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Wallis die Blonden durchschnittlich eine grössere Körperlänge aufweisen als die Braunen (Bull. de la Soc. anthropol. de Paris. 1898).
Der Mensch ist erst während der quaternären Aera auf der Erde erschienen. Die interglazialen Lehme und Schotter eines grossen Teiles von Europa haben uns zahlreiche Beweise für seine damalige Existenz geliefert. Dagegen ist, mit Ausnahme der sog. Eolithen und des Pithecanthropus erectus, deren Erwähnung nicht hierher gehört, keine einzige ganze sichere Spur des Menschen aus der Tertiärzeit bekannt. Die Quartärzeit erscheint durch zwei grosse Phänomene charakterisiert, nämlich in geologischer Hinsicht durch die beträchtliche Ausdehnung der Gletscher und in zoologischer Hinsicht durch das mit Sicherheit festgestellte Auftreten des Menschen.
Man hat die Quartärzeit in die ältere pleistozäne Periode und die jüngere holozäne Periode eingeteilt. Jener entsprechen die durch die Verwendung von rohen Steinwerkzeugen charakterisierte paläolithische und dieser die neolitische (bearbeitete Steinwerkzeuge) Periode samt der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit.
Der paläolithische Mensch war der Zeitgenosse einer Reihe von jetzt verschwundenen grossen Säugetieren, wie des Mammuth, wollhaarigen Rhinozeros, Höhlenlöwen, Höhlenbären etc., und gehört den Fossilien an. Je nach den verschiedenen Merkmalen der vom damaligen Menschen angefertigten und gebrauchten Werkzeuge haben Gabriel de Mortillet, J. Evans, Piette und Andere die paläolitische oder pleistozäne Periode in eine Reihe von Epochen einzuteilen versucht, doch besteht noch keine allgemein anerkannte Einteilung dieser Art. Der Einfachheit halber wollen wir hier derjenigen von Gabriel de Mortillet den Vorzug geben, die von unten nach oben folgende Epochen aufstellt: 1. Chelléen, 2. Acheuléen, 3. Moustérien, 4. Solutréen, 5. Magdalénien. Solutréen und Magdalénien zusammen stellen das sog. Glyptische Zeitalter Eduard Piette's dar.
Bis heute besitzen wir in der Schweiz keinerlei Reste des Menschen aus den ältern dieser Epochen. Erst im Magdalénien finden sich - allerdings schon zahlreiche - Spuren unserer entferntesten Vorfahren, die aus Handwerkszeug, industriellen Fabrikaten, Küchenabfällen etc. bestehen. Für Einzelheiten verweisen wir ebenfalls auf den prähistorischen Abschnitt.
Obwohl bis jetzt unglücklicherweise kein vollständiges Skelett des paläolithischen Menschen aufgedeckt worden ist, kann es doch sehr wohl möglich sein, dass man auf Boden der Schweiz eines schönen Tages Gräber aus der Zeit des Magdalénien bloslegen wird, da wir sichere Anzeichen dafür haben, dass schon die Menschen von damals die Toten nichteinfach haben liegen lassen. Wenn man die in den letztvergangenen Jahren besonders im Kanton Schaffhausen und in Chamblandes (Kanton Waadt) gemachten schönen Funde bedenkt und sich der peinlichen Sorgfalt der schweizerischen Altertumsforscher (J. Nüesch, Naef etc.) erinnert, kann man mit vollem Vertrauen darauf rechnen, dass allfällige Funde mit möglichster Schonung behandelt und uns in bester Verfassung zukommen würden.
Die Schweiz ist also sicher vom Menschen der jüngeren paläolitischen Zeit bewohnt gewesen. Ueberall, wo man in Europa Skelettreste des paläolithischen Menschen aufgefunden hat (Frankreich, England, Belgien, Mähren etc.), konnte man feststellen, dass jene Menschen eine bemerkenswert gleichförmige Schädelform aufweisen, während dagegen die Statur eine sehr verschiedene gewesen sein muss. Alle waren Dolichocephalen. Auf Grund von einigen Abweichungen im Einzelnen sind gewisse Typen (Spy-Neanderthal, Laugerie-Chancelade etc.) ausgeschieden worden, auf die wir hier aber nicht eingehen können.
Während der neolithischen Zeit oder der Zeit der bearbeiteten Steinwerkzeuge erscheinen Menschen, die nach ihrem Skelettbau von den paläolithischen Dolichocephalen sehr verschieden sind. Diese neuen Typen zeigen anstatt eines länglichen einen runden Schädel und sind also Brachycephalen. Zum Unterschied von andern Brachycephalen, die, wie man glaubt, später aufgetreten sind, hat man sie als Protobrachycephalen oder auch als neolithische Brachycephalen bezeichnet. Ihnen scheinen die ersten Pfahlbauer auf unsern Seen anzugehören.
