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von Renevier als besondere Stufe des «Vraconnien» ausgeschieden), die dem englischen Upper Green Sand entspricht, und 2. diejenige des Cenoman im engern Sinn oder der roten Schichten von Souaillon bei Saint Blaise, die mit der Kreide von Rouen (Rothomagien) und von Le Mans (Cenoman s. str.) übereinstimmt. Die erstere ist im Juragebirge ausserhalb der klassischen Fundstelle von La Vraconne ziemlich wenig bekannt und nur noch an einigen Stellen des Val de Travers über dem Albien gefunden worden. An andern Orten, z. B. zwischen Cornaux und Cressier, sind diese Sedimente vom Moränenmaterial der Weinberge überlagert. Es ist zu hoffen, dass sie in dieser Gegend einmal zum Vorschein kommen werden, da sichere Anzeichen für ihre Existenz vorhanden sind (so ein Block von glaukonitischem gelbem Kalkstein mit einem phosphatisierten Turrilites Puzosianus).
Die Fundstelle von Mouille-Mougnon an der Strasse von La Vraconne nach Sainte Croix hat G. Campiche und A. Jaccard aus einem sandigen und rein glaukonitischen dichten Gestein mehr als 100 Arten von in braunem Kalkphosphat abgedruckten Steinkernen geliefert. Darunter befinden sich Fischzähne, 37 Kephalopoden, 35 Gastropoden, 19 Acephalen und 3 Echinoiden. Diese Fossilien entsprechen wie überall im englisch-parisischen Becken dem ersten Horizont des Cenoman und weisen folgende charakteristische Formen auf: Turrilites Bergeri, T. Puzosianus und T. elegans, Scaphites Meriani, Anisoceras alternatum, A. perarmatum und A. Sanctae Crucis, Hamites virgulatus, Baculites Gaudini, Schloenbachia inflata und Sch. Hugardiana, Hoplites Raulinianus etc.; von nur in diesem Horizont sich findenden Gastropoden Avellana (Cinulia) incrassata und A. Valdensis.
Chenopus (Aporrhais) bicornis, Solarium triplex, S. Tollotianum und S. Rochatianum, Pleurotomaria Laharpi, P. gaultina, P. regina, P. Vraconnensis, P. Thurmanni und P. Rütimeyeri, Turbo Triboleti und T. Brunneri, Trochus Gessneri, T. Buvignieri und T. Gillieroni; von ebenfalls nur im untern Cenoman des Juragebirges auftretenden Acephalen Ostrea (Alectryonia) Milletiana, O. (Exogyra) canaliculata und O. vesiculosa, Arca (Cucullaea) obesa, Trigonia Fittoni, Inoceramus Coquandianus, Fimbria gaultina, Thetis Sanctae Crucis, Cyprina quadrata, Tellinaphaseolina, Thracia rotundata, Th. Alpina und Th. Sanctae Crucis, Gastrochaena brevis etc. Diese Fauna entspricht auch derjenigen der Grünsandsteine von Bellegarde mit rotbraun phosphatisierten Fossilien.
In den Waadtländer Hochalpen wird das untere Cenoman vom fossilführenden Albien durch fossilleere grüne oder violette Sandsteine geschieden. Die von E. Renevier ausgebeuteten Fundstellen des untern Cenoman sind Cheville, L'Ecuellaz, Les Esserts, Cordaz, Pierre Carrée etc. Dieser Horizont ist sehr reich an phosphatisierten braunen und glaukonitischen Steinkernen, die von den ältern Sammlern mit den Fossilien des Albien verwechselt worden sind. Die gefundenen 253 Arten stellen eine zum grössten Teil littorale und mit Trümmern des Pseudoplankton vermischte Fauna dar, die von den Meereswellen auf eine Flachküste geworfen wurde, wo sich die organischen Reste (Tange und Guano [?]) mit den eisenhaltigen und sandigen Sedimenten, in denen die Tierleichen vergraben lagen, vermengt haben.
Diese in einer 1-2 m mächtigen Schicht erhalten gebliebene Fauna umfasst: 4 Arten von Fischen (Ganoiden und Selachier);
67 Kephalopoden, worunter Belemnopsis minima, Nautilus Clementinus und 5 andere Nautilier, 60 Ammonoiden der Gattungen Lytoceras, Phylloceras, Desmoceras, Puzosia (P. Mayoriana), Hoplites, Douvilleiceras, Acanthoceras, Schloenbachia, Scaphites, Turrilites, Helicoceras, Anisoceras, Hamites und Baculites;
73 Gastropoden der Gattungen, Actaeonina, Actaeon, Cinulia oder Avellana, Murex, Fusus, Aporrhais (Chenopus), Cerithium, Ampullina, Turritella, Scalaria, Solarium, Discohelix, Neritopsis, Turbo, Trochus, Pleurotomaria (18 Arten), Emarginula, Patella;
1 Scaphopoden (Dentalium), 77 Acephalen, 6 Brachiopoden, 1 Anneliden, 1 Bryozoen, 18 Echinoiden, 4 Korallen und 1 Spongienart.
Von allen den genannten Arten sind 81 für diesen Horizont charakteristisch. Davon nennen wir: Schloenbachia inflata, Anisoceras armatum, Solarium triplex, Pleurotomaria Thurmanni, Ostrea (Gryphaea) vesiculosa, Echinoconus castanea, Discoidea rotula. 108 Arten kommen aus dem Albien herüber, darunter Schloenbachia varicosa, Inocedamus concentricus, Cyprina regularis, Terebratula Dutempleana, Holaster brevis, Theocyathus conulus. 19 Arten reichen bis ins obere Cenoman (Rothomagien) hinauf, wovon Douvilleiceras Mantelli, Schloenbachia varians, Turrilites Scheuchzeri etc. Der gleiche Horizont mit der nämlichen Fauna und analogen Sedimenten (sog. Ellipsoidenkalk) setzt sich ohne Umänderungen und ohne nennenswerte Verarmung bis in die östlichen Schweizer Alpen, den Säntis und ins Vorarlberg fort.
Das obere Cenoman bildet in den Alpen überall hellere, aber immer noch glaukonitische Kalke von blos einigen Metern Mächtigkeit. An sämtlichen Fundstellen sind die Fossilien reichlich vertreten, ziemlich gut erhalten und gut bekannt. Von der Fundstelle Cheville nennt Renevier 46 Arten: 1 Lamniden (Corax), 1 Krebs, 23 Kephalopoden (worunter 7 Nautilier), 9 Gastropoden, 6 Acephalen und 6 Echinoiden. Die am häufigsten auftretenden Arten sind: Douvilleiceras Mantelli, Acanthoceras Rothomagense u. A. Cunningtoni, Schloenbachia varians, Turrilites Scheuchzeri, Baculites baculoides, Discoidea cylindrica und Holaster subglobosus.
Diese Fauna entspricht derjenigen des obern Cenoman im Juragebirge, wo aber die Sedimente aus nicht glaukonitischen roten oder rosaroten Mergelkalken bestehen. Diese Gruppe der Kreideablagerungen ist von F. Dubois de Montperreux 1837 in Neuenburg und in Souaillon bei Saint Blaise entdeckt worden und lehnt sich zwischen Neuenburg und Cressier parallel den darunter liegenden Schichten des Barrémien an. Sie dringt auch in die Jurathäler bis nach Morteau und Nods (Doubs) hinein, ist aber durch die eozänen und noch spätern Erosionen sehr häufig weggewaschen worden.
Zwischen Cressier und Biel transgrediert sie direkt über die infrakretazischen Stufen, um dann bei Biel auf das Valangien und sogar nahezu bis auf das Portland zu liegen zu kommen. Diese Tatsachen weisen auf eine stratigraphische Diskordanz zwischen dem Hils und der obern Kreide hin. Wir kennen heute ziemlich viele vereinzelte Fetzen dieses obern Cenoman, die aber oft mehr oder weniger durch quaternäre Schuttmassen verdeckt und für die Ausbeute von Fossilien nicht gerade aufgeschlossen sind.
In den geologischen Sammlungen zu Neuenburg finden sich aus diesen Schichten etwa 15 fossile Arten, so Scaphites obliquus und S. aequalis, Turrilites costatus, T. tuberculatus und T. Essensis, Hoplites curvatus und H. falcatus, Schloenbachia varians und Sch. Coupei, Douvilleiceras Mantelli, Acanthoceras Rothomagense und A. Cenomanense, Nautilus elegans etc. mit zahlreichen Inoceramen (I. cuneiformis, I. striatus etc.), Arten von Pecten und Plicatula, sowie mit dem sehr bezeichnenden Holaster subglobosus. Das obere Cenoman bildet in unserm Juragebirge die letzten obern Ablagerungen der Kreidezeit. Es ist allerdings möglich, dass während der maximalen Phase der suprakretazischen Transgression auch noch das Turon bis in diese Gegenden gereicht hat, doch ist diese Stufe heute im Juragebirge nicht bekannt.
Interessant erscheint die Beobachtung, dass das Turon der Alpen eine petrographische und paläontologische Fazies aufweist, die mit derjenigen des obern Cenoman im Juragebirge durchaus übereinstimmt. Es sind dies die berühmten «roten Schichten» der Präalpen und der Mythen, sowie der graue oder rötliche Seewenerkalk der östlichen Schweizer Alpen, über deren Alter lange Zeit die Ansichten geteilt waren. Heute ist mit Sicherheit nachgewiesen, dass diese Schichten dem Turon angehören und nicht etwa dem Cenoman oder gar der Juraformation, wie man mit Fischer-Ooster behauptet hat.
Von Roessinger ist in den roten Schichten der Präalpen bei Leysin über Aigle vor kurzem eine charakteristische Turonfauna entdeckt worden, die von E. Renevier und H. Douvillé bestimmt wurde. Sie umfasst: Sauvagesia Nicaisei, Radiolites cfr. acuticostatus, R. cfr. Paillettei und R. cfr. Jouanneti, Inoceramus cfr. Cuvieri, I. undulatus, I. cuneiformis, I. angulatus und I. Crispi, Echinocorys vulgaris (= Ananchytes ovata), Micraster cfr. breviporus, Cardiaster Gillieroni und kleine Crinoiden. Die Mehrzahl dieser Formen sind rein turonisch. Die Anwesenheit von Ananchytes ovata, die sich gewöhnlich im Senon findet, verpflichtet nicht mit Notwendigkeit zu der
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Annahme, dass in diesen Schichten auch das Senon vertreten sei.
Dagegen ist das Senon über dem Seewenerkalk in den Seewenerschiefern der östlichen Schweizer Alpen tatsächlich vorhanden. Dies ist besonders im Säntisgebirge der Fall, wo diese grauen Schiefer gut erkennbare Exemplare von Ananchytes ovata enthalten, welches Fossil zusammen mit Belemnitella mucronata etc. sich in der weissen Kreide von Nordeuropa findet. Der letztgenannte Kephalopode ist aber in der Schweiz bis jetzt immer noch nicht angetroffen worden, obwohl er heute auch aus dem Vorarlberg (nach Trosch in isolierten Blöcken am Hüttenberg und am Bihlenberg bei Sonthofen) bekannt geworden ist. Es ist somit der Seewenerkalk wie die roten Schichten mit Radiolites und Sauvagesia von turonischem Alter, während die Seewenerschiefer wahrscheinlich schon dem Senon zugerechnet werden müssen.
Die weisse Kreide erscheint also in den schweizerischen Präalpen und Alpen in der nämlichen Fazies entwickelt, wie sie in den bairischen und Salzburger Alpen auftritt, wo das mergelige Element bis in die sog. Hippuritenschichten hinein vorherrscht. Der Seewenerkalk ist sehr fossilarm; man findet in ihm blas Inoceramen und ganz vereinzelt etwa einen Zahn eines Rochen von der für die Kreide bezeichnenden Gattung Ptychodus. Der mergeligen Fazies des Senon kommt in den östlichen Schweizer Alpen eine grössere Verbreitung zu als man bisher angenommen hatte. In den Churfirsten und im obern Toggenburg findet man über den Seewenerschiefern noch schwarze und ziemlich fette Mergel mit seltenen und ganz kleinen pyritischen Fossilien (Pachydiscus sp. und Baculites sp.) und dann trockene Mergel mit kleinen Gastropoden der Fauna von Siegsdorf in Baiern. Diese Mergel werden transgressiv vom oligozänen Flysch überlagert, mit dem man sie bisanhin verwechselt hatte.
Das Danien hat in unserm Land keine fossilen Reste geliefert, doch nimmt man an, dass die Wangschichten, wenigstens zum Teil, dieser Stufe angehören. Diese wenigen Hinweise zeigen, dass das Kreidemeer sich in der Ostschweiz zwar stark eingeengt hatte, aber doch immer noch bestand und das mediterrane Becken der französischen Alpen mit dem Becken der bairischen und österreichischen Alpen verband. Als dann zu Ende der Kreidezeit die Verbindung im Südwesten unterbrochen wurde, blieb der helvetisch-bairische Golf blos noch in Zusammenhang mit dem Wiener Becken. Von dieser letztern Gegend aus haben nachher zuerst die nummulitische und dann die Flysch-Transgression das ganze Gebiet der Schweizer Alpen nördlich der krystallinen Massive von Neuem überflutet.
3. Tertiär.
a. Eozän.
Bohnerzbildung (Sidérolithique) oder kontinentales Eozän. Zur gleichen Zeit, da an Stelle des grössten Teiles der heutigen Schweizer Alpen das eozäne oder Nummulitenmeer lag, herrschte im Juragebirge und teilweise auch in den Waadtländer und Savoyer Alpen eine Kontinentalepoche, die man sich auf Grund der Bohnerz- und der Nummulitenfaunen unseres Landes und der eozänen Flora der benachbarten Gebiete als eine feuchte und warme Zeit mit tropischem Klima vorzustellen hat.
Ferner muss angenommen werden, dass der über Wasser liegende Teil der Schweiz zusammen mit den angrenzenden Regionen von Frankreich und Süddeutschland, wo das marine Eozän fehlt, damals eine grosse Ebene gebildet habe. Während die Vogesen und der Schwarzwald aufzutauchen und die jetzige oberrheinische Tiefebene sich einzusenken begannen, waren die Juraketten noch nicht vorhanden. Ihre Decke von Kreidesedimenten sah sich seit dem Rückzug des Turonmeeres den abtragenden und erodierenden Einwirkungen einer Atmosphäre von tropischem Charakter preisgegeben.
Die Lagerungsform der noch nicht gefalteten Schichten, die sich in kulissenförmigen Stufen von den Horsten der Vogesen und des Schwarzwaldes gegen das alpine Nummulitenmeer zu senkten, war in allen kalkigen Gebieten der Absorption der Oberflächenwasser günstig. Diese grossen Decken von abwechselnd kalkigen und mergeligen Felsarten bildeten durch die Art ihrer Anordnung grosse artesische Sammelbehälter, die den Bruchlinien entlang eigentliche Springbrunnen in die Höhe sandten, ähnlich den am Jurafuss heute noch tätigen sog. Bonds der Ebene von Bière. Es hat somit zu jener Zeit im Boden Wasser zirkuliert, das stellenweise auch wohl Mineralwasser gewesen sein kann.
