher, prahlerischer. Aeltere Trachtenstücke werden abgelegt. Modeströmungen lassen sich durch fast alle Trachten hindurch erkennen. Eine ganze Tracht verschwindet: die Guggisberger, die originellste der Schwer. (Das Bild in diesem Lexikon [Band I, S. 212] ist unrichtig, indem der Gürtel zu weit unten sitzt). Andere folgen, z. B. die Hallauer, von der mir im Jahr 1897 ein alter Geistlicher daselbst erzählte, er habe die letzte Trauung im Schappel (Hochzeitskrone) im Jahr 1840 vollzogen.
Wohl erhielt sich im Kanton Schaffhausen eine Tracht, aber eine völlig veränderte, zuerst noch grün in der Farbe, bald aber nur noch schwarz. Als jüngstes Beispiel können wir die Tracht in Appenzell I. R. anführen. Dort, wo das Volk an allem Althergebrachten, so auch an der Tracht, am zähesten festgehalten hat, können wir den Zerfall der Tracht heute verfolgen. Vor nur zwanzig Jahren trug noch jedes weibliche Wesen eine Tracht: die Frauen rote Kappen, die Mädchen sorgfältig gewellte Haare. Jede Frau, auch wenn sie in der armseligsten Hütte wohnte, verwahrte sorgfältig in einer Truhe ihren Sonntagsstaat, bestehend in einem roten Rock, einer farbigen seidenen Schürze und Brüchli. Dabei lagen silberne Ketten, Haften und Anhänger, für die oft der letzte sauer erworbene Rappen ausgegeben worden war. Heute wird der Hochzeitsanzug, den sich die Reichen anschaffen, nur aus schwarzen Stoffen hergestellt. Der kleine weisse
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Brustfleck, sowie das schwarze Brüchli werden mit Flitterplättchen etwas bestickt. Solch' einer schwarzen Tracht sind besonders junge Leute bald überdrüssig, die abwechslungsreiche Mode gefällt besser und die so viel Geld kostende Tracht wird nicht mehr angeschafft. Die schwarze Tracht ist die letzte Stufe vor dem gänzlichen Abgang. Die bunte «alte» Tracht ist blos Festtracht. Wir haben also in den Volkstrachten eine Erscheinung, die durchaus nicht, wie die allgemeine Auffassung meint, eine Jahrhunderte lang unverändert getragene Kleidung war, sondern eine ziemlich rasch vorüberziehende Mode.
Die Männertrachten zeigten in der ganzen Schweiz eine grosse Uniformität. Nur wenige Gegenden behaupteten eine typische Tracht. Das Hemd hatte schon am Ende des 18. Jahrhunderts seinen Kranzkragen oder «Kröss» verloren und statt dessen ein «Brisli» oder einen hohen Kragen, den «Vatermörder», erhalten. Leinene «gekratzte» (feingefältelte) «Flotter- oder Pluderhosen» wurden vorherrschend. Das waren Abkommen der Landsknechthosen des 16. Jahrhunderts. Sie reichten bis zu den Knien herab und nur knapp über die Hüften herauf.
Ihr Festsitzen war oft mit Schwierigkeiten verbunden, da es damals noch keine Hosenträger gab. Sie besassen auch keine Knöpfe; Bändel oder Schnüre hielten sie zusammen. Das Schweizerische Landesmuseum besitzt aus dem Kanton Bern, wo die Leute bekanntlich meist gross und stattlich sind, Originale solcher Kniehosen, die eine Höhe, resp. eine Länge von nur 60 cm haben. Erst die breiten «Latzhosen» bekamen Knöpfe und waren aus Leder, Samt oder Wollenstoff, allenfalls auch aus Leinen hergestellt.
Rote Westen wurden überall getragen, zuerst lange, dann kurze. Bis heute haben sich die letztern bei den Sennen im Toggenburg und in Appenzell I. R. erhalten. Die «Röcke» erhielten um etwa 1700 die Form mit langen Schössen. Vielfach dienten Metallknöpfe als Verzierung. Vorherrschend waren die Röcke aus grober Leinwand oder Zwilch verfertigt, aber auch in hellerem oder dunklerem Wollenstoff - grau, blau oder rostigrot - beliebt. Sehr oft vertrat der «Lender» die Stelle des Rockes.
Das war eine Art Weste mit oder ohne Aermel. Ein anderes merkwürdiges Kleidungsstück hatte sich im Aargau als Tracht kurze Zeit festgesetzt. L. Vogel bezeichnet es in einer Skizze als «ältere Tracht», Reinhardt bildet es ebenfalls ab, und das Historische Museum in Bern besitzt ein Original, das mit der Jahreszahl 1733 bestickt ist. Diese Form stammt, wie die Flotterhosen, von den Landsknechten her, also aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Der Kittel war aus grober, ungebleichter Leinwand, der Rücken mass nur 16 cm in der Höhe. Die Schuhe, auch die Frauenschuhe, waren ausgeschnitten und hatten auf dem Fussrist einen mit Löchlein verzierten Ueberschlag, die «Lasche», von rotem oder schwarzem Leder. An diese Stelle setzten sich später die Schnallen. Als Kopfbedeckung dienten breitrandige hohe oder kleine flache Filzhüte, später Dreispitze, Zipfelmützen und verschiedene Arten von Kappen.