Vollständig unsicher ist, ob sich die paläolitischen Dolichocephalen, die auch zur neolithischen Zeit in der Schweiz noch gelebt haben müssen, mit den neolithischen Brachycephalen vermischt oder ob sich diesen letztern andere, von unbekannter Gegend hergekommene Dolichocephalen zugestellt haben. Immerhin scheint es, soweit dies wenigstens zur Zeit angenommen werden darf, dass seit der Mitte der neolithischen Zeit zugleich mit den Brachycephalen auch noch ein mesocephaler Mischtypus und ein dolichocephaler Typus existiert habe. Und in der auf die Steinzeit folgenden Bronzezeit scheinen dann die Dolichocephalen sogar wieder in der Mehrzahl aufzutreten.
Ausser ihrem Schädelindex dürften diese neuen Dolichocephalen auch noch dadurch charakterisiert gewesen sein, dass sie wahrscheinlich Leptoprosopen, Leptorrhinen und Mesosemen waren. Die Dolichocephalen zweiter Herkunft, die in den Dolmengräbern Frankreichs vorherrschen und denen man eine nordische Abstammung zuschreibt, sind von Hamy als neolithische Dolichocephalen bezeichnet worden und können als Typus mit dem Menschen der deutschen Reihengräber in Parallele gestellt werden. Aus der Aehnlichkeit des anatomischen Baues hat Hervé geschlossen, dass die Dolichocephalen der Bronzezeit die direkten Nachkommen derjenigen der Steinzeit seien.
Gegen Ende der Bronzezeit scheint ein neues ethnisches Element, das in der Schweiz später eine beträchtliche Verbreitung gefunden hat, von Osten her (vielleicht über die Alpenpässe) eingewandert zu sein. Es waren dies Brachycephalen, die man zum Unterschied von denjenigen der neolithischen Zeit als Neobrachycephalen bezeichnet hat. Der Schädel ist geräumiger und stärker abgerundet. Nach der Nomenklatur von His und Rütimeyer haben wir in diesen Einwanderern den sog. Typus von Disentis vor uns. Wir selbst nehmen an, dass die Mehrheit der heutigen Bewohner der Schweiz in grossen Zügen ihre «ethnische Eigenart» diesen Brachycephalen verdanke. Vergl. Hervé, G. Les populations lacustres (in der Revue de l'École d'Anthropol. de Paris. 1895). - Hervé, G. La rage des Troglodytes magdaléniens (in der Revue de l'Ec. d'Anthr. 1893). - Hervé, G. Ethnologie des populations françaises (in der Revue de l'Éc. d'Anthr. 1896). - Pittard, Eugène. Ethnologie des populations suisses (in L'Anthropologie. Paris 1898). - Schenk A., Ethnogénie des populations helvétiques (im Bull. de la Soc. neuchâteloise de Géogr. 1900).
Noch sehr wenig unterrichtet sind wir über die Einfälle von Völkerstämmen in historischer Zeit, deren Nachkommen sich in der Schweiz in genügender Ar zahl erhalten haben, um eigene ethnische Gruppen bilden zu können. Die Geographen und Historiker des Altertums (Strabo, Diodorus Siculus, Plinius, Caesar, Polybius etc.) geben uns über diese Frage nur ungenügende und oft auch unklare Auskunft, die man nicht als ernsthaft in Betracht kommende Grundlagen für die Forschung ansehen kann. Es ist bekannt, dass unser Land von den Einfällen der verschiedensten Völkerschaften heimgesucht wurde, doch lässt sich über den allfälligen ethnischen Einfluss derselben gar nichts bestimmtes sagen. Es stimmen ja selbst die Namen und die geographische Verbreitung der von den alten Autoren besprochenen Völkerschaften nicht unter sich überein. So haben Römer, Vandalen, Burgunder, Franken, Langobarden, Sarazenen etc. die Schweiz oder einzelne ihrer Teile durchzogen, ohne dass wir anzugeben wüssten, welchen ethnischen Stempel sie dieser oder jener Bevölkerungsgruppe aufgedrückt hätten. Dazu darf nicht vergessen werden, dass nicht jeder dieser Völkernamen zugleich auch einer besondern ethnischen Gruppe entsprochen hat, indem mehrere der betreffenden Stämme von gemeinsamer Abstammung waren und in anthropologischer Hinsicht die nämlichen Merkmale aufgewiesen haben müssen.
