Mit dem Kanton Waadt
steht der Bezirk in Verbindung durch die grosse
Thalstrasse, die sich nahe dem
Schloss von Saint Maurice
in zwei Zweige teilt, sowie durch die Rhonebrücken von
Massongex (1873 dem Betrieb übergeben) und
Lavey les Bains (um 1890 erbaut).
Die bedeutendste Querstrasse ist die 1855-1870 erstellte und seither wiederholt korrigierte und verbreiterte Strasse von
Vernayaz über
Salvan und
Le Châtelard nach Chamonix. Seit 1906 wird das Thal von
Salvan bis
Le Châtelard
ferner noch durch eine elektrische Alpenbahn bedient, die von der Station
Martinach bis
Vernayaz der Rhonethalstrasse und von
da mit zahlreichen kühnen Kunstbauten der Querstrasse nach
Le Châtelard folgt, um sich hier an der Landesgrenze an die nach
Chamonix führende Linie anzuschliessen.
Der Bezirk umfasst zum grossen Teil den ehemaligen Grundbesitz der Abtei von Saint Maurice, der die Gebiete der kleinen Gemeinden
Évionnaz,
Collonges,
Dorénaz und
Vérossaz von Anfang an zugehörten, während ihr
Salvan und
Finhaut später vom Burgunderkönig
Sigismund geschenkt wurden.
Maurice, deutsch
Sankt Moritz (Kt. Wallis,
Bez. Saint Maurice). 420 m. Bezirkshauptort und sehr alte
kleine Stadt; links über der
Rhone an der Stelle gelegen, wo der Fluss sich anschickt, aus der zwischen der
Dent du Midi und
der
Dent de Morcles eingeschnittenen mächtigen
Klus von Saint Maurice in die zum
Genfersee sich hinziehendeEbene
einzutreten. Links von ihm türmt sich an dieser Stelle eine senkrechte Felswand auf, während rechts von ihm die zur Gemeinde
Bex gehörende Anhöhe von
Chiètres sich erhebt. 22 km ssö.
Villeneuve am
Genfersee und 23 km ssö.
Le Bouveret am
Genfersee, 30 km
w.
Sitten und 15 km nw.Martinach. Vereinigungspunkt der vom S.-Ufer des
Genfersees (Annemasse-Thonon-Évian-Saint
Gingolph) herkommenden Linie mit der von
Lausanne ausgehenden Simplonbahn. Postbureau, Telegraph, Telephon; Postwagen nach
Lavey.
Das vor der Rhonebrücke stehende
Schloss mit seinem hohen viereckigen
Turm beherrscht die Vereinigung der aus dem Kanton Waadt,
bezw.
dem Chablais herkommenden beiden
Strassen zur grossen
Thalstrasse des Wallis.
Ganz nahe der Station geht die Bahnlinie
durch einen
Tunnel. Die
Hauser gruppieren sich um eine geradlinige Hauptgasse (die
Thalstrasse), den freien
Platz vor der Basilika
der Abtei und eine Anzahl von kleinen Seitengassen. Gemeinde, mit dem
WeilerLes Cases (über dem
Rebberg Les
Perrières und
auf dem Schuttkegel des
WildbachesMauvoisin), dem Waisenhaus Vérolliez (oder
Véroilley) und den Häusergruppen
Épinassey und Les
Preyses (auf dem Schuttkegel des
Wildbaches von
Saint Barthélemy): 2162 Ew. (wovon 120 Reformierte und 6 Konfessionslose)
französischer Zunge (exkl. 126 Ew. deutscher und 198 Ew. italienischer Zunge).
Katholische Kirchgemeinde Saint Maurice, deren nahe dem Bahnhof stehende und dem h. Sigismund geweihte
Pfarrkirche von der Abtei unabhängig ist. Die eigentliche Stadt zählt etwa 400 Ew. weniger als die ganze Gemeinde. Die
Chorherren der Abtei haben in den weiten Klosterräumen ein klassisches Gymnasium mit Internat eingerichtet, dessen stets
steigende Frequenz vor etwa 10 Jahren die Erstellung eines Neubaues notwendig machte. Es zählt heute
nahezu 50 externe und 150-200 interne Zöglinge, die aus den verschiedenen Gegenden des Wallis,
dem
Berner Jura, dem Kanton Freiburg
und anderen
katholischen Kantonen der
Schweiz, sowie auch aus dem Ausland stammen.
