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Thalleute von Urseren eine Säumerordnung und einige Jahre später eine besondere Eilgutordnung auf. Jene enthielt hauptsächlich Bestimmungen betreffend das Anweisen, Wegnehmen, Abjagen, Schädigen, Vergüten, die Zahl und das Gewicht der Warenballen, sowie den Lohn, das Ueberfordern, Vorfahren, die Kehrordnung und Ersatzpflicht der Fuhrleute. Säumerstationen waren Flüelen, Airolo, Giornico und Bellinzona. In Luzern regelte ein Schiffmeister den Verkehr auf den Schiffen. In Uri gab es drei Transportgenossenschaften zu Flüelen, Silenen und Wassen.
Susten, d. h. Warenlager und Unterkunfts- und Verpflegungsanstalten für Säumer und Saumtiere, bestanden unter andern in Brunnen, Flüelen, Silenen, Urseren. Hauptgegenstände des Handelsverkehrs und der Zölle waren: Seide, Leinwand, Wolle, Tücher, Leder, Vieh (Ochsen, Kühe, Schafe, Pferde), Lebensmittel (Wein aus Italien und Griechenland, Spezereien, Salz, Korn, Hafer, Hülsenfrüchte, Oel, Butter etc.), Hausgeschirre, Metalle (Eisen, Kupfer, Blei). In Zeiten der Teuerung war öfters die Kornausfuhr verboten. Im 17. Jahrhundert verkehrte zweimal in der Woche (Mittwoch und Samstag) eine reitende Post zwischen Zürich und Mailand, die am ersten Tag bis Urseren, am zweiten bis Faido, am dritten bis Lugano und am vierten bis Mailand kam und bis zur Eröffnung der neuen Kunststrasse im Jahr 1830 bestand.
Oft genug musste der Gotthard neben dem friedlichen Handels- und Pilgerverkehr auch kriegerischen Unternehmungen dienen. Den ersten Kriegszug über ihn sollen die Schwyzer im Jahr 1240 unternommen haben, als sie dem Kaiser Friedrich II. bei der Belagerung von Faenza zu Hilfe eilten. Oefters wurde dann der Gotthard, besonders im 15. Jahrhundert, von den Eidgenossen während der Kämpfe um das Livinen- und Eschenthal überstiegen. Dies geschah z. B. 1403, als Uri und Obwalden, deren Angehörigen auf dem Jahrmarkt zu Varese wegen Zollstreitigkeiten Vieh weggenommen worden war, das Livinenthal eroberten, dann wieder 1410, als die acht alten Orte ohne Bern das Eschenthal mit Domo d'Ossola besetzten, um sich für einen von hier aus in Faido verübten Viehraub zu rächen. 1419 wurde Bellinzona und die ganze Thalschaft bis zum Monte Cenere käuflich erworben.
Aber schon 1422 brachten die Mailänder sämtliche ennetbirgischen Besitzungen der Eidgenossen gewaltsam wieder an sich, was dann zu der für die Eidgenossen unglücklichen Schlacht bei Arbedo (1422) und zu zwei weitern Feldzügen (1424 und 1425) führte, durch die allerdings blos die Entrichtung einer Geldentschädigung, sowie zehnjährige Zollfreiheit erlangt wurde. Doch brachten neue Kämpfe (1439 und 1446) und besonders die Schlacht bei Giornico den Urnern den Besitz von Livinen wieder zurück. Endlich erlangten die Eidgenossen durch die italienischen Feldzüge (Schlachten von Novara 1513 und Marignano 1515) die ennetbirgischen Vogteien zurück, die dann bei der Neugestaltung der Schweiz seit 1798 zum Kanton Tessin vereinigt wurden.
Nachdem der Simplon, St. Bernhardin und Splügen neue und den modernen Anforderungen in weitestgehender Weise entsprechende Fahrstrassen erhalten hatten und auch Julier und Maloja gleich nachfolgen sollten, durfte der Gotthard nicht länger zurückbleiben. So wurde denn 1820-1830 die neue Gotthardstrasse mit einem Kostenaufwand von mehr als einer Million Franken erbaut. Von Flüelen bis Amstäg bestand eine Fahrstrasse schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts.