Leinene Flotterhosen mit angesetzten Strümpfen aus gleichem Stoff, weissleinene «Schossröcke» und rote Westen wurden im Wehnthal am längsten, bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus getragen. Dieser Anzug war so stabil geblieben, dass er zur typischen Wehnthalertracht geworden ist. Typisch waren auch die Hallauer gekleidet. Sie gingen vorherrschend in schwarzen gekratzten Zwilchhosen und Kittel, dessen Schnitt denjenigen der Pfarrer und Prädikanten aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts nachahmte, wie wir es bei Reinhardt sehen.
Eigentümlich sind die Hosenträger, welche über die Weste lagen. Im Jahr 1854 soll der letzte Mann, der den Pluderhosen treu geblieben, gestorben sein. Während sich die Toggenburger mit einer gestickten roten Weste und einem bunten Strauss am Hut begnügen, kleiden sich die Sennen Innerrodens in einen schmucken Anzug. Ihre Tracht, wenn sie zur Alpfahrt ausziehen, besteht aus einem Hemd, auf dessen Brust weiss gestickte Kühe zu sehen sind, und aus gelben, eng-anschliessenden ledernen Kniehosen, deren Träger mit Kuhfiguren aus blankem Messing verziert sind. Dazu wird ein buntes Tuch umgegürtet. Die Weste ist rotwollen und mit silbernen Knöpfen besetzt. Auf dem Hut befinden sich Blumen und Silberschnalle. Im Ohr hängt das Sennenzeichen, der vergoldete Sennenschöpflöffel, und im Mund steckt die silberbeschlagene Tabakpfeife.
Im Kanton Bern und in Freiburg haben sich allmählich kurze Puffärmel an den Lender der Sennen festgesetzt; dieser selbst ist zu einem schwarzen Samttschoppen geworden. Kniehosen werden keine mehr getragen.
In den Urkantonen und in Glarus bedienen sich auch heute noch die Heuer eines weissen Hemdes, das mit einer Kapuze versehen ist. Sie schützen die Füsse durch sog. «Holzböden», d. h. mit sehr grossen Nägeln besetzte Sandalen aus Holz. Lederriemen dienen zur Befestigung.
In Unterwalden wurden die enganschliessenden «Latzhosen» getragen, ebenfalls sehr kurz. Der breite Latz war auf beiden Seiten bestickt. Die breiten Ledergürtel scheinen mehr als Leibschmuck, als gerade zum Halten der Hosen gedient zu haben, denn gewöhnlich ist das Hemd zwischen beiden handbreit sichtbar. Ob die Männer nur bei gewissen Anlässen, wie das im Lötschenthal vorkommt, Frauenhüte aufsetzten, oder ob das allgemeine Tracht war, ist noch nicht festgestellt. Die heute so beliebten bestickten Blusen sind eine erst seit kurzer Zeit aufgekommene Mode. Dass die Burschen stets ein künstlich gemachtes Edelweiss auf den Hut stecken, ist merkwürdig. Jeder hat doch auf seinen Bergen schon echte gepflückt, die, wenn sie gepresst sind, sich jahrelang halten.
Ueberall trugen die Männer zu den Leichenbegängnissen grosse schwarze Mäntel; auch die Frauen bedienten sich, z. B. in Freiburg, einer eigenen Trauerkleidung, während die Frauen anderwärts nur gewisse Abzeichen trugen, so in Appenzell I. R. die «Stuche», ein langes weisses Tuch, das in die Flügelhaube («Schlappe») eingeheftet wurde und über den Rücken hing.
Im Gegensatz zu der Uebereinstimmung der Männertrachten bieten die
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Frauentrachten eine überaus grosse Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit. Meistens genügt ein einzelnes Stück, um die ganze Tracht zu bestimmen, so sehr ist ihnen der Stempel der Originalität aufgeprägt.
Jede Tracht hat z. B. ihr ganz bestimmtes «Schappel» d. h. Hochzeitskrone. Die höchste ist diejenige von Hallau, sie misst in der Höhe bis 28 cm; die kleinste gehört ins Haslethal und misst 3 cm im Umfang, sowie 8 cm in der Höhe.
Ebenso ausgeprägt ist der Schmuck. Nur zur Freiamttracht gehörten Gürtel aus versilbertem Kupferdraht, mit farbigen Glassteinen besetzt; nur zur Freiburgertracht das riesige silberne «Agnus Dei», d. h. der Anhänger, u. s. w. «Gekratzte Jüppen» hiessen die Röcke, welche in ganz enge, kleine Falten gepresst und an das Mieder festgenäht waren. Solche wurden im Wehnthal und Knonaueramt, in Hallau, im Freiamt, in Appenzell, Solothurn, Freiburg, Guggisberg und Basel getragen.