Auch die vulkanischen Erscheinungen, die sich später in der Umgebung des Schwarzwaldes (Kaiserstuhl, Hegau etc.) zeigten, können damals an dem jetzt unter dem Tertiär des schweizerischen Mittellandes begraben liegenden Ufer des Nummulitenmeeres ihre Vorläufer gehabt haben. Die genannte Zirkulation des unterirdischen Wassers in den Felsschichten des Juragebietes gibt uns zusammen mit der oberflächlichen Erosion, Lockerung und Aufbereitung des Bodens die Erklärung für die Art der Entstehung der Bohnerzbildung, die auch aus der Umgebung des französischen Zentralplateaus, aus Dalmatien etc. bekannt ist. (Vergl. den Art. Jura, Abschn. Geologie unseres Lexikons).
Die Bohnerzbildung entlehnt ihre petrographischen Elemente den Verwitterungsmaterialien der Kreide- und Juraschichten, namentlich den Mergeln und Sandsteinen des Albien und des Cenoman. Die mit diesen geschwemmten und aufbereiteten Materialien angefüllten sog. Taschen, die man aus den Umgebungen von Solothurn, Biel, Filet, Liesberg, Neuenburg, La Chaux de Fonds, Morteau etc. kennt, haben eine bunte Mischung von. Fossilien des Albien, Neokom, Valangien und der jurassischen Stufen geliefert, die in Bolus und Glassanden regellos, eingebettet liegen.
Diese eigentümlichen Fundstellen zeigen die Herkunft der die Bohnerzbildung zusammensetzenden Materialien aufs deutlichste. Diese letztern sind also nicht, wie Gressly meinte, aus dem Schoss der Erde emporgestiegen, sondern umgekehrt durch die von den unterirdischen Wassern ausgewaschenen Schächte in ihn hinabgeschwemmt worden. Dies geschah während der Kontinentalperiode zu Ende der Kreide- und zu Beginn der Eozänzeit. Im Ganzen erscheinen aber die Ablagerungen der Bohnerzbildung, die heute die Mehrzahl der Juramulden erfüllen und sich auch bis ins Urgon des.
Mittellandes und in dasjenige der Waadtländer Alpen hinein erstrecken, als geschichtete Sedimente. Ihr jungeozänes Alter wird durch die fossilen Knochenreste, sowie durch die Land- und Süsswassermuscheln bewiesen, die sich in den in die Bohnerzbildung eingeschalteten Bänken von Süsswaserkalken erhalten haben. Die Entstehung dieser geschichteten Bildung erklärt sich also aus einer in Sümpfen und Süsswasserseen zu Ende der Eozänzeit vor sich gegangenen Sedimentation.
Damals entstanden das im Jura sich findende Bohnerz, die Ansammlungen von Glassanden, die Knochenbreccien und die Süsswasserkalke, die heute der Industrie und der Wissenschaft so wohl zu statten kommen. Die in den siderolithischen Ablagerungen eingeschlossenen Faunen sind nicht alle vom nämlichen Alter. Rütimeyer hat bei Egerkingen eine ältere Fauna mit zahlreichen Resten von Lophiodon und in Münster (Moutier), sowie am Mormont bei La Sarraz eine jüngere Fauna erkannt.
Die Mehrzahl der Fossilien ist jünger als die Bartonstufe und die Sande von Beauchamp, während das Alter von anderen demjenigen der obersten Bänke des Pariser Grobkalkes (Parisien oder Lutétien) oder der darüberliegenden Süsswasserkalke entspricht. Dies zeigt zugleich, dass die. Knochen von voreozänen Tieren, wie sie ohne Zweifel auf dem Kreideboden des Jura gelebt haben müssen, auf festem Land vollständig zerfallen sind und daher nicht haben fossilisiert werden können.
Die Bohnerzbildung enthält demnach nichts weiteres, als die Ueberreste derjenigen Tiere, die während der Zeit dieser Sedimentation selbst gelebt haben und also deren Zeitgenossen gewesen sind. Da wir in unserm Artikel Jura in diesem Lexikon die Zusammensetzung der von Rütimeyer erforschten Landfauna der Bohnerzbildung schon näher besprochen haben, können wir uns hier die Aufzählung dieser Formen sparen. Seither sind aber von H. G. Stehlin einige neue Arten von Perissodaktylen oder Unpaarhufern beschrieben worden, so Propalaeotherium Rollinati (Egerkingen ?); Palaeotherium Rütimeyeri (Egerkingen, Mont Chamblon), P. Mühlbergi (Obergösgen, Solothurn), P. Buseri (Obergösgen, Entreroches), P. Moeschi (Obergösgen), P. Renevieri (Entreroches) und P. Heimi (Obergösgen, Entreroches), Plagiolophus Cartieri (Egerkingen, Mont Chamblon) und Anchilophus Depéreti (Egerkingen). Aus dem Vergleich mit der Zusammensetzung der in Frankreich stratigraphisch gut bekannten Faunen.
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der Perissodaktylen schliesst Stehlin, dass unser siderolithischer Bolus kleine Faunen aus allen Stufen des mittleren und obern Eozän enthält und zwar vom mittleren Lutétien oder Parisien an bis zum obern Ludien, d. h. bis zum obersten Gips von Montmartre. Die Fauna von Egerkingen gehört ganz dem Lutétien an, diejenige vom Mormont (Entreroches, Bahnhof Eclépens, Saint Loup) reicht vom obern Lutétien bis zum obern Ludien, die vom Mont Chamblon gehört dem obern Lutétien an, die Ueberreste von Münster (Berner Jura) entsprechen dem Bartonien oder untern Ludien und die von Obergösgen dem oberen Ludien, gleich wie die einst in den Steinbrüchen von Solothurn gefundenen Zähne, die von dem berühmten Cuvier zum erstenmal als der Fauna des Pariser Gipses angehörig erkannt worden sind.
Jünger als die Fauna des Jura ist die von Frohnstetten bei Sigmaringen, die aus der Uebergangszeit zwischen dem Eozän und dem Oligozän stammt, und die noch jüngere vom Eselsberg bei Ulm. Von da an sterben die letzten Vertreter der eozänen Faunen der Reihe nach aus, um auf europäischem Boden neu auftauchenden Säugetierherden Platz zu machen. Damit kommen wir zu einer neuen Entwicklungsperiode der Landfauna, die mit neuen Aenderungen in der geographischen Beschaffenheit unseres Landes in Zusammenhang steht.
Die berühmten Fundstellen fossiler Wirbeltiere vom Quercy (Lot et Garonne), die ganze Skelette liefern, enthalten neben den alten eozänen Typen schon diese neuen Einwanderer. In den Schächten dieser mörderischen Mofetten sind die ihnen zu nahe gekommenen Tiere vom mittleren Eozän (Bartonien) bis zum mittleren Oligozän (Stampien) zu Grunde gegangen. Aehnliche Mördergruben haben wir in der Schweiz keine. Unsere eozänen Sedimente mit Wirbeltierresten sind Breccien und Bolus, die sich in den Felsspalten, aus denen wir sie heute hervorgraben, immer als nachträglich zusammengeschwemmte Ablagerungen erweisen.
Die Spalten und Höhlungen am Nordhang des Mont Chamblon haben nach Stehlin Knochen und Zähne von folgenden Arten geliefert: Lophiodon cfr. Isselanum, Chasmotherium Cartieri, Propalaeotherium Isselanum, Lophiotherium sp., Paloplotherium Rütimeyeri und P. Depéreti; ferner Paarhufer oder Artiodaktylen der Gattungen Mixtotherium und Hyopotamus, dann einen Sciurus spectabilis und endlich ein grosses Raubtier und ein Krokodil. Die wenigen aus den Eisenerzgruben des Delsbergerthales zu Tage geförderten Ueberreste sind ihrem Alter nach nicht mit Sicherheit zu bestimmen gewesen, doch unterliegt es keinem Zweifel, dass die Tiere, denen sie angehören, Zeitgenossen der Bohnerzbildung, d. h. höchstens des mittleren Eozän, gewesen sind. Im übrigen zeigen die Lagerungsverhältnisse der siderolithischen Sedimente, dass diese letzteren alle mit den aus Seen und Sümpfen niedergeschlagenen Kalksteinen, deren Alter klar bekannt ist, eng verknüpft erscheinen.
Das älteste Glied dieser Kalksteine liegt über den feuerfesten Sanden und Tonen der untersten Bohnerzbildung und enthält die Fauna des obern Bartonien oder des Kalksteines von Saint Ouen. Es ist der Süsswasserkalk von Hochwald und Kohlholz bei Liestal, der mit seinen Einschlüssen von Planorbis pseudoammonius genau dem Kalk von Buchsweiler im Unter Elsass entspricht. Nach Gutzwiller enthält er in Masse Planorbis pseudoammonius mit verschiedenen Varietäten, ferner Segmentina Chertieri, Vivipara Novigentiensis, Euchilus Deschiensianus, Glandina Cordieri, Craspedopoma Stehlini, Nanina occlusa und N. Voltzi, Pomatias Sandbergeri und P. Hochwaldensis, Patula oligogyra, Helix (Gonostoma oder Caracolina) laxecostulata, Papa multicostulata, Clausilia densicostulata und Calycina dubia, ferner versteinerte Puppen von Insekten, die man auch als Hirudineeneier ansieht, Eierfragmente von Wasservögeln, einige schlecht erhaltene Knochen- und Zahntrümmer von Wirbeltieren, sowie versteinerte Samen von Celtis (einer Ulmacee).
Im Dach der Bohnerzbildung und mit ihr eng verknüpft liegt der Süsswasserkalk von Münster oder Moutier (Charrue und Tirage oder Champ Vuillerat), der seiner schwarzen Konkretionen und seines jurassischen Habitus wegen zuerst als dem Purbeck zugehörig angesprochen worden ist. Nach G. Maillard enthält er: Succinea Rollieri, Linnaea longiscata, Planorbis goniobasis und Pl. Choffati, Physa Wealdensis, Bithynia cfr. Dubisiensis, Hydrobia Chopardi, Corbula oder Cyrena sp., sowie die gleichen versteinerten Puppen wie der untere Süsswasserkalk, Samen von Chara sp. etc. Dieser Kalk entspricht dem die obersten Schichten des Pariser Gipses bildenden Kalkstein von Champigny und gehört dem obern Ludien an. Er findet sich auch wieder im Dach der gelben Bohnerztone des Delsbergerthales und am Südportal des Weissensteintunnels bei Oberdorf (nahe Solothurn). Noch höher als diese Süsswasserkalke von Moutier liegt in Oberdorf eigentlicher Bolus mit unregelmässigen Lagen von Eisen- und Manganerz. Dann gelangt man in grünen Letten der Stufe des Sannoisien, der Lagen von Dysodil mit kleinen Fischen der Gattung Smerdis enthält. Das Dach des Eozän von Oberdorf wird endlich von dem Chara und Hydrobia einschliessenden Süsswasserkalk gebildet, der sich auch bei der Glashütte (Verrerie) von Münster in gleicher stratigraphischer Lagerung mit Bezug auf die Bohnerzbildung wiederfindet. Er enthält an dieser letztgenannten Fundstelle Nannina sp., mehrere Arten von Limnaea, eine Planorbis, eine Hydrobia, Nematura, Valvata und Neritina. Es stellen diese Kalke das oberste Eozän dar, das dem Kalkstein von Brie oder dem obern Sannoisien des Pariser Beckens entspricht.
Das Tongrien zeigt sich im lehrreichen Aufschluss von Oberdorf nur in Gestalt von sandigen und kalkigen Mergeln mit Kohlenlagern und zerquetschten Fossilien (Planorbis, Helix etc.), die unmerklich zum Stampien hinüberleiten, wie es vom Jurafuss her bekannt ist. Um Münster, Delsberg und Basel fehlt das typische Tongrien und liegt das Stampien transgressiv über dem Eozän.
Marines Eozän oder Nummulitengebilde. Diese Gruppe ist in Baiern (Kressenberg, Grünten etc.) und in den östlichen Schweizer Alpen gut entwickelt und überzieht mit ihren heute dislozierten Sedimenten einen guten Teil der Kreideketten der Kantone Appenzell, St. Gallen, Glarus, Schwyz, Luzern und Unterwalden, um in ihren rezentesten Schichten auch noch in die Berner und Waadtländer Alpen hineinzureichen. Wir haben bereits gesehen, dass die letzten Kreideschichten in einem schmalen Golf am Nordfuss der ostschweizerischen Alpen abgelagert worden sind und die heutige Aare nicht erreichen.
Desgleichen hat auch das Nummulitenmeer von Osten her, d. h. aus dem Wiener Becken und aus Baiern, langsam gegen Westen zu transgressiv hinübergegriffen und um die Mitte der Eozänzeit (Bartonien) das Mittelmeer erreicht. Gegen Ende des Eozän trat dann ein gleicher Rückzug wie für die Kreide ein. Die in der Nummulitenbildung nördlich der Alpen erkennbaren Eozänstufen stimmen ziemlich gut mit denen überein, die man im Pariser Becken ausgeschieden hat. In der Schweiz lassen sich folgende Stufen unterscheiden:
Das vorherrschend mergelige und an Fossilien arme Londinien, das mit der obern Kreide verknüpft erscheint und nach Mayer-Eymar in den Schwyzer und Glarner Alpen, sowie im nordöstlichen Säntisgebirge beobachtet werden kann.
Auf das Londinien folgt nach oben das Parisien oder Lutétien, das besonders aus dunkeln oder rötlichen, eisenhaltigen (Lowerz) und stellenweise von dunkelgrünen glaukonitischen Bänken durchzogenen Nummulitenkalken besteht. Es ist sehr fossilreich, namentlich in den Umgebungen von Iberg, Einsiedeln, Schwyz, Stans etc. Seine Fauna wurde von Mayer-Eymar sehr vollständig erforscht und umfasst über 400 Arten von Wirbellosen und einige Fische (Lamniden). 45% dieser Arten finden sich auch im Parisien des Pariser Beckens wieder, und 65% gehören der mediterranen oder nummulitischen Fazies der Pariserstufe an. 60 Arten oder 13% sind neu und für das Gebiet der Schweizer Alpen charakteristisch.
Darunter finden sich 8 Crustaceen (Ranina Aldrovandi, Cancer Desmaresti, Xanthopsis Sonthofensis etc.), 4 Anneliden, 7 Kephalopoden (Nautilus centralis und N. imperialis, Aturia zig-zag und A. Aturi etc.) 197; Gastropoden der Gattungen Voluta, Mitra, Ovula, Cypraea, Ancillaria, Harpa, Cassis, Cassidaria, Ficula, Strombus, Rostellaria, Conus, Pleurotoma, Murex, Triton, Ranella, Trophon, Turbinella, Fasciolaria, Fusus, Cerithium, Cancellaria, Ampullina, Natica, Velates, Xenophora, Trochus, Pleuro-
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tomaria, Turbo, Solarium, Scalaria, Turritella, Siliquaria, Serpulorbis;
Calyptraea, Pileopsis, Tornatella und Bulla;
115 meist eozänen Gattungen angehörende Acephalen;
9 Brachiopoden (Terebratulina tenuistriata, Terebratula subalpina);
42 Echinoiden, worunter die Mehrzahl der dem mediterranen Nummulitenkalk eigenen Gattungen.
Deren am meisten typischen sind: Prenaster Alpinus, Linthia subglobosa und L. insignis, Conoclypeus Bouei, C. Ibergensis und C. conoideus, Echinolampas affinis, Echinanthus Cuvieri etc. Wenig zahlreich sind die Bryozoen und Korallen (Trochocyathus Alpinus), während es von Foraminiferen wimmelt, die oft die Hauptmasse des Gesteins ausmachen. Wir befinden uns hier im wichtigsten Horizont der grossen Foraminiferen Orbitoides papyracea, Operculina ammonea, Assilina exponens, Nummulina complanata, N. perforata, N. Ramondi, N. variolaria etc. Im Dach der Nummulitenkalke von Steinbach bei Einsiedeln liegt eine phosphatische, glaukonitische und bituminöse schwarze Schicht von weniger als 1 m Mächtigkeit, die für sich allein eine Ausbeute von 132 Arten geliefert hat.
