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und in der grünen Tiefe, die auch um Mittag im Dämmerlichte liegt, donnert die Visp über gewaltige Blöcke eines fremdartigen Gesteins.»
Mit Bezug auf Reichtum und Abwechslung seiner Flora ist das Saasthal zusammen mit seinem Zwilling, dem Zermatter- oder Nikolaithal, eines der interessantesten Thäler in der N.-Flanke der Alpen. Bemerkenswert ist namentlich das Vorkommen einiger Pflanzenarten, die nur sporadisch auftreten, so besonders der ganz vereinzelten Kärntner Saumnarbe (Pleurogyne carinthiaca), die auch noch im Zermatterthal, am glarnerischen Kistengrat, im Avers und im Engadin hie und da auftritt, und des hier vor wenigen Jahren von Dr. Goudet aus Genf entdeckten eberreisblätterigen Kreuzkrautes (Senecio abrotanifolius), das im Bündnerland häufig angetroffen wird, weiter nach W. dagegen nur noch ganz isoliert sich zeigt. Am meisten begünstigt erscheint in floristischer Hinsicht die Gegend um den Mattmarksee, die zusammen mit der Maienwand beim Rhonegletscher zu den am reichsten ausgestatteten Standorten der Walliser Alpen gerechnet wird.
Sehr merkwürdig ist vor allem die Flora des sumpfigen Sand- und Kiesbodens oberhalb des Mattmarksees, wo die arktische Simse (Juncus arcticus) einen in den Alpen einzigartigen, grossen und nahezu reinen Bestand bildet. Viele seltene Hochalpenpflanzen beherbergen auch das Ofenthal, das Thälchen von Schwarzenberg und die Distelalp, so dass man dieses oberste Stück des Saasthales mit Wolf einen «wahren botanischen Garten» nennen darf: Primula longiflora, Campanula excisa und C. cenisia, Hieracium alpicolum, Artemisia nana, Saxifraga cotyledon, Senecio uniflorus, Oxytropis foetida, Geum reptans, Valeriana celtica, Adenostyles leucophylla, Alsine octandra (sehr selten!). Sehr bemerkenswert ist auch die Art der Bewaldung des Saasthales. Die leider nach und nach verschwindende Arve tritt mehrfach in prachtvollen Exemplaren auf. Der Fussweg von Saas Fee nach Almagell führt unmittelbar hinter jenem Ort durch einen kleinen Wald von Bergföhren (Pinus montana), der eine wahre forstliche Seltenheit ist.
Die Thalbevölkerung hat sich trotz dem stetig bedeutender werdenden Fremdenverkehr doch die Tugenden der Aufrichtigkeit, Einfachheit, Genügsamkeit, des Mutes und der Ausdauer bewahrt, die sich früher bei den Bewohnern der Berge häufig vorgefunden haben. Das Völkchen, das einen undankbaren Boden bebaut und neben Produkten der Viehzucht nur noch einige Roggen- und Kartoffeläcker und fast gar kein Obst sein eigen nennt, ist mit Bezug auf seine Nahrung auf eine starke Einförmigkeit angewiesen. Da im Thal grosse Flächen von derart abgelegenem Weideland vorhanden sind, dass sie von Grossvieh nicht bezogen werden können, pflegt man hier viel Schafzucht, und das Fleisch dieser Tiere ist denn auch die eigentliche Grundlage der Fleischnahrung der Bewohner.
Sehr beliebt ist die Gemsjagd, die jeder, ohne sich um Gesetze und Reglemente viel zu kümmern, nach seinem Gutdünken betreibt. Das gleiche war übrigens, allerdings in geringerem Mass, noch bis vor gar nicht langer Zeit auch in den andern Alpenthälern des obern und untern Wallis der Fall. «Noch mehr aber als die Gemse wird das Fleisch der Murmeltiere als Leckerbissen geschätzt, sowohl frisch gebraten, als auch das gesottene Dörrfleisch. Dies muntere Alpentierchen wird aber im Saasthal nicht gejagt oder geschossen, sondern im Winter gefangen... Die besten und geschütztesten Alpen werden ihm zum Wohnplatz angewiesen, und sollte es in einer Alpe aussterben, so wird dieselbe durch Herbeibringen anderer Tiere wieder neu bevölkert, denn die Murmeltiere sind im Saasthal nicht Jagdbeute, sondern Gemeindeeigentum, werden förmlich gezüchtet und gepflegt; jeden Spätherbst wird eine gewisse Anzahl älterer Tiere in ... Fallen gefangen und an alle Haushaltungen verteilt. Eigene, uralte Gesetze regulieren diese Verteilungen. Dieselben wurden schon in den Jahren 1538 und 1540 durch Urteilsprüche anerkannt und auch in neuester Zeit, seit Einführung des neuen eidgenössischen Jagdgesetzes bestätigt. Dasselbe verbietet bekanntlich das Ausgraben und Fangen der Murmeltiere und lässt nur im Saasthal, angesichts dieses seit undenklichen Zeiten verbrieften Rechtes eine Ausnahme zu.» (F. O. Wolf.) In neuerer Zeit hat der zunehmende Fremdenverkehr es mit sich gebracht, dass eine gewisse Anzahl der Bewohner sich dem Hoteldienst und dem Führerberuf zuwandten und damit bessere, d. h. weniger patriarchalische Existenzbedingungen kennen gelernt haben.