Aber jede Jüppe ist ihrer Herkunft nach leicht zu bestimmen. Im Wehnthal waren sie aus schwarzem, im Knonauer Amt aus blauem Zwilch verfertigt. In Hallau hatte man erst ausschliesslich grüne Jüppen, an denen man unten im Saum die roten breiten «Endi» sichtbar werden liess. Im Freiamt waren die Jüppen ans zwei verschiedenen Farben quer durch zusammengesetzt. Die spätern schwarzen Röcke hatten oben an der Taille rote Wollenbänder aufgesetzt. In Appenzell bestehen sie seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts aus feinem Wollenstoff und sind nie am Mieder angenäht.
Die Freiburgerjüppen sind aus feinem roten oder schwarzen Wollenstoff ohne Saum verfertigt; die roten haben gelbseidene Bänder aufgesetzt. Die Basellandschäftlerinnen legten den schon gefältelten Stoff nochmals in tiefe Falten. Sogar viele «Fürtücher» oder Schürzen sind sofort zu kennen, ebenso die Brusttücher und Göller. Schwarz war die Farbe der Mädchen, weiss die der Frauen. Schwarze oder farbige Göller trugen die Ledigen im Wehnthal, weisse die Verheirateten schwarze Flügelhauben die Mädchen in Schwyz, weisse die Frauen.
Die Kantonsgrenzen sind nicht massgebend für die Verbreitung der Trachten, sondern die Bodengestaltung, die für sich abgeschlossene Gegend. So haben wir bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts keine Luzerner- oder Zugertracht, sondern die des Freiamtes, welche das ganze Thal der Reuss beherrschte, also einen Teil des Aargaues, dann ein Stück von Zug und über Luzern hinauf noch das Entlebuch umfasste. Die Wehnthalertracht reichte von der Mündung der Limmat bis gegen Zürich hinauf.
Eine andere Zürchertracht breitete sich über das Rafzerfeld aus, während die dritte nur im Knonaueramt zu finden war. Im Thurgau, St. Gallen und Appenzell wurden die Trachten nur von der katholischen Bevölkerung festgehalten, während die Reformierten dieselben früh ablegten. Aehnlich war es in Freiburg, wo nur die deutschsprechenden Katholiken ihre typische Tracht hatten, die Welschen aber, die Haarfrisur und den Hut abgerechnet, mit der herrschenden Mode schritten.
Im Kanton Bern weisen das Simmenthal und das Haslethal mit dem Hasleberg zusammen ihre speziellen Trachten auf. Die Gegend um Guggisberg herum hatte ihre eigene Tracht, ebenso auch das Seeland; der Aare entlang bis zu ihrer Mündung im Aargau hinunter herrschte wieder eine andere Tracht.
Die interessanteste, wenn auch nicht die sich am schönsten präsentierende Tracht der Schweiz ist diejenige von Guggisberg. Die Jüppe reichte kaum bis auf die Knie herab, und die Strümpfe stiegen nur knapp über die Waden herauf, so dass die Knie nackt und sichtbar blieben. Dies mag der Grund dafür gewesen sein, dass die Tracht schon in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts gänzlich abgelegt wurde. Glücklicherweise besitzen das Schweizerische Landesmuseum, das Historische Museum in Bern etc., sehr gute und vollständige Originaltrachten.
Das Hemd ist auf der Brust handbreit sehr fein und dicht gefältelt, und um den Hals schmiegt sich ein sehr kleines, enges Göller. Die Jüppe ist aus zweierlei schwarzen Stoffen zusammengesetzt. Die obere Hälfte ist Zwilch, die untere grobe Wolle. Das Mieder ist kurz und klein und dennoch aus mehreren Teilen mittels hübscher gelbseidener Zierstiche zusammengesetzt. Die merkwürdige Schürze besteht aus glänzend gesteifter schwarzer Leinwand. Die obere Hälfte ist mit 40 durch den Stoff gezogenen Fäden zusammengezogen und erhält dadurch noch mehr Steifheit. Der Kürze des Mieders wegen wird sie direkt unter der Brust mit zwei Knöpfen an das Mieder angehängt. Da alle Stücke dieser Tracht aus dunkeln, meist schwarzen Stoffen angefertigt sind, hat sie ein unscheinbares Aussehen. Die Braut bekommt höchstens einen kleinen rotsamtenen Brustfleck, von welchem eine bunte Bandschleife herabhängt, die an einem schmalen Glasperlengürtel befestigt ist. Auf den Kopf wurde eine kleine Flitterkrone gesetzt.