Davon stammen 90 aus den darunter lagernden Nummulitenkalken; 28 Arten reichen über die Grenze des obern Parisien hinaus, und 31 Arten sind für die Schicht charakteristisch. In den Ketten des Pilatus und des Beatenberges ruht die an Mächtigkeit ziemlich reduzierte Pariserstufe transgressiv auf dem Urgon und besteht nach Kaufmann und Mayer aus einem harten Sandstein, auf den nach oben ein Kalkstein mit grossen Nummulinen (Nummulina complanata, N. perforata etc.) folgt.
Die Fauna ist ziemlich arm, enthält aber doch die am meisten charakteristischen Arten von Einsiedeln, wie Aturia costata, Fusus maximus, Turritella elegans, Serpulorbis ornatus, Pecten Parisiensis, Terebratula subalpina, Prenaster Alpinus, Echinolampas affinis, Conoclypeus Bouei, Ceratocyathus (oder Trochocyathus) cornutus. Dieses alpine Lutétien schliesst mit Brackwasserkalken und Ligniten oder Blätterkohlen ab, die nach Zusammensetzung und Lage dem obern Parisien oder Kalkstein von Provins entsprechen.
Gefunden hat man hier: Cerithium calcaratum, C. diaboli, C. tiara, C. cristatum, C. deperditum und C. ligatum, Neritina Fischeri, Planorbis pseudoammonius, Limnaea longiscata, L. pyramidalis, L. fusiformis und L. acuminata, Paludina Novigentiensis, Melanopsis carinata, Melania Alpina, Cyrena Vapincana, C. Villanovae und C. Rouyana, Congeria aviculiformis. Diese Kohlenschichten erscheinen auch an den Diablerets, wo sie eisenschüssige Sande mit siderolithischen Eisenkörnern überlagern, die auf einer erodierten Urgonunterlage liegen. Die einst an der sog. Mine de Houille abgebaute Kohlenschicht hat nach E. Renevier namentlich 13 Gastropoden (wovon Limnaea longiscata, L. acuminata und L. fusiformis, Planorbis pseudoammonius, Cyclotus exaratus, Vivipara Soricinensis und V. Orbignyana am häufigsten sind), dann 2 Acephalen und Samen von Chara helicteres geliefert.
Das transgressiv über dem Parisien lagernde Bartonien ist in den Ketten des Hohgant und Pilatus, am Niederhorn, an den Ralligstöcken, an den Diablerets in den Waadtländer Alpen und bis zu den Basses Alpes in der Umgebung von Nizza sehr gut entwickelt. Es sind vom Hohgantsandstein überlagerte Pectiniten- und Cerithienschiefer, sowie Nulliporen- oder Lithothamnienkalke (Ralligmarmor) im Dich der Stufe. Nach Mayer-Eymar enthält das untere Bartonien neben vereinzelten Fischzähnen von Selachiern (Lamna, Carcharodon, Notidanus, Otodus, Heterodus) und Ganoiden (Pycnodus) am Niederhorn 274 an den Ralligstöcken 238 und an den Diablerets et eia 116 Arten von Wirbellosen.
Die gesamte Fauna umfasst über 480 fossile Arten, von denen mehr als die Hälfte schon in den nächsttiefern Stufen zum Vorschein gekommen ist, während andere bis ins mediterrane Bartonien, ins Bartonien des Pariser Beckens und noch höher hinauf sich fortsetzen. Unter den Crustaceen des Niederhorns sind vor allem die beiden von Tschan in Merligen gefundenen und sehr gut erhaltenen Krabbenarten Harpatocarcinus punctulatus und H. Jacquoti mit der Ranina Aldrovandii zu nennen, welch' letztere aus dem Lutétien herüberreicht.
Ferner kommen vor: 4 Anneliden mit der überall und bis nach Nizza sich findenden, sehr bemerkenswerten Serpula (Rotularia) spirulaea;
4 ebenfalls schon tiefer unten vorhandene Nautilier, worunter Aturia zig-zag und A. Aturi;
166 Gastropoden der Gattungen Voluta, Mitra, Cypraea, Marginella, Volvaria, Ancillaria, Pseudoliva, Cassis, Cassidaria, Ficula, Terebellum, Strombus, Pteroceras, Rostellaria, Conus, Pleurotoma, Borsonia, Murex, Natica, Neritina, Velates, Xenophora, Trochus, Monodonta, Pleurotomaria, Delphinula, Phasianella, Turbo, Bulla, Tornatella, Chemnitzia, Diastoma (D. costellata), Littorina, Turritella, Siliquaria, Serpulorbis, Calyptraea, Capulus;
6 Arten von Dentalium (Scaphopoden);
234 Acephalen mit zahlreichen Monomyariern, Spondylus- und Pectenarten, wovon folgende für diese Fauna leitend sind: Pecten Thunensis, P. Veniliae, P. Kaufmanni, P. Halleri, P. Bernensis, Spondylus planicostatus, und Sp. paucispinatus, Ostrea cubitus, O. extensa und O. (Gryphaea) Defrancei.
Die Echinodermen erscheinen weit weniger zahlreich als im Lutétien, stammen aber mit einer einzigen Ausnahme (Schizaster rimosus) alle aus dieser Stufe (Echinanthus Brongniarti, Conoclypeus conoideus etc). Auch die grossen Foraminiferen sind weniger zahlreich, und einige grosse Nummulinen scheinen zu fehlen, während andere (besonders die kleinen Assilinen) im untern Bartonien noch recht häufig auftreten.
Aus dem Cerithienkalk der Diablerets hat E. Renevier 116 Fossilarten bekannt gemacht: 2 Fische (Pycnodus und Oxyrrhina), 2 opisthobranche Gastropoden der Gattungen Bulla und Scaphander;
28 siphonostome Gastropoden mit mehreren charakteristischen Cerithien (Cerithium diaboli, C. Weinkauffi, C. elegans, C. Archiaci und C. hexagonum), die im untern Bartonien der Hohgantkette nicht vorhanden sind;
31 holostome Gastropoden, von denen mehrere häufig auftretende und charakteristische Arten (z. B. Melania semidecussata, Ampullina Vulcani, A. Vapincana, A. Picteti und A. Rouaulti) in der Umgebung von Thun ebenfalls fehlen;
72 Acephalen, worunter als besonders charakteristische Arten Psammobia pudica und P. Fischeri, Tellina Haimei, Cardium Rouyanum, Lucina laevigata, Mytilus corrugatus, Anomia tenuistriata;
26 Arten von eozänen Korallen (während von den Ralligstöcken, dem Niederhorn, Leimbach und Schimberg blos deren 8 bekannt sind).
Das obere Bartonien der Umgebungen von Thun besteht aus dem wenig fossilführenden Hohgantsandstein und aus den «Ralligmarmor» geheissenen Nulliporenkalken mit stark verarmter und nur sehr wenige charakteristische Arten enthaltender Fauna. In diesem Horizont treten alle grossen Foraminiferen und die Mehrzahl der Nummulinen, Assilinen, Operculinen und Orbitoiden der vorhergehenden Stufen wieder auf. Mayer-Eymar zählt in dieser Fauna: 1 Anneliden (Rotularia spirulaea), 9 Gastropoden, 2 Scaphopoden, 12 Acephalen (worunter 2 leitende), 2 Terebratulinen, 1 Pentacrinus, den Ceratocyathus cornutus, 11 Orbitoiden etc. In diesen Horizont ist auch der Nummulitenkalk der Waadtländer Hochalpen (La Cordaz, L'Ecuellaz etc.) einzureihen, aus dem Renevier über 120, zum Teil aus den tiefern Stufen hinaufreichende, Fossilien beschreibt: 2 opisthobranche Gistropoden (Bulla und Scaphander), 9 siphonostome Gastropoden, 11 holostome Gastropoden (Ampullina Vulcani und A. Vapincana, Natica sigaretina etc.), 59 Acephalen, 1 Anneliden, verschiedene Bryozoen, 10 Echinoiden (Eupatagus elongatus, Echinanthus, Schizaster, Scutellina, Echinocyamus, Leiopedina, Cyphosoma, Cidaris), 1 Crinoide (Conocrinus Suessi), 8 Korallen, 6 Orbitoiden, ferner Assilina striata, Operculina ammonea etc. Man sieht aus diesen Angaben deutlich, wie die Arten des Eozän durch mehrere Stufen hindurchreichen.
Das Bartonien fehlt an manchen Stellen der östlichen Schweizeralpen, weil es entweder schon vor der Sedimentation des Flysch durch Erosion und Verwitterung weggeschafft worden war oder dann (besonders in seinem obern Abschnitt) bereits einen Rückzug des Meeres andeutet. Immerhin finden sich die Nulliporenkalke in der Umgebung von Ragaz und, in stärker dislozierten Schichten, an den Rändern des Säntisgebirges.
Das Ludien oder Priabonien (= Pariser Gips), das man in den Alpen irrtümlich auch Ligurien genannt hat, ist überall nur wenig verbreitet und zeigt damit an, dass in den Alpen wie im englisch-parisischen Becken das Eozänmeer damals stark im Rückgang begriffen war. Dieser und
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ohne Zweifel auch noch der folgenden Stufe (dem Sannoisien) gehört der Flysch oder besser Gfobigerinenschiefer von Alpnach (Staad und Kleine Schlieren) an, der von Kaufmann erforscht worden ist. Seine von Mayer-Eymar untersuchte Faunula zeigt neben den Foraminiferen (mit zwei von tiefer unten stammenden Orbitoiden) noch einen neuen Trochocyathus (T. paucicostatus), 2 Terebratulina (T. Helvetica und T. Nysti), 3 aus dem untern Eozän stammende Ostrea (O. [Gryphaea] Brongniarti, O. [G.] eversa und O. gigantea); 7 Pecten, wovon 5 neue aus der Untergattung Cornelia (P. [Cornelia] Bittneri, P. [C.] Hantkeni, P. [C.] Heberti, P. [C.] semiradiatus, P. [C.] unguiculus); dann Leda Koeneni, Arnoldia consecta, Tellina Gümbeli und einen durchgehenden Gastropoden (Littorina sulcata). Diese Fauna stellt eine sehr bezeichnende alpine Fazies des obern Eozän dar. Darüber breitet sich transgressiv der Flysch oder das untere Oligozän aus, mit dem in den Alpen sowohl als in den während der Eozänzeit kontinentalen Gebieten eine neue erdgeschichtliche Periode beginnt.
b. Oligozän.
Im Norden Europa's vor sich gehende orogenetische Bewegungen geben zu dieser Zeit Anlass zur Bildung des Mainzerbeckens. Zugleich sendet das Nordmeer über Cassel einen Golf in die Senke hinein, die sich zwischen dem Taunus und den Vogesen einerseits und dem Schwarzwald und Odenwald andererseits schärfer ausgebildet hat. Dieser elsässische Golf reicht bis nach Montbéliard, Basel und in den Berner Jura bis Münster. In ihm hat sich die schöne Littoralfauna entwickelt, die derjenigen der Sandsteine von Fontainebleau und des «Meeressandes» von Mainz entspricht. Wir stehen damit in der Stufe des Stampien (von Etampes bei Paris), die in unserm Land zuerst Parisien (Merian) und dann Tongrien (Mayer, Greppin etc.) genannt worden ist, dies aber irrtümlich, weil das Parisien einem Abschnitt der Bohnerzbildung entspricht und das eigentliche Tongrien von Tongres (Ostbelgien) das Becken von Mainz nicht erreicht.
Die Stufe des Stampien ist in Pruntrut, Delsberg, Laufen, Arlesheim etc. durch einen etwas sandigen hellgelbbraunen Cerithienkalk mit littoralen Konglomeraten und mit von den Lithophagen zerfressenen und durchlöcherten Geröllen (Anzeichen für eine Diskordanz und Aufbereitung der jurassischen und siderolithischen Unterlage) vertreten. Dann kommen blaue Mergel, die den sog. Septarienmergeln des Mainzer Beckens entsprechen und nach oben mit von den Alpen herstammenden sandigen und glimmerigen Materialien durchsetzt erscheinen.
Von der Mitte der stampischen Stufe an war die Verbindung des Elsässer Golfes mit dem helvetischen Becken quer durch den Berner und Solothurner Jura hergestellt, wodurch die alpinen Sedimente in den Elsässer Golf bis nach Weissenburg hineingeschwemmt werden konnten (Elsässer Molasse). Die Fauna des Stampien ist für die Cerithienkalke und die darüber gelagerten Mergel zum grossen Teil die gleiche. Aus den Fundstellen von Bressaucourt, Courgenay, Cœuve, Miécourt, Develier, Brislach, Laufen (Mergel), Neucul bei Delsberg (Mergel) und aus dem neuen Schacht von La Communance bei Delsberg hat E. Kissling (mit einem Beitrag von Lienenklaus für die Ostrakoden) diese Fauna vor kurzem beschrieben.
Sie umfasst 12 Fischarten, wovon 5 Teleostier der Gattungen Amphisile, Dictyodus, Lepidopus (= Anenchelum), Chrysophrys und Meletta, 2 Selachier aus der Gruppe der Rochen (Myliobatis und Squatina) und 5 Squaliden (Lamna cuspidata und L. contortidens, Galeocerdo latidens, Notidanus recurvus und N. primigenius);
mehr als 15 Ostrakoden (die sich in den frischen Mergeln zahlreich sammeln lassen);
22 Gastropoden der Gattungen Bulla, Pleurotoma, Fusus, Tritonium, Pyrula, Cassidaria, Aporrhais, Cerithium (C. plicatum, C. trochleare und C. Lamarcki), Vermetus, Melania, Calyptraea, Ampullina (A. crassatina häufig), Turbo, Trochus, Patella;
55 Acephalen, wovon Ostrea cyathula, O. callifera, und O. longirostris, Pecten pictus, Petunculus obovatus und P. obliteratus, Leda gracilis, Lucina Thierensi, Meretrix incrassata (= Cytherea incrassata) und M. splendida, Cyprina rotundata, Thracia Speyeri, Corbula gibba, Glycimeris (oder Panopaea) Heberti, Pholadomya Weissi.
Die letztgenannte und einige der andern Arten sind bis jetzt blos in den Cerithienkalken von Miécourt und Aesch, nicht aber in den Mergeln, gefunden worden. Die Fundstelle von Miécourt hat ausserdem noch 2 Brachiopoden (Terebratulina polydichotoma und Terebratula cfr. opercularis) geliefert.
Den obersten Ablagerungen der stampischen Stufe gesellen sich stellenweise (Courrendlin, Bogenthal, Soulce, Mümliswil, Winau etc.) noch ein Süsswasserkalk und Süsswassermergel bei, die durch Helix (Coryda) rugulosa charakterisiert werden und im Mainzer Decken (Hochheim, Rheinweiler), sowie in Schwaben (Hoppetenzell, Ehingen etc.) sehr stark verbreitet sind. Ihre Fauna ist bis jetzt blos summarisch beschrieben worden (durch Sandberger und durch Maillard und Loccard).
