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Piz d'Aela und Tinzenhorn, Piz Platta, Piz Toissa und die Splügner Kalkberge sucht man im Oberland vergebens. Dagegen sind die Formen des Bündnerschiefers mit ihren breiten, relativ sanft geneigten Gehängen, gerundeten Rücken, Wildbachrunsen und Rutschgebieten beiden gemein. Doch wird der Hinterrhein durch diese Bündnerschiefer, in die er grösstenteils eingegraben ist, weit mehr getrübt als der Vorderrhein, und es gewährt an der Vereinigungsstelle der beiden Flüsse bei Reichenau das ungestüme Zusammenprallen der oft schwarzen Fluten des erstern mit den grünen Gewässern des letztern einen eigentümlichen Anblick. Auch zu Ueberschwemmungen neigt der Hinterrhein mehr als der Vorderrhein und auch das wiederum infolge seines vorherrschenden Verlaufs im Bündnerschiefer, der ihm bei andauernden Regengüssen aus zahlreichen Wildbachrunsen, vor allem aus der Nollaschlucht, gewaltige Schlamm- und Schuttmassen zuführt.
Betrachten wir nun noch in Kürze den Hinterrhein an sich. Er entspringt in dem weiten Eisrevier von Zapport, dem grössten des bündnerischen Rheingebiets, speziell am Paradiesgletscher, der Zunge des ausgedehnten Rheinwaldfirns. Kaum ist er hier in 2216 m aus dem Gletschertor getreten, so erhält er von rechts aus zwei steil niederhängenden Lappen die Abflüsse des Zapportgletschers, der zusammen mit dem Rheinwaldfirn den gewaltigen Gebirgszirkus vom Hochberghorn über das Rheinwaldhorn zum Marscholhorn, einen der grössten und schönsten der Schweiz, fast ganz in das blendendweisse Kleid moränenfreier Eismassen hüllt. Es ist dies ein Quellgebiet, das dasjenige des Vorderrheins an Hochgebirgspracht weit übertrifft und überhaupt zu den schönsten der Alpen gehört.
Der Hinterrhein durchbraust nun zwei kleine, rasch aufeinander folgende Schluchten, wovon die untere «Hölle» heisst, und erreicht schon nach 2 km den ebenen, wenn auch noch sehr schmalen Thalboden des Rheinwald in der Höhe von 1850 m. Mit stetigem, nach unten abnehmendem Gefälle (von im Mittel etwa 23‰) hält dieser Boden auf eine Länge von etwa 22 km an bis zum Eintritt in die Rofna (bei der Sufner Schmelze 1340 m), nur an zwei Stellen, zuerst unterhalb Hinterrhein und dann zwischen Splügen und Sufers, auf kurze Strecken etwas eingeengt. Durch dieses Längsthal schlängelt sich der Fluss, oft mehrarmig geteilt, meist durch seine eigenen Sand- und Kiesablagerungen. Die 5 Dörfer des Thales stehen alle auf den sanftansteigenden Halden der linken Seite. Die Seitenbäche sind alle noch sehr klein, aber schon hier kommt der längste, der Areuebach bei Nufenen, von rechts. Die oberste Thalstrecke liegt im Adulagneis, die Strecke von Hinterrhein bis Sufers im Bündnerschiefer.
Nun folgt die in Gneisporphyr eingeschnittene Rofnaschlucht und in ihr die Umbiegung des Thales nach N. Das Rofnagestein (nicht aber die Schlucht) reicht noch in das Becken von Schams bis nach Andeer hinunter. Dann folgt wieder Bündnerschiefer, der nun bis ans Ende des Hinterrheinthales anhält, so dass kein Zusammenhang zwischen Gesteinsmaterial und Thalform (Schlucht und Erweiterung) zu erkennen ist. Im Gneisporphyr liegen sowohl die Rofna als ein Teil des Schamserbeckens, im Bündnerschiefer die Enge der Viamala wie die Erweiterungen des Domleschg und des grössern Teils von Schams.