Auf Beschluss der Tessiner Regierung vom wurde die Strecke Giornico-Airolo und auf Beschluss der Urner Landsgemeinde vom die Strecke Amstäg-Göschenen gebaut. 1826 endlich beschlossen die Kantone Uri, Luzern, Solothurn, Basel und Tessin die Vollendung der ganzen Strasse bis an die italienische Grenze. Leider hielt man anfänglich zu sehr auf Billigkeit der Anlage und legte die Strasse deshalb so unsolid an, dass grosse Strecken, kaum vollendet, neu gebaut werden mussten.
Diese Aufgabe übernahm der in Wien gebildete Ingenieur Karl Emanuel Müller aus Altorf, der eine prinzipielle Abänderung des Systems befolgte u. sein Augenmerk vor allem auf Solidität und Schönheit des Baues richtete. Ihm ist daher der kunstgerechte und würdige Ausbau der grossen Weltverkehrsstrasse über den St. Gotthard zu verdanken. Sie ist mit Bezug auf die Kühnheit und Zweckmässigkeit ihrer Anlage, auf ihre Führung durch gewaltige Schluchten und an steilen Hängen hin, ihre Felseinschnitte und zahllosen Schlingen, ihre Brücken, Galerien und Schutzbauten (gegen Lawinen und Steinschlag) ein Meisterwerk der Ingenieurtechnik. Ihre Breite beträgt meist 5-6 m, die Steigung in den steileren Partien 6-10%.
Vom Vierwaldstättersee aufwärts zieht sich die Gotthardstrasse zunächst fast ohne Steigung durch die dichtbewohnte, dörferreiche Landschaft des untern Urnerbeckens ¶
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nach Erstfeld und dann durch das enger werdende Thal, aber immer noch langsam steigend der Reuss entlang nach Amstäg. Nun wird das Thal enger, wilder und mehr schluchtartig, und auch die Strasse fängt an, merklich zu steigen. Man tritt in eine Gebirgslandschaft, deren Grossartigkeit und Wildheit Staunen und Bewunderung erregt. Eine schöne steinerne Brücke führt über die Reuss. Die Strasse ist in Gneisfelsen eingesprengt, die jäh emporsteigen und teilweise mit finstern Tannen bewachsen, vielfach auch von Bach- und Lawinenrunsen durchschnitten sind, namentlich an der gegenüberstehenden mächtigen Pyramide des Bristenstocks. Im Rückblick zeigen sich die kecken Hörner der Windgällen hoch über Amstäg.
Aber auch freundliche Bilder finden sich dazwischen, so die grünen Matten und braunen Hütten von Ried, durch welche der alte Saumweg sich hindurchzieht. Immer wieder zieht ferner die prachtvolle Anlage der Gotthardbahn die Aufmerksamkeit auf sich, besonders an den Stellen, wo sie im Innern des Berges verschwindet oder aus demselben wieder heraustritt, wo sie auf kühnen Brücken Seitenschluchten oder die Reuss selber überschreitet, wie am Ausgang des Maderanerthals und bald darauf in der sog. Hölle, wo die Reuss in tiefem Schlund wildschäumend dahinbraust. Es folgen die Brücken über den Leutschachbach und über den Intschibach, welche Bäche hübsche Wasserfälle bilden.
Bald setzt die Strasse auf den hohen Steinbogen der Meitschlingerbrücke wieder auf die rechte Thalseite über. Drunten im Felsbett schäumt und donnert der Bergstrom, und jenseits auf hoher Terrasse tront das Dörfchen Gurtnellen. In manchem Tobel liegen bis weit in den Sommer hinein trümmerbedeckte Lawinenreste. Hinter dem Fellibach tritt die Strasse in das Gebiet des Alpengranits (Protogin) und in den wilden, sagenreichen Wassener Wald ein, der sich über ein Trümmerfeld von kolossalen moos- und flechtenbedeckten Felsblöcken ausbreitet.