Diesem Horizont gehört auch die Fauna des Michelsberges bei Ulm an, die bedeutende Knochenreste von Wirbeltieren enthält und nach Zittel folgende Typen aufweist: Amphicyon Lemanensis und A. leptorrhynchus, Palaeogale Waterhousei, Herpestes Lemanensis, Sciurus Feignouxi, Titanomys Visenoviensis, Steneofiber Eseri, Aceratherium incisivum und A. Croizeti, Hyotherium Meissneri, Amphitragulus Boulangeri, A. elegans und A. gracilis, Cainotherium metopias (= C. Renggeri) und C. laticurvatum etc.
Während zur Zeit der ersten Hälfte des Oligozän ein Golf des Nordmeeres bis in den Elsass und den nördlichen Berner Jura eindrang und hier durch Lagunen mit dem helvetischen Becken in Verbindung stand, überflutete dieses letztere ebenfalls das obere Eozän. Aus ihm setzte sich der Flysch ab, der seiner Lagerung und stratigraphischen Wichtigkeit nach dem wirklichen Tongrien Belgiens - allerdings unter einer andern Fazies - entsprechen muss. Diese Hypothese ist durch die Forschungen der französischen Geologen in Savoyen, in Entrevernes, in den Déserts bei Chambéry, in der Mulde von Bauges etc. endgiltig bestätigt worden. An diesen Stellen findet man die tongrische Fauna der mediterranen und bairischen Fazies (Castel Gomberto, Reit im Winkel) in klastischen und groben Sedimenten wieder, die den untern Schiefern mit Helminthoiden oder Myrianiten (wahrscheinlich Wurmspuren auf dem Schlamm) und mit Chondrites des Flysch entsprechen.
In den östlichen Schweizeralpen ist die Flyschdecke (von «fliessen», also gleich «fliessende, gleitende oder schlüpfrige Schiefer») weitaus mächtiger und auch in petrographischer Hinsicht viel abwechslungsreicher als in Savoyen. Wie wir schon gesehen haben, verbindet sich dieser Flysch - wenigstens längs der Axe des helvetischen Beckens - durch unmerkliche Uebergänge mit dem Eozän, während er oben gegen die Präalpen, die Hochalpen und nach Westen hin transgrediert.
Die Breccien, die groben Konglomerate mit Trümmern von krystallinen Gesteinsarten, die sog. exotischen Blöcke sekundärer Gesteine von mediterraner Fazies und vulkanischer und krystalliner Felsarten, die Sandsteine mit diabasischen Elementen (Taveyannazsandsteine) und Pycnoduszähnen, sowie die ungeheure Masse von schwarzen Schiefern, die der Flysch umfasst, geben ihm einen ganz eigenartigen Charakter. Leider ist seine Fauna noch sehr unvollständig gesammelt und kennt man aus ihm bis jetzt keine Reste von Wirbellosen.
Das Wasser des Flyschmeeres muss für das Tierleben ertötend gewesen sein, was aus den vollständigen Skeletten von Fischen und Schildkröten hervorgeht, die man aus dem Flysch der östlichen Schweizer Alpen kennt. Auch vulkanische Vorgänge haben die Sedimentation des Flysch direkt oder indirekt beeinflusst. Jedenfalls stand der Flyschgolf, wie dies auch für das obere Kreidemeer der Fall gewesen ist, zuerst über Baiern mit dem pannonischen Meer in Verbindung, worauf sich später über die Basses Alpes ein Zugang zum Mittelmeer öffnete.
Die einzige bedeutende fossile Fischfauna der Schweiz findet sich im Flysch der berühmten Schieferbrüche am Plattenberg bei Matt (Glarus). Sie wurde zuerst von L. Agassiz, der sie der Kreidezeit zurechnete, untersucht und dann von Alex. Wettstein nochmals überprüft, der die von Agassiz aufgestellten 44 Arten auf 27 Arten reduzierte. Agassiz hatte eben seinerzeit den durch die orogenetischen Vorgänge und Bewegungen bewirkten Umänderungen (Verkürzung und Verlängerung in der Quer- u. Längsrichtung) der Skelette keine Rechnung getragen. Es sind alles Teleostier oder Knochenfische eines heissen oder warmen Meeres, die 20 Gattungen und 13 Familien folgender 4 Gruppen angehören: 1. Sclerodermen, eine Art (Acanthopleurus serratus);
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2. Physostomen, 6 Arten (Acanthoderma spinosum, Clupea brevis, C. dubia und C. megaptera, Meletta Scheuchzeri und Scopeloides Glaronensis); 3. Anacanthier, eine Art (Nemopteryx Troscheli); 4. Acanthopteren. 19 Arten [Acanus longispina, A. Regleyi und A. gracilis, Podocys minutus, Archaeoteuthis Glaronensis, Lepidopus (Anenchelum) Glaronensis und L. brevicauda, Thyrsotocephalus Alpinus, Palaeorhynchus Glaronensis, Hemirhynchus Colei, Echeneis Glaronensis (ein Schiffshalter), Archaeus Glaronensis, Archaeoides longus, A. longicostatus und A. macrurus, Palimphyes Glaronensis, Isurus macrurus, Cyttoides Glaronensis und Fistularia Koenigi (ein Pfeifenfisch)]. Dieser Fischfauna hat H. von Meyer noch zwei kleine Schildkröten (Chelonia ovata und Ch. Knorri), sowie zwei Vögel von der Grösse einer Lerche (Protornis Glaronensis und P. Blumeri) beigefügt, welch' letztere aber zu schlecht erhalten sind, um mit Sicherheit bestimmt werden zu können.
Die auf den Flysch (Tongrien) Savoyens folgende stampische Stufe besteht an der Basis aus Konglomeraten (Voirons und Salève) mit kleinen Cerithien wie im Elsgau oder der Ajoie (Cerithium plicatum etc.). Gegen Chambéry zu sind es Mergel mit Cardita Laurae, einer vicentinischen Art, und mit der dem Tongrien Belgiens eigenen Nystia Duchasteli. Diese Typen finden sich auch wieder am Eigenthalsattel (nördl. vom Pilatus) in einem über dem Flysch liegenden Sandstein, der aber bis jetzt noch nicht so erforscht worden ist, wie er es verdienen würde.
Dann folgen in Savoyen wie im Mainzer Becken Mergel mit Cyrenen, kleinen Nuculen etc., die noch genauer bestimmt werden müssen. Den obern Abschluss bilden endlich rote und grüne Brackwasserschichten mit Helix rugulosa, die mit weichen grünlichen Schiefern mit Palmenblättern (Sabal) wechsellagern. Diese ganze Serie erscheint am Nordfuss der Alpen infolge der Ueberschiebung des Flysch durch das Miozän verdeckt, indem hier an den tiefsten Stellen der Mollasseantiklinalen blos noch die aquitanische Stufe zu Tage tritt.
Diese aquitanische Stufe oder das Aquitanien zeigt im ganzen schweizerischen Mittelland und im Juragebirge eine gleichartige Zusammensetzung. Wie im Mainzer Becken ist es eine Brackwasserbildung (Corbicula- und Littorinellenkalk), die erst zu oberst, d. h. längs der Küsten, von Schwaben bis Valence, in eine wirkliche Süsswasserbildung übergeht. Die Brackwasserschichten sind bei uns nur aus der Umgebung von Thun und vom Biltenbach beim Etzel bekannt, wo sie auch erforscht wurden.
Mayer-Eymar hat aus einem Sandstein (Ralligsandstein, Grès de Vaulruz) am Fuss des Schlosses Ralligen bei Thun eine mit Pflanzenresten vermengte kleine Fauna von 13 Land-, Süsswasser-, Brackwasser- und Meeresmollusken bestimmt, die mit derjenigen der Kohlenlager von Miesbach in Ober Baiern Verwandtschaft zeigt. Es sind: Strophostoma anomphalum, Melanopsis acuminata und M. Heeri, Dreissensia Basteroti und D. acutangularis, Nucula sp., Cardium Thunense, C. Studeri, C. Lucernense und C. Heeri, Cyrena semistriata, Lutraria sp. und Corbula Henkeliusi.
Die meisten dieser Arten treten auch bei Jaun (Freiburg), sowie die Cardiumarten auch am Biltenbach (Glarus) auf. In diesen Horizont oder doch in dessen Nähe sind ferner noch einzureihen die Neritinen vom Moulin de Belmont bei Lausanne, die Funde von Cyrena semistriata und Cerithium (Tympanostoma) margaritaceum (mit Abarten) von Saint Sulpice bei Ouchy, aus dem Tobel des Buron bei Yverdon und aus demjenigen des Talent bei. Épautheires. Weil die eben genannten Tiere in einem grossen Süsswassersee nicht hätten gedeihen können, muss man annehmen, dass das helvetisch-bairische Becken mit dem pannonischen Meer und dem Becken von Wien in mehr oder weniger freier Verbindung gestanden habe, wodurch der Salzgehalt der Lagunen immer wieder aufgefrischt werden konnte.
Die ausgesprochen marinen Arten (Psammobia, Turritella etc.) sind übrigens im Aquitanien von Miesbach und Hausham (Ober Baiern) weitaus häufiger als bei uns und veranlassen uns zu der Annahme, dass damals nördlich der Alpen ein Meeresarm existiert habe. Die Sandsteine von Vaulruz bei Bulle haben dem Freiburger Museum das beinahe vollständige Skelett eines Lamantin oder Manati (Halitherium) geliefert, der wie der heute verschwundene Dugong der japanischen Gewässer in ruhigen Buchten des Meeres lebte. Reste des Halitherium sind übrigens auch im Stampien des Mainzer Beckens und des Berner Jura nicht selten.
Das Aquitanien des Jurafusses oder die sog. Aarwangermolasse erscheint besonders reichhaltig an Resten von Säugetieren, die auch noch an verschiedenen andern Stellen des Mittellandes aufgefunden werden konnten. In den Kohlenschichten von Rochette und Paudex bei Lausanne finden sich Anthracotherien (Anthracotherium Valdense, A. magnum und A. minutum) und Emyden; ferner zahlreiche Knochenreste von Aceratherium, Anthracotherium etc. im Bumbachgraben bei Schangnau (Bern), sowie solche von Aceratherium Gannatense und A. Lausannense, Rhinoceros brachypus, Palaeomeryx minor etc. an der Engehalde bei Bern. Die Rappenfluh bei Aarberg hat Reste von Palaeomeryx und von Hyotherium Meissneri geliefert, und in der Umgebung von Aarwangen sind Knochen von Palaeochoerus Meissneri, Anthracotherium hippoideum, Hippopotamus Borbonicus, Archaeomys Arvernensis etc., sowie Schalen von Süsswasser- und Landmollusken (Helix, Neritina, Unio etc.) gesammelt worden. Einige dieser Arten werden soeben auch von der Tuilerie bei Münster im Berner Jura bekannt.
Im Dach der aquitanischen Stufe findet man in allen Antiklinalen des subalpinen Gebietes und bis in die Nordschweiz überall rote Sandsteine und Mergel. Letztere haben auch im Appenzellerland die typische Helix (Plebula) Ramondi geliefert, die überall das obere Aquitanien des Juragebirges begleitet. Dieser Horizont ist in allen Längsthälern des Berner und Solothurner Jura in Gestalt von Süsswasserkalken (Delsbergerkalk) mit pisolithischen roten und grünen Mergeln vertreten, die eine von der Fauna der Kalke mit Helix rugulosa der vorangehenden Stufe abweichende Conchylienfauna enthalten.
Obwohl diese auch von derjenigen der Kalke mit Helix (Macularia) sylvana in Schwaben etwas verschieden erscheint, ist doch Helix sylvana an verschiedenen Stellen unseres Landes (Liesberg, La Chaux bei Sainte Croix, Engehalde bei Bern) in den nämlichen Kalksteinen wie Helix Ramondi ebenfalls mehrfach angetroffen worden, während letztere sich bei uns nicht wie in Schwaben in Gesellschaft der Helix rugulosa findet. Die Muschelfauna des obern Aquitanien unseres Landes wäre noch einer Spezialstudie wert, obwohl wir keine Fundstellen besitzen, die an Reichhaltigkeit mit derjenigen von Mörsingen in der Schwäbischen Alb oder mit denjenigen in der Umgebung von Wiesbaden sich vergleichen liesse.
c. Miozän.
Das Miozän beginnt für uns mit dem (früher auch Langhien oder Helvétien genannten) Burdigalien, das überall den Brackwasser- und Süsswasserschichten des Aquitanien oder obern Oligozän transgressiv aufliegt. Die Grenze ist zwar nicht überall sehr scharf (so besonders in der subalpinen Molasse), doch rechtfertigt die von der Lausanner Molasse an sich geltend machende marine Transgression die Zuteilung dieser eben genannten Schichten zum Miozän (anstatt zum Oligozän).
Man darf daher die Lausanner Molasse deshalb nicht ins Oligozän zurückversetzen, weil sie die ersten marinen Ablagerungen des Miozän enthält. Auch die sicher dem Miozän angehörenden Landfaunen zeigen einen neuen Charakter. Wir haben in der Schweiz bei La Combert nahe Freiburg eine Fundstelle von marinen Fossilien in den untern Schichten des Burdigalien und ferner marine Bänke in der Lausanner Molasse bei Le Fuet, die tief unter dem Muschelsandstein oder dem Helvétien im engern Sinn liegen.
Diese Tatsachen zeigen, dass die erste Miozänstufe einer neuen Zeit von mariner Sedimentation im helvetischen Becken entspricht. Die Fauna des untern Burdigalien ist noch nicht vollständig gesammelt und auch noch nicht beschrieben worden. Immerhin darf gesagt werden, dass die fossilen Schildkröten der Umgebung von Lausanne, soweit sie wenigstens in der Lausanner Molasse (Langhien) und nicht in den Kohlenschichten von Paudex (Aquitanien) sich fanden, dieser Stufe angehören. Es sind dies nach Golliez und Lugeon: Testudo Escheri und T. sp., Ptychogaster Gaudini und P. rotundiformis, Emys (Ocadia) Razoumowskyi, E. Morloti, E. Heeri, E. Portisi
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und E. Kunzi, Trionyx Lorioli (eine Süsswasserschildkröte) und Trachyaspis Lardyi (eine Alligatorschildkröte). Aus dem Muschelsandstein hat man von La Molière bei Estavayer, von Ins und Brüttelen, vom Bucheggberg, von Lenzburg, Othmarsingen, Würenlos etc. allmählig eine wichtige Fauna zusammengebracht, die vor kurzem durch Th. Studer beschrieben worden ist. Aus diesem Horizont sind sicher bestimmt: 3 Unpaarhufer oder Perissodactylen (Tapirus Helveticus, Aceratherium minutum und A. incisivum) mit einem Equiden (Hipparion gracile vom Bucheggberg und La Molière), 5 Paarhufer oder Artiodactylen aus der Familie der Suiden (Palaeochoerus [Hyotherium] Meissneri, vom Bucheggberg; Choeromorus Sansaniensis, von Brüttelen; Hyopotamus Helveticus [?], Soemmeringi, von La Molière; Brachyodus onoideus, von Brüttelen); 4 Wiederkäuer (Dicrocerus furcatus, Hyaemoschus crassus, vom Bucheggberg, und H. Jourdani, von Madiswil; Antilope [Protragocerus] clavata, von Brüttelen), 2 Proboscidier (Mastodon angustidens und M. tapiroides, von Eglisau), 2 Raubtiere (Pseudailurus sp., von Brüttelen, und Amphicyon maior, von Burgdorf), 1 Seekuh (Halianassa Studeri), 3 Delphine (Squalodon servatus, Schizodelphis canaliculatus, Beluga acutidens [= Orca Meyeri = Delphinus acutidens], von La Molière).
