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1877-1902 an Ausdehnung gewonnen hätten. Dies ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Da die Siegfriedkarte beiden Berechnungen als Grundlage gedient hat, lässt sich der Unterschied ohne Zweifel aus der Verschiedenheit der angewendeten planimetrischen Messungsmethoden erklären. Infolge des besonders seit 1850 sich geltend machenden starken Rückganges der alpinen Gletscher sind zahlreiche der kleinen Eisfelder beinahe völlig verschwunden, während die grossen merklich an Ausdehnung abgenommen haben, so dass der vom Eis in dieser Zeit verlassene und nun blosgelegte ehemalige Gletscherboden für verschiedene von ihnen mehrere km2 misst.
Das Vorstossen der Gletscher ist eine Folge starker Schneefälle im Firngebiet. Da das Wachstum in Gestalt einer Welle vom Firnfeld gegen das untere Gletscherende fortschreitet, kommt der Vorstoss an der Zunge mancher der grossen Eisströme erst stark verspätet zum Ausdruck. Indem die Fortpflanzungszeit dieser Wachstumswelle von der Läng des Gletschers und dem den Abfluss regelnder Grad seiner Böschung abhängt, findet das Vorstossen der einzelnen Gletscher natürlich nicht immer zu derselben Zeit statt.
Man zählt in den Schweizer Alpen gegenwärtig 1077 Gletscher, die sich wie folgt verteilen:
Berner Zone. | Anzahl | Gesamtfläche in km2 | Mittlere Höhe (Schneegrenze m) |
---|---|---|---|
Gruppen. | . | . | . |
Dents de Morcles-Muveran | 6 | 2.875 | 2750 |
Diablerets | 8 | 10.640 | 2740 |
Wildhorn | 6 | 11.675 | 2780 |
Wildstrubel | 11 | 28.945 | 2780 |
Balmhorn | 12 | 10.185 | 2940 |
Finsteraarhorn | 101 | 482.266 | 2950 |
Trift | 36 | 115.670 | 2750 |
Titlis | 27 | 32.343 | 2610 |
Urirotstock | 7 | 10.432 | 2560 |
: | 214 | 705.031 | . |
Glarner Zone. Gruppen. | . | . | . |
Glärnisch | 13 | 6.400 | 2500 |
Säntis | 7 | 0.225 | 2400 |
Oberalpstock | 22 | 12.405 | 2600 |
Tödi | 46 | 66.373 | 2710 |
Sardona | 19 | 19.770 | 2630 |
: | 107 | 105.173 | . |
Walliser Zone. Gruppen. | . | . | . |
Dents du Midi | 19 | 7.650 | 2900 |
Mont Blanc (Trient) | 17 | 31.850 | 3100 |
Combin | 24 | 57.219 | 3100 |
Arolla | 53 | 118.852 | 3040 |
Matterhorn | 71 | 200.877 | 3100 |
Monte Rosa | 50 | 244.116 | 3260 |
Fletschhorn | 32 | 46.534 | 3040 |
Monte Leone | 29 | 22.575 | 2945 |
Blindenhorn | 20 | 39.075 | 2780 |
St. Gotthard | 85 | 57.380 | 2700 |
: | 400 | 826.128 | . |
Graubündner Zone. Gruppen. | . | . | . |
Camadra | 22 | 24.300 | 2750 |
Rheinwaldhorn | 45 | 58.410 | 2760 |
Tambohorn | 14 | 9.755 | 2800 |
Surettahorn | 9 | 7.090 | 2760 |
Pizzo Stella | 26 | 16.630 | 2700 |
Piz d'Err | 23 | 22.745 | 2930 |
Piz Kesch-Vadret | 36 | 35.280 | 2820 |
Silvretta | 58 | 29.560 | 2900 |
Disgrazia | 37 | 53.086 | 2750 |
Bernina | 38 | 122.816 | 2960 |
Ofenpass | 48 | 22.120 | 3000 |
: | 356 | 401.792 | . |
Total | 1077 | 2038.124 | . |
Aus dieser Zusammenstellung ist namentlich ersichtlich, dass die an Gletschern reichsten Gruppen diejenigen des Finsteraarhorns, des Matterhorns und des Monte Rosa sind. In der Berner Zone beträgt die durchschnittliche Grösse der Gletscher 3,76 km2, in der Glarner Zone 1 km2, in der Walliser Zone 2 km2 und in der Bündner Zone 1,13 km2. Diese Verhältnisse ergeben sich aus der Gestalt der einzelnen Gletscher, die je nach der Höhenlage, der Exposition und der lokalen Bodenbeschaffenheit von verschiedenartigem Umriss sein können. In den Schweizer Alpen lassen sich folgende drei Typen von Gletschern unterscheiden:
1. Hängegletscher, d. h. Eisfelder, die an meist steil geböschten Flanken von Kämmen und Gipfeln oder in ¶
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Nischen und Couloirs «hängen» und oft über einem Steilabsturz endigen. Diejenigen Vertreter dieses Typus, die hoch über der Schneegrenze liegen, schieben ihre Front über den Steilabsturz vor, sodass das seiner Unterlage beraubte Eis in grossen Blöcken zur Tiefe abbricht und oft tiefer unten gelegene Eisfelder des folgenden Typus anreichert. Die nahe der Schneegrenze befindlichen Hängegletscher pflegen dagegen langsam abzuschmelzen und sind am besten zur Bestimmung der Schneegrenze geeignet. Diesem Gletschertypus, den man auch den pyrenäischen Typus genannt hat, lassen sich noch die in halbkreisförmigen Nischen liegenden Kargletscher zuzählen, deren Boden meist genau der Schneegrenze entspricht.
