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(wie überall in den Städten der Waadt): Volksküche, ein zwei Jahrhunderte alter Unterstützungsverein (Société charitable), ein 1685 (d. h. im Jahr der Aufhebung des Ediktes von Nantes) gegründeter französischer Unterstützungsverein (Bourse française), Alters-, Kranken- u. Sterbekassen, Turn-, Gesang-, Schiess- und Musikvereine, Temperenzverein, Schlittschuhklub, Seeklub (Société nautique), Lese- und Vortragsgesellschaft etc. Eine sog. «Abbaye» (eine Art Zunft) besitzt aber Rolle merkwürdigerweise nicht.
Die während der Zeit der Berner Oberhoheit hier bestehenden Vereinigungen dieser Art (so z. B. die Abbaye de l'Arc oder Bogenschützengesellschaft) lösten sich nach einem von ihnen veranstalteten Bankett, das grosses Aufsehen erregt hatte, aus Furcht vor der Strafe des Rates von Bern auf. Rolle ist der Mittelpunkt des Weinhandels der Côte; der Bahnhof hat während der Weinlese 1900 im Ganzen 18497 hl Wein spediert. Handel mit fremden Weinen, der demjenigen mit einheimischem Gewächs ungern gesehene Konkurrenz macht. Die wenig industrielle Stadt hat eine Teigwarenfabrik, eine Kisten- und Kofferfabrik, eine Präzisionsinstrumentenfabrik, eine Kochherd- und Heizkörperfabrik. Weit herum bekannt sind die «petits pains de Holle» geheissenen Brötchen. Um den Bahnhof sind während der letzten Jahre mehrere neue Häuser erbaut worden, die den Anfang zu einem neu erstehenden Quartier bilden.
Die Geschichte von Rolle ist bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts noch ziemlich ungenügend bekannt. Hier besass Graf Amé V. von Savoyen 1291 ein am Seeufer stehendes Schloss (1295: Castrum Rotuli), das er dem Aymon de Sallanova zu Lehen gegeben hatte. Ein am zwischen dem Grafen Amadeus und seinem Bruder Ludwig, Herrn der Waadt, vereinbarter Tauschvertrag von Ländereien und Lehen setzte Ludwig in den Besitz von Schloss, Stadt und Mandament Nyon, während Amadeus das Lehensrecht über Schloss und Mandament Rolle beibehielt, allerdings unter Bedingungen, die zeigen, dass Ludwig selbst eifrig nach ihrem Besitz getrachtet hatte. Am erhielt Jean de Greilly vom Grafen von Savoyen Schloss und Herrschaft Rolle zu Lehen, die nun während mehreren Generationen dessen Familie verblieben.
Ludwig II. von Savoyen, Herr der Waadt, der seit einiger Zeit Lehensherr von Rolle war, trat 1314 diese Herrschaft zusammen mit anderen Städten an seinen Onkel Amadeus V. ab, erhielt aber das Schloss in Anerkennung seiner geleisteten Dienste 10 Jahre später wieder zurück. 1330 begann er, neben dem Schloss zu «Ruelloz» eine Stadt anzulegen, die «libre et franche» sein sollte. Sogleich aber legten zwei Herren von Mont le Grand, Onkel und Neffe und beide Jean geheissen, Verwahrung dagegen ein, indem sie sich auf angebliche ältere Rechte beriefen und geltend machten, der Boden stehe hier unter ihrer Gerichtsbarkeit. Um dem Streit ein Ende zu machen, willigte Ludwig ein, dass die Herren von Mont le Grand hier auf alle Zeiten das Amt des Schlossvogtes und Meiers (le vidomnat und la mestralie) mit sämtlichen dazu gehörenden Rechten und Einkünften besitzen sollten und dass ihnen ausserdem die Hälfte der von ihm erstellten Mühlen und Backöfen gehören sollte.