Diese aufeinander folgenden Modifikationen in der helvetischen Ethnogenie, die wir soeben in grossen Zügen dargelegt haben, sollen nun im folgenden noch näher besprochen werden. Wir werden dabei von den Skelettresten, deren älteste aus der neolithischen Zeit stammen, ausgehen und dann zur Betrachtung der modernen Bewohner übergehen. Ueberall da, wo wir in der ¶
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Lage sind, den Längenbreitenindex anzuführen, verweisen wir zum Verständnis derselben ein für allemal auf die in der Einleitung unseres Artikels gegebenen Erläuterungen.
Pleistozäne oder paläolithische Periode.
Wir wiederholen, dass in der Schweiz bisher kein einziger Skelettrest gefunden worden ist, der mit Sicherheit aus der paläolithischen Zeit datiert werden könnte. Allerdings sind in einigen Sammlungen zwei oder drei Skelettfragmente (so z. B. Schädel- und Kieferreste aus der Höhle von Freudenthal im Kanton Schaffhausen, ein aus dem Kesslerloch stammendes Schlüsselbein, sowie ein im Museum von Biel befindliches und von Quiquerez gefundenes Schulterblatt) vorhanden, die von ihren Besitzern als paläolithisch betrachtet werden. Da aber über ihre genaue Herkunft Zweifel erlaubt sind, ist es besser, ganz von ihnen abzusehen. Wohl darf man sich aber der Hoffnung hingeben, dass man im Boden unseres Landes eines Tages paläolithische Skelette auffinden werde. Aus den paläolithischen Funden in Frankreich, England, Belgien, Mähren etc. kann man schliessen, dass die ältesten Bewohner der Schweiz Dolichocephalen gewesen sein müssen. Als Beispiel sollen hier die Indices einiger der in unsern Nachbarländern gefundenen paläolithischen Schädel angeführt werden:
Schädelindex | |
---|---|
Neanderthal (Deutschland) | 72-73,9 |
Spy (Belgien), 2 Schädel | 70 und 74-76 |
Bréchamps (Frankreich) | 75.5 |
Laugerie (Frankreich) | 73.19 |
Chancelade (Frankreich) | 72.02 |
Baoussé Roussé (Italien), 3 Schädel | 76,29; 69,27; 68.58. |
Holozäne Periode.
Mit dem Beginn der Holozänzeit werden die menschlichen Epochenreste verhältnismässig zahlreich. Sie stammen entweder aus Höhlen, Felsenwohnungen, Gräbern etc., oder dann aus den Pfahlbauten. Es erscheint an dieser Stelle nicht angezeigt, alle Fundorte solcher Reste in der Schweiz aufzuzählen und alle von diesen Resten gelieferten anatomischen Nachweise bis in ihre Einzelheiten zu erörtern. Wir müssen uns vielmehr auf die Mitteilung des Wichtigsten beschränken.
Eine Betrachtung aller in der Schweiz aufgefundenen menschlichen Skelette aus prähistorischer Zeit zeigt uns sofort zwei durch ihre Körpergrösse scharf voneinander verschiedene Typen, nämlich einen ersten von Individuen mittlerer und einen andern von solchen kleiner Statur. Diese letztern sind wirkliche Pygmäen. Die in der Schweiz aufgedeckten neolithischen Skelette sind nicht besonders zahlreich. Die Mehrzahl der lakustren Schädel finden sich beschrieben und abgebildet in den Crania helvetica antiqua von Studer und Bannwarth (Leipzig 1894), welches Werk alle bis zu jener Zeit bekannt gewordenen Nachrichten gesammelt und verarbeitet hat.
Seit dieser luxuriösen Publikation sind dann noch einige weitere Arbeiten erschienen, die neue Funde aus den Pfahlbauten oder sehr wichtige neue Entdeckungen aus den Höhlen (Schweizersbild, Dachsenbühl) oder aus Gräbern auf festem Land (Chamblandes, Châtelard etc.) beschreiben. Die schönste heute vorhandene Reihe von Funden ist ohne Zweifel die aus Chamblandes (Waadt) stammende, die von Naef ausgegraben und von Schenk (Les sépultures et les populations préhistoriques de Chamblandes im Bulletin de la Soc. vaudoise des Sc. nat. 1902-1903) beschrieben worden ist.
Dieses Gräberfeld von Chamblandes scheint zu den ältesten zu gehören und wird in den Beginn der neolithischen oder noch bis in die mesolithische Zeit zurückversetzt. Es würden also die von daher stammenden Menschen unsere ältesten bisanhin bekannten Vorfahren darstellen. An 18 Schädeln hat Schenk für die Männer Indices von 70 bis 78,41 (im Mittel 75,48) und für die Frauen solche von 71,87 bis 77,84 (Mittel 74,19) festgestellt. Die Dolichocephalen sind mit 50%, die Subdolichocephalen mit 27-28% und die Mesocephalen mit 22% vertreten.
