1420 m.
Weiler, am rechten Ufer
des Schanielenbaches (St. Antönierthal) und am S.-Fuss des
Kühnihorns, 11 km nnö. der Station
Küblis
der Linie
Landquart-Davos.
Postbureau, Telegraph;
Postwagen
Küblis-St. Antönien
Castels. 10
Häuser, 55 reform. Ew. Kirchgemeinde
St. Antönien, deren hübsche Pfarrkirche hier steht.
Schöne Umgebung. Alpwirtschaft, Wiesenbau und Viehzucht.
Antœnierjoch oder
Gargellenjoch(Kt. Graubünden,
Bez. Ober
Landquart). 2375 m. Passübergang aus dem schweizerischen St. Antönierthal
ins österreichische Gargellenthal. Jenes ist ein Seitenthal des
Prätigaus und mündet, von N. kommend,
bei
Küblis, dieses ein Seitenthal des Montafun und mündet,
von S. kommend, bei St.
Gallenkirch. Der
Pass führt von St. Antönien
Castels über
Rüti in das von hier sö. ansteigende
Gafierthal und zwar auf dessen linker
Seite bis zur Hüttengruppe
Dörfli.
Hier wird bei 1651 m oder auch etwas vorher bei 1616 m der Gafierbach überschritten, worauf der Weg,
steiler werdend, erst nö, dann ö. ansteigt, so dass man die
Gempifluh immer rechts hat. Zuletzt erreicht man durch die Mulde
zwischen
Gempifluh und
Schollberg die Passhöhe (in 3-3½ Stunden). Auf der
O.-Seite geht es über schöne
und mässig steile Alpweiden, später etwas steiler, aber ohne Schwierigkeiten hinab nach Gargellen (1½-2 Stunden). Der
Pass hat jetzt fast nur noch touristisches Interesse.
Früher aber wurde er von den benachbarten Thalbewohnern mehr benutzt. Diese besuchten über ihn die gegenseitigen
Märkte
und trieben dann jeweilen auch Vieh über den
Pass. Die Schweizerseite hat besonders auch für den Botaniker
Interesse durch ihren Reichtum an mancherlei, zum Teil seltenen Alpenpflanzen. Ausser dem reichlich vorkommenden Edelweiss
sei namentlich die in Graubünden
sonst seltene, schöne amethystblaue
Alpen-Mannstreu(Eryngium alpinum) erwähnt, die im
Gafierthal und
auf der
Saaser Alp (s. vom
Madrishorn) mehrfach vorkommt.
Antœnierthal(Kt. Graubünden,
Bez. Ober
Landquart). Schönstes und freundlichstes Seitenthal des
Prätigaus. Von
Dalvazza, einem
Weiler bei
Küblis, steigt es in einer Länge von etwa 14 km nnö. bis an den Hauptkamm des
Rätikon hinan. Dieser bildet im
N. und O. die Grenze des
Thals, während die W.-Grenze durch die Bergstöcke des
Kühnihorns und
Kreuz markiert
wird. Am
Grubenpass biegt der Hauptkamm des
Rätikon rechtwinklig um. Vom westöstl. verlaufenden Zweig gehört nur noch die
Sulzfluh dem Gebiet von
Sankt Antönien an. Der nordsüdl. streichende Zweig bildet zwei Gipfelreihen.
Die eine setzt das Kalkgebirge der Drusen- und
Sulzfluh fort und enthält die
Scheienfluh (mit
Schafläger
und
Mittelfluh), den
Schollberg, die
Gempifluh und die
Rätschenfluh (mit
Plattenfluh und
SaaserCalanda). Scheien- und
Rätschenfluh
wiederholen die mächtigen Gipfelformen der Drusen- und
Sulzfluh. Es sind gewaltige Pultformen mit hohen, steilwandigen Felsabstürzen
nach W. und sanft abgedachten Schrattenflächen nach O. In der östl. Gipfelreihe finden wir im Gegensatz
zu diesen massigen Formen zahlreiche kleinere
Spitzen, Türme und
Zinnen, wie die Sarotla- und
Röbispitzen, den Vierecker,
Rotspitz und Rungspitz, die Gargellenköpfe und als König des Ganzen das
Madrishorn mit zahlreichen Trabanten.
Diese östl. Reihe besteht aus krystallinen Schiefern (Gneis, Hornblendeschiefer, Glimmerschiefer), die von O.
nach W. auf das Kalkgebirge hinauf geschoben sind und in der obersten Partie des
Schollberges am weitesten nach W. reichen.
Auch das Kalkgebirge ruht seinerseits auf einem aus Bündnerschiefer bestehenden Grundgebirge. Dem Bündnerschiefer gehören
auch die Stöcke des
Kreuz und des
Kühnihorns an. Die
Garschinafurka n. vom
Schafberg trennt dort das Schiefergebirge
von den Kalkmassen der
Sulzfluh.
Die geologische Verschiedenheit der Gebirge bedingt auch eine grosse Mannigfaltigkeit im Landschafts- und Vegetationsbild.