Ferner kennt man zerstückelte Trümmer von Reptilien, Krokodilen, Flussschildkröten etc. die selten genau bestimmt werden können (Trionyx etc.), während die Bestimmung der den Selachiern angehörigen Fische auf Grund ihrer im Muschelsandstein in grosser Menge enthaltenen Zähne möglich ist. Agassiz hat mehr als 20 solcher Fischarten erkannt, nämlich Squaliden und Lamniden der Gattungen Lamna, Oxyrrhina, Carcharodon, Hemipristis und Notidanus, Rochen der Gattungen Zygobatis, Myliobatis und Aetobatis, sowie auch Teleostier.
Weniger gut bekannt sind die Wirbellosen des obern Burdigalien oder Helvétien im engern Sinn, die im ganzen eine ärmliche Fauna darstellen, obwohl einige Arten (besonders Tapes Helveticus und Mactra triangula) in unzähligen Individuen vorhanden sind. Aus dem marinen Miozän (Burdigalien + Vindobonien) der Schweiz und Schwabens hat K. Mayer (1872) 710 Arten von Wirbellosen aufgezählt, die sich auf folgende Gruppen verteilen: 3 Spongien (Cliona), 8 Korallen, 21 Bryozoen, 1 Asteroide (Astropecten Helveticus), 7 Echinoiden der Gattungen Cîdarîs, Psammechinus, Scutella, Echinolampas, Brissopsis, Schizaster und Echinocardium, 5 Brachiopoden (Lingula ovalina, Terebratula grandis, T. Hoernesi und T. miocaenica, Terebratulina caput serpentis), 340 Acephalen, 7 Scaphopoden, 305 Gastropoden, 10 Crustaceen (Rankenfüssler: Balanus, Pyrgoma; Makruren: Cancer Rietmanni, Lupea dubia und Astacus Lucernensis), 3 Anneliden (Serpula).
Die Gesamtheit dieser Fauna verteilt sich auf drei Unterstufen des Helvétien Mayer's. Zu unterst findet sich die Fauna des subjurassischen Muschelsandsteins, des Randengrobkalkes und des Grobkalkes vom Kalofen bei Brugg. Parallelisiert wird diese tiefste Unterstufe des Helvétien mit den Faluns der Touraine, den Schichten von Grund bei Wien und denen der Superga bei Turin. Die zweite Unterstufe umfasst die Faunen von Niederhasli (Zürich), Würenlos, Othmarsingen und des Hegau. Die dritte Unterstufe oder das obere Helvétien begreift die Faunen vom Burgerwald bei Freiburg, vom Belpberg, von Luzern und von der Umgebung von St. Gallen in sich. Nun ist aber erwiesen, dass der Randengrobkalk, der Grobkalk vom Kalofen und von Basel Land, sowie die Schichten von St. Gallen der Wienerstufe (Faluns der Touraine, Schichten von Grund) angehören und daher alle jünger sind als der Muschelsandstein oder das Helvétien im engern Sinn, weshalb man aus dem Mayer'schen Katalog die Reihenfolge der Faunen und ihre Zusammensetzung nicht entziffern kann. Die ganze Arbeit bleibt noch der Zukunft vorbehalten. Die Wirbellosenfauna des Burdigalien (= Helvétien s. Str.) oder der ersten mediterranen Stufe Suess' kennt man in der Litteratur blos aus der Liste der Cardienschichten des Kantons Zürich.
Aus dem Vindobonien (der sog. zweiten mediterranen Stufe Suess'), das die St. Galler Schichten, den Randengrobkalk, den Grobkalk der rheinischen Meseta, sowie die Bryozoensande von Schwaben (Ursendorf) und La Chaux de Fonds umfasst, besitzen wir einige von Mayer bestimmte und von C. Moesch, F. Schalch und J. B. Greppin veröffentlichte Bruchstücke von Faunen. Aus dem Aargau (Herznach, Wölfliswil etc.) nennt Moesch 65 Gastropoden und blos 8 Acephalen, und aus dem Randen zählt Schalch 6 Foraminiferen, 1 Spongie (Cliona), 1 Koralle, 11 Bryozoen, 1 Brachiopoden (Terebratula grandis), 90 Acephalen, 1 Scaphopoden, 3'2 Gastropoden, 3 Rankenfüssler (Balanus), 10 Selachier und die Halianassa Studeri auf.
Diese Fauna wird aber überall fälschlich der Mainzer Stufe, d. h. dem Aquitanien zugeschrieben. In der von Gutzwiller veröffentlichten Liste von Fossilien aus den Umgebungen von St. Gallen sind auch die des Muschelsandsteins (Seelaffe) enthalten, während die Mehrzahl aus über der Seelaffe gelegenen Schichten stammt (Tobel der Sitter südlich Stocken, Mühlegg, Linsenbühl, Felsenkeller, Tivoli, Hagenbuch, Muschelnberg, Schanzen, Martinstobel). Man hat hier nach den Bestimmungen von Mayer-Eymar gefunden: 2 Spongien (Cliona), 8 Korallen, 13 Bryozoen, 3 Echinoiden, 1 Brachiopoden (Lingula ovalina), 233 Acephalen, 192 Gastropoden, 4 Cirrhopoden oder Rankenfüssler, 1 Dekapoden (Cancer Rietmanni), 5 Squaliden und einen Spariden (Sparoides).
Die Fauna des Vindobonien wiederholt teilweise diejenige des Burdigalien, besitzt aber doch auch viele ihr eigene Arten und interessante Abarten, sodass sie einer eingehenden Spezialstudie wohl wert wäre. Charakteristisch sind namentlich folgende Typen: Proto nanus, Buccinum Dujardini und B. Gresslyi, Cassidaria Rauraca, Melanopsis citharella und M. tabulata, Murex Turonensis, Columbella Helvetica und C. Meriani;
Trochus Dujardini, T. mages, T. sannio, T. fanuliformis und T. Turonicus;
Nerita Laffoni, N. Moeschi und N. morio;
Solarium misarum, Dentalium mutabile;
Pecten Herrmannseni, P. solarium, P. palmatus und P. latissimus, Ostrea Giengensis (= O. crassissima = O. gryphoides), Cardita Jouanneti, Cardium echinatum und C. praecellens, Meretrix (Cytherea) Bernensis, Venus verrucosa, Tapes Ulmensis, Mactra Ulmensis, Pholadomya Alpina, Lutraria sp. div., Thracia sp. div., Clavagella (zwei Arten), Glycimeris (= Panopaea) glycimeris etc. Diesem Niveau gehören auch die Dinotheriensande mit Cerithium (Tympanostomus) lignitarum (= crassum) von Court, Tramelan und Rainson bei Courtelary (Berner Jura) an, die einige der eben genannten Fossilien enthalten, ebenso wie die Mergel mit Bryozoen und grossen Exemplaren von Pecten von La Chaux de Fonds, in denen sich verschwemmte und abgeschliffene Fossilien des Albien finden.
Sie überlagern transgressiv das Burdigalien (Muschelsandstein) und reichen bis an die Uferlinie La Chaux de Fonds-Undervelier-Mettenberg-Tennikerfluh-Randen heran, d. h. bis an die Grenzlinie der maximalen Transgression des Miozänmeeres im Jura und in Schwaben. Im Dach des Vindobonien trifft man stellenweise (Sorvilier, Court, Flaach, Randen, rote Mergel von Le Locle, Siggenthal, Katzenstrebel bei St. Gallen, Baarburg bei Zug, Grüsisberg, Mammern etc.) Süsswasserkalke eingelagert, die aus der Touraine bekannte Arten einschliessen: Helix (Macularia) Turonensis, Helix (Campylaea) extincta etc. Diese Fauna von Land- und Süsswassermollusken muss aber erst noch genauer untersucht werden.
Die letzte Miozänstufe der Schweiz heisst bei uns Oeningien oder obere Süsswassermolasse und entspricht der sarmatischen Stufe von Osteuropa. Die Sedimente zeigen in der Hauptsache eine Brackwasserfazies und sprechen für eine allmählige Verlandung des helvetisch-bairischen Beckens, sowie für die Bildung von Süsswasserbecken mit Ablagerungen von Süsswasserkalken, von Kohlen (Käpfnach), von Deltaschutt an der Mündung der alpinen Ströme etc. Fauna und Flora sind sehr reich, doch handelt es sich vielfach um verschwemmte und abgeschliffene Trümmer, die selten an primärer Lagerungsstelle im Boden vergraben wurden. Dies letztere trifft dagegen bei der sehr reichen Fundstelle von Oeningen (Grossherzogtum Baden) zu, die nach Osw. Heer mehr als 475 Pflanzen- und 922 Tierarten (wovon über 800 Insekten) geliefert hat. Sie gehört zwar nicht der Schweiz an, gibt uns aber ein anschauliches Bild von dem reichen Tierleben, das in den unser Land gegen Ende der Miozänzeit umgebenden und zum Teil auch bedeckenden tropischen Waldungen
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geherrscht haben muss. Eine andere, allerdings weniger reichhaltige Fundstelle von Fossilien des nämlichen Alters und derselben Fazies, wie diejenige von Oeningen, befindet sich in den kalten Hochthälern des Neuenburger Jura, d. h. in den Hügeln und Süsswasserkalken um Le Locle (Bahnhof etc.). Von dieser Stelle ist schon im Abschnitt über die fossile Flora die Rede gewesen. Auch die in diesen Schichten enthaltenen tierischen Reste sind sehr zahlreich und vielleicht von den Paläontologen noch nicht vollständig ausgebeutet.
Nach G. Maillard und A. Loccard kennt man jetzt aus den Süsswasserkalken von Le Locle, den rezentesten aller unserer miozänen Süsswasserablagerungen, eine 33 Arten umfassende Faunula von Land- und Süsswassermollusken, die alle von A. Jaccard gesammelt worden sind. Die Bestimmungen müssen aber einer vollständigen Revision unterzogen werden, weil man heute noch über den wirklichen Horizont von mehreren typischen Arten nicht genügend aufgeklärt ist. Doch stehen wir in jedem Fall im Niveau folgender Formen: Helix (Tachea) Renevieri und H. (Tachea oder Macularia) Larteti, Limnaea dilatata und L. Jaccardi, Planorbis Mantelli, Gillia utriculosa, Lithoglyphus panicum, Neritina pseudofluviatilis, Unio Lorioli und U. Jaccardi, Pisidium Picteti etc. Analoge und gleichalterige Schichten finden sich noch an einer grossen Anzahl von Stellen im Jura und im Mittelland, so besonders bei Rainson nahe Courtelary, bei Sorvilier (Golat), Vermes, Läufelfingen, am Bötzberg, an der Falletsche (Uetliberg) etc.
Im obern Miozän der Schweiz hat man so ziemlich überall (im Jura wie in der Ostschweiz) mehr oder weniger fragmentarische Reste von fossilen Knochen gesammelt. Diese haben uns die Rekonstruktion der Säugetierarten erlaubt, die damals an den Ufern der Seen, in den Sümpfen und auf den grasigen Hochflächen unseres Landes lebten, welches zu jener Zeit den subtropischen Gebieten der Vereinigten Staaten, den Sundainseln und dem südlich der grossen Seen gelegenen Abschnitt von Afrika ähnlich sein musste.
Diese Tierherden lebten friedlich auf einem jungfräulichen Boden, dessen Ruhe und erhabene Majestät der Mensch noch nicht störte. Die Liste der heute aus dem obern Miozän der Schweiz bekannten Säuger ist nach den in Käpfnach (Kohlenbergwerk), Elgg und Veltheim bei Winterthur, Oeningen, Vermes bei Delsberg, La Chaux de Fonds etc. gefundenen fossilen Resten zuerst von L. Rütimeyer und dann von Th. Studer aufgestellt worden. Sie umfasst: einen Affen (Pliopithecus antiquus), 5 Raubtiere (Hyaenailurus Sulgeri; Amphicyon maior, einen Vorläufer der Hunde und Bären; Galecynus palustris, Trochictis carbonaria und Lutra Valetoni), 3 Insektenfresser (Talpa telluris, Parasorex socialis und Erinaceus Oeningensis), 7 Nagetiere (Steneofiber Eseri und St. Jaegeri, 2 Biberarten; Cricetodon medius; Sciurus Bredai, ein Eichhörnchen; Lagomys verus, Myolagus Meyeri und Chalicomys minutus vom Hohen Rhohen), 3 Proboscidier oder Elefanten (das sehr verbreitete Mastodon angustidens, M. Turicensis und Dinotherium giganteum, von welchem in der Umgebung von Delsberg vereinzelte Zähne und ein Unterkiefer mit den Stosszähnen gefunden worden sind, die sich heute im Berner Museum befinden), 5 Unpaarhufer (Macrotherium antiquum, vom Hohen Rhonen; Tapirus Helveticus, Aceratherium incisivum und A. minutum, Rhinoceros Goldfussi vom Hohen Rhonen), 6 nicht wiederkäuende Paarhufer (wovon 1 Equide: Anchitherium Aurelianense und 5 Suiden: Listriodon splendens, Hyotherium Soemmeringi und H. medium, Choeromorus Sansaniensis, Sus palaeochoerus), 8 wiederkäuende Paarhufer (Hyaemoschus crassus und H. Jourdani, Palaeomeryx eminens, P. Bojani und P. Partschi, Dicrocerus furcatus, Antilope cristata und A. [Protragocerus] clavatus aus Le Locle). Die Reste von Reptilien, Krokodilen (Cr. Büticonensis) und Schlangen (3 Nattern aus Oeningen) sind nicht zahlreich; dagegen haben die Umgebungen von Winterthur prachtvolle Exemplare von Schildkröten geliefert: die nahezu 1 m lange Testudo Vitodurana, das grösste Exemplar der aus Europa bekannten Landschildkröten;
die et was kleinere Testudo Picteti, sowie die der griechischen Schildkröte analoge und am meisten verbreitete Testudo Escheri.
Aus Oeningen kennt man die Reste einer Alligatorschildkröte (Chelydra Murchisoni), von der analoge Arten heute noch in Florida leben. Batrachier sind blos aus Oeningen bekannt, wo sich zahlreiche Skelette des Riesensalamanders (Andrias Scheuchzeri) fanden, von dem jetzt noch eine nahe verwandte Art (Cryptobranchus Japonicus) in den Gewässern Japans sich aufhält. Die Kröten (Bufo) von Oeningen erinnern an die heutigen Bombinatorarten oder Unken, und die grosse Latonia Seyfriedi ist ein Verwandter des brasilianischen Hornfrosches.
Die überall so seltenen fossilen Vögel sind im obern Miozän unseres Landes durch den in der Umgebung von Luzern erfolgten Fund von fossilen Eiern samt ihren Schalen vertreten, die alle am gleichen geschlagenen Handstück festhaften und die Grösse von Enteneiern zeigen. Von Schwimmvögeln besitzt Oeningen nur wenige Reste, so u. a. das unvollständige Skelett einer Ente (Anas Oeningensis) und Abdrücke von Federn auf einer Felsplatte. Reichhaltiger sind in dieser Beziehung die Kalktuffe des Ries in Franken.
