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Beben sind hier, wenigstens als Nahebeben, keine zu verzeichnen.
Volger hat folgende Gebiete als besonders oft durch Erdbeben erschütterte Teile der Schweiz bezeichnet: Das mittlere Wallis mit den Visperthälern und Leukerbad;
das Unterwallis;
das Simmenthal;
das Kanderthal;
das Lütschinenthal;
Obwalden und Nidwalden; Vierwaldstättersee und Reussthal;
Südostabhang des Säntis zwischen Hohensax und Werdenberg;
das Engadin;
Jura zwischen Orbe und Yverdon;
das Leimenthal westlich Basel; das Gebiet um Baden in der Nähe des Durchbruchs von Reuss, Limmat und Aare durch die Lägern;
Derselbe Verfasser gibt eine Chronik aller von 562 bis 1854 geschichtlich verzeichneten Erdbeben und unterzog ferner die im Jahre 1855 im mittleren Wallis stattgehabten starken Beben einer eingehenden Untersuchung. Die Erschütterungen begannen in den letzten Dezembertagen 1854 und dauerten mit wechselnder Stärke bis anfangs Dezember 1855, also beinahe ein Jahr. Der stärkste Stoss ereignete sich am zwischen 12 und 1 Uhr nachmittags und betraf ganz besonders das Gebiet zwischen Stalden und St. Nikolaus im Wallis. Viele Gebäude wurden zerstört und Menschen umgeworfen; zahlreiche Felsen stürzten ab und vorher ganz feste Felsen spalteten sich.
Die Erschütterung war auch in den umliegenden Thälern noch sehr intensiv, reichte aber an Stärke doch nicht an die Stösse im Visperthal heran. Dieses nach dem Basler Beben von 1356 wohl stärkste Erdbeben, welches die Schweiz betraf, wurde nicht nur im ganzen Schweizerland, sondern auch in Zentraleuropa überhaupt beobachtet (siehe die Figur der von Volger konstruierten Ausdehnungskurven). Volger suchte die Beben mit den meteorologischen Erscheinungen in Zusammenhang zu bringen, und es schien ihm der im Wallis so intensiv auftretende Föhn bei der Entstehung eines Bebens eine gewisse Rolle zu spielen.
Auch die einzelnen Jahreszeiten scheinen von gewissem Einfluss zu sein, was durch folgende Beispiele bekräftigt wird:
Ort | Zahl der Beben | Frühling | Sommer | Herbst | Winter |
---|---|---|---|---|---|
Vierwaldstättersee | 120 | 23 | 10 | 31 | 56 |
Sax-Werdenberg | 89 | 11 | 2 | 1 | 75 |
Leimenthal-Basel | 100 | 20 | 14 | 32 | 34 |
Gebiet v. Eglisau | 43 | 8 | 10 | 7 | 18 |
Es muss aber auch zugegeben werden, dass die Grundlage der Volger'schen Schlüsse in gewissen Beziehungen oft Unsicherheiten bietet, indem die Angaben über die Beben den alten Chroniken entnommen sind. Deshalb ist aus den Berichten der im Jahr 1878 in Tätigkeit getretenen schweizerischen Erdbebenkommission weit mehr zu ersehen. Diese jährlichen Berichte sind seit 1880 regelmässig erschienen, so dass nun deren 25 vorliegen. Nach diesen Mitteilungen können den schon erwähnten Schüttergebieten noch folgende beigefügt werden: Solothurn, Mittelbünden, Simplon-Tosa, Plessurgebiet, Tessin, Mittelschweiz (meist Lokalbeben an verschiedenen Orten, wie Broye, Lavaux, Bern, Ostschweiz etc.). Die Schweiz wird auch durch Bewegungen in den Schüttergebieten der umliegenden Länder in Mitleidenschaft gezogen, so namentlich durch die ligurischen, piemontesisch-lombardischen, veronesisch-vizentinischen, veltlinischen, ¶
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apenninischen, vorarlbergischen, Laibacher und Schwarzwälder Beben, sowie auch durch die Oberrheinischen Beben.
