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Standesziele, für ökonomische, land- und forstwirtschaftliche, gewerbliche und industrielle Besserstellung. Besonders hervorragend sind die Arbeitervereinigungen, das Sparkassenwesen (Raiffeisenkassen) für die gewöhnlichen Volksklassen bis in jedes Dorf hinaus, sowie die grösseren Geldinstitute in jeder Landesgegend und in allen städtischen Ortschaften. Den gemütlichen Zug des St. Gallers, dem man als besondere Charaktereigenschaft Beredsamkeit und politische Grosszügigkeit zuspricht, bekunden die zahlreichen Jahrgängervereine und die überall gefeierten Jugendfeste. In politischen Fragen platzen die Geister oft scharf aufeinander, finden sich aber bald wieder zu gemeinsamem brüderlichen Handeln.
Die alte Stadt St. Gallen, deren industrielle und gewerbliche Tätigkeit von jeher weit bedeutender war, als ihre früher nicht besonders hohe Bevölkerungsziffer erwarten liess, spielte für ihre Umgebung und den sö. Abschnitt des Thurgaues die gleiche Rolle wie Wil für den Nordwesten. Sie bildete stets einen wichtigen und belebten geschäftlichen Mittelpunkt und übte ihren Einfluss bis ins Rheinthal hinüber aus, so dass sich zwischen Stadt und Landschaft ein ganzes Netz von nützlichen und gegenseitig befruchtenden Beziehungen spann.
Der Mannigfaltigkeit von Grund und Boden entspricht im St. Gallerland auch diejenige seiner Bewohner. Beigetragen haben dazu die verschiedenartige Abstammung (Rätier im S., Alemannen im N. und NO.), die Mischung der einzelnen Rassenelemente, sowie die ehemals getrennten und verschiedenartigen landesgeschichtlichen Schicksale und Abhängigkeitsverhältnisse. An den bedächtigen und ruhigen Sinn des Fürstenländers oder Altlandschafters im n. Kantonsteil reiht sich der lebendige und heitere des Toggenburgers und Appenzellers.
Die Leute rechts und links der Linth und am Walensee gleichen einander in Charakter und Sprache, da hier die Orte Glarus, Schwyz und auch Zürich ihre Hohheitsrechte, sowie ihren politischen und gesellschaftlichen Einfluss lange Zeit ausgeübt und geltend gemacht haben. Aehnliches lässt sich auch vom St. Galler Oberland (Sargans und dem obern Werdenberg) sagen, wenn auch hier der rätische Typus in Land und Leuten noch grösstenteils geblieben ist. Trotzdem sich im obern Werdenberg die Herrschaft der Glarner, im Gamseramt diejenige der Schwyzer und in der Saxer Freiherrschaft diejenige der Zürcher bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten hatte, zeigen doch sowohl der Sarganser wie der Werdenberger noch eine ganz besondere Eigenart.
Wesentlich verschieden ist dann trotz der Gleichartigkeit der Landesnatur wieder der Bewohner des untern Rheinthales, der sich in Sprache und Charakter den Vorarlbergern einerseits und den Appenzellern andererseits nähert. Im Werdenberger steckt noch eine ernstere Lebensauffassung als im Rheinthaler, die sich besonders auch in schwerfälligerem Wesen und im Sprachausdruck äussert. Die Bewohner der ganzen Rheinlandschaft haben sich aber im Kampf mit dem unbändigen Strom zu einem zähen, ausdauernden und arbeitsgewohnten Völklein herangezogen.
Bei aller Verschiedenheit in Abstammung, Volkscharakter und konfessioneller Zugehörigkeit sind doch allen Schlägen des St. Galler Volkes gemeinsam eine grosse Arbeitslust, Betriebsamkeit und Elastizität in allen Lebenslagen, eine empfängliche Gemütsart, Neigung für Demokratie, hohe politische Schulung, sowie auch Hang zu Affekt, Temperament und autoritativem Auftreten. So erscheint denn das St. Galler Volk trotz seiner Zusammensetzung aus Fürstenländern, Toggenburgern, Rheinthalern, Werdenbergern, Oberländern, Gasterländern und Seebezirklern als ein in sich gefestigtes Ganzes, das sich seiner innern Zusammengehörigkeit wohl bewusst ist.