Gemeinnützige Anstalten, die ebenfalls von Chorherren der Abtei geleitet werden, sind: der am S.-Ende
der Stadt stehende
SpitalSaint Jacques mit
Kapelle, der im Mittelalter zahlreichen Wallfahrern Unterkunft bot;
die vom Chorherrn
Gard 1860 gestiftete Waisenanstalt Vérolliez, deren neues Gebäude 300 m s. der Stadt über der Strasse und Bahnlinie
steht;
die vom Chorherrn Bourban um 1900 gegründete Clinique de
SaintAmé in Vérolliez.
Daneben wirken
in Stadt und Gemeinde noch verschiedene barmherzige Brüderschaften. Schiess-, Musik- und Gesangvereine; Sparverein, Unterstützungs-,
Kranken- und Sterbekasse. Ein Bankgeschäft. 4 Gasthöfe. Kleines Theater. Die natürlichen Erwerbsquellen des Städtchens,
das im Gegensatz zu den übrigen Bezirkshauptorten im
Rhonethal nicht an der Ausmündung eines in dieser
oder jener Hinsicht
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mehr
Verkehr und Verdienst bringenden Seitenthales liegt und zudem unter der Konkurrenz von Seiten von Bex und Monthey zu leiden
hat, sind umso beschränkter, als 1822 die beiden benachbarten Orte Évionnaz und Vérossaz als selbständige Gemeinden von
ihm losgelöst wurden. Zahlreiche Besucher ziehen dagegen das Gymnasium und die Wallfahrt an, ebenso
seit 1863 die Zugänglichmachung der benachbarten Grotte aux Fées, deren Eintrittsgelder der Waisenanstalt zufliessen.
Die einstige Compagnie de la ligne d'Italie machte Saint Maurice zu einem namhaften Bahnhof mit Reparaturwerkstätten, musste
aber 1873 liquidieren, worauf die Aufhebung der Werkstätten dem Handwerkerstand und den Kleingewerbetreibenden einen empfindlichen
Schlag versetzte. Etwas mehr Geschäftsleben macht sich wieder geltend, seit man 1893 die benachbarten
Festungsanlagen von Savatan und Dailly errichtete und seit der Bahnhof infolge des Simplondurchstiches neuerdings einen grossen
Verkehr aufzuweisen beginnt.
Das Innere der Stadt hat übrigens jetzt den lange Zeit vorherrschenden verwahrlosten und traurigen Charakter einer einst
blühenden und dann dem Zerfall entgegen gehenden Ortschaft verloren. Saint Maurice erhält von dem auf
Boden der Gemeinde stehenden Werk im Bois Noir elektrisches Licht und hat eine aus dem See in der Grotte aux Fées hergeleitete
Druckwasserversorgung. Zahlreich sind die natürlichen und historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt und ihrer Umgebung.
Verschwunden sind im Laufe der Zeiten: die Sust (heute Theater), einst eine grosse Warenniederlage für
den Verkehr über die Walliser Pässe;
das Siechenhaus;
die Münzstätte, wo man die früher im ganzen Wallis
und den angrenzenden
Gebieten gangbaren sog. St. Moritzermünzen (livres mauriçoises) schlug;
das Rektorat Saint Laurent etc. Bemerkenswerte Bauten
sind heute noch die Abtei mit ihrer Basilika;
das Rathaus mit der Inschrift Christiana sum ab anno LVIII,
die an die frühe Christianisierung des Ortes erinnert;
Die Brücke soll schon von den Römern erstellt worden sein und stammt in ihrer heutigen Gestalt
als mit einem einzigen Bogen über die Rhone von Fels zu Fels setzendes Bauwerk aus 1491; sie trug früher eine St. Theodulkapelle,
die man 1847 abgetragen hat, und auf ihrem linksseitigen Uferpfeiler einen ebenfalls um die Mitte des 19. Jahrhunderts verschwundenen
viereckigen Turm mit doppeltem Tor, der den Eingang ins Rhonethal verteidigte. Heute wird die Brücke sowohl
auf der Walliser- wie auf der Waadtländerseite von einem Gendarmerieposten gehütet.