Nun wird das Dörfchen Wiler passiert und durch eine immer grossartiger und rauher sich gestaltende Landschaft die hochgeschwungene Brücke am Pfaffensprung und damit wiederum das linke Reussufer erreicht. Hier soll der Sage nach ein Pfaffe, der eine Tochter geraubt hatte, mit seiner Beute über die schauerliche Kluft gesprungen und dadurch seinen Verfolgern entgangen sein. Am Felsvorsprung Leggistein überbrückt die Strasse die aus finsterer Schlucht hervorbrechende Meienreuss.
Von hier und dem bald darauf folgenden Wassen aus machen die drei prächtigen Viadukte der Gotthardbahn über die Schlucht der Meienreuss, von denen einer immer höher und kühner als der andere die tiefen Felsschlünde überspannt, sowie die in divergierenden Linien übereinander aufsteigenden Bahndämme mit ihren terrassenförmigen Anlagen und die mächtigen Tunnelportale einen überaus imponierenden Eindruck. Wassen, mit der malerisch auf einem Hügel stehenden Kirche und dem stattlichen Schulhaus, liegt schön und aussichtsreich auf einer Bergterrasse inmitten der durch die berühmten Kehrtunnels interessantesten Partie der Gotthardbahn. Von da bis Göschenen überschreitet die Strasse auf der Wattinger- und der Schönibrücke noch zweimal die Reuss und bleibt immer angesichts der wunderbaren Bahnanlage und der grossartigsten Gebirgsszenerien.
Das am nördl. Eingang des grossen Gotthardtunnels gelegene und dadurch zu einem weltbekannten Ort gewordene Göschenen hat eine grossartige Umgebung. Einen herrlichen Anblick gewährt namentlich die im Firnkleid schimmernde Dammagruppe im Hintergrund des Göschenerthals. Eine neue grosse Kirche zeugt von der raschen Entwicklung des Ortes. Auf dem geräumigen Bahnhof herrscht fast ununterbrochen ein äusserst geschäftiges und buntes Treiben, und auf dem Kirchhof erinnert ein sinniges Denkmal an die Opfer des Tunnelbaues.
Ein grosser Touristenstrom wendet sich von da der Schöllenenschlucht zu, der unstreitig grossartigsten und interessantesten Strecke der Gotthardstrasse. Die fast senkrecht zu gewaltiger Höhe emporsteigenden Granitwände mit ihren Klüften und Rissen und spärlichem Alpenrosen- und Arvengebüsch, die von Sturz zu Sturz über Felsblöcke dahintobende Reuss und die kunstvoll angelegte Strasse mitten in dieser furchtbaren Wildnis spotten jeder Beschreibung.
Nachdem schon zwei Brücken, die Häderli- und Sprengibrücke, und eine Schutzgalerie (gegen Lawinen und Steinschlag) passiert sind, erreicht man hinter einer Felsecke die berühmte Teufelsbrücke, die interessanteste aller Brücken der Gotthardstrasse. Sie besteht aus mächtigen Granitquadern und setzt in einem einzigen kühnen Bogen über den 30 m tiefen Abgrund, durch den die Reuss donnert. Etwas unterhalb dieser Brücke stand bis 1888 die alte, viel schmälere Teufelsbrücke, die man noch auf vielen Bildern sieht und die durch ein Hochwasser hinweg geschwemmt worden ist. Oberhalb der Brücke findet sich in einer Felsnische das 1899 errichtete Russendenkmal, ein 12 m hohes griechisches Granitkreuz auf 8 m hohem Sockel mit russischer Inschrift zum Andenken an Suwarows Zug über den Gotthard. Bald nachher tritt man durch das 1707 erstellte und 1830 erweiterte Urnerloch wie auf einen Zauberschlag in das liebliche Gelände des ¶