4. Quartär.
Die quarternären Faunen sind in unserem Lande, das während fünf langen geologischen Perioden von den Gletschern überflutet war, natürlich nur sehr wenig zahlreich und wenig verbreitet. Es lagen damals nicht nur die eben entstandenen Alpen, sondern auch das ganze Mittelland und ein grosser Teil des Juragebirges unter dem Eis begraben. Während der Interglazialzeiten oder der Zeiten des Rückzuges der quaternären Gletscher schlugen sich in den tiefer gelegenen Gebieten fossilführende subaërische, palustre und lakustre Sedimente nieder, von denen man aber ausser den Schieferkohlen von Wetzikon, Uznach und Mörswil (in den Kantonen Zürich und St. Gallen) nur sehr wenige kennt.
Diese Schieferkohlen sind sicher interglazialen Alters, da unter und über ihnen typische Moränen mit geschrammten alpinen Geschieben liegen. Man nimmt allgemein an, dass sie aus der letzten Interglazialzeit (Riss-Würm) oder dem sog. Moustérien stammen. Das geologische Museum in Zürich besitzt aus diesen Kohlen einige Reste von heute noch in der gleichen Gegend lebenden Käfern und Sumpfmollusken, und ferner Knochen von folgenden Säugern: Elephas antiquus und E. primigenius (Mammuth), Rhinoceros Mercki, Bos primigenius (Auerochs, Urus Caesar's), Cervus altes (Elch), C. elaphus (Hirsch) und Ursus spelaeus (Höhlenbär).
Gut bekannt ist die Fauna des Löss, der in der Schweiz bloss im Rheinthal von Basel bis Sargans und im untern Aarethal um Aarau aufgefunden worden ist. Dieses nach den Einen äolische und nach den Andern fluviatile Sediment ist niemals älter als die letzte Interglazialzeit oder das Moustérien, d. h. mit andern Worten: als typischen Löss betrachtet man blos diejenigen Sedimente dieser Fazies, die auf den Hochterrassen liegen, nicht aber die mehr sandigen und tonigen Ablagerungen auf den Niederterrassen.
Immerhin sprechen einige Geographen auch von einem postglazialen Löss. Die Fauna des typischen Löss ist von Gutzwiller hauptsächlich aus der Umgebung von Basel erforscht worden und enthält folgende Säugetiere: Elephas primigenius, Rhinoceros tichorrhinus, Equus caballus, Bus primigenius, Cervus elaphus (?). Die im Löss überall reichlich vorhandenen Land- und Süsswassermollusken bilden eine Faunula von 32 Arten, worunter 14 ganz allgemein verbreitet sind und heute noch in der Schweiz in zahlreichen Exemplaren leben.
Vier Arten sind es vor allem, die durch ihr Vorherrschen über die andern für den Löss als leitend gelten können: Trichia sericea und T. hispida, Pupa muscorum und Succinea oblonga. Sehr selten finden sich dagegen im Löss folgende, heute ziemlich verbreitete Arten: Vitrina diaphana, Hyalinia nitens und H. nitidula, Limnaea truncatula, Planorbis (Gyrorbis) rotundatus, Pisidium fossarinum. Im Löss der Nordschweiz sind ferner noch drei Arten der alpinen oder arktischen Gebiete vorhanden, die in der gleichen Gegend heute nicht mehr leben; es sind Pupa columella, P. substriata und P. parcedentata. Dagegen hat man im Löss der Schweiz noch niemals die in den angebauten Gegenden sehr häufigen grossen Lungenschnecken (wie z. B. Helix [Helicogena] pomatia 1), H. [Tachea] nemoralis, H. [T.] hortensis etc.) gefunden.
[1) Zu bemerken ist, dass Steinmann vor kurzem aus dem Löss der Umgebung von Istein (Baden) die Helix pomatia bekannt gemacht hat. Ferner weiss man, dass diese Art auch in den mit dem Löss gleichalterigen Tuffen von Cannstatt bei Stuttgart vorkommt.]
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Diese Tatsache und das Vorkommen von arktischen und alpinen Typen in der Ebene scheinen anzuzeigen, dass das Klima der Schweiz während der letzten Interglazialzeit oder des Moustérien merklich kälter und rauher gewesen ist als heute. Doch können die Arten der angebauten Gegenden, wenn auch viel seltener als jetzt, damals schon vorhanden gewesen sein, ohne dass sie im Löss begraben wurden.
Die Fauna unserer interglazialen Tuffe, die wie diejenigen von Cannstatt ebenfalls aus der letzten Interglazialzeit zu stammen scheinen, ergänzt einige der in der Fauna des Löss konstatierten Lücken. Sie ist bis jetzt nur an einzigen Stelle der Schweiz, in Flurlingen bei Schaffhausen 1), [1) Die von F. Jenny untersuchten Tuffe von Kehrsatz bei Bern scheinen uns eher postglazialen Alters zu sein.] und zwar von L. Wehrli untersucht worden und besteht aus Knochenresten des auch in Cannstatt sich findenden Rhinoceros Mercki, von Bos und von Cervus, sowie aus Schalen von folgenden Land- und Süsswasserschnecken: Hyalinia cellaria, H. (Fruticicola) incarnata und H. (Eulota) fruticum, Clausilia (Alinda) biplicata, Succinea Pfeifferi und S. oblonga, Limnaea palustris var. curta. Obwohl diese Fauna einer vom Löss ganz verschiedenen Fazies angehört, ist sie doch älter als die Moränen der letzten Eiszeit, die die Tuffe von Flurlingen überlagern.
Es erübrigt uns noch eine Zusammenfassung dessen, was man von der in den Niederterrassen, unter dem Torf etc. eingeschlossenen Fauna weiss, die mit dem endgiltigen Rückzug der quaternären Gletscher in die heutigen Gletschergebiete gleichalterig ist. Sie ist bis jetzt noch zu wenig untersucht. Knochen des Mammuth (Elephas primigenius) hat man in den tiefer gelegenen Thälern so ziemlich überall gefunden, doch stammt der vollständigste schweizerische Fund aus Nieder Weningen im Kanton Zürich, wo ziemlich vollständige Reste von vier erwachsenen Individuen und eines Embryonen an der Sohle einer selbst wieder von postglazialem Aluviallehm bedeckten Torfschicht bunt durcheinander lagen. An der gleichen Stelle konnten auch noch Knochen eines dem Bos Americanus verwandten Bison, des Auerochsen (Bos primigenius), des Rhinoceros tichorrhinus (= Rh. antiquitatis), des Equus fossilis, des Canis lupus, des Arvicola amphibius und des braunen Grasfrosches (Rana temporaria) gehoben werden.
Das schöne Skelett eines Elch (Cervus altes) im Museum von St. Gallen stammt aus einer ähnlichen Fundstelle an der Sohle einer Torfgrube in der Umgebung von Gossau (Kanton St. Gallen) und ist ohne Zweifel weniger alt, da es zum Teil noch im nicht fossilen Torf lag. Vereinzelte Knochenreste von Elephas primigenius, Bos primigenius und B. taurus, Bison Europaeus (dem Wisent der Nibelungen und von Littauen), Cervus elaphus, Equus caballus, Sus scrofa, Meles taxus etc. fanden sich im Lehm und den Niederterrassenschottern an verschiedenen Stellen und zwar sowohl im Jura als im schweizerischen Mittelland.
Die interessanteste Fundstelle der Niederterrassen ist von J. B. Greppin in St. Jakob bei Basel ausgebeutet worden. Sie liegt einige Meter über dem Spiegel der Birs in der Niederterrasse des Rheins, die hier 6 m hoch von jurassischen Schottern überlagert wird. Die fossilführende Schicht besteht aus einem zwischen die alpinen Rhein- und die Juraschotter eingelagerten Mergel. Die Flora weicht besonders durch das Vorhandensein des in der Schweiz in dieser Höhenlage nicht mehr gedeihenden Vaccinium vitis idaea von der jetzigen Flora dieser Gegend ab. Auch die Fauna entspricht derjenigen des heutigen Berglandes und besteht neben einigen Käfern namentlich aus Land- und Süsswassermollusken, im ganzen 27 Arten, die eine grössere Mannigfaltigkeit der Fauna anzeigen als der Löss. Auf die kleinen Arten, die nach vielen mühsamen Nachforschungen im Löss entdeckt werden konnten, ist diese Fundstelle noch nicht vollständig durchsucht. Die von Gutzwiller erforschte Fauna des über der Niederterrasse liegenden Lehmes umfasst eine weit grössere Anzahl von Schalen jetzt noch lebender Arten als die direkt vorangehenden Faunen.
Die Nachforschungen und Funde in den Höhlen (Thaingen, Schweizersbild, Wildkirchli, Veyrier), in den Pfahlbauten, im Schuttkegel der Tinière bei Villeneuve etc. sind so eng mit den prähistorischen Altertümern verknüpft, dass ihre Besprechung nicht unsere Aufgabe sein kann. Die während der letzten Jahre auf dem Gebiete der prähistorischen Wissenschaft gemachten glänzenden Entdeckungen beziehen sich auch auf die Faunen des postglazialen und modernen Quartär.
[Dr. Louis Rollier].
VI. Bevölkerung.
A. ANTHROPOLOGIE.
Wir sind noch weit von einer befriedigenden und abschliessenden Kenntnis der anthropologischen und Rassenverhältnisse der Bewohner der Schweiz entfernt, indem wir über die physischen Eigenschaften der Volksstämme, die unser Land bewohnt haben und noch bewohnen, bis jetzt blos sehr fragmentarische Auskunft geben können. Allerdings sind in diesem Wissensgebiet seit zehn Jahren ziemlich grosse Fortschritte erzielt worden, die aber noch lange nicht an diejenigen heranreichen, deren sich z. B. die fauvistische, floristische oder geologische Erforschung unseres Landes rühmen darf. Man kann mit Recht über das geringe Interesse erstaunt sein, das man den den Menschen selbst betreffenden Fragen bisher entgegengebracht hat, obwohl diese sonst als vor allen wichtig und bedeutungsvoll betrachtet zu werden pflegen.
Um jedem Missverständnis vorzubeugen, sei von vornherein bemerkt, dass wir an dieser Stelle unmöglich alle Arbeiten, die über die Anthropologie der Schweiz veröffentlicht worden sind, bis in ihre Einzelheiten besprechen und verwerten können. Dazu gebricht es uns an Raum. Ferner können wir aus demselben Grund auch nicht sämtliche am Skelett oder am lebenden Menschen zu beobachtenden physischen Eigenschaften, die zusammen die sog. «ethnische Physiognomie» des in Betracht fallenden Individuums bestimmen, untersuchen.
Wir beschränken uns daher darauf, einige wenige dieser Eigenschaften besonders hervorzuheben. Mit Ausnahme des zum Verständnis notwendigsten muss auch alles das bei Seite gelassen werden, was nicht ausschliesslich auf die physische Anthropologie sich bezieht, d. h. also namentlich alle die Fragen und Tatsachen, die mit den Gräberfunden und den in Höhlen, Felsenwohnungen, Pfahlbauten etc. gemachten Entdeckungen in Zusammenhang stehen. Wir verweisen dafür auf den prähistorischen Abschnitt der Artikels «Schweiz».
Zur Aufstellung von Unterabteilungen oder Rassen der gemeinschaftlichen Gattung Homo, wie sie die Ethnologie sich zum Ziel setzt, untersucht man zunächst die somatischen Charaktere. Von diesen können als die wichtigsten die Schädelform, die Form und Bildung des Gesichtes, die Körpergrösse, die Farbe der Augen und Haare, die Gestalt der Nase und die Hautfarbe gelten. Auf diese Gesichtspunkte werden wir daher unsere nachfolgende Beschreibung und Untersuchung beschränken.
1. Schädelform.
Die allgemeine Gestalt des Schädels bildet sicherlich eine gute Grundlage für die Einteilung der Menschheit in verschiedene Gruppen. In der Anthropologie wird diese Gestalt mit Hilfe des sog. Längenbreitenindex bestimmt und ausgedrückt. Nach Broca unterscheidet man in der Hauptsache nachfolgende Schädeltypen:
mit einem Index von | |
---|---|
Dolichocephalen (Langschädel) | 70-75 und darunter. |
Subdolichocephalen | 75,01-77,77 |
Mesaticephalen (Mittellangschädel) | 77,78-80,00 |
Subbrachycephalen | 80,01-83,33 |
Brachycephalen (Kurzschädel) | 83,33-83,84 und darüber. |
So ist z. B. ein Schädel mit dem Index 74,50 dolichocephal, ein solcher mit dem Index 84 dagegen brachycephal. Für die jetzt lebenden Menschenrassen hat man verschiedene andere Benennungen vorgeschlagen. Im folgenden wollen wir diejenige von J. Deniker noch besonders anführen, die seit der Veröffentlichung von Deniker's Karte des Längenbreitenindex in Europa oft in Anwendung kommt:
Index | |
---|---|
75.9 und darunter | Hyperdolichocephalen. |
76 und 77 (mit Dezimalen) | Dolichocephalen. |
78 und 79 (mit Dezimalen) | Subdolichocephalen. |
80 und 81 (mit Dezimalen) | Mesocephalen. |
82 und 83 (mit Dezimalen) | Subbrachycephalen. |
84 und 85 (mit Dezimalen) | Brachycephalen. |
86 und darüber | Hyperbrachycephalen. |
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Auf die Frage nun, ob wir den Schädelindex der einstigen und heutigen Bewohner der Schweiz nach Zeit und Raum ausreichend kennen, müssen wir heute noch unbedenklich mit Nein antworten. Bekannt sind die allgemeinen Charaktere und besonders auch der Index - falls er noch gemessen werden konnte - von nahezu sämtlichen in der Schweiz aufgefundenen (d. h. von ihren Findern nicht sofort zerstörten) und noch in den öffentlichen wie privaten Sammlungen vorhandenen prähistorischen Schädeln, also von denjenigen der neolithischen, der Bronze- und der Eisenzeit.
Allerdings ist die Anzahl der sicher neolithischen oder der Bronzezeit angehörenden Schädel eine verhältnismässig sehr kleine. Die in dieser Beziehung am meisten authentischen Entdeckungen sind diejenigen, welche auf dem festen Land in Höhlen und Gräbern gemacht wurden, wo allfällige spätere Veränderungen sich sofort erkennen lassen. Dagegen bieten die Pfahlbauten, aus denen die Mehrzahl der Schädel jener Zeiten stammen, keine absolute Sicherheit, indem wir für eine Altersbestimmung derselben blos eine sehr grosse Wahrscheinlichkeit in Anspruch nehmen können.
In prähistorischer Zeit war die Schweiz offenbar nur sehr spärlich bevölkert, während die Volksdichtigkeit mit dem Beginn der historischen Zeit schon eine grössere wurde. Merkwürdig bleibt aber, dass die Anzahl der uns aus historischer Zeit bekannten Skelette verhältnismässig sicherlich kleiner ist als diejenige der Skelette aus prähistorischer Zeit. Die Schädelcharaktere der Bevölkerung der letztvergangenen Jahrhunderte und unserer Zeitgenossen werden wir später noch besprechen.
