mehr
vom Gletscher verfrachteten Felsmateriales, das über 100 m hohe Seitenmoränen aufbaut. Im Eisfall mischen sich Gesteinsbrocken und Eis innig untereinander, was zur Bildung einer grossen Tiefen- und Innenmoräne und einer zusammenhängenden Obermoränendecke am Gletscherende führt. Die über einen nahezu 200 m hohen Moränensockel herabhängende Gletscherzunge liegt vollkommen unter einer mehrere Meter mächtigen Obermoräne begraben. Alle diese Umstände haben ihren bestimmten Einfluss auf das denkwürdige Ereignis ausgeübt, das sich am 19. März 1901 zugetragen hat. An diesem Tag brach bei Tauwetter und während eines heftigen Schneesturmes Morgens 5½ Uhr ein Teil des westlichsten der drei kleinen Hängegletscher zusammen mit seiner Felsunterlage auf den Rossbodengletscher nieder.
Das Volumen dieser abgebrochenen Eis- und Felsmasse ist zusammen auf 800000 m3 geschätzt worden, wovon etwa 3/8 auf die Felsmasse allein kommen. Der Firnzirkus des Rossbodengletschers vermochte diese auf einen Schlag niederstürzende gewaltige Trümmermasse nicht aufzuhalten, die über diesen Boden hinausglitt und auch über den eine mittlere Böschung von 30% aufweisenden Eisfall hinabsauste. Dabei riss sie die mehrere Meter hohe Schneeschicht und Stücke der Seracs mit sich, so dass sie einer auf ihrem Weg stets anwachsenden Lawine gleich auf der Gletscherzunge anlangte. Die den Gletscher einrahmenden Seitenmoränen bildeten für den grösseren Teil dieser Lawine eine gegebene natürliche Sturzbahn, während ein anderer Teil etwas unterhalb dem Gletscherknie über die n. Seitenmoräne
mehr
hinausspritzte und sich auf die Griesseren- und die Rossbodenalp niederschlug, wo die durch die Luft sausenden Fels- und Eisblöcke mehrere Hütten zerstörten und das Bett des Griesserenbaches zudeckten. Die im Gletscherbett selbst zu Thal schiessende Hauptmasse riss die oberflächliche Moränendecke der Gletscherzunge mit sich und verstärkte sich dadurch umso mehr mit Gesteinsmaterial. Blöcke von 300-1000 m3, die auf der Stirnmoräne gelegen hatten, wurden mitgenommen und bis in die Nähe der Simplonstrasse getragen. Auf dem dem Gletscher vorgelagerten Sengboden vereinigten sich die beiden Lawinenströme wieder zu einer einzigen riesigen Lawine, die sich dann ohne besonders starkes Getöse ins Thälchen des Krummbaches ergoss, wo sie endlich liegen blieb und so einen Anblick bot ähnlich dem, der sich damals geboten haben musste, als der Gletscher noch bis in die Nähe des Dorfes Simpeln hinabgereicht hat. Die Lawine riss zahlreiche Alphütten mit sich und legte Bäume wie Schilfrohr um. Die Dicke des Schnee-, Eis- und Felstrümmerhaufens betrug im Ablagerungsgebiet sicherlich mehr als 100 m. Oberhalb des Weilers Eggen lag der Schutt mehr als 12 m hoch über dem Spiegel des Baches, der aber glücklicherweise nicht aufgestaut wurde, sondern unter der Lawine durch abzufliessen vermochte. Das Ende des Lawinenstromes, dem noch ein wirrer Haufen von entwurzelten Baumstämmen und weggerissenen Balken von Alphütten vorgestaut war, lag unterhalb eines kleinen Bethauses und 200 m oberhalb des Dorfes Simpeln, d. h. in der Luftlinie 6500 m von der Abrissstelle entfernt und 2300 m tief unter dieser.
Diese Katastrophe war, wie dies in solchen Fällen zu geschehen pflegt, von Nebenerscheinungen begleitet, die dem durch die vorwärtsschiessende Masse verursachten Winddruck zuzuschreiben sind. Diese pneumatischen Wirkungen des Windschlages der Eislawine machten sich geltend am Wald unter der Rossbodenalp, am Wald gegenüber und unterhalb Lighien und an den alten Moränen zwischen dem Sengboden und dem Dorf Simpeln. Die Bäume wurden geknickt und ihrer Aeste oder ihrer Rinde beraubt. Der Gesteinsstaub der durch den starken Druck und die Reibung zu Pulver zermalmten Felsstücke ist durch den Wind bis zum Dorf Simpeln und an das jenseitige Gehänge hinübergetragen worden, das wie mit gelber Farbe überzogen schien. Es ist dies wahrscheinlich die mächtigste aller je niedergebrochenen Gletscherlawinen, da sie wenigstens 5 Millionen m3 halten musste, wovon 10% Felsmaterial waren. Noch 1905 war nicht alles Eis und nicht aller unterdessen zu Eis gewordener Schnee der Lawine weggeschmolzen. Die von der Lawine bedeckte Fläche mass etwa 1,5 km2 und glich durch die Menge der herumliegenden Felsmaterialien dem Ablagerungsgebiet eines Bergsturzes. Dieser Gesteinsschutt ist natürlich bis heute liegen geblieben und wird noch auf lange Zeit hinaus an diese denkwürdige Katastrophe erinnern, die 2 Menschen, 15 Stück Grossvieh und 35 Stück Kleinvieh tötete und 27 verschiedene Bauten (Hütten, Heustadel, Ställe etc.) zerstörte. Der Schaden verteilte sich auf die Gemeinde Simpeln und 43 einzelne Grund- und Viehbesitzer und ist auf 183000 Fr. geschätzt worden. Eine Sammlung von Liebesgaben für die Geschädigten hat eine Summe von nahe an 14000 Fr. ergeben.