Diese Uebereinkunft kann als der Gründungsakt von Rolle betrachtet werden. Das Schloss verblieb, immer unter der Oberhoheit des Herrn der Waadt, dem Geschlecht de Greilly. Gaston de Greilly, Sohn von Archambaud de Greilly und seiner Gemahlin Isabelle de Foix, nannte sich Graf von Foix und besass in der Guyenne ausgedehnte Ländereien, weshalb er im 100jährigen Krieg auf Seite des Königs von England stand und auch an der Schlacht von Azincourt (1415) teilnahm. Sein Sohn Jean de Foix wurde in Castillon 1453 von den Franzosen gefangen genommen. Um sich das für den Loskauf dieses Sohnes nötige Geld zu verschaffen, verkaufte Gaston seinen gesamten am Genfersee gelegenen und unter der Oberhoheit der Herzoge von Savoyen stehenden Grundbesitz (Rolle, Greilly und Ville la Grand).
Die Herrschaft Rolle erwarb sich Amédée de Viry, Herr von Mont le Vieux, der seinen Wohnsitz im Schloss Rolle nahm, das er beträchtlich umbauen und dem er u. a. den nördl. Eckturm (langezeit Tour de Viry genannt) beifügen liess. 1531 kam die vereinigte Herrschaft Rolle-Mont le Vieux an Jean Amédée de Beaufort, der eines der eifrigsten Mitglieder des sog. Bundes der Löffelritter war und am dem Rat zu Bern den Treueid schwor. Stark verschuldet, musste er 1550 Rolle und Coppet an seinen Bürgen, den Grafen Michel von Greierz, abtreten, der sich dann aber durch seine eigenen finanziellen Schwierigkeiten selbst wieder genötigt sah, alle seine schönen Herrschaften im Waadtland zu verkaufen, von denen Mont le Grand 1553 und Rolle und Mont le Vieux 1558 an Johannes Steiger, Seckelmeister der Waadt und einer der reichsten Patrizier der Republik Bern, kamen. In dessen Familie verblieb die Herrschaft Rolle bis 1798. Der letzte Herr war Ch. Rud. Kirchberger, Gemahl von Sophie Steiger.
Die freiheitlichen Ideen des endenden 18. Jahrhunderts fanden in Rolle eine begeisterte Aufnahme, die ihnen besonders die eifrige Propaganda der Vettern Amédée de La Harpe und Frédéric César de La Harpe gesichert hatte. Die Bogenschützengesellschaft veranstaltete zur Feier des Jahrestages der Erstürmung der Bastille am und am je ein grosses Bankett, an denen begeisterte Reden gehalten wurden. Bei dem von A. de La Harpe präsidierten Festmahl von 1791 sang man sogar Ça ira und andere revolutionäre Lieder.
Bern ging aber gegen die Anstifter dieser Demonstration mit Strenge vor. Amédée de La Harpe wurde zum Tode und zum Verlust aller seiner Güter verurteilt, konnte aber entfliehen und machte nachher in französischen Diensten eine glänzende Carrière. Am hat man eine an ihn erinnernde Gedenktafel an seinem einstigen Haus an der Place des Tilleuls angebracht. Ebenso mussten auch andere Teilnehmer an den Banketten, so z. B. J. J. Cart, ihre Heimat verlassen.
Die ausserhalb Rolle nur wenig bekannte Geschichte der Ile de La Harpe wirft ein eigenartiges Licht auf den Geist, der zwischen 1830 und 1845 im Kanton Waadt ¶
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herrschte. Die Stadt Rolle bedurfte als natürlicher Sammel- und Ausfuhrsplatz der Produkte einer ganzen Anzahl von Gemeinden und besonders des seinen Weg nach Genf nehmenden Holzes aus den Jurawäldern eines Hafens und Lagerplatzes. Kantonale Subvention, Gemeindegeld und freiwillige Beiträge von Seiten von Privatleuten gestatteten 1835, die Arbeiten an Hand zu nehmen. Man erstellte zwei je 120 m lange Hafendämme, den einen als Schutz gegen den «Vent» und den andern als Schutz gegen die «Bise».