Im Bündnerschiefer herrschen gerundete Formen mit zusammenhängender Pflanzendecke, allerdings da und dort unterbrochen
von tiefen Runsen und
Rüfen, im Kalkgebirge imposante, im Sonnenglanz hellleuchtende Mauern und weithinziehende Felsbänder
mit darunter liegenden weissen Schutthalden, auf den Hochflächen der
Sulzfluh,
Scheienfluh und
Rätschenfluh,
sowie am
Gruben- und
Plasseckenpass ausgedehnte vegetationsarme Sehratten-,
Dolinen- und Rundhöckerlandschaften und im «Urgebirg»
braune verwitterte
Spitzen und zackige
Gräte.
Manche dieser
Berge sind berühmte, vielbesuchte Aussichtspunkte geworden, so besonders
Sulzfluh und
Madrishorn. Das Thal selber
ist fast ganz in Bündnerschiefer eingeschnitten, der auch gegen die östl. Grenzmauer weit hinauf reicht.
Es wird durchflossen vom Schanielenbach, der sich im untern Teil eine lange und tiefe
Schlucht eingeschnitten hat und nicht
selten wildbrausend und mit schwarzen Geschiebemassen beladen ins
Prätigau hinaus stürmt. Ihm entlang führte in den letzten
Jahrzehnten ein jetzt wieder verlassener holperiger Karrweg ins Thal hinauf, von Anfang an schlecht angelegt
und meist schlecht unterhalten, oft von
Rüfen verschüttet oder vom
Wildbach streckenweise weggerissen. Jetzt geht ein hübsches,
in seinem äussern Teil aussichtsreiches Strässchen von
Dalvazza in grossen
Serpentinen über
Luzein und
Pany hinauf, das erst
oberhalb der
Schlucht an den
Thalbach gelangt, um dann diesem entlang
Sankt Antönien Platz zu erreichen.
Von da weg ist das Strässchen etwas schmäler, aber immer noch fahrbar bis
Partnun am Fuss der
Scheienfluh.
¶
mehr
Auf einem anfänglich steil ansteigenden Fussweg der linken Thalseite kann man auch von Küblis über Telfsch und Runcalina,
dann durch dichten Wald mehrfach auf- und absteigend, nach Sankt Antönien gelangen. Der untere Teil des Thals ist also eine
enge Fels- und Waldschlucht, meist in dunklen Tannenwald gehüllt. Beim Hof Fröscheney, etwa 4 km oberhalb
Dalvazza, erweitert sich das Thal etwas, und es beginnt erst hier auch im politischen Sinn die Thalschaft Sankt Antönien.
Eine Linie von Fröscheney östl. hinauf durch das Horntobel und weiter über Jägglishorn, SaaserCalanda und Madrishorn bildet
die Grenze gegen Küblis und Saas, eine andere weiter nördl., von der Brücke unmittelbar vor Sankt Antönien Platz
westl. hinauf über den Kammeinschnitt von Aschüel die Grenze gegen Luzein. Etwa 8 km weit, von Fröscheney bis Partnun, steigt
das Thal ziemlich gleichmässig an (von 1200-1600 m), dann folgt ein steilerer Anstieg zum Kessel des durch eine Moräne gestauten
Partnunsees (1874 m), endlich über einer Felsenschwelle die «nackte Kalkmuschel»
der sog. Gruben, eine öde, vom Gletscher gehobelte Rundhöcker- und Dolinenlandschaft, über welche der Grubenpass (2222, resp. 2235 m)
nach der Montafuneralp Tilisuna führt (Tilisunahütte des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins, 2211 m). Die untere,
grösste Thalstufe ist ein grünes Wiesenthal mit sanften Schieferhängen, aber mit sehr spärlichem Wald.
Nur an den Hängen gegen das Jägglishorn und gegen das Kreuz sind noch grössere, geschlossenere Fichtenbestände vorhanden,
dort bis etwa 1900 m, hier bis 1700 m, horstweise auch etwas höher hinauf. Weiter thaleinwärts ist der Wald auf einzelne
steilere Stellen beschränkt und auch da nur sehr dünn. Die Buche findet sich blos bei Fröscheney in
nennenswerter Zahl, der Bergahorn einzeln oder in kleinen Gruppen an manchen Stellen, ebenso der Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia)
und die Grünerle (Alnus viridis) in Gebüschen bis 1900 m.
Von Nadelhölzern finden sich auch Lärchen und Eiben in geringer Zahl zwischen Fröscheney und Ascharina.
Infolge der waldlosen Hänge ist das ganze Thal sehr von Lawinen bedroht. Von Ascharina bis Partnun zählt man auf beiden Thalseiten
zahlreiche Lawinenzüge. In den letzten 200 Jahren sind durch Lawinen etwa 40 Menschen und 150-200 Stück Grossvieh getötet
und 250 Gebäulichkeiten zerstört worden. Natürlich suchen die St. Antönier ihre Wohnungen an möglichst
lawinensichern Orten zu erstellen und so, dass die Firsten bergabwärts schauen.