Der mittlere Schädelindex für die gesamte Reihe (Männer und Frauen zusammen) beträgt 74,94, ist aber nur insofern von Interesse, als er mit demjenigen der Schädel vom Schweizersbild (75,3) verglichen werden kann. Die Rekonstruktion der Statur der Bewohner von Chamblandes 1) ergibt eine geringe Körperlänge: [1) Die Körpergrösse lässt sich aus den Massen der langen Extremitätenknochen (Femur, Tibia, Humerus etc.) mit durchaus genügender Annäherung berechnen.] 1,582 m für die Männer und 1,486 m für die Frauen. Man hat mehrere dieser neolithischen Menschen von Chamblandes als Pygmäen ansprechen können.
Aehnlich bedeutende menschliche Reste sind in den Höhlen von Schweizersbild und Dachsenbühl nicht gefunden worden, obwohl auch diese wenigen Funde ein ebenso grosses Interesse bieten. Beide Stationen haben Skelette von Individuen eines neuen Typus und Skelette von Pygmäen geliefert. Bei den Funden vom Schweizersbild schwankt der Schädelindex von 71,4 (bei einem Pygmäen) bis 78 (bei einem normalen Individuum im Kindesalter). Die mittlere Körperlänge der normal gewachsenen Individuen beträgt 1,662 m, diejenige der Pygmäen d. gegen blos 1,424 m. Vergl. Nüesch, J. Das Schweizersbild, eine Niederlassung aus paläolithischer und neolithischer Zeit. (Neue Denkschriften. 1896). - Nüesch, J. Der Dachsenbühl, eine Höhle aus frühneolithischer Zeit, bei Herblingen. (Neue Denkschriften. 1903). Beide mit wichtigen Beiträgen von Kollmann.
Man beachte, dass alle mitgeteilten Schädelindices auf dolichocephale Schädel hinweisen. Es lässt sich daraus mit Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die die Schweiz zu Beginn der neolithischen Zeit bewohnenden Menschen, wenigstens was die normal gewachsene Rasse anbetrifft, die Nachkommen der Dolichocephalen der paläolithischen Zeit gewesen sein müssen.
Mit Hinsicht auf die Skelettfunde in den Pfahlbauten ändern die neueren Entdeckungen nichts an den allgemeinen Schlüssen, die Studer und Bannwarth 1894 und dann wieder 1895 G. Hervé in seiner schon genannten Arbeit über die Pfahlbauer gezogen haben. Wir gehen in folgendem die Ausführungen Studer's in den Crania helvetica antiqua, die auch die Forschungen anderer Gelehrter (His und Rütimeyer, Dor, Kollmann, Virchow etc.) berücksichtigen, in Kürze wieder.
Studer hat aus den Schädeln der Pfahlbauer zwei Menschenrassen erkannt. Die erste Gruppe bestand aus Individuen mit brachycephalen (sowie mesocephalen und subbrachycephalen) Schädeln, deren Index von 79 bis 81 schwankt. Als weitere besondere Kennzeichen ergaben sich: vorspringende Augenhöhlen, sowie ein orthognates (geradkieferiges), breites und chamaeprosopes (kurzes) Gesicht. Die übrigen Knochen erscheinen eher schlank u. zeigen gut entwickelte Kämme für die Muskelansätze.
Die Oberschenkelknochen waren im obern Teil der Diaphyse abgeplattet und die Schienbeine seitlich abgeflacht (oder platyknemisch). Die rekonstruierte Statur ergab eine Körperlänge von 1,40-1,50 m. Der zweiten Gruppe gehörten dolichocephale Schädel an, die in der Norma verticalis betrachtet ein in die Länge gezogenes Oval darstellen. Ihr Index schwankt von 68-75. Weitere Merkmale: Gesicht ebenfalls orthognat, breit und in der Mitte zwischen dem chamaeprosopen und dem leptoprosopen Typus sich haltend.
Tibia nicht platyknemisch. Körperlänge 1,62-1,65 m. Studer fügt noch bei, dass sich der für die neolithische Zeit charakteristische brachycephale Typus in den Stationen mit den ersten Metallwerkzeugen nahezu wiederholt. Die dolichocephalen Schädel treten mit dem ersten Erscheinen der Metalle auf. Es lebten also gegen Ende der neolithischen Zeit und während der Kupferzeit dolichocephale und brachycephale Menschen zusammen, während mit der Bronzezeit der dolichocephale Typus entschieden die Oberhand erhielt (vergl. Studer's Mitteilung in den Verhandlungen der schweizer. Naturf. Gesellsch. 1894). ¶