Das neuzeitliche Bild des Kantons unterscheidet sich vom frühern a) durch das fast völlige Verschwinden des Ackerlandes gegenüber dem Wiesenbau, besonders im n. und sw. Landesteil;
durch starke Entsumpfung in Thälern und Bergen, besonders im Rheinthal und in der Linthebene;
durch Korrektion und Regulierung der Gewässer im Unter- und Oberland;
durch Anlage und Bau von Eisenbahnen, Telegraphen- und Telephonleitungen in allen Landesteilen, prächtigen Strassen und Brücken (Bergstrassen nach Pfäfers, über die Hulftegg im W. des Kantons, vom Toggenburg über Wildhaus ins Rheinthal, von Weesen nach Amden, über den Stoss, den Ruppen etc.; Brücken über Sitter, Goldach, Thur, Rhein, Lutern und Glatt, Dammbrücke über den Zürichsee);
b) durch die wohlgeordnete Forst- und Alpenpflege; c) durch die zahlreichen Um- und Neubauten in den meisten Ortschaften (viele neue Kirchen, Schulhäuser, Armenhäuser, Wohltätigkeitsanstalten, Fabrikgebäude und Privathäuser). Die neuern Wohnhäuser auf dem Lande verbinden meistens mit der bäuerlichen Einrichtung diejenige für die Stickerei.
Kultus.
Das geistige Oberhaupt der katholischen Kirche im Kanton St. Gallen ist der Bischof von St. Gallen, während die Fragen der innern Verwaltung vom katholischen Kollegium geregelt werden. Dieses besteht aus 132 Vertretern der katholischen Pfarreien im Kanton (ein Abgeordneter auf 1200 Ew.) und bestellt aus seiner Mitte den aus 9 Mitgliedern bestehenden katholischen Administrationsrat. Die reformierte Landeskirche wird vom Kirchenrat geleitet, den die aus Vertretern der reformierten Pfarreien bestehende Synode wählt.
Der Kanton zählt neben der Dompfarrei in St. Gallen 107 kathol. Kirchgemeinden und 49 reformierte Pfarreien. Die römisch-katholische und die reformierte Kirche sind Staatskirchen und geniessen damit verfassungsmässige Gewährleistung, während die christkatholische Genossenschaft seit 1889 gemäss bundesgerichtlichem Entscheid und Gesetz betr. die Organisation der Verwaltungsbehörden der Gemeinden und Bezirke als öffentlich-rechtliche kirchliche Korporation anerkannt ist.
Handel, Industrie und Gewerbe.
Der Kanton St. Gallen steht unter den Industrie- und Handelsgebieten der Schweiz in erster Linie. An der berühmten St. Galler Industrie nimmt auch die Landwirtschaft treibende Bevölkerung des Kantons regen Anteil, und Webstühle und Stickmaschinen trifft man in gar vielen Bauernhäusern bis in die alpinen Regionen hinauf. Der Industrie-, Gewerbe- und Handelsfleiss, dessen Ausgangspunkt die Stadt St. Gallen gewesen ist, reicht viele Jahrhunderte zurück und setzte sich auch in Rorschach, Rheineck, Altstätten, Wil, Lichtensteig und in den appenzellischen Nachbarorten fest.
Bedeutende Markt- und besonders Transitorte wurden Rorschach, Rapperswil, Uznach, Weesen, Walenstadt, Ragaz, Azmoos im Werdenberg und Wattwil im Toggenburg, welche Orte an den grossen Handelsstrassen vom Boden- und dem Zürichsee nach den Bündnerpässen, sowie von Wil durch das Toggenburg und über den Ricken an den Zürichsee und in die Innerschweiz lagen. Zu hohem Wohlstand gelangten durch die Güterexpedition die Familien Bernold in Walenstadt, Sulser in Azmoos, ¶
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Chiodera in Ragaz u. a. Die neben dem vielbesuchten Kloster sich entwickelnde Ortschaft St. Gallen gestaltete sich natürlich schon früh zum Marktflecken.
Die Anfänge der Leinwandfabrikation u. des -handels gehen bis ins Mittelalter zurück, während die Entfaltung zum wirklichen Grosshandel ins 15. Jahrhundert gesetzt werden kann. Im 18. Jahrhundert wurde die Fabrikation von Barchent und Baumwolltüchern an die Hand genommen, aus welcher alsbald die Mousselinweberei und später die weltbekannt gewordene st. gallisch-appenzellische Stickerei hervorgingen. In neuerer Zeit hat sich die von St. Gallen ausgegangene Maschinenstickerei über die ganze Ostschweiz, Vorarlberg und das südl. Schwabenland ausgebreitet.
Von grosser Bedeutung ist auch die toggenburgische Buntweberei geworden. Hier war der Fabrikant vorherrschend, der auf eigene Rechnung eine grössere Anzahl von Spinnern und Webern beschäftigte und seine Garne und Tücher nach Lichtensteig oder auch direkt nach St. Gallen, Herisau und Winterthur zu Markte brachte. In den Bezirken am obern Zürichsee hat in neuerer Zeit die Seidenweberei Fuss gefasst. Wollwebstühle finden sich vereinzelt im Werdenbergischen.