Dagegen bezeichnen die beiden Schluchten deutliche Stufen mit Stromschnellen, was durch folgende Gefällszahlen verdeutlicht werden mag: Gefälle des Hinterrheins im Rheinwald auf der 23 km langen Strecke vom Kaminboden (1714 m) bis zur alten Landbrücke am Eingang der Rofna (1318 m) 17‰ in dem von der Bärenburg (995 m) bis zur obersten Viamalabrücke (868 m) 7,25 km langen Schams 17-18‰, im Domleschg auf den 16,6 km von der Rheinbrücke bei Thusis (685 m) bis zur Mündung bei Reichenau (587 m) 6‰, dagegen auf den 4,7 km der Rofna (1318-995 m) 68-69‰ und auf den 5,55 km der Viamala (868-685 m) 33-34‰. In etwas abgerundeten Zahlen kann man die mittlere Höhe des Rheins im Rheinwald zu 1520 m, in Schams zu 930 m und im Domleschg zu 640 m angeben, so dass also in der Rofna ein Höhenunterschied von etwas über 300 m und in der Viamala ein solcher von gegen 200 m überwunden wird.
Rofna und Viamala zeigen alle Erscheinungen gewaltiger, sehr tief und eng eingeschnittener Erosionsschluchten mit ausserordentlich steilen, zum Teil senkrechten und überhängenden, bald glatten, bald gerippten und von seitlichen Rinnen gefurchten Wänden, mit Erosionskesseln, Vorsprüngen und Nischen, mit Gletscherschliffen und geglätteten Buckeln, welch' letztere beweisen, dass diese Schluchten schon von den Gletschern der Eiszeit angetroffen und benutzt wurden. Ja einzelne solcher, wie z. B. die Gletscherspuren, Reste von Grundmoränen bei der obersten Viamalabrücke, lassen erkennen, dass die Eiszeitgletscher diese Schluchten schon bis auf das Niveau der heutigen Strasse und selbst noch tiefer eingeschnitten vorfanden. An der eben genannten Stelle hat der Rhein sogar seine vorglaziale, bezw. interglaziale Tiefe noch nicht wieder erreicht, da er die dortige Grundmoräne noch nicht völlig durchzuschneiden vermocht hat. Doch fliesst er wieder so tief, dass er und die ihm zueilenden Wildbäche im Schams ihre frühern Ablagerungen (Rheinkies und seitliche Schuttkegel) nicht mehr erhöhen. Sie haben ¶
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diese vielmehr in tiefen Gräben durchschnitten und so Schams in eine typische Terrassenlandschaft umgewandelt. Anders liegen die Verhältnisse im Domleschg, das das eigentliche Ueberschwemmungsgebiet des Hinterrheins ist. Zwar haben wir auch hier die prächtigen Terrassenflächen und -gehänge am Fuss der Stätzerhornkette und am Heinzenberg, aber dazwischen liegt die furchtbar verheerte Alluvialebene des Rheins. Früher schlich der Strom, beladen mit seinen eigenen Geschieben und mit denen seiner Zuflüsse, insbesondere denen der zu Zeiten wütenden Nolla, träge, vielarmig geteilt und bald dahin, bald dorthin geworfen, zwischen seinen immer höher wachsenden Ablagerungen hin.
Denn wenn auch das Thal sich gegen seinen Ausgang wieder verengt, so entsteht doch dort keine Stromschnellenenge, sodass der Fluss ohne vermehrtes Gefälle an seine Mündung gelangt. Er konnte sich also auch nicht von sich aus tiefer eingraben und dadurch seine Erosions- und Transportkraft vermehren. Es musste künstlich durch Geradelegung zwischen ungeheuern Steindämmen und anderweitige Verbauungen, insbesondere in dem schwierigen und lange Zeit aller menschlichen Anstrengung spottenden Gebiet der Nolla, nachgeholfen werden.
