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St. Immer eine verhältnismässig junge Siedelung ist, fehlen - abgesehen von dem ehrwürdigen
Turm der Königin Bertha, der
zu einer längst zerstörten Kirche gehörte, und von der mit schönen Glasmalereien ^[Ergänzung: und einer prachtvollen
Orgel] geschmückten reformierten Pfarrkirche - alte Baudenkmäler fast ganz. Andere bemerkenswerte Bauten sind die katholische
Pfarrkirche, deren Glockenturm noch nicht völlig aufgebaut ist, ^[Berichtigung: in Bälde vollendet sein wird.] das Gemeinde-Elektrizitätswerk,
die Turnhalle, der Bezirksspital, ^[Ergänzung: die Reitbahn und die Schulhäuser].
Die architektonisch interessantesten Typen des alten St. Immer sind das reformierte Pfarrhaus und einige ältliche Häuser, die den Turm der Königin Bertha halb verdecken. Neben ausgezeichneten Primarschulen hat das Dorf je eine Knaben- und eine Mädchensekundarschule, eine Uhrenmacher- und Mechanikerschule, eine Schule für kunstgewerbliches Zeichnen, eine vom schweizerischen kaufmännischen Verein finanziell unterstützte Handelsschule, eine Kleinkinderschule (Fröbelschule), eine Haushaltungsschule und einen Kinderhort. In der sehr zierlichen Turnhalle finden sich einige gute Gemälde von Louis Wallingre.
Das Primarschulhaus beherbergt ein von Dr. S. Schwab und G. Agassiz gegründetes, kleines naturhistorisches Museum mit Münzkabinet, das nahezu sämtliche Vertreter der Wirbeltierfauna des Jura und die Fossiliensammlung von Ed. Pagnard enthält. Bezirksspital und 2 Altersasyle (je für Männer und für Frauen), ^[Ergänzung: die in nächster Zeit in einem sehr schönen und geräumigen Neubau vereinigt sein werden]. Eidgenöss. Kontrolamt für Gold- und Silberwaren.
Zwei Bankgeschäfte. Drei Buchdruckereien und eine Zeitung. St. Immer ist der bedeutendste Mittelpunkt der Uhrenindustrie im Berner Jura. Eines Weltrufes erfreut sich namentlich die von Ernst Francillon ^[1832] gegründete Uhrenfabrik «Les Longines», die ^[1866 und 1889 vergrössert wurde und] 600-1000 Arbeiter beschäftigt. ^[Etwa zehn weitere Uhrenfabriken beschäftigen je 50-300 Arbeiter.] Mechanische Werkstätten. Zwei Bierbrauereien. Landwirtschaft und Viehzucht werden nur in der Thalsohle und auf den hohen Bergweiden betrieben.
Der N.-Hang des Chasseral ^[und die steilen Abbrüche des Sonnenberges] liefern ausgezeichnete Bausteine. Licht und Kraft bezieht das industriereiche Gemeinwesen vom Elektrizitätswerk La Goule ^[am Doubs]. Ein etwas ö. vom Dorf stehendes Elektrizitätswerk mit Dampfbetrieb, das 1500 PS erzeugen kann, wird nur dann in Betrieb gesetzt, wenn das Werk von La Goule dem Bedarf nicht zu entsprechen vermag. Die Quelle La Raissette bei Cormoret versorgt das grosse Dorf mit ausgezeichnetem und in reichlicher Fülle verwendbarem Wasser: Druckwasserversorgung mit zwei Reservoiren an der Flanke des Sonnenberges.
St. Immer bietet auch Gelegenheit zu lohnenden Spaziergängen und grösseren Ausflügen: auf den Chasseral über La Baillive und La Perrotte (2½-3 Stunden) oder auch - anstrengender - auf dem neuen Fussweg durch die Combe Grède;
nach Le Pâquier im Val de Ruz über Les Pontins;
gegen N. auf dem Chemin de la Brigade entweder links nach La Chaux d'Abel (auf dem Plateau der Freiberge) oder rechts direkt auf den Sonnenberg.
Oestl. vom Dorf liegt am Fuss des Sonnenberges beim Champ Meusel die interessante Endmoräne eines quaternären jurassischen Lokalgletschers. ^[Ergänzung: Der Sonnenberg hat sich in jüngster Zeit zu einem bereits gut besuchten und allgemein geschätzten Luftkurort entwickelt, der drei gut geführte Gasthöfe (darunter ein Temperenzhôtel) aufweist.]
