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bedeckte alemannische Bauernhaus und daneben die moderne
Villa.
Ueber der
«Halde», einem jähen Felsabhang, die sich vom
Bühl
weg bis gegen
Roggenhausen hinzieht, liegt der
Weiler Riedbrunnen. Schönenwerd
hat durch die Einführung und die grossartige
Entwicklung der Industrie seit einigen Dezennien eine völlige Umgestaltung erfahren. Bis in die Dreissiger
Jahre des 19. Jahrhunderts bestand der
Ort blos aus den Stiftsgebäuden, einigen Werkstätten für Handwerker und einer Anzahl
von Bauernhäusern, während ihm heute zahlreiche neue Wohnhäuser und
Villen, sowie die ausgedehnten Fabrikbauten ein ganz
modernes, wohlhabendes und beinahe städtisches Aussehen geben.
Malerisch erhebt sich aus den
Häusern von Schönenwerd
der
Bühl mit den mächtigen
Linden vor der alten
Stiftskirche (jetzt christkatholische Kirche), deren
Turm 2 Kuppeln trägt. Auf dem
Bühl ist auch die von Bildhauer
Richard
Kissling geschaffene Bronzebüste des Gründers der Schuhindustrie und durch sein gemeinnützig wohltätiges Wirken ausgezeichneten
C. Franz Bally aufgestellt. Um die Kirche gruppieren sich die noch jetzt durch ihre Bauart auffallenden
ehemaligen Wohnungen der Stiftsherren, von denen sich z. B. die einstige Kaplanei mit dem 1610 neu erbauten Kreuzgang direkt
an die Kirche anschliesst.
Ebenfalls in der Nähe stehen das schöne, wohleingerichtete Primarschulhaus, das Gemeindehaus und die Bezirksschule (ehemalige Propstei). Die römisch-katholische Kirche wurde 1877 erbaut. Dem Ufer der Aare entlang ziehen sich die von Franz Bally aus ehemaligem Schachenland geschaffenen, weitausgedehnten und dem Publikum offenen Parkanlagen mit einer Nachahmung von Pfahlbauten. Eine gedeckte hölzerne Brücke über die Aare (1864 erbaut) vermittelt die Verbindung mit dem Gösgeramt.
Von der ursprünglich römisch-katholischen Pfarrgemeinde hat sich 1876 die christkatholische Gemeinde
abgetrennt. Die während 20 Jahren von
Aarau aus pastorierten Reformierten konstituierten sich 1899 mit denen der umliegenden
Gemeinden als eigene Kirchgemeinde. In der christkatholischen Gemeinde Schönenwerd
ist auch diejenige von Nieder
Gösgen
mit eigenem Gottesdienst eingepfarrt. Zu den betreffenden Kirchgemeinden von Schönenwerd
gehören ferner noch die Bewohner
von
Eppenberg-Wöschnau.
Der ursprüngliche Lokaldialekt ist durch die überwiegende Einwanderung bereits verwischt worden. Die Landwirtschaft hat nur noch geringe Bedeutung, und nur ein kleiner Teil der Einwohner widmet sich ihr vollständig. Von den rund 400 Häusern des Ortes dienen 30 ausschliesslich dem Fabrikbetrieb. Von gewerblichen Betrieben sind zu nennen eine grössere Brauerei, eine Schlosserei und Storrenfabrikation. Was dem Ort aber seine Bedeutung und seinen Haupterwerb verschafft, das ist die grossartige Industrie, die, aus kleinen Anfängen hervorgegangen, heute zum Teil Weltruf erlangt hat.
1823 begann Peter Bally, dessen Vater als Tiroler
Maurer eingewandert und als Hausierer von seidenen
Bändern etc. zu einigem
Wohlstand gelangt war, die Bandweberei, zu der später die Herstellung von elastischen Hosenträgern kam. Die heutige Bandfabrik
mit grossem Neubau ist aus diesen Anfängen hervorgegangen. Etwas später begann Jost
Brun (aus dem Kanton Luzern)
die Kappenweberei, die
sich zu der jetzigen, ebenfalls sich ausdehnenden Trikotfabrik weiterentwickelte. Der bedeutendste Schritt war
aber die 1851 erfolgte Einführung der Schuhfabrikation durch C. Franz Bally, der bald die Elastiquesfabrikation folgte.