Dieser letztere ruhte auf einer Untiefe, die nach dem Wortlaut des an den Staatsrat gerichteten Subventionsbegehrens allem Anscheine nach in alten Zeiten einmal eine Insel gewesen sein müsse, da man hier eine Menge von im Boden steckenden eichenen Pfählen gefunden habe. Man beschloss, hier zum Schutze der im Hafen liegenden Schiffe wiederum eine Insel aufzuschütten, ohne auf diese merkwürdigen Pfähle weitere Rücksicht zu nehmen. Als nun am in Lausanne Frédéric César de La Harpe gestorben war, entschied das Baucomité in Rolle, dieser Insel den Namen des grossen Mitbürgers zu verleihen und ihm auf ihr ein Denkmal zu errichten.
Die am stattfindende Einweihung der Insel gab Anlass zu einer öffentlichen politischen Kundgebung, indem Major Frey-Herosée aus Aarau und der Tessiner Abgeordnete Luvini feurige Reden hielten, während die anwesenden Vertreter des Waadtländer Staatsrates sich im Gegenteil ostentativ ausschwiegen. Das wegen der Verweigerung einer staatlichen Subvention an das Denkmal ohnehin schon unzufriedene Comité sah in diesem Anlass eine neue Gelegenheit, auf den Fall der damals im Kanton herrschenden konservativen Partei hinzuarbeiten.
Das Denkmal wurde nach den Plänen des Architekten Veyrassat in Lausanne erstellt und besteht aus einem Obelisken mit Medaillons, die von Pradier gehauen worden sind, und der Inschrift: «A la mémoire du Général de La Harpe, précepteur de l'empereur de Russie Alexandre Ier, Directeur de la République helvétique, citoyen suisse des cantons de Vaud, Argovie et Tessin, né à Rolle le 6 avril 1754, mort à Lausanne le 30 mars 1838, ce monument a été élevé par la reconnaissance nationale.» Die erwähnten Pfähle, die in geraden Linien angeordnet gewesen waren, bildeten natürlich nichts anderes als die Reste eines einstigen Pfahlbaues, der nach später noch aufgefundenen Gegenständen sich als zur Bronzezeit gehörend erwiesen hat. Die richtige Erklärung dieser in den Seen vorhandenen Pfahlreihen gab Ferdinand Keller bekanntlich erst im Winter 1853/54 an Hand solcher Funde im Zürichsee.
Neben den beiden De La Harpe sind von hervorragenden Persönlichkeiten, die aus Rolle stammen oder hier gelebt haben, noch folgende zu nennen: Rolaz du Rosey († 1704), der als kurfürstlich brandenburgischer Kavalleriemajor sich 1691-1694 in Ungarn auszeichnete;
der Generalleutnant in holländischen Diensten Louis Bouquet (1704-1781);
der General Henry Bouquet (1715-1765), Neffe des vorigen, der im Alter von 17 Jahren in holländische Dienste trat, dann englische Dienste nahm und in Nordamerika einen glänzenden Sieg über die Rothäute errang;
der Jurist Jean Marc Louis Favre (1733-1793), Freund und Ratgeber von F. C. de La Harpe und Donator eines Teiles seiner reichhaltigen Bibliothek an seine Vaterstadt;
der wohlbekannte Philhellene Jean Gabriel Eynard, der das Landgut Beaulieu bei Rolle besass;
Philippe Louis Emmanuel de La Harpe (1782-1842), Sohn von Amédée de La Harpe, Landammann der Waadt 1830, Abgeordneter zur eidgen.
Tagsatzung, Staatsrat und Verfasser von Schriften über das Strafrecht;
Jean Louis Henri Manuel (1790-1838), während 11 Jahren französischer Pfarrer in Frankfurt am Main, dann in Lausanne wohnhaft, fleissiger Schriftsteller;
der Dichter und Literarhistoriker Jean Jacques Porchat (geb. bei Vandœuvres 1800, 1864), der seine ersten Studien wie Manuel in Rolle gemacht hat;
der Maler Louis Auguste Brun (1758-1816).
Bibliographie.
Vittel, A. Notice sur l'île et le monument de La Harpe. Rolle 1896; Rubattel, Dr. Notice sur les eaux de Rolle (in der Revue médicale de la Suisse romande. 1902); Revue histor. vaudoise (passim). Ferner die den Kanton Waadt als Ganzes behandelnden Werke.
[A. Reymond.]