2. Gesichtsbildung.
Das Gesicht kann wie der Schädel entweder verhältnismässig lang und schmal oder dann verhältnismässig kurz und breit sein. Nach der Einteilung von Kollmann nennt man ein Gesicht der erstern Art leptoprosop und ein solches der andern Art chamaeprosop. Einem dolichocephalen Schädel kann sowohl ein leptoprosopes als ein chamaeprosopes Gesicht angehören, und dasselbe trifft auch auf einen brachycephalen Schädel zu. Mit Bezug auf die Verbreitung dieser Typen in der schweizerischen Bevölkerung der letztvergangenen Jahrhunderte und der Jetztzeit sind uns bis anhin noch keine bestimmten Tatsachen bekannt, doch scheint es, dass die leptoprosopen Gesichte in Verbindung mit brachycephalen Schädeln die Mehrzahl bilden. Von dem Auftreten dieser Charaktere bei den ältesten Bewohnern dieses Landes werden wir an passender Stelle noch Näheres mitteilen. Doch ist auch hier zu bemerken, dass die geringe Anzahl der bisher aufgefundenen Schädel zu allgemeinen Schlüssen nicht genügt, da man bei statistischen Feststellungen kleinen Serien gegenüber skeptisch bleiben muss.
Von anerkanntem ethnischen Wert ist auch die Kenntnis des Nasenindex, d. h. des Verhältnisses der Breite zur Länge der Nasenöffnung. Die Individuen mit schmaler und in die Länge gezogener Nasenöffnung heissen Leptorrhinen, diejenigen mit breiter und kurzer Nasenöffnung dagegen Platyrrhinen. Eine Zwischenform bilden die Mesorrhinen. Auch in dieser Beziehung sind die Bewohner unseres Landes noch nicht untersucht, doch erscheint es als wahrscheinlich, dass sie zwischen die Mesorrhinen und die Leptorrhinen eingereiht werden müssen.
3. Körpergrösse.
Alle in dieser Hinsicht uns bekannten Tatsachen fussen fast ausschliesslich auf den an den Rekruten vorgenommenen Messungen. Doch sind auch einige private Arbeiten über die Körpergrösse in einzelnen Kantonen erschienen. Zu nennen sind besonders die Untersuchungen von Maltet und J. P. Dunant über die Bewohner des Kantons Genf (vergl. Dunant, J. P. De la taille moyenne des habitants du canton de Genève, pour servir à la détermination de la taille moyenne en Suisse. Genève 1867). Dunant hat ferner noch eine Arbeit über die Körpergrösse der Bewohner des Kantons Freiburg (Zeitschrift für schweizer. Statistik. 1868) veröffentlicht.
Die Bewohner von Graubünden sind in dieser Hinsicht von Dr. Lorenz (Die Ergebnisse der sanitarischen Untersuchungen der Rekruten des Kantons Graubünden. Bern 1895) untersucht worden. Aus den alljährlich wiederkehrenden Veröffentlichungen der Ergebnisse der Rekrutenuntersuchungen durch das eidgenössische statistische Bureau hat L. Chalumeau das Rohmaterial zu seiner interessanten Abhandlung über Les Races et la population suisse (Zeitschr. für schweizer. Statistik. 1896) geschöpft. Das eidgenössische statistische Bureau teilt die Männer in zwei Klassen ein, indem es blos Rekruten mit einer Körpergrösse von über 1,56 m und solche mit einer Körpergrösse von über 1,70 m unterscheidet. Diese Methode genügt aber nicht zur Herstellung von Kurven der Körpergrösse, woraus man die mittlere Statur der
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Rekruten eines bestimmten Kantons oder Bezirkes ersehen könnte.
Während Dr. J. Morax (Statistique médicale du cant. de Vaud. 1899) die mittlere Körperlänge der Waadtländer Rekruten zu 1,65 m angibt, haben Kappeyne und der Unterzeichnete auf Grund der Untersuchung von 5357 Rekruten der nämlichen Kantons 1,645 m als Durchschnittszahl erhalten. Es muss aber bemerkt werden, dass die von den militärischen Rekrutenuntersuchungen gelieferten Ziffern nicht der wirklichen Körperlänge der erwachsenen Bevölkerung entsprechen, indem das Wachstum der sich stellenden jungen Männer von 19 bis 20 Jahren noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden darf.
Vielleicht erscheint dieses Wachstum bei den Bewohnern der Berggebiete (Wallis, Graubünden etc.) gegenüber demjenigen der in andern Landesteilen ansässigen Leute sogar noch verzögert. Auf diese interessante Frage werden wir im Artikel "Wallis" noch etwas näher eintreten. In den von Deniker (Races et peuples de la Terre. Paris 1900) aufgestellten Tafeln finden sich für die Vertreter der drei wichtigsten Sprachgebiete der Schweiz folgende Mittelzahlen: Mittel aus 31707 Rekruten der deutschen Schweiz = 1,629 m;
Mittel aus 2532 Rekruten der italienischen Schweiz = 1,635 m;
Mittel aus 9156 Rekruten der welschen Schweiz = 1,646 m. Nach der Einteilung von Deniker fallen alle diese Körperlängen noch unter das Mittelmass.
Wir besitzen ferner noch manche andere Berechnungen über die Körpergrösse der Schweizer (namentlich mit Bezug auf den Unterschied zwischen den Stadtbewohnern und der rein ländlichen Bevölkerung), doch verzichten wir hier der Kürze halber auf deren Erwähnung. In dieser Hinsicht bietet unser Volk noch Gelegenheit zu interessanten Erhebungen und Forschungen, die nicht notwendigerweise schwierig anzustellende Beobachtungen und Messungen erfordern würden, da man sich in der Hauptsache auf die jedes Jahr zu unserer Verfügung gestellten reichhaltigen Angaben der militärischen Untersuchungsbehörden stützen kann. Unglücklicherweise ist aber das System der individuellen Karten- oder Zettel nicht beibehalten worden, so dass (wie aus mir zugegangenen offiziellen Mitteilungen hervorgeht) die Ausführung der eben aufgezeigten Untersuchungen doch ziemlich grossen Schwierigkeiten begegnen dürfte.
Ich hoffe, dass wir mit der Zeit über unsere Bevölkerung ebenso genaue statistische Angaben besitzen werden, wie wir sie zur Zeit über unsern Viehbestand haben. Man wird sich auf die Dauer der Einsicht über die Nützlichkeit dieser Statistik nicht verschliessen können, handelt es sich doch darum, um nur ein Beispiel anzuführen, zu zeigen, wie wichtig für die «Menschenzucht» die Kenntnis der Körpergestalt und -grösse von Vertretern der gleichen Rasse als Funktion der Bodenverhältnisse ist?
Es ist nicht daran zu zweifeln, dass auf Schweizerboden Individuen von verschiedenen «Rassen» leben. Dies geht, ganz abgesehen von den linguistischen Forschungen, schon genügend aus den wenigen somatischen Beobachtungen hervor, die wir über diese Frage besitzen. Leider klassifiziert das eidgenössische statistische Bureau die ihm zugehenden Materialien nach Bezirken, was in administrativer Hinsicht ausgezeichnet sein mag, in anthropologischer Beziehung aber vollständig ungenügend ist.
Jedermann weiss, dass ein Bezirk in der Schweiz eine vielleicht noch weit künstlichere Einteilung als anderswo ist und eine Vereinigung von Gegenden darstellt, die in physischer wie ethnischer Hinsicht vollständig voneinander verschieden erscheinen. Belege für diese Behauptung könnten wir aus Graubünden, dem Wallis, dem Kanton Bern und schliesslich auch aus allen grösseren Kantonen zur Genüge beibringen. Die - uns übrigens nahezu unbekannten - Mittelzahlen für die Körpergrössen nach Bezirken geben somit nicht über alles dasjenige Auskunft, was wir gerne wissen möchten.
4. Beschreibende Nachweise.
Die Farbe der Augen und der Haare, die Hautfarbe und die Gestalt der Nase sind, neben andern, die für unsere Untersuchungen wichtigsten beschreibenden Nachweise, die in gleicher Weise wie die Angaben über die Körpergrösse, sowie diejenigen über die Schädel- und Gesichtsbildung zu erbringen sind. Ueber die Farbe der Augen, der Haare und der Haut besitzen wir eine umfassende Untersuchung, die an den Schulkindern der Schweiz vorgenommen und von Kollmann (Die statistischen Erhebungen über die Farbe der Augen, der Haare und der Haut in den Schulen der Schweiz 1881) veröffentlicht worden ist. Das gleiche Gebiet beschlagen ferner noch folgende Arbeiten: Guillaume, L. Observations faites, sur la couleur des yeux et des cheveux dans le cant. de Neuchâtel (im Bulletin de la Soc. des sc. nat. de Neuch. 1876 und in der Zeitschrift für schweizer. Statistik. 1878). - Boéchat. La couleur des yeux, des cheveux et de la peau chez les enfants des écoles du canton de Fribourg. Frib. 1880. - Studer. Ueber die statist. Aufnahme der Farbe der Haut und der Augen im Kanton Bern (in den Mitteilungen der naturf. Gesellsch. in Bern. 1830). - Beck.
Ueber die anthropologische Untersuchung der Schulkinder im Kanton Bern (Mitt. der naturf. Ges. in Bern. 1879). Die künstliche Durchführung dieser Untersuchungen nach Kantonen und einige Zweifel über die Authentizität gewisser Angaben vorbehalten, haben diese Erhebungen recht interessante Tatsachen ergeben. Die beiden von Kollmann veröffentlichten Karten über die Verteilung des blonden und diejenige des braunen Typus in der Schweiz geben für gewisse Gegenden ganz andere Resultate, als man sie a priori erwarten möchte. So zeigen den grössten Prozentsatz von Braunen (30-34%) die Kantone Glarus, Tessin und Graubünden; dann folgen mit 26-29% die Waadt, der Berner Jura, Neuenburg, Freiburg und Base 1, mit 16-20% Schaffhausen, Zürich, Thurgau, St. Gallen und Uri, und endlich mit 21-25 der Rest der Schweiz (exkl. Unterwalden).
Rassenverhältnisse.
Eine endgiltige Ausscheidung der «Rassen» Europas ist zur Zeit noch nicht möglich. J. Deniker, der zur Lösung dieser Frage zahlreiche Bausteine gesammelt hat, nimmt an, man könne 6 Haupt- und 4 Nebenrassen unterscheiden. Die Bewohner der Schweiz reiht er wie folgt ein:
1. Braune, stark brachycephale Rasse mit Individuen von kleiner Statur, auch westliche Rasse genannt. Zu ihr gehört ein Teil der Bewohner der Zentral- und Ostschweiz. Charakteristische Merkmale: abgerundeter Schädel mit einem Index von 85 bis 87, kleine Statur (1,63-1,64 m Körperlänge), braune Haare, hell- oder dunkelbraune Augen, breites Gesicht, gedrungener Körperbau etc. Es würde sich in diesem Fall um die sog. keltische, keltisch-ligurische oder auch keltisch-alpine Rasse handeln, von der später noch die Rede sein soll.
2. Braune, brachycephale Rasse von grosser Statur (adriatische oder dinarische Rasse geheissen). Ihre Vertreter sind die Rätoromanen und Ladiner. Besondere Merkmale: Hohe Statur (1,69-1,71 m Körperlänge), starke Brachycephalie (85-86), braune Haare, langes Gesicht etc. Nach Deniker sollen auch die Bewohner der Westschweiz dieser Rasse angehören, aber allerdings deren Charakter nicht mehr rein erhalten haben.
Diese kurze Andeutung genügt, um unsere immer noch mangelhafte Kenntnis der in Frage stehenden Verhältnisse zu zeigen. Wenn wir die den beiden «Rassen» zugeschriebenen Eigentümlichkeiten in der Pigmentation vergleichen, sehen wir, dass die von Deniker aufgestellte Klassifikation mit den Ergebnissen der grossen Untersuchung der Schulkinder, von der wir eben gesprochen haben, kaum übereinstimmt. Schon diese Feststellung zeigt, wie wichtig es wäre, das Studium der anthropologischen Eigenschaften unseres Volkes in grossem Massstab und in einer die ganze Schweiz umfassenden Weise fortzusetzen.
Unser Landsmann Prof. Kollmann, der sich sehr viel mit der Klassifikation der Menschenrassen beschäftigt hat, stellt für Europa blos zwei Haupttypen auf: 1. die blonden und hochgewachsenen Völker des Nordens und 2. die braunen und weniger hochgewachsenen Südländer. Die beiden Typen haben sich aber im Laufe der Zeit derart vermischt u. durchdrungen, dass heute 63% der Gesamtbevölkerung der Schweiz der so entstandenen Mischrasse angehören sollen.
Vollständig unbekannt ist bei uns in der Schweiz die Vereinigung und Verteilung der verschiedenen anthropologischen Merkmale im und auf das einzelne Individuum. So wissen wir nicht, ob die Brachycephalen von grosser oder kleiner Statur, ob sie in ihrer Mehrzahl braun oder blond sind u. s. w. Bedot will bemerkt haben, dass im
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Wallis die Blonden durchschnittlich eine grössere Körperlänge aufweisen als die Braunen (Bull. de la Soc. anthropol. de Paris. 1898).
Der Mensch ist erst während der quaternären Aera auf der Erde erschienen. Die interglazialen Lehme und Schotter eines grossen Teiles von Europa haben uns zahlreiche Beweise für seine damalige Existenz geliefert. Dagegen ist, mit Ausnahme der sog. Eolithen und des Pithecanthropus erectus, deren Erwähnung nicht hierher gehört, keine einzige ganze sichere Spur des Menschen aus der Tertiärzeit bekannt. Die Quartärzeit erscheint durch zwei grosse Phänomene charakterisiert, nämlich in geologischer Hinsicht durch die beträchtliche Ausdehnung der Gletscher und in zoologischer Hinsicht durch das mit Sicherheit festgestellte Auftreten des Menschen.
Man hat die Quartärzeit in die ältere pleistozäne Periode und die jüngere holozäne Periode eingeteilt. Jener entsprechen die durch die Verwendung von rohen Steinwerkzeugen charakterisierte paläolithische und dieser die neolitische (bearbeitete Steinwerkzeuge) Periode samt der Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit.
Der paläolithische Mensch war der Zeitgenosse einer Reihe von jetzt verschwundenen grossen Säugetieren, wie des Mammuth, wollhaarigen Rhinozeros, Höhlenlöwen, Höhlenbären etc., und gehört den Fossilien an. Je nach den verschiedenen Merkmalen der vom damaligen Menschen angefertigten und gebrauchten Werkzeuge haben Gabriel de Mortillet, J. Evans, Piette und Andere die paläolitische oder pleistozäne Periode in eine Reihe von Epochen einzuteilen versucht, doch besteht noch keine allgemein anerkannte Einteilung dieser Art. Der Einfachheit halber wollen wir hier derjenigen von Gabriel de Mortillet den Vorzug geben, die von unten nach oben folgende Epochen aufstellt: 1. Chelléen, 2. Acheuléen, 3. Moustérien, 4. Solutréen, 5. Magdalénien. Solutréen und Magdalénien zusammen stellen das sog. Glyptische Zeitalter Eduard Piette's dar.
Bis heute besitzen wir in der Schweiz keinerlei Reste des Menschen aus den ältern dieser Epochen. Erst im Magdalénien finden sich - allerdings schon zahlreiche - Spuren unserer entferntesten Vorfahren, die aus Handwerkszeug, industriellen Fabrikaten, Küchenabfällen etc. bestehen. Für Einzelheiten verweisen wir ebenfalls auf den prähistorischen Abschnitt.