Das Thal gehört aber trotz diesem eben genannten Fremdenverkehr doch noch lange nicht zu den eigentlichen Zentren der Walliser Fremdenindustrie und hat sich deshalb seine besondere Eigenart bis heute noch wohl gewahrt. Dazu trägt namentlich auch der Umstand bei, dass es mit der Aussenwelt nur durch einen Saumpfad in Verbindung steht, der an manchen Stellen in den anstehenden Fels eingehauen werden musste und der zu bestimmten Stunden des Tages von ganzen Karawanen von Maultieren, die Reisende und Gepäck tragen, belebt wird. Schon hat sich auch der Wunsch erhoben, das Thal durch eine Eisenbahn zugänglich zu machen. Daran müssten aber die einzelnen Gemeinden finanziell sich beteiligen, und da diese angesichts der kargen natürlichen Hilfsmittel des Thales und der geringen Einwohnerzahl arm sind und über nur ganz bescheidene Mittel verfügen, wird dieser Wunsch wohl noch nicht so bald in Erfüllung gehen können.
Der Ursprung der Bevölkerung des Saasthales ist in grosses Dunkel gehüllt. Direkte Anzeichen einer vorhistorischen Besiedelung hat man hier noch nicht auffinden können, ebensowenig als Spuren römischer Kultur. Der um die erste Kenntnis des Saasthales verdiente Christian Moritz Engelhardt, dem die seltsamen Ortsnamen Monte More, Mischabel, Almagell, Allalin etc. aufgefallen waren, stellte um 1840 die Behauptung auf, dass spanische Sarazenen, die erwiesenermassen zwischen 940 und 973 das untere Wallis heimsuchten und eine zeitlang den Grossen St. Bernhard und seine Zugänge beherrschten, auch das Saasthal besetzt und dort jene «arabischen» Namen hinterlassen hätten. Neuere Forschungen haben nun aber ergeben, «dass diese Theorie bedingungslos fallen gelassen werden muss und eine Ansiedelung von Sarazenen im Saasthal nicht nur nicht bewiesen werden kann, sondern höchst unwahrscheinlich ist». Auch die genannten Ortsnamen «können alle und zum Teil mit grösster Sicherheit aus andern Sprachen erklärt werden». (Dr. Dübi). So ist z. B. Monte Moro nicht der «Berg des Mauren» sondern ganz einfach der «schwarze Berg», ¶
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und Almagell erscheint 1291 urkundlich als locus de Armenzello und erst 1377 in der dem Arabischen ähnlichen Form Almenkel. 1256 ermächtigte Gottfried von Biandrate, damals Meyer oder Graf von Visp und Besitzer des Saasthales, einige seiner im Anzascathal angesiedelten Eigenleute, mit ihrem Vieh auch die obern Alpweiden des Saasthales zu beziehen. Dieses wird also, wie das Anzascathal, damals als wenigstens im Sommer bewohnt gedacht werden müssen. Die Biandrate hatten ferner das Recht, «in gewissen Fällen ihre Eigenleute von Anzasca in die Gemeinde Visp zu verpflanzen, und es fragt sich nun, ob diese Einwanderung wälscher Elemente ins Saasthal wirklich in erheblichem Masse stattgefunden habe».
Diese Frage ist von manchen Geschichtsforschern in bejahendem Sinn beantwortet worden. Dagegen sind die anthropologischen Untersuchungen im Saasthal noch nicht so weit vorgeschritten, um über die Herkunft der ursprünglichen und der heutigen Bewohner eine bestimmte Ansicht zu gestatten. Scholl hat 35 Schädel aus Saas Im Grund untersucht und als deren mittleren Längen-Breitenindex das Verhältnis 87,2 berechnet. Diese Zahl ist grösser als die von Pittard bei seinen grossen Untersuchungsreihen von Walliser Schädeln gefundene (84,48) und deutet wie diese auf eine ausgesprochene Brachycephalie hin.