Das Gegenstück zu dieser Tracht ist die farbenreiche Bauerntracht des Berner Seelandes: Blau der Rock mit rotem Saum, rot das Mieder, gelb der Vorstecker. Das Mieder bezeugt durch seine hohe, steife Form und den gestickten Vorstecker seine direkte Abkunft von den Patrizierkleidern. Wohl haben wir die reizenden Bilder von Freudenberger von dieser frischen Tracht, aber kein Originalstück scheint erhalten gehlieben zu sein. Die andere Tracht aus der Gegend von Bern, die mehr städtisch war, hat einen dunkeln Rock und ein Mieder aus schwarzem Samt, ferner eine Samtkappe, die von einer in die Höhe stehenden Rosshaarspitze umrandet ist. Diese Tracht wurde nach und nach reich mit silbernen Ketten und Rosetten behängt. Kostbare seidene, farbige Schürzen kamen dazu, und so ist die heutige Berner Festtracht entstanden.
Auf dem Lande zwischen Bern und Thun sah ich im Sommer 1905 die Frauen und Mädchen im Korsett, wie es die Städterinnen tragen, ihre Feldarbeit besorgen - wohl die letzte Erinnerung an das Mieder. Den Simmenthalerinnen verlieh ihre einfache Tracht eine gewisse Eleganz. Sie trugen einen langen, schwarzen Rock mit gleicher Jacke, den Halsausschnitt mit weissen Spitzen gefüllt. Schmuck fehlte. Das grosse schwarze Halstuch war mit breiten Fransen besetzt. Die Haube liess über die Stirne und seitlich bis auf die Schultern eine breite schwarze Spitze hängen.
Im Haslethal und auf dem Hasleberg finden wir heute noch bei ältern Frauen die letzten Stadien einer ganz typischen Tracht. Diese arbeiten heute, wie ehemals, nur mit einem Rock und Hemd bekleidet auf dem Felde; der Rock wird von Trägern, sog. «Bretscheln», gehalten. Höchstens wird bei den Achseln ein gewürfeltes Tuch unter die Träger gesteckt, damit dasselbe über die Brust falle. Dieser Rock ist heute dunkelblau, wie auch der Sonntagsrock, der in eigenartiger Weise aufgeschürzt wird, wobei der rote Saum zu hübscher Geltung kommt. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts bestand der Rock aus weisslichem Wollenstoff und reichte in breiten Falten bis auf den Boden.
Der Saum war schwarz wie das Mieder und das enganschliessende Göller, das den richtigen Namen «Würgetli» führt. Sehr interessant ist das Filzkäppli, das zwischen den Zöpfen sass. Die Patrizierinnen trugen im 17. Jahrhundert die gleiche Form über weisse Hauben aufgesetzt. Ein ähnliches Hütli muss auch laut Bildern bei der Freiburgertracht und ein verwandtes in Hallau üblich gewesen sein; leider findet sich aber, so viel mir bekannt, kein einziges Original mehr vor. Zur Hochzeit oder als Taufpatin steckte man auf dieses Hütli, «Hirzi» genannt, das «Kränzli», d. h. die kleine Flitterkrone. Nicht unerwähnt darf der noch hie und da getragene Strohhut bleiben, der mit seiner breiten und gerade aufsteigenden Kopfform von den übrigen Hutformen mit breitem Rand abweicht.
Die katholischen Freiburgerinnen liebten neben schwarzen noch vorzugsweise rote «Jüppen». Das Mieder besteht ebenfalls aus rotem Tuch. Statt der Hemdärmel sind enge rote Aermel einer Unterjacke sichtbar. Ueber dem buntfarbigen Brusttuch hängt an silberner Kette, wie wir gesehen, ein riesiges silbernes Medaillon. Das Göller ist von schwarzem Samt, und darüber liegt ein dreifacher blauer Radkragen, wie ihn die Patrizier bis Ende des 17. Jahrhunderts getragen haben. Diese Tracht hat keine grossen Veränderungen erlitten, wird aber nur noch bei Prozessionen oder Kirchenfesten angezogen.
Im benachbarten Pays d'Enhaut wurden einfache Mieder getragen, auf dem Kopf eine schwarze Haube, auf welcher wiederum ein Hut sass, der auf der runden
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Kopf-.
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Schweizerische Volkstrachten.
1. Brauttracht aus Guggisberg;
2. Braut aus Hallau (Schaffhausen); 3. Bauer aus dem Wehnthal (Zürich); 4. Senn aus Appenzell A. R.; 5. Urner Senn. 6. Freiburger Prozessionstracht; 8. Basler Bäuerin. 10. Jungfrau aus Unterwalden. 12. Ratsherrenfrau aus Schwyz (1820);
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erhöhung einen Auswuchs in Form eines Stöpsels hat. Die heutige Festtracht der Waadtländerinnen, wie sie die Winzerfeste vorführen, ist zum grossen Teil das Produkt der neuesten Zeit, resp. dieser Feste.
Die Westschweiz ist überhaupt arm an Trachten; Genf hat keine aufzuweisen, ebenso wenig Neuenburg. Die weissen Hauben und die grossen Halstücher, die als dortige Tracht bezeichnet werden, sind verspätete französische Mode.