Gleichzeitig sucht man mit gutem Erfolg die Flächen rechts und links des regulierten Flusslaufs wieder für die Kultur zu gewinnen, indem man einen Teil der Gewässer in die durch Querdämme abgeteilten Parzellen leitet und hier ihren fruchtbaren Schlamm absetzen lässt. Die direkten Zuflüsse des Hinterrheins sind nicht zahlreich, da sich die Gewässer seines weiten Gebietes in wenigen Hauptadern sammeln. Es sind dies der Averser Rhein und die Albula, jener nach oben schön baumförmig verzweigt, diese mit Oberhalbsteiner Rhein und Davoser Landwasser dem Hinterrhein alle Gewässer der nordwestl.
Abdachung der Albulakette vom Septimer bis zum Flüelapass zuführend. Averser Rhein und Albula münden beide durch grossartige Schluchten, ersterer durch die Ferreraschlucht, die sich mit der Rofna verbindet und zahlreiche prachtvoll erhaltene Gletscherschliffe (Rundhöcker) aufweist, letztere durch den Schyn, durch den jetzt ausser der berühmten Strasse auch die Albulabahn führt. Von den linksseitigen Zuflüssen sei ausser der Nolla nur noch die etwas hinter Zillis in Schams mündende Rabiusa (oder Fundognbach) genannt, die mit ihren vielen kleinen Verästelungen das weite Alprevier vom Piz Beverin bis zu den Splügner Kalkbergen und damit den grössten Teil der linken Thalseite von Schams entwässert. Zum Schluss dieses Abschnittes mögen noch einige vergleichende Zahlen über Vorder- und Hinterrhein angegeben werden:
Vorderrhein | Hinterrhein | |
---|---|---|
Länge | 70.5 km | 61.5 km |
Gefälle | 1758 m oder 25‰ | 1630 m oder 26,5‰ |
Flussgebiet | 1513.676 km2 | 1692.663 km2 |
Von letzterem kommen auf | . | . |
Firn und Gletscher | 61‰ | 35‰ |
Fels und Schutt | 224‰ | 275‰ |
Wälder | 138‰ | 160‰ |
Seen | 1‰ | 1‰ |
Uebrige Gebiete | 576‰ | 529‰ |
Die genauen Zahlen der vom eidgen. hydrometrischen Bureau in Bern vermessenen Strecken betragen für den Vorderrhein 67,51 km mit einem Gesamtgefäll von 1064,6 m oder 15,77‰, für den Hinterrhein resp. 57,15 km und 1131,4 m oder 19,8‰, für sämtliche Gewässer des Vorderrheingebietes summiert 255,34 km und 14963,86 m oder 58,7‰ und für das ganze Hinterrheingebiet 255,946 km und 12513,08 m oder 48,8‰.
Die niedrigste am Vorderrhein beobachtete Wasserführung betrug bei Reichenau (am 10,98 m3 und die grösste Wassermenge etwa 1150 m3, am Hinterrhein bei Rotenbrunnen (Januar-März 1898) 11,90 m3 resp. 1450 m3. Der Vorderrhein treibt bei Reichenau die Mühle von Farsch. Dem Hinterrhein entnimmt bei Thusis das nötige Triebwasser eine Calciumkarbidfabrik, die über eine Wassermenge von im Minimum 1,5 m3 und im Maximum von 4,3 m3, über ein Gefälle von 91,8 m und eine Kraft von 1350-3800 PS verfügt.
Von Reichenau an abwärts fliesst der vereinigte Rhein zunächst noch in der Längsthalrichtung des Vorderrheins, biegt dann aber von Chur an immer mehr nach links ab, so dass bis in die Gegend von Sargans ein grosser, nach W. geöffneter Bogen entsteht. Dabei hält er sich bis Ragaz meist hart an den Fuss des Calanda und dessen nördl. Ausläufer, quert dann schräg seine nun schon ziemlich breit gewordene Alluvialebene und schlägt sich an den Fuss des Fläscherberges. Bis Landquart bildet das Rheinthal die Grenze zwischen dem Jura- und Kreidegebirge des Calanda und dem Bündnerschiefer der Hochwangkette (Flysch). Dann folgen links bis Sargans die nummulitenführenden Glarnerschiefer, während rechts die Bündnerschiefer noch ¶