Ausserdem sieht man hinter jedem einigermassen gefährdeten Haus als Lawinenschutz einen aus Erde und Stein errichteten keilförmigen
Hügel von der Höhe der Dachfirst, der die Lawinen aufhalten oder in zwei an den Seiten des Hauses vorbeischiessende
Arme spalten soll. Zu grösserem Schutz tragen diese «Spaltecken» oft stattliche Ahorngruppen. Ueberhaupt
spielt der oft 2-3 m hoch liegende Schnee in St. Antönien eine bedeutende Rolle. In schneereichen Wintern ist der Verkehr
zuweilen tagelang völlig unterbrochen, und die Leute dürfen sich nicht aus ihren Häusern wagen. Hat
sich der Schnee aber gehörig gesetzt, dann bietet er treffliche Schlittbahnen zu Heu- und Holztransporten. Es ist ein eigenartiges
Winterleben da oben, das bei aller Gefahr und Einsamkeit seiner Reize nicht entbehrt.
Das ganze Thal bildet mit seinen 350 Ew. zwar eine einzige Kirch- und Schulgemeinde, zerfällt aber in
drei politische Gemeinden: Ascharina mit 95, Castels mit 172 und Rüti mit 83 Ew. Kirche und Schule finden sich in Castels oder
St. Antönien Platz. Die Bevölkerung beschäftigt sich natürlich hauptsächlich mit Viehzucht und Alpwirtschaft und treibt
dabei ein förmliches Wander- oder Nomadenleben. Von Mitte Dezember bis Mitte Juni halten sich die Leute
in den Winter- oder Thalwohnungen auf, dann ziehen
sie in die Maiensässe (Vorwinterungen) nach Partnun, dann auf die Alp in
Partnunstaffel, Mitte September geht's wieder hinab in die Vorwinterung, Anfangs Oktober zurück in die Thalwohnungen, Anfangs
November nocheinmal ins Maiensäss zur Verfütterung des dortigen Heus, endlich Mitte Dezember definitiv
für ein halbes Jahr ins Thal.
Die Heuernte dauert nahezu drei Monate (etwa vom 10. Juli bis Ende September). Zu diesem Zweck kehrt ein Teil der Familie von
der Alp ins Thal zurück, während ein anderer Teil oder ein Knecht in der Alp bleibt zur Besorgung der
Vieh- und Milchwirtschaft. Ende Juli rückt der Heuet in die Maiensässe (PartnunerMäder) hinauf und dauert dort bis Ende
August. Im September kommt das Emdim Thal an die Reihe. Im Oktober folgt noch die Herbstätzung (das Abweiden der gemähten
Wiesen) und dann das Düngen.
Dazwischen werden auch die kleinen Kartoffel- und Gerstenäcker abgeerntet. Einigen Verdienst bringt
den Einen oder Andern der Schmuggel, bezw. die Beihülfe dazu, über die St. Antönierpässe (Grubenpass, Plasseckenpass, St.
Antönierjoch und all' die vielen Kammeinschnitte dazwischen). Wichtiger ist aber der seit einigen Jahren in erfreulichem
Aufblühen begriffene Fremdenverkehr. In und bei St. Antönien Platz (1420 m) sind mehrere einfachere,
aber gut eingerichtete und geführte Gasthäuser und Pensionen entstanden, die jeden Sommer von Kurgästen voll besetzt werden,
ebenso hoch oben in PartnunStaffel die Pension Sulzfluh (1772 m), besonders als Standquartier für Touristen beliebt.
Die Gäste fühlen sich wohl da oben und kehren gerne wieder. Das schöne, blumenreiche Gafierthal (Edelweiss
und Mannstreu) und das hoch gelegene Ascharinathal (beide gegen das Madrishorn ansteigend), der Partnunsee, der Grubenpass, die
Tilisunahütte und andere Punkte geben Gelegenheit zu kleinen Ausflügen, Kreuz, Kühnihorn-Schafberg, Drusenthor und die jenseits
gelegene Lindauerhütte, Schweizerthor und Lünersee, Sulzfluh, Scheienfluh, Schollberg, Rätschenfluh, Madrishorn und noch viele
andere Gipfel und Pässe zu mancherlei leichtern und schwierigern Bergwanderungen. Auch zu geologischen
und botanischen Exkursionen ist reiche Gelegenheit vorhanden.
Bibliographie:
Schröter, C. Das St. Antönierthal imPrätigau(im Landwirtschaftlichen Jahrbuch derSchweiz. 9. Band, 1895); DieSulzfluh;
Exkursion der Sektion Rätia des S. A. C. (Abhandlungen über St. Antönien, die Sulzfluh und die Sulzfluhhöhlen).
Chur 1865; Imhof, Ed. DerRätikon, das Plessurgebirge und die westl. Ausläufer derSilvrettagruppe. (S. A. C.; Itinerarium1890-91).Glarus
1890; Fient, G. Das St. Antönierthal.Chur 1903; Jahrbuch des S. A. C. 1890-1893.