Von den Schädeln von Saas Im Grund waren volle 70% rein brachycephal. Der Gesichtswinkel betrug, in Uebereinstimmung mit den Ergebnissen von Pittard, 79°, womit sich also die Schädel als prognath erwiesen haben. Diese und andere Eigenschaften stellen die Saaserschädel in die Klasse der sog. Keltenschädel. Die Resultate der neueren Untersuchungen von Schädeln aus Stalden und Saas Im Grund durch Pittard sind noch nicht veröffentlicht. Die Germanisierung des Saasthales und anderer benachbarter Gebiete muss «auf Veranlassung oder direktes Eingreifen der Castello-Biandrate» etwa 1250-1300 erfolgt sein. «Von dem letzten Datum an erscheinen die Saaser als eine einheitliche Gemeinde persönlicher freier Leute, die nur an die Kirche von Visp und den Bischof von Sitten gewisse Zehnten zu zahlen hat. Fremde Grundherren kommen im Thal nicht mehr und fremde Grundbesitzer nur vorübergehend vor». (Dr. Dübi). 1799 hatte das Thal unter den Einfällen und Plünderungen der Oesterreicher und Franzosen stark zu leiden.
Viel ist das Thal von verheerenden Naturereignissen heimgesucht worden. Die schrecklichen Ausbrüche des Mattmarksees (so z. B. 1626, 1633, 1680, 1733, 1740, 1752, 1755, 1764, 1766, 1772, 1798, 1808, 1828 etc.) überfluteten - Aecker, Wiesen, Gebäude, Bäume, Vieh und Menschen mit sich fortreissend - oft das ganze Thal bis nach Visp hinaus (s. den Art. Mattmarksee). Arg pflegten hier auch die zahlreich niederbrechenden Lawinen zu hausen. Im 19. Jahrhundert waren in dieser Beziehung die Jahre 1834, 1837, 1839, 1846 und 1849 besonders verderblich. Am mussten die Bewohner von Balen vor der Gefahr ihr Dorf räumen.
Damals wurden 26 Personen, die sich in ein abseits und anscheinend geschützt gelegenes Gebäude geflüchtet hatten, von einer Lawine verschüttet. «Es möge deswegen der Wanderer sich nicht verwundern, wenn er überall am Wege christliche Wahrzeichen aufgerichtet findet: Kreuze zur Erinnerung an jähen Todfall; Kapellen und Oratorien als Denkmale allgemeinen Unglücks; prachtvolle Kirchen als Zeichen der Sühne des erzürnten Himmels». (F. O. Wolf.) Urkundliche Namensformen sind 1256: vallis Solxa;
1291: Vallis Solxe, Seyxa;
1297: Sausa;
1298: in valle de Sausa. Es sei hier bemerkt, dass man im Unter Wallis von zahlreichen Runsen, Rüfen und Lawinenzügen durchschnittene Waldhänge mit dem allgemeinen Namen sâsa zu bezeichnen pflegt.
Geologisches.
Das Saasthal ist bis Im Grund hinunter in das Gneismassiv des Monte Rosa und dann bis zur Mündung in den Gneis des Fletschhornmassives eingeschnitten. Im Grund selbst liegt in der hier durchgehenden und die beiden Massive voneinander trennenden Kalkzone des Zwischbergenpasses. Im obern Thalabschnitt findet man zahlreiche Blöcke von grünem Gabbro (Euphotit), die vom Allalinhorn, Rimpfischhorn und Strahlhorn stammen. Diese Gipfel haben dem diluvialen Rhonegletscher die unzähligen Euphotitblöcke geliefert, die sich heute in allen seinen Moränen vorfinden. Der Gabbro des Saasthales wird von Kalken und Triasgesteinen begleitet und bildet gleichsam eine Decke über dem Gneis des Monte Rosa.
Bibliographie:
Dübi, Heinr. Saas Fee und Umgebung. Bern 1902; Roger, Noëlle. Saas Fée et la Vallée de la Viège de Saas. Genève 1901; Wolf. F. O. Die Visperthäler. (Europ. Wanderbilder 99-102). Zürich 1886; Ruppen, P. J. Chronik des Thales Saas. Sitten 1851.