Obwohl bis jetzt unglücklicherweise kein vollständiges Skelett des paläolithischen Menschen aufgedeckt worden ist, kann es doch sehr wohl möglich sein, dass man auf Boden der Schweiz eines schönen Tages Gräber aus der Zeit des Magdalénien bloslegen wird, da wir sichere Anzeichen dafür haben, dass schon die Menschen von damals die Toten nichteinfach haben liegen lassen. Wenn man die in den letztvergangenen Jahren besonders im Kanton Schaffhausen und in Chamblandes (Kanton Waadt) gemachten schönen Funde bedenkt und sich der peinlichen Sorgfalt der schweizerischen Altertumsforscher (J. Nüesch, Naef etc.) erinnert, kann man mit vollem Vertrauen darauf rechnen, dass allfällige Funde mit möglichster Schonung behandelt und uns in bester Verfassung zukommen würden.
Die Schweiz ist also sicher vom Menschen der jüngeren paläolitischen Zeit bewohnt gewesen. Ueberall, wo man in Europa Skelettreste des paläolithischen Menschen aufgefunden hat (Frankreich, England, Belgien, Mähren etc.), konnte man feststellen, dass jene Menschen eine bemerkenswert gleichförmige Schädelform aufweisen, während dagegen die Statur eine sehr verschiedene gewesen sein muss. Alle waren Dolichocephalen. Auf Grund von einigen Abweichungen im Einzelnen sind gewisse Typen (Spy-Neanderthal, Laugerie-Chancelade etc.) ausgeschieden worden, auf die wir hier aber nicht eingehen können.
Während der neolithischen Zeit oder der Zeit der bearbeiteten Steinwerkzeuge erscheinen Menschen, die nach ihrem Skelettbau von den paläolithischen Dolichocephalen sehr verschieden sind. Diese neuen Typen zeigen anstatt eines länglichen einen runden Schädel und sind also Brachycephalen. Zum Unterschied von andern Brachycephalen, die, wie man glaubt, später aufgetreten sind, hat man sie als Protobrachycephalen oder auch als neolithische Brachycephalen bezeichnet. Ihnen scheinen die ersten Pfahlbauer auf unsern Seen anzugehören.
Vollständig unsicher ist, ob sich die paläolitischen Dolichocephalen, die auch zur neolithischen Zeit in der Schweiz noch gelebt haben müssen, mit den neolithischen Brachycephalen vermischt oder ob sich diesen letztern andere, von unbekannter Gegend hergekommene Dolichocephalen zugestellt haben. Immerhin scheint es, soweit dies wenigstens zur Zeit angenommen werden darf, dass seit der Mitte der neolithischen Zeit zugleich mit den Brachycephalen auch noch ein mesocephaler Mischtypus und ein dolichocephaler Typus existiert habe. Und in der auf die Steinzeit folgenden Bronzezeit scheinen dann die Dolichocephalen sogar wieder in der Mehrzahl aufzutreten.
Ausser ihrem Schädelindex dürften diese neuen Dolichocephalen auch noch dadurch charakterisiert gewesen sein, dass sie wahrscheinlich Leptoprosopen, Leptorrhinen und Mesosemen waren. Die Dolichocephalen zweiter Herkunft, die in den Dolmengräbern Frankreichs vorherrschen und denen man eine nordische Abstammung zuschreibt, sind von Hamy als neolithische Dolichocephalen bezeichnet worden und können als Typus mit dem Menschen der deutschen Reihengräber in Parallele gestellt werden. Aus der Aehnlichkeit des anatomischen Baues hat Hervé geschlossen, dass die Dolichocephalen der Bronzezeit die direkten Nachkommen derjenigen der Steinzeit seien.
Gegen Ende der Bronzezeit scheint ein neues ethnisches Element, das in der Schweiz später eine beträchtliche Verbreitung gefunden hat, von Osten her (vielleicht über die Alpenpässe) eingewandert zu sein. Es waren dies Brachycephalen, die man zum Unterschied von denjenigen der neolithischen Zeit als Neobrachycephalen bezeichnet hat. Der Schädel ist geräumiger und stärker abgerundet. Nach der Nomenklatur von His und Rütimeyer haben wir in diesen Einwanderern den sog. Typus von Disentis vor uns. Wir selbst nehmen an, dass die Mehrheit der heutigen Bewohner der Schweiz in grossen Zügen ihre «ethnische Eigenart» diesen Brachycephalen verdanke. Vergl. Hervé, G. Les populations lacustres (in der Revue de l'École d'Anthropol. de Paris. 1895). - Hervé, G. La rage des Troglodytes magdaléniens (in der Revue de l'Ec. d'Anthr. 1893). - Hervé, G. Ethnologie des populations françaises (in der Revue de l'Éc. d'Anthr. 1896). - Pittard, Eugène. Ethnologie des populations suisses (in L'Anthropologie. Paris 1898). - Schenk A., Ethnogénie des populations helvétiques (im Bull. de la Soc. neuchâteloise de Géogr. 1900).
Noch sehr wenig unterrichtet sind wir über die Einfälle von Völkerstämmen in historischer Zeit, deren Nachkommen sich in der Schweiz in genügender Ar zahl erhalten haben, um eigene ethnische Gruppen bilden zu können. Die Geographen und Historiker des Altertums (Strabo, Diodorus Siculus, Plinius, Caesar, Polybius etc.) geben uns über diese Frage nur ungenügende und oft auch unklare Auskunft, die man nicht als ernsthaft in Betracht kommende Grundlagen für die Forschung ansehen kann. Es ist bekannt, dass unser Land von den Einfällen der verschiedensten Völkerschaften heimgesucht wurde, doch lässt sich über den allfälligen ethnischen Einfluss derselben gar nichts bestimmtes sagen. Es stimmen ja selbst die Namen und die geographische Verbreitung der von den alten Autoren besprochenen Völkerschaften nicht unter sich überein. So haben Römer, Vandalen, Burgunder, Franken, Langobarden, Sarazenen etc. die Schweiz oder einzelne ihrer Teile durchzogen, ohne dass wir anzugeben wüssten, welchen ethnischen Stempel sie dieser oder jener Bevölkerungsgruppe aufgedrückt hätten. Dazu darf nicht vergessen werden, dass nicht jeder dieser Völkernamen zugleich auch einer besondern ethnischen Gruppe entsprochen hat, indem mehrere der betreffenden Stämme von gemeinsamer Abstammung waren und in anthropologischer Hinsicht die nämlichen Merkmale aufgewiesen haben müssen.
Diese aufeinander folgenden Modifikationen in der helvetischen Ethnogenie, die wir soeben in grossen Zügen dargelegt haben, sollen nun im folgenden noch näher besprochen werden. Wir werden dabei von den Skelettresten, deren älteste aus der neolithischen Zeit stammen, ausgehen und dann zur Betrachtung der modernen Bewohner übergehen. Ueberall da, wo wir in der
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Lage sind, den Längenbreitenindex anzuführen, verweisen wir zum Verständnis derselben ein für allemal auf die in der Einleitung unseres Artikels gegebenen Erläuterungen.
Pleistozäne oder paläolithische Periode.
Wir wiederholen, dass in der Schweiz bisher kein einziger Skelettrest gefunden worden ist, der mit Sicherheit aus der paläolithischen Zeit datiert werden könnte. Allerdings sind in einigen Sammlungen zwei oder drei Skelettfragmente (so z. B. Schädel- und Kieferreste aus der Höhle von Freudenthal im Kanton Schaffhausen, ein aus dem Kesslerloch stammendes Schlüsselbein, sowie ein im Museum von Biel befindliches und von Quiquerez gefundenes Schulterblatt) vorhanden, die von ihren Besitzern als paläolithisch betrachtet werden. Da aber über ihre genaue Herkunft Zweifel erlaubt sind, ist es besser, ganz von ihnen abzusehen. Wohl darf man sich aber der Hoffnung hingeben, dass man im Boden unseres Landes eines Tages paläolithische Skelette auffinden werde. Aus den paläolithischen Funden in Frankreich, England, Belgien, Mähren etc. kann man schliessen, dass die ältesten Bewohner der Schweiz Dolichocephalen gewesen sein müssen. Als Beispiel sollen hier die Indices einiger der in unsern Nachbarländern gefundenen paläolithischen Schädel angeführt werden:
Schädelindex | |
---|---|
Neanderthal (Deutschland) | 72-73,9 |
Spy (Belgien), 2 Schädel | 70 und 74-76 |
Bréchamps (Frankreich) | 75.5 |
Laugerie (Frankreich) | 73.19 |
Chancelade (Frankreich) | 72.02 |
Baoussé Roussé (Italien), 3 Schädel | 76,29; 69,27; 68.58. |
Holozäne Periode.
Mit dem Beginn der Holozänzeit werden die menschlichen Epochenreste verhältnismässig zahlreich. Sie stammen entweder aus Höhlen, Felsenwohnungen, Gräbern etc., oder dann aus den Pfahlbauten. Es erscheint an dieser Stelle nicht angezeigt, alle Fundorte solcher Reste in der Schweiz aufzuzählen und alle von diesen Resten gelieferten anatomischen Nachweise bis in ihre Einzelheiten zu erörtern. Wir müssen uns vielmehr auf die Mitteilung des Wichtigsten beschränken.
Eine Betrachtung aller in der Schweiz aufgefundenen menschlichen Skelette aus prähistorischer Zeit zeigt uns sofort zwei durch ihre Körpergrösse scharf voneinander verschiedene Typen, nämlich einen ersten von Individuen mittlerer und einen andern von solchen kleiner Statur. Diese letztern sind wirkliche Pygmäen. Die in der Schweiz aufgedeckten neolithischen Skelette sind nicht besonders zahlreich. Die Mehrzahl der lakustren Schädel finden sich beschrieben und abgebildet in den Crania helvetica antiqua von Studer und Bannwarth (Leipzig 1894), welches Werk alle bis zu jener Zeit bekannt gewordenen Nachrichten gesammelt und verarbeitet hat.
Seit dieser luxuriösen Publikation sind dann noch einige weitere Arbeiten erschienen, die neue Funde aus den Pfahlbauten oder sehr wichtige neue Entdeckungen aus den Höhlen (Schweizersbild, Dachsenbühl) oder aus Gräbern auf festem Land (Chamblandes, Châtelard etc.) beschreiben. Die schönste heute vorhandene Reihe von Funden ist ohne Zweifel die aus Chamblandes (Waadt) stammende, die von Naef ausgegraben und von Schenk (Les sépultures et les populations préhistoriques de Chamblandes im Bulletin de la Soc. vaudoise des Sc. nat. 1902-1903) beschrieben worden ist.
Dieses Gräberfeld von Chamblandes scheint zu den ältesten zu gehören und wird in den Beginn der neolithischen oder noch bis in die mesolithische Zeit zurückversetzt. Es würden also die von daher stammenden Menschen unsere ältesten bisanhin bekannten Vorfahren darstellen. An 18 Schädeln hat Schenk für die Männer Indices von 70 bis 78,41 (im Mittel 75,48) und für die Frauen solche von 71,87 bis 77,84 (Mittel 74,19) festgestellt. Die Dolichocephalen sind mit 50%, die Subdolichocephalen mit 27-28% und die Mesocephalen mit 22% vertreten.
Der mittlere Schädelindex für die gesamte Reihe (Männer und Frauen zusammen) beträgt 74,94, ist aber nur insofern von Interesse, als er mit demjenigen der Schädel vom Schweizersbild (75,3) verglichen werden kann. Die Rekonstruktion der Statur der Bewohner von Chamblandes 1) ergibt eine geringe Körperlänge: [1) Die Körpergrösse lässt sich aus den Massen der langen Extremitätenknochen (Femur, Tibia, Humerus etc.) mit durchaus genügender Annäherung berechnen.] 1,582 m für die Männer und 1,486 m für die Frauen. Man hat mehrere dieser neolithischen Menschen von Chamblandes als Pygmäen ansprechen können.
Aehnlich bedeutende menschliche Reste sind in den Höhlen von Schweizersbild und Dachsenbühl nicht gefunden worden, obwohl auch diese wenigen Funde ein ebenso grosses Interesse bieten. Beide Stationen haben Skelette von Individuen eines neuen Typus und Skelette von Pygmäen geliefert. Bei den Funden vom Schweizersbild schwankt der Schädelindex von 71,4 (bei einem Pygmäen) bis 78 (bei einem normalen Individuum im Kindesalter). Die mittlere Körperlänge der normal gewachsenen Individuen beträgt 1,662 m, diejenige der Pygmäen d. gegen blos 1,424 m. Vergl. Nüesch, J. Das Schweizersbild, eine Niederlassung aus paläolithischer und neolithischer Zeit. (Neue Denkschriften. 1896). - Nüesch, J. Der Dachsenbühl, eine Höhle aus frühneolithischer Zeit, bei Herblingen. (Neue Denkschriften. 1903). Beide mit wichtigen Beiträgen von Kollmann.
Man beachte, dass alle mitgeteilten Schädelindices auf dolichocephale Schädel hinweisen. Es lässt sich daraus mit Wahrscheinlichkeit schliessen, dass die die Schweiz zu Beginn der neolithischen Zeit bewohnenden Menschen, wenigstens was die normal gewachsene Rasse anbetrifft, die Nachkommen der Dolichocephalen der paläolithischen Zeit gewesen sein müssen.
Mit Hinsicht auf die Skelettfunde in den Pfahlbauten ändern die neueren Entdeckungen nichts an den allgemeinen Schlüssen, die Studer und Bannwarth 1894 und dann wieder 1895 G. Hervé in seiner schon genannten Arbeit über die Pfahlbauer gezogen haben. Wir gehen in folgendem die Ausführungen Studer's in den Crania helvetica antiqua, die auch die Forschungen anderer Gelehrter (His und Rütimeyer, Dor, Kollmann, Virchow etc.) berücksichtigen, in Kürze wieder.
Studer hat aus den Schädeln der Pfahlbauer zwei Menschenrassen erkannt. Die erste Gruppe bestand aus Individuen mit brachycephalen (sowie mesocephalen und subbrachycephalen) Schädeln, deren Index von 79 bis 81 schwankt. Als weitere besondere Kennzeichen ergaben sich: vorspringende Augenhöhlen, sowie ein orthognates (geradkieferiges), breites und chamaeprosopes (kurzes) Gesicht. Die übrigen Knochen erscheinen eher schlank u. zeigen gut entwickelte Kämme für die Muskelansätze.
Die Oberschenkelknochen waren im obern Teil der Diaphyse abgeplattet und die Schienbeine seitlich abgeflacht (oder platyknemisch). Die rekonstruierte Statur ergab eine Körperlänge von 1,40-1,50 m. Der zweiten Gruppe gehörten dolichocephale Schädel an, die in der Norma verticalis betrachtet ein in die Länge gezogenes Oval darstellen. Ihr Index schwankt von 68-75. Weitere Merkmale: Gesicht ebenfalls orthognat, breit und in der Mitte zwischen dem chamaeprosopen und dem leptoprosopen Typus sich haltend.
Tibia nicht platyknemisch. Körperlänge 1,62-1,65 m. Studer fügt noch bei, dass sich der für die neolithische Zeit charakteristische brachycephale Typus in den Stationen mit den ersten Metallwerkzeugen nahezu wiederholt. Die dolichocephalen Schädel treten mit dem ersten Erscheinen der Metalle auf. Es lebten also gegen Ende der neolithischen Zeit und während der Kupferzeit dolichocephale und brachycephale Menschen zusammen, während mit der Bronzezeit der dolichocephale Typus entschieden die Oberhand erhielt (vergl. Studer's Mitteilung in den Verhandlungen der schweizer. Naturf. Gesellsch. 1894).