Erwähnung verdient die Töpferei in Bernang (Berneck), sowie als vorübergehende Erscheinung der Betrieb des Eisenbergwerks am Gonzen bei Sargans und die Glashütte in Mels. Vom Zürchergebiet und Toggenburg aus verpflanzte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Verarbeitung der Baumwolle zu groben Garnen in fast jedes Bauernhaus im Linthgebiet. Gegen Ende des Jahrhunderts leitete sich mit dem Eindringen der englischen Maschinengarne die Einführung der mechanischen Spinnerei ein, und vor hundert Jahren wurde als erstes schweizerisches Aktienunternehmen in den St. Galler Klostergebäuden und im ehemaligen städtischen Tuchhaus die erste mechanische Baumwollspinnerei eingerichtet.
Neben den rasch sich entwickelnden grossen mechanischen Spinnereien tauchten bald auch kleinere auf, wodurch die vordem allgemein betriebene Handspinnerei nach und nach zurücktrat. Die Weberei erhielt fast gleichzeitig eine wesentliche Förderung durch den vom Fabrikanten Egli in Flawil erfundenen «Schnellschützen», der die Leistungsfähigkeit des Webstuhles aufs doppelte und dreifache des bisherigen steigerte und zugleich erlaubte, dem Gewebe eine grössere Breite zu geben. Für die Ausrüstung der Erzeugnisse der Textilindustrie wurde in der Ersetzung der Naturbleiche durch die chemische Schnellbleiche ein bedeutender Fortschritt erzielt.
Die Seele des ganzen Industrie- und Handelslebens bildet auch heute noch die Stadt St. Gallen, ohne dass ihr die lästigen Attribute einer modernen Fabrik- und Industriestadt anhaften. Die Industrie St. Gallens war nämlich von jeher und ist heute noch von feiner Art: Erzeugung von Leinwand in früherer Zeit und Erstellung feinster Stickereien und Spitzen in der Gegenwart. St. Gallen ist der Zentralpunkt des ganzen Stickereigebietes der Kantone St. Gallen, Appenzell, Thurgau und Zürich, sowie von Vorarlberg.
Jeden Mittwoch und Samstag spielt sich ein grosser Teil des Geschäftsverkehres auf der Stickereibörse am (ehemaligen) Multertor ab. In der Stadt selbst werden sozusagen keine Stickereien angefertigt, sondern es wird hier nur rohe Ware ausgerüstet und fertig gestellt. In den vielen Exportgeschäften sind hunderte von Händen damit beschäftigt, die Waren zu kontrolieren, zu sortieren und für den Export vorzubereiten. Einige dieser Geschäfte sind in wahren Palästen untergebracht.
Die Stickmaschinen finden sich im ganzen Industriegebiet, d. h. in der nähern und fernern Umgebung der Stadt zerstreut vor; nach der Statistik von 1900 zählte man deren im Ganzen rund 23000, wovon 19500 sog. Handmaschinen und 3500 Schifflimaschinen mit mechanischem Antrieb. Der jährliche Produktionswert der Stickerei beträgt heute weit über 100 Millionen Fr., welche Summe etwa den siebenten Teil des Gesamtexportes der Schweiz ausmacht. Man unterscheidet die Maschinenstickerei (Handmaschine und Schifflimaschine; Herstellung von Bändern, Entredeux, Roben, Taschentüchern, Halstüchern etc.) und die Kettenstich- oder Grobstickerei (Vorhänge, Storen, Vitragen etc.). Kettenstichstickerei ist vorwiegend Hausindustrie, Handmaschinenstickerei zugleich Haus- und Fabrikindustrie und die erst in neuerer Zeit eingeführte Schifflistickerei durchweg Fabrikindustrie.
Die Maschinenstickerei zählt im ostschweizerischen Stickereigebiet rund 280, z. T. sehr bedeutende Fabriken, die etwa 10000 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigen. Die feine Handstickerei ist seit der Einführung der Stickmaschinen zurückgegangen, doch wird in diesem Genre auch heute noch, meist von der kunstfertigen Hand der Appenzellerinnen, manch' wertvolles Stück angefertigt. Durch seine Stickereien verkehrt St. Gallen mit der ganzen Welt. Die wichtigsten Absatzgebiete sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika (1900: 47,3 Mill. Fr.) und England mit seinen Kolonien (32,9 Mill. Fr.). Deutschland und Frankreich stehen mit 6,9 bezw. 8,9 Mill. Fr. weit zurück. Nach Geering und Holz bildet der Stickereiexport nach der Union den wichtigsten Posten, in der Regel etwa 40%, 1899 bis 1901 aber nahezu 50% der gesamten schweizerischen Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten. Der Stickerei dienen auch noch verschiedene Hilfsindustrien, wie Sengereien, Bleichereien, Appreturen etc.
Als weitere industrielle Etablissemente von Bedeutung ¶