Ausserordentliche Schwierigkeiten begleiteten den Anfang, sodass die ganze seltene Energie und zähe Ausdauer des Gründers
nötig war, sie zu überwinden. Nach und nach begann das Geschäft zu blühen und
nahm nach Vervollkommnung des Fabrikats,
Einführung der neuesten amerikanischen Maschinen, Anknüpfung von ausländischen Handelsbeziehungen etc. später einen gewaltigen
Aufschwung, so dass die Schuhfabrik Schönenwerd
heute das grösste europäische Etablissement dieser Art ist. 1860 beschäftigte
die Bandfabrik 150, die Trikotfabrik 100, die Schuh- und Elastiquesfabrik 500 Arbeiter. Erstere zwei und die vor beiläufig
zwanzig Jahren hieher verlegte Chemische
Fabrik zählen heute zusammen mehrere hundert Arbeiter, die Schuh-
und Elastiquesfabrik dagegen deren etwa 2400, so dass jetzt etwa 3000 Arbeiter in Schönenwerd
lohnenden Verdienst finden.
Davon wohnen nur etwa 1/5 im Orte selbst, während der grösste Teil sich auf die umliegenden Ortschaften, bis auf ziemliche
Entfernungen hin, verteilt. Die seit Jahren eingeführten Arbeiterzüge bieten hierin grosse Erleichterungen.
Die Schuhfabrik (heutige Firma C. F. Bally Söhne) hat in der Umgegend und auch in andern Kantonen noch weitere Filialfabriken
mit zusammen über 1000 Arbeitern errichtet, so in
Aarau, Nieder
Gösgen,
Gränichen,
Schöftland,
Reitnau,
Kulm,
Kirchleerau.
Ueber 500 Personen werden mit Hausindustrie beschäftigt. Sämtliche Produkte kommen in die grossen Magazine
in Schönenwerd
, von wo aus der Versand stattfindet. Die Tagesproduktion beträgt gegenwärtig 8500 Paar Schuhe. Jährlich
wandern etwa 500000 Paar Schuhe ins Ausland und zwar zu einem grossen Teil über
London in die englischen Kolonien und nach
Südamerika. Speziell erwähnt seien die zahlreichen Wohlfahrtseinrichtungen, die, meistens von C. F.
Bally ins Leben gerufen, jedermann zugänglich sind, so die Kleinkinderschule, die Badanstalt, das Kosthaus, die Parkanlagen,
die Wasserversorgung, die Kranken- und Sterbekasse, die Jugend- und Volksbibliothek. Von den rund 30 Vereinen seien besonders
erwähnt der Leseverein, der Hilfsverein und der Konsumverein. Für Vereinsaufführungen und gesellige
Anlässe ist jüngst ein prächtiges Konzertgebäude aufgeführt worden. Genannt seien auch das sehr reichhaltige Privatmuseum
des Herrn Bally-Prior, die Pfahlbautensammlung in den Anlagen
(Kapelle) und die wertvolle Münzsammlung des Herrn Bally-Herzog.
Geschichtliches.
Einzelfunde von Steinbeilen, Feuerstein-Artefakten und Bronzegegenständen weisen auf früheste Besiedelung hin. 2 keltische Goldmünzen und mehrere römische Münzen. Erste urkundliche Erwähnung 778, in welchem Jahr in einem Testament des Bischofes Remigius von Strassburg der Bischof Rupert als Erbauer des monasteriolum Werith genannt wird, das sich auf dem jetzigen vorspringenden Bühl erhob (Werd oder Wörth = Flussinsel, auch Halbinsel). Das Gebiet gehörte damals in die Einung Grechchinbach (= Gretzenbach).
Das Klösterlein wurde dem Domstift Strassburg einverleibt, gehörte aber zum Konstanzer Bistum. Um 1050 sprechen die Urkunden von einem Kollegiatstift unter Propst Rudolf. 1230 wurde auf dem gegenüberliegenden Felsvorsprung zu Bötzach (jetzt Nieder Gösgen) ebenfalls auf Stiftsgebiet die Burg Gösskon erbaut, worauf deren Erbauer, Gerhart I., die Schutzvogtei über das Stift an sich brachte. Daraus entstanden endlose Reibereien zwischen den Stiftsherren und den Rittern von Gösskon. Von letztern sind Marquard III. († 1343) und Johann III. in der Stiftskirche begraben, wo ihre Grabsteine heute noch erhalten sind.