Seit dem Bestehen der Kommission sind durch die verschiedenen Berichterstatter 5800 Einzelberichte verarbeitet worden und zur Veröffentlichung gelangt. Während dieser Zeit wurden 822 zeitlich getrennte Erschütterungen beobachtet, also per Jahr durchschnittlich 32-33. Dieselben gehören 195 Erdbeben an, wovon aber die meisten ausserhalb der Schweiz gelegenen Schüttergebieten angehören. Es bestätigt sich auch, dass in den Wintermonaten Bodenerschütterungen häufiger vorkommen als im Sommer.
Ausserdem ist ersichtlich, dass nachts mehr Erschütterungen beobachtet werden als bei Tag, was aber wohl mit dem Umstand in Zusammenhang steht, dass ruhende Personen viel empfindlicher sind als tätige. Infolge der zum Teil ziemlich heftigen Erdbeben und der nun recht eingehenden Beobachtungen sollte man erwarten dürfen, dass auch auf den zahlreichen Seen oft Wasserbewegungen zu beobachten seien. Dies wird auch von verschiedenen Chronikschreibern behauptet, so z. B. von E. Bertrand gelegentlich des Lissabonner Bebens von 1755, welches alle Schweizerseen, sogar ganz kleine, stark in Bewegung gesetzt haben soll. Am soll auf dem Luzernersee das Wasser gleich einem grossen Hügel gehoben worden sein, sodass sich die Reuss entleerte und Schiffe an das Ufer geschleudert wurden. Indess erhellt aus den neueren Beobachtungen, dass nur ein einziger Fall ganz sicher konstatiert werden konnte, nämlich am auf dem Neuenburgersee bei Grandson, wo das Wasser am Ufer 55 cm hoch stieg und ein Kahn durch eine deutliche Welle gehoben wurde.
Die Ursachen der allergrössten Zahl der schweizerischen Erdbeben sind die sich noch jetzt, aber sehr langsam vollziehenden geotektonischen Einwirkungen. Deshalb entwickeln sich die Schüttergebiete hauptsächlich der Alpenkette entlang und in dieser besonders in den tief eingeschnittenen Thälern, weil diese Stellen schwachen Widerstandes sind. Im Allgemeinen haben tektonische Beben eine bedeutende Ausdehnung, oft sind sie aber auch eng begrenzt.
Als besonders häufig erschütterte Gebiete erweisen sich nach 25jähriger Beobachtung:
a) Die Zone Veltlin-Bünden-St. Gallisches Rheintal.
b) Unter Wallis-Genferseesenke (im Winkel zwischen Alpen und Jura).
c) Gebiet der Juraseen, speziell Grandson-St. Blaise. Als Lokalbeben besonderer Art mögen Erschütterungen durch Explosionen aufgefasst werden.
Einsturzbeben sind zwar schwer zu erkennen, doch ist die Lage ausserhalb der gewöhnlichen tektonischen Schüttergebiete und das mutmassliche Vorhandensein von leicht auslaugbaren Gesteinen in der Tiefe, wie z. B. Gips, ein sicheres Anzeichen für dieselben. Als solche können betrachtet werden: die ziemlich lokalen Schüttergebiete von Bex und Montreux;
dann wahrscheinlich auch dasjenige von Zweisimmen, wo 1884, vom 13. April an, da der Hauptstoss stattfand, bis zum 16. Oktober, aber hauptsächlich bis Ende Juli über 300 Stösse verspürt wurden. Da genau an demselben Tag ein Beben der schweizerischen Hochebene stattfand, ist anzunehmen, dass dieses die hierauf noch lange andauernden Gipseinstürze und die daraus entstandenen Einsturzbeben veranlasste.
Die statistisch-örtliche Verteilung der schweizerischen Erdbeben der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts kann etwa folgendermassen zusammengestellt werden: ¶