Der Walliser Posten ist im Schloss untergebracht, das vor dem W.-Eingang der Brücke auf dem Fels steht und bei dem sich die
aus der Felsenge von Saint Maurice kommende Strasse des Rhonethales gabelt. Dieses schon seit 1150 genannte
Schloss stammt in seiner heutigen Gestalt aus 1523, in welchem Jahr es auf Kosten der zwischen Saint Maurice und der
Morge de Conthey wohnenden Niederwalliser neu erbaut worden ist, um von da bis zur französischen Revolution den Gouverneuren
von Saint Maurice als Wohnsitz zu dienen. Es verwehrte jeglichen Zutritt in das Land Wallis.
«Jede
Nacht wurden die Schlüssel des Landes dem Gouverneur übergeben - und erst 1690 wurde
die gegenwärtige nach Massongex führende
Strasse durch Absprengen der Felswände eröffnet.» (F. O. Wolf).
Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die Feengrotte (Grotte aux Fées) im Felsen über dem Schloss, zu der
ein durch Kastanien beschatteter guter Weg in mehreren Windungen hinaufführt. Endlich erwähnen wir auch noch die Einsiedelei
von Notre Dame du Sex (513 m), ein mitten an der von der Terrasse von Vérossaz abfallenden Felswand auf einem Steingesimse
klebendes Wallfahrtskirchlein, das man auf einem meist in den Fels gehauenen, schmalen und mit Stufen
versehenen Weg erreicht. Im Engpass von Saint Maurice sieht man zu beiden Ufern des Flusses und auf den benachbarten Höhenpunkten
Befestigungen, die 1831 von zehn Pionnierkompagnien unter dem Befehl des Hauptmannes Haag und unter der Leitung von Offizieren
des eidgenössischen Geniestabes errichtet worden sind und seit 1893 durch die beiden modernen Festungsanlagen
von Savatan und Dailly verstärkt werden, die im Kanton Waadt
auf Vorschultern der Dent de Morcles in beträchtlicher Höhe stehen.
Da der Engpass oder die Klus von Saint Maurice zwischen die Falten der Dents du Midi und der Dents de Morcles
eingeschnitten ist, kann man an den beidseitigen Wandungen den geologischen Aufbau dieser beiden Gebirgsstöcke gut erkennen.
Besonders charakteristisch ist die SW.-Wand, an der man den durch die regelmässige Anordnung der Schichten so auffallenden
Steilabbruch der Kalkbänke bemerkt. Es sind Neocomschichten, unter welchen weiter oben im Thal, bei Mauvoisin, Jurakalke und
noch weiter oben, beim Wildbach von Saint Barthélemy, das krystalline Grundgebirge zu Tage tritt.
Ueber diesem Kalkmassiv liegt Flysch, aus dessen leicht verwitterbaren Gesteinen die Terrassenflächen von Vérossaz und Mex
herausmodelliert worden sind, und zu oberst endlich folgt in verkehrter Lagerung nocheinmal Neocom, dessen Bänke im SW. die
Dents du Midi und im NO. die Dents de Morcles aufbauen. (Vergl. den Art. Rhonethal). In den schwarzen Kalken
des Tunnels durch die die Terrasse von Vérossaz tragende Neocomwand hat man Requienien gefunden, und die schiefrigen Schichten
beim Eingang in die Grotte aux Fées liefern in Menge Toxaster complanatus, ein Leitfossil der Hauterivienstufe
des Neocom.
Schon seit den ältesten Zeiten ist der Engpass bei Saint Maurice als die eigentliche Pforte des Wallis
(PortaVallesiae) erkannt
und als solche auch entsprechend gewürdigt worden. So entstand in der freien Ebene unmittelbar oberhalb der Klus zwischen
der Rhone und der senkrechten Felswand von Vérossaz, die beide der neuen Siedelung Schutz zu bieten in
der Lage waren, die heutige Stadt Saint Maurice, der «Schlüssel zur bekanntesten
und berühmtesten Völkerstrasse der alten Welt», d. h. derjenigen über den Mons Jovis oder Grossen St. Bernhard. Lange Zeit
war deshalb die Geschichte des Klosters und der Ortschaft Saint Maurice zugleich diejenige des ganzen
Wallis.
Die keltischen Nantuaten hatten hier ihren Hauptort Agaunum, den die Römer nach der Eroberung des Landes in Tarnada oder
Castrum Tarnadense umtauften, was aber nicht hinderte, dass der ältere Name neben dem jüngern im Gebrauche blieb und schliesslich
der allein übliche wurde, bis der Ort die Bezeichnung
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