Die Bewohner von St. Immer haben sich zu aller Zeit durch ihre Intelligenz und Arbeitsfreudigkeit ausgezeichnet. Da in einer Gegend mit so rauhem Klima der Betrieb der Landwirtschaft den Leuten kein genügendes Auskommen bot, wandten sich die Männer der industriellen Tätigkeit zu, während die Frauen und Mädchen prachtvolle Spitzen anfertigten, die bis ins Ausland sehr gesucht waren und heute nur noch in einigen alten Familien und in wenigen Museen bewundert werden können.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde im Thal die Uhrenindustrie eingeführt, die den Bewohnern bald einen bisher nicht bekannten Wohlstand brachte. Heute ist St. Immer ein ebenso rühriger und mit den nämlichen Bequemlichkeiten des Lebens ausgerüsteter Ort wie irgend eine grössere Stadt. Wie der Bewohner des Thales von La Chaux de Fonds arbeitet auch der des St. Immerthales an den Wochentagen streng und ausdauernd, während er es liebt, die freien Abende dem Vereinsleben zu widmen und an schönen Sonntagen mit seiner Familie die Umgebungen seines Wohnortes zu durchstreifen.
Das Hauptziel aller Ausflüge bildet seit 1905 ^[Berichtigung: 1903] der
Sonnenberg, auf dem jetzt auch
Mitte Juli das alljährliche Jugendfest gefeiert wird. ^[Ergänzung: Die von Saint Imier heraufführende Drahtseilbahn ist 650 m
lang.] Die Zahl der die verschiedensten Zwecke verfolgenden Vereine und Gesellschaften ist eine ausserordentlich grosse:
landwirtschaftliche u. milchwirtschaftliche Genossenschaft, Wirteverein, Schalenmacherverein, Syndikat der Graveure und Guillocheure
und andere berufliche Vereinigungen der Uhrenmacher, Kaufmännischer Verein;
verschiedene Konsumvereine, gemeinnützige Vereinigungen und Anstalten, Verschönerungsverein, Bildungsverein (Société d'Émulation), Alters-, Kranken und Sterbekassen (Neuenburger- und Waadtländerverein), Temperenzvereine;
französische und deutsche Gesangvereine, Musikvereine, Turnvereine, Schützengesellschaft, Orchesterverein;
Unionsklub (Cercle de l'Union), Alpenklub, Philatelistenklub, Veloklub;
Artillerieverein und Militärgesellschaft;
Katholikenverein, Italienerverein u. a. m.
Der Ursprung von St. Immer ist noch in Dunkel gehüllt. Sicher ist blos, dass das Thal schon ziemlich frühzeitig besiedelt war. Der Ueberlieferung nach soll das Dorf vom h. Immer aus Lugnez bei Pruntrut gestiftet worden sein, der nach seiner Rückkehr von einer Palästinareise das Waldthal Suzinga (Thal der Suze oder Schüss) urbar zu machen begann. Geburts- und Todesjahr des Heiligen sind nicht bekannt. Die ersten Häuser um die Zelle des h. Einsiedlers siedelten sich wahrscheinlich im 7. Jahrhundert an. Auf seinem Grab entstand dann bald ein Kloster mit Kirche, dessen Mönche ohne Schwierigkeit in den Besitz des noch nicht dem Anbau erschlossenen Thales kamen. 884 wurde das St. Immerthal von Karl dem Dicken der Abtei Moutier-Grandval gegeben. Das Kloster in St. Immer wandelte sich (wie man glaubt im Jahr 933 mit ¶
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Erlaubnis der Königin Bertha) in ein Chorherrenstift um, das zur Zeit der Reformation aufgehoben wurde, bei welchem Anlass man auch das Grab des Heiligen zerstörte und seine Reste fortwarf. 999 erhielt das Bistum Basel von Rudolf III., dem letzten Burgunderkönig, die weltliche Oberhoheit über die Abtei Moutier-Grandval und alle ihre Besitzungen. Von da an gehörte St. Immer und das ganze Thal bis Ende 1797 zum Fürstbistum Basel. Dann kam es bis 1814 an Frankreich, worauf es von den verbündeten Mächten zusammen mit dem ganzen ehemaligen Grundbesitz des Bistums unter die Verwaltung des Freiherrn von Andlau gestellt wurde, um dann im Wienervertrag von 1815 der Schweiz und speziell dem Kanton Bern zugesprochen zu werden.
Während der Zeit der französischen Herrschaft bildete das St. Immerthal einen Teil der Subpräfektur Delsberg. Die Geschicke des Dorfes St. Immer sind von jeher mit denen des ganzen Thales, der sog. Landschaft Erguel (s. diesen Art.) eng verknüpft gewesen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurde das Dorf zu wiederholten Malen von Feuersbrünsten heimgesucht, die fast alle alten Bauten zerstörten, so dass es heute eine auch im Aeussern durchaus moderne Ortschaft darstellt.
Aus St. Immer stammen folgende drei hervorragende Männer: Benedikt Alphons Nicolet († in Paris 1806), ein geschickter Maler und sehr guter Kupferstecher;
der Philanthrop Dr. Schwab (geb. 1833, † in Bern 1900), der Begründer der Sekundar-, Uhrenmacher- und Haushaltungsschule in St. Immer, sowie des Sanatoriums Heiligenschwendi;
Ernst Francillon (1834-1900), Gründer der Uhrenfabrik Les Longines, ehemaliger Präsident des Verwaltungsrates der Jura-Simplon- und der Jura-Bern-Luzern-Bahn und 1881-1890 Nationalrat.