Nach der Eroberung des Aargaues stand das Stift 1415-1419 unter bernischem Schutze. Dann ging die Kastvogtei an die Grafen von Falkenstein, die Nachfolger der Gösskoner, über. Das interessante spätgotische Grabdenkmal des Hans von Falkenstein befindet sich nebst demjenigen seines Sohnes Hans Friedrich in der 1427 ¶
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errichteten linken Seitenkapelle der Kirche. Nachdem 1444 die Burg Falkenstein von den Bernern und Solothurnern, um den Ueberfall
von Brugg an Thomas von Falkenstein zu rächen, zerstört worden war, kam Werd (Dorf, Stift und Kastvogtei) mit der Herrschaft
Gösgen 1458 durch Kauf an Solothurn.
Zunächst stand nun Schönenwerd
unter der Verwaltung der Landvögte von
Gösgen, die zuerst auf Wartenfels und nach Wiederaufbau der Burg 1498 bis zu deren nochmaliger Zerstörung 1798 in Nieder
Gösgen wohnten. 1521 verlor der Bischof von Strassburg sein Bestätigungsrecht des Propstes an Solothurn.
1623 wurde Werd mit dem rechtsufrigen
Niederamt dem Schultheissenamt Olten zugeteilt. Im Bauernkrieg forderte General Werdmüller von Schönenwerd
aus Olten zur Uebergabe auf.
Bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts war Schönenwerd
nach Gretzenbach schulgenössig und bis 1859 dahin auch kirchgenössig.
Bis 1798 war der Propst zugleich Vorsteher der Gemeinde, die sich im Korridor der Propstei versammelte. Im Dorfbrief von
Schönenwerd
aus dem Jahr 1410 (Staatsarchiv Solothurn)
sind interessante Aufschlüsse über die einstigen Verhältnisse
zwischen Stift und Gemeinde zu finden. Hervorragende Pröpste waren der Minnesänger Hesso von Rinach, Konrad und Gerhart
von Gösskon (1323-1331), Hugo Bader (1388), Joh. Trüllerey (1399); Konrad Mürsel, der «Sänger zu Wert» (1472). Als Chorherr
von Schönenwerd starb 1660 der gelehrte und einst berühmte Johannes Barzäus, der beste lateinische
Dichter der Schweiz und guter Schulmann, bekannt durch seine Epistolae heroum helvetiorum.
Die Stiftskirche ist eine Sehenswürdigkeit; sie stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist als romanische Basilika (dreischiffig, ohne Querhaus) angelegt. Durch mehrfache Umbauten und Restaurationen ist sie ihres ursprünglichen Charakters fast völlig beraubt worden, sodass sie nun in ihren einzelnen Teilen vom romanischen weg alle Stilarten zeigt. 1388 wurde das Gotteshaus von den Bernern und Solothurnern auf dem Kriegszuge nach Rapperswil verbrannt, dann aber von Propst Hugo Bader wieder aufgebaut. 1491 fand eine Neueinweihung statt, jedenfalls nach dem Bau der gotischen Seitenkapellen. 1586, 1610 und um 1666 nahm man umfassende Restaurationen vor. 1634 hatte der Bau noch 2 Türme, die nachher abgeschrotet und durch den jetzigen Turm ersetzt wurden.
Die wertvolle Kanzel stammt aus 1647, und aus eben dieser Zeit mögen auch der barocke Hochaltar und der Altar der Muttergotteskapelle, sowie die geschmackvolle Innendekoration datieren. Zu einem Marienbilde, das zur Reformationszeit aus der Aare aufgefischt worden sein soll, wurde bis zu der (am erfolgten) Aufhebung des Stifts von weither gewallfahrtet. 1889 fand die letzte durchgreifende Renovation statt. Ausser den bereits erwähnten Grabmälern ist bemerkenswert der mit den Insignien geschmückte Marmorsarkophag eines Prinzen aus dem Hause Luxemburg-Montmorency, der als Emigrant während der französischen Revolution in Aarau starb und als Katholik in Schönenwerd begraben wurde. Das Grabmal des Propstes Konrad Mürsel (1472) befindet sich im Landesmuseum, ebenso Gefässe etc. aus der Sakristei. Ein wertvolles Reliquiar aus dem 15. Jahrhundert wird im Museum und der Ofen der Stiftsschule im Steinernen Saal zu Solothurn aufbewahrt.
Bibliographie.
Rahn, J. R. Die mittelalterlichen Kunstdenkmäler des Kantons Solothurn (mit eingehenden Quellenangaben). Zürich 1893. - Gedenkschrift zur Einweihung des neuen Primarschulhauses. Schönenwerd 1890. - 50 Jahre der Firma C. F. Bally Söhne. Basel 1901 (elegantes Album mit reicher Illustration). - Aus eigener Kraft. Neuenburg 1906.