Dagegen hat Basel Land seine Tracht. Die Jüppe heisst baslerisch «Junte». Reiche Bäuerinnen liessen das farbige Samtmieder und das Göller oft reich mit Seide und Glasperlen besticken. Das seidene Halstuch der Baslertracht hat seinen speziellen länglichen Zuschnitt. An Werktagen trug man die kleine schwarze Kappe, bei Hochzeiten und Festen dagegen die weisse, reich bestickte. Wenn die Haarfülle zu gross war, schnitt man heraus, was sich nicht in das Käppli drücken liess.
Die Solothurnertracht war der Basler nahe verwandt und stimmte auch in den prächtigen Filigran-Anhängern und -Gürteln mit jener überein. Als Gegenstück der winzigen Kappe fand sich hier eine riesige Haube mit darauf gesetztem, breitrandigem Strohhut.
Ende des 18. Jahrhunderts war im Frickthal die auch im Schwarzwald getragene Tracht zu Hause. Sie ist farbenreich und zeichnet sich durch einen seltsam verbogenen Hut aus.
Die farbenreichste und über den grössten Bezirk sich ausdehnende Tracht war diejenige des Freiamtes. Schon gegen die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts wurden die Jüppen nicht mehr aus zwei und drei verschiedenen Stoffen und Farben zusammengesetzt, sondern allmählig aus schwarzem Stoff gemacht. Auch die bunten, bestickten Kappen machten den schwarzen Platz. Die bunten Bänder wurden durch Silberketten und Filigranrosetten ersetzt. Auch die flachen, riesigen Stroh- und Filzhüte, «Bindellenhüte» genannt, verschwanden. Fast ebenso buntfarbig, aber reicher bestickt, war die Tracht in Unterwalden. Auch hier ist Göller, Brust und Gürtel reich bestickt, der Rock aber aus gestreiftem oder karriertem «Guttuch» verfertigt. Verschiedene typische Haarfrisuren und Häubchen bezeichneten die verschiedenen Stände. Reich ist der Schmuck der Bewohnerinnen «Nid dem Wald».
Der Kantonsteil «Ob dem Wald» zeigte sehr einfache, meist dunkle Kleidung und keinen Schmuck, doch eine sehr charakteristische Haartracht, welche jeweilen nur Sonntags von den Frauen gegenseitig neu gemacht wurde.
Im Kanton Uri trugen die Frauen eine eigenartige, fast topfähnlich aus schwarzen Strohbändchen hergestellte Kopfbedeckung, in deren Mitte ein Nestchen von weissen Spitzen sass.
Im Muotathal galt wieder das Schäppeli als Hochzeitskrone, und im Thal von Schwyz wurde das «Coafli» zum Kirchenbesuch aufgesetzt. Acht Tage lang nach der Hochzeit durfte noch die Jungfernhaube, die sog. «Rosenhube» benützt werden. Ein in die Höhe stehender, aus schwarzen Spitzen gebildeter Kamm lief von der Stirn in den Nacken und teilte sich daselbst. Der Spitzenkamm der Verheirateten war weiss. Das besondere Abzeichen der Ratsherrenfrauen war ein zwischen die Spitzen gesteckter, hochstehender Kranz von Rosen und Vergissmeinnicht. Als Zeichen der Trauer wurden schwarze Blumen aufgesteckt.
Das Glarnerland hat von seiner Tracht nicht viel mehr als die typische Kopfbedeckung: die dunkle «Zughaube», unter welcher zu beiden Seiten steif vorspringende Spitzen der «Kranzkappe» hervorschauen. Infolge der einheimischen Produktion von bedrucktem Kattun wurden viele Kleider von diesem Stoff verfertigt. Schauen wir uns im Toggenburg um, so finden wir, dass dort die katholischen Frauen eine schwarze Flügelhaube trugen, in welche die Verheirateten eine Haube aus weissen Spitzen einhefteten, während bei den Mädchen die dazwischen sichtbaren Zöpfe mit einem Pfeil durchstochen wurden. In Appenzell I. R. hat sich die «Schlappe» als Kopfputz bei Kirchenfesten bis heute erhalten. Die schwarzen Flügel stehen bis zu 22 cm in die Höhe, und dazwischen liegt nicht nur eine weisse Spitzenhaube, sondern auf dieser ruht noch eine goldgestickte Kappe, von der eine rotseidene Bandschleife herunter hängt.
Die Wehnthalertracht hat eine gekratzte Jüppe aus schwarz gefärbter Leinwand. Diese ist sehr kurz, damit der rotseiden besetzte Unterrock sichtbar bleibt. Eine reiche Bäuerin trug mehrere solcher übereinander. Das Brusttuch besteht aus rotem Tuch, oben mit schwarzem Samt, zu beiden Seiten mit blauen Moirébändern besetzt. Ebensolches musste auch von der Untertaille um die Armausschnitte sichtbar sein. Die sog. «Schächkappe» der Verheirateten ist eine über das Gesicht vorspringende Rosshaarspitze, die an einer Kappe festgemacht ist. Die Ledigen banden das «Hütli», ein Samtband, dessen spitzenumrandete Enden auf die Schultern fielen, um den Kopf. Die modernisierte Tracht wird mehr nur als Reklame auf dem Gemüsemarkt in Zürich angetroffen.
