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man's wenigstens mit Aussicht auf Erfolg betreiben will. Die grösste gemeinschaftliche Festlichkeit aller Thalbewohner ist die alle zwei Jahre in St. Peter, dem Kreishauptort, stattfindende «Bsatzig» oder Landsgemeinde, an welcher in 1-2stündiger Wahlverhandlung im Freien das Kreisgericht und die Grossratsvertretung neu bestellt werden. An diesen offiziellen Akt schliesst sich ein gewöhnlich zwei Tage dauerndes Volksfest von ungekünstelter Natürlichkeit an, bei welchem die sonst wortkarge Bevölkerung bei Wein, Weib und Gesang sich wieder einmal des Lebens freut. Unter freiem Himmel auf aussichtsreicher Höhe ob dem Dorfe werden dann drei Tanzbühnen aufgeschlagen, auf denen das junge Volk sich belustigt, während an der Berglehne in malerischen Gruppen sich die ältern Leute lagern und von den Vorräten zehren, die sie in ziemlich umfangreichen Bündeln von zu Hause mitgeschleppt haben. Es sind Tage der Freude und Geselligkeit für die im steten Kampf mit der Natur und oft recht vereinsamt wohnenden Bürger des Thales.
Bis 1874 war das Schanfigg ein für den Verkehr ziemlich unzugängliches Thal. Ein stellenweise recht gefährlicher Fusspfad, der zur Not etwa noch von Saumpferden begangen werden konnte, verband, von Chur ausgehend, die einzelnen Ortschaften miteinander. Den kleinen Postverkehr besorgte wöchentlich dreimal ein Fussbote. 1874 baute dann der Staat die jetzige Verbindungsstrasse Chur-Langwies (23 km lang), welche jedoch infolge mangelhafter Aufsicht beim Bau und sehr schlechten Terrains (leicht verwitterbarer Schiefer oder Flysch und beständig durch Regen und Schnee in Bewegung gesetzte Moränenhalden) dem Kanton und den Gemeinden schon unverhältnismässig hohe Reparatur- und Unterhaltungskosten verursacht hat.
Vor wenigen Jahren wurden umfassende Verbreiterungen und Verbauungen angebracht, was umso angezeigter erschien, als die Strasse durch den Aufschwung des Kurortes Arosa (das Teilstück Langwies-Arosa wurde erst 1890 gebaut) ausserordentlich in Anspruch genommen wird. Gegenwärtig machen sich Bestrebungen bemerkbar, den Verkehr durch den Bau einer elektrischen Strassenbahn zu erleichtern, doch sind die Schwierigkeiten der Finanzierung sowohl als der Tracierung voraussichtlich keine kleinen.
Die Ortschaften des Schanfigg verteilen sich wie folgt: Auf der rechten Thalseite liegt eine Stunde oberhalb Chur das stattliche Dorf Maladers auf sonniger Wiesenterrasse und in grünem Obstwald verborgen. Eine Viertelstunde weiter oben und direkt an der Strasse stossen wir auf den Weiler Sax, dessen Häuser in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts etwa 20 Minuten unter der Strasse standen, aber wegen Rutschgefahr verlegt werden mussten. Beim Hochwasser der Saxer Rüfe von 1890 versank ob dieser Stelle die Strasse spurlos und musste für längere Zeit ein Notweg erstellt werden.
Auf ebenfalls etwas unsicherm Terrain liegt Calfreisen mit den tanngekrönten Ueberresten der Burg Bernegg (Stammschloss des bekannten Bündner Geschlechtes von Sprecher). An den aussichtsreichen Hügel Garschling, auf dem sich die Georgskirche und der Friedhof befinden, hat sich das stattliche Dorf Castiel angelehnt, wo die Strasse bei einer Länge von 8 km von Chur weg bereits eine Steigung von etwa 600 m überwunden hat. Zu Castiel gehörte früher noch Lüen, ein kleines Dörfchen auf prächtigem Wiesenplan, etwa ½ Stunde ob der Plessur.
Eine zweite Gruppe von Gemeinden bilden St. Peter, Pagig und Molinis. Ersteres (1252 m), der Hauptort des Thales und wichtige Poststation, ist ein freundliches zerstreutes Dorf mit 115 Ew., wo trotz der hohen Lage an geschützten Stellen noch Obst gedeiht. Molinis, tief unten an der Plessur gelegen und früher viel von Wassernot heimgesucht, wäre trotz seiner im Winter sehr schattigen Lage für Obstbau sehr geeignet; Pagig (¼ Stunde oberhalb St. Peter) ist eine Kleine, ziemlich verarmte Gemeinde, die durch auswärtige Armenlasten stark mitgenommen wird.
Peist ist im Winter 1874/75 bis auf wenige Häuser abgebrannt und seither nicht besonders stilgerecht wieder aufgebaut worden. Langwies Platz hat bereits ein wenig Fremdenverkehr und ist ein heimelig stilles, waldumsäumtes Dörfchen mit schöner Kirche und stilvollem Kirchturm. Hier teilt sich das Thal in drei Aeste. Der Plessur folgend gelangen wir durch schattigen Forst nach dem weltberühmten Kurort Arosa, der seit 1880 einen ungeahnten Aufschwung genommen hat und jetzt die erste Stelle unter den Schanfiggergemeinden einnimmt und behauptet. Von Langwies führt in direkt ö. Richtung ein bereits ziemlich verfallenes Kommunalsträsschen nach dem Weiler Sapün (sehr ausgedehnte Bergwiesen und Alpweiden) und weiter über den bekannten Strelapass nach Davos. Etwa 20 Minuten hinter Langwies zweigt sich links in nö. Richtung das wiesenreiche Fondeierthal ab mit Weg über den Durannapass ins Prätigau. Die linke Thalseite ist meist ¶
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bewaldet und sehr steil; gegenüber St. Peter liegt die sog. Rungserrüfe, eine der grössten der Schweiz, die insbesondere bei der Schneeschmelze gewaltige Geschiebemassen zu Thal führt und sich jährlich bedeutend vergrössert. Tschiertschen und Praden, ersteres als Kurort, letzteres durch seine wohlschmeckenden Bergkirschen bekannt, sind mit Chur durch ein gutes Strässchen verbunden, das mit Vorliebe von Touristen zu Ausflügen über die Ochsenalp nach Arosa oder zu Touren aufs Weisshorn, den Gürgaletsch und Alpstein benutzt wird.
Fauna und Flora des Schanfigg zeigen wenig Raritäten, doch ist es für jeden Naturfreund ein Hochgenuss, im Sommer oben auf den Bergwiesen jene starkriechenden und vollfarbigen Alpenpflanzen zu pflücken und nach getaner «Arbeit» in einer «Barge» auf duftendem Bergheu sein Nachtlager aufschlagen zu können. Die Jagd, die früher sehr ergibig war, ist nicht mehr besonders lohnend. Fischerei wird ausser in den beiden Aroserseen fast nirgends betrieben. Der Name Schanfigg ist vom spätlateinischen scana (Wald) und vicus (Weiler oder Dorf) herzuleiten. 766: Scanavicus; 841: Scanavicum.