2. Thalgletscher, die sich nur in weit über die Schneegrenze aufragenden Gebirgen entwickeln können, wo ausgedehnte Firnfelder als Sammelgebiete des Schnees dienen und als wirkliche Reservoire eine sog. Gletscherzunge zu speisen vermögen. Die Zunge reicht, gleich einem Eisstrom, längs einer Thalfurche oft bis zu 1000 oder 1500 m tief unter die Schneegrenze hinab, um da zu endigen, wo die Abschmelzung dem Vorrücken die Waage hält. Diese Gletscher vom sog. alpinen Typus sind aber in unserm Gebirge eher in der Minderheit, indem Jegerlehner von der Gesamtzahl seiner 1077 Gletscher blos deren 174 als Thalgletscher gelten lässt. Diese Zahl scheint uns aber als zu niedrig gegriffen, da viele Gletscher von ziemlich geringer Grösse eine gut ausgeprägte Zunge besitzen, die von einer den Schnee von verschiedenen Seiten her sammelnden Firnmulde gespiesen wird.
3. Die Plateaugletscher oder Gletscher vom skandinavischen Typus sind in den Alpen ebenfalls vertreten, obwohl sie hier sehr wenig zahlreich vorkommen. Sie nehmen ihren Ausgang auf einem Plateau oder einem Passscheitel und weisen ein auf dem Scheitelpunkt gelegenes Firnfeld auf, von dem wenigstens zwei, oft aber auch drei oder vier Eiszungen nach verschiedenen Richtungen hin sich senken. Ein typisches Beispiel für diesen Fall bildet der Glacier de la Plaine Morte in der Wildstrubelgruppe.
Das allmählige Zurückgehen der Gletscher wird namentlich die Thalgletscher oder die Gletscher vom alpinen Typus mehr und mehr zum Verschwinden bringen und schliesslich blos noch deren oberste Zuflüsse in Gestalt von Hängegletschern bestehen lassen. Durch diesen Vorgang wird sich die Anzahl der Gletscher scheinbar vermehren, da nach dem Verschwinden der Zunge die verschiedenen Nebenarme als selbständige kleine Eisfelder erscheinen werden. Dieser Fall trifft gegenwärtig für einen Teil der Bündner Alpen zu, wo wir im Verhältnis zu einer im Ganzen beschränkten Vereisung eine grosse Anzahl von Einzelgletschern antreffen.
Unsere Zusammenstellung der Gletschergebiete zeigt auch die grossen Unterschiede in der Höhenlage der Schneegrenze, die von 2400 m im Säntisgebirge bis zu 3260 m im Monte Rosa hinaufsteigt. Diese Erscheinung entspricht dem Gesetz, dass mit zunehmender Breitenentwicklung der Gebirgsmassen auch die mittleren Temperaturen der Luft und des Erdbodens höher werden. Der Höhenunterschied in der Lage der Schneegrenze beträgt zwischen dem Säntis, einem gegen den Alpenrand vorgeschobenen Gebirge, und dem im Herzen der Kette stehenden Monte Rosamassiv volle 860 m. Bestätigt wird diese Erscheinung auch noch durch die hohe Lage der Waldgrenze in der Zone der Walliser Alpen. Eigentümlich ist, dass die Höhenlage der Schneegrenze von der Menge der atmosphärischen Niederschläge nur wenig beeinflusst wird. Den Hauptfaktor bildet in dieser Hinsicht die mittlere Ortstemperatur, woraus sich im Herzen des Gebirges einerseits eine Verminderung der Schneefälle und andererseits ein stärkeres Abschmelzen während der Sommermonate ergeben.
V. Lawinen.
Die Lawinen (auch Lauinen oder Lauenen) sind eigentliche Schneeflüsse oder Schneeabbrüche, durch welche der an steilen Gehängen liegende Winterschnee zur Tiefe gelangt. Gehen sie über der Schneegrenze nieder, so nähren sie meist die Gletscher. Unterhalb der Schneegrenze sind sie im Frühjahr eine regelmässig wiederkehrende und im Winter bei grosser Kälte und ausnahmsweise auch bei Tauwetter sich einstellende Erscheinung.
Je nach der Art der Abwärtsbewegung und der herrschenden Temperatur werden Staublawinen und Grundlawinen unterschieden. a) Staublawinen entstehen nur bei niedriger Temperatur (gleich oder unter Null Grad). Man könnte sie deshalb Winterlawinen nennen, weil sie fast ausschliesslich im Winter niedergehen. Sie bilden sich dadurch, dass der bei kaltem Wetter gefallene pulverige Schnee gleich einem Sandstrome zu Thal stürzt oder fliesst, sich dabei zugleich schon in der Luft ausbreitet und gewöhnlich hoch aufstäubt. Ihr Sturz in bewaldete oder bewohnte Gebiete ist darum gefährlich, weil der in der ¶