Die Tracht des Knonaueramtes wurde westlich vom Uetliberg getragen. Die Trägerinnen dieser Tracht erhielten den Spottnamen «Burefeufi». Der Rücken des Mieders war mit einem Band besetzt, welches ein römisches V bildete. Fünf heisst im Zürcher Dialekt «feufi». Ein «Burefeufi» ist also eine Frau mit einem «Feufi» auf dem Rücken; heute versteht man darunter eine linkische Person. Der gestreifte leinene Schürzenstoff wurde quer verwendet und mit einer doppelten Kreuzstichnaht mit rotem und mit weissem Faden ausgeführt.
Die leinene Kappe hat die Form aus dem 17. Jahrhundert behalten. Die auf dem Rafzerfeld herrschende Tracht ist, wie aus der Lage dieses Kantonsteiles begreiflich erscheint, eine Verwandte der Schaffhausertracht. Der vielfaltige Rock aus Zwilch hat unten herum einen Samtsaum. Die Schürze ist blau. Während der Schnitt des Mieders von Hallau angenommen wurde, ist die Faltung der Hemdärmel den Zürchern nachgeahmt worden. Die Silberketten, welche sich auf dem rot mit schwarzem Samt besetzten Brusttuch kreuzen, und das mit Röslein besetzte Göller bezeugen, dass diese Tracht erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an getragen wurde.
Das Wallis bietet eine reiche Auswahl von interessanten Trachtenstücken, wenn auch die ganzen Trachten sehr einfach und übereinstimmend sind. So finden wir heute noch im mittleren Rhonethal den merkwürdigen Hut, von dem das Sprichwort sagt: «En Wybergrind kost' es Zitrind». In Brig berichteten mir alte Frauen, dass ein solcher Hut 20-60 Franken gekostet habe. Er ist aus weissem Stroh gemacht, hat einen hohen Kopf, der mit breiten Bändern umgeben ist, welche je nach der bestimmten Gelegenheit, für welche der Hut aufgesetzt wird, aus blauem, rosa oder schwarzem Samt bestehen und oft reich mit Silber oder Gold bestickt sind. Der schmale Rand ist bedeckt von einem Zopf, «Kräss» genannt, zu dessen Fältelung 35-40 Meter schwarzes Seidenband nötig sind und der von einer Kröslerin in 2-3 Tagen erstellt wird. Das Band sei nicht mehr im Handel erhältlich, und daher werden die alten Zöpfe so lange als möglich auf neue Hüte übertragen. Um Savièse herum und im Val d'Hérens sind die Haarflechten kreuzweise mit einer aus Messingdraht eigentümlich gebogenen Haarnadel festgesteckt.
Im Lötschenthal hatte sich die französische Mode vom Anfang des 18. Jahrh. zur Volkstracht ausgebildet, und zwar für Männer- wie für Frauenkleider: also städtischer Schnitt in selbstgewobenem rauhem Tuch ausgeführt. Die Farbe der Frauenkleider war rostbraun, die der Männer oft weissgelb. Eine weisse Haube und darüber ein kleines Filzhütli bildeten den Kopfputz. Zur Hochzeit kam das «Kränzli», d. h. die kleine Flitterkrone auf den Kopf, und das «Büscheli», ein Flitternetz, bedeckte den «Tschüpen», d. h. die zusammengerollten Haare am Hinterkopf. Es herrscht hier eine merkwürdige Sitte: Wenn die Männer, statt auf die Alpen zu gehen, Stall- und Hofarbeit verrichten, setzen sie Frauenhüte auf, zum Zeichen, dass das Frauenarbeit sei. Einer anderen Merkwürdigkeit begegnen wir im Val d'Illiez. Dort tragen die Frauen, heute allerdings selten, dunkle, lange Männerhosen, um an den steilen Abhängen dem Vieh nachzusteigen und ihre Feldarbeit zu besorgen, was natürlich sehr praktisch ist. Recht malerisch wissen sie ein feuerrotes Tuch so um den Kopf zu schlingen, dass der eine Zipfel auf den Rücken, der andere dagegen graziös über die rechte Schulter auf die Brust fällt.
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Schweizerische Volkstrachten.
7. Waadtländer Festtracht;
9. Freiämtler Tracht;
11. Glarnertracht. 13. Arbeitskleid aus dem Knonaueramt (Zürich); 14. Brautanzug aus dem Knonaueramt (Zürich); 15. Tracht des Rafzerfeldes; 16. Lötschenthaler Hochzeitsleute (Wallis); 17. Leute aus Conthey (Wallis); 18. Tracht des mittleren Rhonethales; 19. Frau aus der Brianza (Tessin); 20. Tracht des Verzascathales;
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Reicher und mannigfaltiger an Trachten als das Wallis war der weitverzweigte Kanton Graubünden mit seinen isolierten, oft völlig abgeschlossenen Thälern. Das meiste ist freilich verschwunden, vergessen. Wenn alle Trachten des Kantons beisammen wären, würden sie eine eigene kleine Sammlung für sich bilden, wie aus dem Album für rätische Trachten ersichtlich ist. Die Leiter der im Jahr 1899 stattgehabten Calvenfeier hatten sich grosse Mühe gegeben, die Darsteller in möglichst getreuen Trachten auftreten zu lassen. Manch' vergessene Truhe und manch' dunkler Winkel wurden deshalb durchsucht und förderten Originalstücke Tageslicht.
Im südlichen Tessin findet sich eine Tracht, die stark an Italien erinnert. Die Frauen der Brianza stecken rund herum in die Zöpfe des Hinterkopfes mehr als zwanzig silberne Löffelpfeile, die wie ein Strahlenkranz in der Sonne blitzen. Die Hirtinnen des Maggia- und Verzascathales haben ein so kurzes Mieder, dass die Schnürung oberhalb der Brust sich befindet. Der Rock ist aus 16 je 20 cm breiten Streifen von dickem, haarigem Wollenstoff zusammengesetzt. Die Füsse stecken in Zoccoli, und die Waden werden durch dicke Wollstoffrohre geschützt.
Im Jahr 1896 verfiel der Lesezirkel Hottingen-Zürich auf die Idee, ein schweizerisches Trachtenfest, verbunden mit Vorführung alter Spiele, Tänze, Gesänge und sonstiger Gebräuche, zu veranstalten. Jedes Thal wurde durchstöbert; alte Leute wurden ausgefragt, alte Bilder besehen; man suchte das Verborgene, das Vergessene hervor. Dies gelang vortrefflich, so dass die ganze Veranstaltung zu einem geradezu vaterländischen Fest wurde. Aus allen Gauen kamen Leute, mit alten Schätzen beladen, herbei, um mitzumachen.
Der Direktor des damals im Bau begriffenen Schweizerischen Landesmuseums benutzte freudig die Gelegenheit, für eine Trachtensammlung zu erwerben, was irgendwie erhältlich war. Als dann zwei Jahre später zur Eröffnung des Landesmuseums nochmals ein Trachtenfest arrangiert wurde, war es möglich, so zu sagen in zwölfter Stunde noch mehr Erwerbungen zu machen. Das Landesmuseum besitzt heute die weitaus reichhaltigste und interessanteste Trachtensammlung der Schweiz. Von grosser Bedeutung ist nun, dass auch die kantonalen Museen angeregt wurden, ihr Augenmerk den Trachten zu schenken. Somit bleiben die verschwindenden Trachten doch nicht nur in Bildern, sondern auch in Originalen der Nachwelt erhalten.
Der Lesezirkel Hottingen hat aber durch das Fest noch eine andere wertvolle Anregung gegeben, diejenige zur Erstellung eines Prachtwerkes für Schweizertrachten des 18. und 19. Jahrhunderts. 36 Tafeln zeigen in vortrefflich ausgeführten Farbenbildern fast ausnahmslos Originaltrachten, die jetzt meistens im Besitz des Landesmuseums sind. Als man sich bewusst wurde, dass nicht blos in der Schweiz, sondern auch in andern Ländern die charakteristischen Volkstrachten zu verschwinden drohen, wurden vielerorts Anstrengungen gemacht, dies zu verhindern, denn nicht nur die Trachten verschwinden, sondern mit ihnen auch die alten Bräuche und alten Sitten.
Man glaubte, dem Verschwinden der Trachten dadurch am ehesten Einhalt tun zu können, dass man ländliche Feste veranstaltete und die Träger und Trägerinnen der besten Trachten auszeichnete. Wie es aber Bräuche gibt, die nicht mehr in die fortschreitende neue Zeit hineinpassen, so passen auch die Trachten nicht mehr hinein. Sie haben ihre Entwicklung durchgemacht, ihre Blütezeit überschritten und sind im Zerfall. Ihre längere oder kürzere Lebenszeit ist einzig von der Abgeschlossenheit der Bewohner von der übrigen Welt abhängig. Je mehr sich entlegene Thäler und Gegenden dem Verkehr, den fremden Menschen öffnen, desto schneller verschwindet alles Eigenartige, alles Originelle der Einheimischen.
[Frau Julie Heierli].
D. SPRACHEN UND MUNDARTEN.
Die kleine Schweiz besitzt nicht nur eine reich entwickelte Fauna und Flora, eine Mannigfaltigkeit landschaftlicher Bilder, die jährlich Tausende von Fremden in unser Land locken, sondern ihr vornehmster Reichtum besteht in der zu einer festen Einheit gefügten Verbindung germanischer und romanischer Sitte. Die Romanen wiederum spalten sich auf Grund alter ethnischer Unterschiede und geschichtlicher Vorgänge in ein französisches, italienisches und rätisches Kulturgebiet. Die deutschen Schweizer fühlen sich kulturell eins mit ihren germanischen Stammesbrüdern, die Westschweiz hängt nach Frankreich hinüber, der Tessin und einige Bündner Thäler gravitieren nach Italien, und das Rätische ist heute auf einen Teil Graubündens beschränkt. Das Alpenmassiv, besonders der Gotthard, bildet den natürlichen Scheide- und Schutzwall dieser Sprachgebiete.
Als die örtlichen Mundarten mit dem Fortschreiten der Kultur durch Schriftsprachen zurückgedrängt oder sogar ersetzt wurden, griffen der Norden und die Innerschweiz naturgemäss zum Hochdeutschen, der Westen zur Sprache von Paris, die italienischen Landesteile zum Gemeinitalienischen. Nur das Rätische wurde selber zur Schriftsprache erhoben, offiziell gedruckt und in den Schulen gelehrt. Es zeigte sich aber, dass in dieser Stärkeeine Schwäche lag: die dialektische Spaltung, sowie der Mangel eines grossen internationalen Verbandes ermöglichte der rätischen Schriftsprache nur eine bescheidene und temporäre Existenz.
Im Folgenden sollen in raschen Zügen die Geschicke und die charakteristischen Merkmale der deutschen, französischen, italienischen und rätischen Sprache und Mundarten auf Schweizerboden beleuchtet werden.
I. Deutsch.
Die letzte eidgenössische Volkszählung vom ergab für die Schweiz bei einer Gesamtbevölkerung von 3315443 Seelen 2312949, d. h. annähernd 70% Deutsch-sprechende. Davon bewohnen etwa 2 1/5 Millionen ein geschlossenes Gebiet, das ungefähr zwei Dritteile des gesamten schweizerischen Territoriums ausmacht: es umfasst die ganze Nord-, Ost- und Mittelschweiz, reicht im Süden, sich stark verengernd, bis zur schweizerisch-italienischen Landesgrenze und schiebt sich so gleichsam als trennender Keil zwischen die romanischen Landesteile im Westen einerseits, im Süden und Südosten anderseits. Längs der Nord- und zum grössten Teil auch der Ostgrenze hängt es unmittelbar mit dem übrigen deutschen Sprachgebiet zusammen, dessen südwestlichen Ausläufer es bildet.
1. Sprachgrenze.
Die heutige Westgrenze gegen das französische Sprachgebiet setzt ein in der Nordostecke des bernischen Amtsbezirkes Pruntrut, durchzieht den Norden des Amtes Delsberg, überschreitet zwischen Liesberg und Soyhières das Birsthal und folgt, vorerst noch in östlicher Richtung, dann nach Südwesten zurückweichend, der bernisch-solothurnischen Kantonsgrenze, weiterhin dem Höhezuge westlich von Biel und vom Bielersee, steigt südlich von Ligerz zum See hinunter und geht diesem und dem Zihlkanal nach zum Neuenburgersee.
Dann springt sie zum Nordrand des Murtensees über, verlässt den See mit der waadtländischen Grenze nördlich von Faoug und zieht sich in südöstlicher Richtung mit zahlreichen Ausbuchtungen nach links und rechts erst quer durch den freiburgischen Seebezirk, nachher längs der Grenze zwischen dem Saane- und Sensebezirk (doch Pierrafortscha dem deutschen Gebiet überlassend) bis zur Berra im Norden des Greierzerlandes, wendet sich eine Strecke östlich, dann wieder südlich zwischen Jaun und Charmey hindurch zur Dent de Ruth und weiter, mit der bernisch-waadtländischen Kantonsgrenze zusammenfallend, zum Oldenhorn. Von hier an begleitet sie die Grenze zwischen Bern und Wallis bis zum Wildstrubel, steigt dann der Ostgrenze des Bezirkes Siders nach bis zur Rhone hinunter, die sie östlich von Siders überschreitet, und streicht jenseits über den Gebirgskamm zwischen dem Eifischthal (Val d'Anniviers) und dem Turtmanthal zur Dent d'Hérens, wo sie auf die schweizerisch-italienische Landesgrenze trifft.
Die Südgrenze folgt dieser zunächst bis gegen den Lyskamm, biegt dann nach Süden in italienisches Gebiet aus, um die am Süd- und Südostfuss des Monte Rosa gelegenen deutschen Gemeinden (Gressoney und Issime im Lysthal, Alagna im Sesiathal, Rima und Rimella im Sermenta- und Mastalonethal, Macugnaga im Anzascathal) aufzunehmen, und kehrt beim Monte Moro zur Schweizergrenze zurück. Südlich vom Ofenhorn tritt sie neuerdings auf italienischen Boden über, umfasst südlich die isolierten Bergdörfchen Agaro (Ager) und Salecchio (Saley),